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Have You Met Miss Jones?
“Have you met Miss Jones? Someone said as we shook hands. She was just Ms. Jones, to meeeeeeee-ee-eeeee!”, sang Bing Crosby aus den Kopfhören eines Walkmans und er sang es richtig gut. Mit dem Swing, den nur die alten Entertainer gehabt hatten: Frank Sinatra, Sammy Davis Jr., Dean Martin, zum Teil. Das waren richtige Entertainer, Alleskönner, jene, die in einem Film gleichzeitig sangen, tanzten und schauspielten und dabei den Charme der 50er und 60er Jahre behielten und in voller Pracht zeigten.
Klaus, dessen Walkman es war, aus dem Bing sang, liebte diese Zeit, auch wenn er sie selbst nicht miterlebt hatte, konnte er sich gut hineinfühlen. Er klopfte im Takt mit dem Zeigefinger an den Haltegriff des überfüllten U-Bahnabteils. Er wusste, nähme er die Kopfhörer von seinen Ohren, würde er erschlagen werden, von einer Flut unverständlich schnell gesprochenen Worten, geformt von hohen und tiefen Stimmen, erfunden von ruhigen und nervösen, leisen und lauten, jungen und alten Menschen. Warum sollte er seinen Ohren so etwas antun?
„Then I said Miss Jones, you´re a girl who understands, I´m a man who must, beeeee freeeeeee!”
Doch wenn man das Gebrabbel der Masse nicht hören muss und sich die Nase langsam an den Geruch gewöhnt hat, dann war es für Klaus recht angenehm, U-Bahn zu fahren. Er liebte Menschen und hier gab es unzählige davon. Er liebte es, erhobenen Hauptes da zustehen, wissend, dass eine Menge Leute ihn ansahen. Vor allem Frauen. Er hatte eine gewisse Ausstrahlung, das war ihm freilich bewusst und er setzte sie mit Vergnügen ein. Er liebte es, angesehen zu werden, liebte es, beneidet und bewundert zu werden. Und manchmal, da gibt es Momente, die noch schöner sind, Situationen, in denen bloßes betrachtet werden allein nicht reicht.
„And all at once I lost my breath, and all at once was scared to death, and all at once I hold the earth and skyyyyyyyy!”
Da gibt es nämlich diese Augen, die noch schöner sind, Wimpern, denen bloßes Augenaufschlagen nicht reicht. Zwischen all den Mäntel und Jacken, dem Geruch nach Schweiß und ungewaschenen Rachen, zwischen all den inadäquaten Sorgen der Frühaufsteher, da gibt es immer einen Schatz zu finden.
Klaus sah diese Augen und lächelte. Sie gehörten einem wunderschönen Mädchen, dessen schwarzes Haar vor dem hellgrauen Mantel hervorstach und ihm unweigerlich an einen Winterwald erinnerte. Ihre roten Lippen lächelten zurück, doch nicht so offen wie das gelogene Lächeln anderer, sondern schüchtern, beschämt beinahe. Sie sah weg, doch Klaus wusste, dass würde sie nicht lange durchhalten und er hatte recht. Nach kurzer Zeit verfing sich ihr Blick abermals in seinem, und es schien, als wären sie alleine in dem U-Bahnwaggon.
Doch das waren sie in Wahrheit nicht. Ein Mann stieß ihn an, deutete ihm mitzukommen. Klaus hatte keine andere Wahl, er wurde beinahe hinausgezerrt. Der Mann hatte eine schwarze Hose und eine unpassend neongelbe Jacke an. Auf dieser stand etwas, das er nicht lesen konnte.
Klaus nahm seine Kopfhörer ab und hörte zu, was der Mann zu sagen hatte. „Das war´s, Bürscherl“, sagte dieser, etwas unfreundlich, wie Klaus fand, „Belästigung der Fahrgäste, Hausieren im U-Bahnbereich, wohlmögliches Schwarzfahren, aber das ist freilich nicht meine Aufgabe, da kümmern sich andere darum. Die meinige ist es, für Ruhe zu sorgen, und dein Singen...“, der Mann beendete den Satz damit, dass er die Augen verdrehte.
Klaus fiel nicht ein, was er darauf sagen sollte. Er verstand kein Wort, von dem was der Mann mit der komischen Jacke sagte. Er gab ihm einen Zettel, auf dem etwas geschrieben stand. Auch das ergab für ihn keinen Sinn. Auf dem Zettel waren Obdachlose abgebildet, die bei einem Eimer voll Suppe standen und sich unterhielten.
Der Mann mit der neongelben Jacke stand noch immer vor ihm, mit zusammengepressten Lippen und sah ihn mit erhobenen Augenbrauen an. Klaus sah, dass ihm die Situation unangenehm war. Er bedankte sich ohne zu wissen für was, ging davon und ließ den Mann mit der seltsamen Jacke zurück. Er würde nun einmal um die Station gehen, vielleicht etwas essen und in zehn Minuten, wenn der Mann weg sein würde, wieder in die U-Bahn einsteigen.
Er setzte seine Kopfhörer auf und drückte auf Play. Die Frau neben ihn erschrak, so als hätte er eine plötzliche Bewegung gemacht. Seltsam.
„Now I´ve met Miss Jones and we´ll keep on meeting, till we diiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiie, Miss Jones and I”