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Hausfriedensbruch
Unsere Sommerferien waren ein Trauerspiel. Schlechtes Wetter, schlechte Laune. Keine Kohle, wenig Ideen.
Darum vertrieben Jimmy und ich uns mal wieder die Zeit beim wöchentlichen Baseballspiel der Amateurliga. Meistens, wenn wir den richtigen Zeitpunkt erwischten, konnten wir uns an den schmerbäuchigen Ordnern vorbeischleichen. Dieser Zeitpunkt war meist zur Hälfte des Spiels erreicht. Wir fieberten dann immer mit, als hätten wir das ganze Spiel verfolgt und beschuldigten einzelne Spieler ihrer Schandtaten in den vorangegangenen Innings.
Jedenfalls sagte Mom immer, ich soll um 22 Uhr zu Hause sein. Im Sommer dann zu Sonnenuntergang, was ja irgendwo auf dasselbe hinauslief. Da das Baseballspiel um 20 Uhr gelaufen war und unsere Sommerferien sich langsam dem Ende zuneigten, beschlossen wir noch einmal etwas Cooles zu erleben, was am Ende alles andere als das war.
Hinter einem Supermarkt, dessen Pforten sich immer um 19 Uhr geschlossen hatten, befand sich eine Art Schotterplatz aus roten Kieselsteinen, auf dem ein leeres Gebäude stand. Das Ding sah mächtig aus, trotz seiner bröckligen grauen Backsteinfassade und den schmierigen weißgerahmten Fenstern. Einen Menschen mit einem ähnlichen Erscheinungsbild hätte man als halbtot abgestempelt. Häuser wirken dadurch hingegen interessant. Das sahen auch viele andere Kids in unserem Ort so, die das Ding schon mehrere Male betreten hatten und in den höchsten Tönen schwärmten. Es sei der ultimative Kick, johlten sie.
Es war 20:24 Uhr, als wir ankamen, das weiß ich noch ganz genau. Ich hatte auf meine elektronische Armbanduhr geschaut, die ich von meiner Mom zum Geburtstag bekommen hatte, die ironischerweise nach diesem Abend nie wieder richtig lief. Jimmy rieb sich die Hände, als stünde ein leckeres Mittagessen auf dem Tisch. „Na, dann wollen wir mal“, sagte er.
„Wo müssen wir überhaupt rein?“, fragte ich, woraufhin Jimmy nur mit den Schultern zuckte.
„Es gibt immer einen Weg“, sagte er.
„Du klingst wie Miss Bennet.“ Unsere Sportlehrerin.
„Alter, wir haben Ferien und du sprichst von Miss Bennet?“
„So schlimm ist sie gar nicht.“
„Ja, weil du auf dicke Ärsche stehst. Komm.“
Gut, damit hatte Jimmy recht. Ich meine, Miss Bennet hatte nicht den besten Arsch von allen, aber er war nett anzusehen.
Wie dem auch sei, Jimmy entdeckte da so ein Loch in einem Fenster, durch das man theoretisch hätte greifen und den Fenstergriff erreichen können. Aber Jimmy schnitt sich den Arm an der verfluchten Fensterscheibe auf und gab sich fürs Erste geschlagen. Wir stoppten seine Blutung mit einem Taschentuch, aus einer der Packungen, die ich am Nachmittag mit Mom eingekauft hatte. Ich war ihr zur Hand gegangen und spekulierte auf die Art Belohnung, die darin bestand, länger draußen bleiben zu dürfen. Natürlich blieb sie bei ihrer goldenen Regel. Zu Sonnenuntergang bist du zurück. Ich hoffte auf wohlige Launen der Natur.
Nachdem wir Jimmys Blutung einigermaßen in den Griff bekommen hatten, machte ich auf dem staubigen Schotterplatz kehrt, was für Jimmy einer Tragödie gleichkam. „Moment mal, junger Mann.“ Er klang wieder wie Miss Bennet. „Du wirst mich ja wohl nicht im Stich lassen.“
„Ich habe gerade deinen Arm gerettet.“
„Ja gut, aber wir sind hier noch nicht fertig. Einen Versuch haben wir noch.“
Ich schaute erneut auf meine Armbanduhr. 20:31 Uhr.
Jimmy zückte einen schneeweißen Baseball und grinste.
„Wie hast du das denn geschafft?“, fragte ich erstaunt.
„Diese Ordner... ich hoffe, wir reden nicht im Alter auch nur über Pasteten, Einstiegshilfen und Rheumasalbe.“
„Und du glaubst, dein Wurfarm …“
Klirr.
Da hatte es schon geknallt. Jimmys Wurfarm war fähig genug, ja. Trotz seiner Schnittwunden, um die wir ein weiteres Taschentuch legten nach dem Wurf. Die Fensterscheibe war komplett zersprungen. Wir hatten freien Zugang.
Unter unseren Füßen knackten die Glasscherben. Jimmy stieß mit seinem Fuß gegen eine leere Bierflasche, was uns einen gehörigen Schrecken einjagte. Aber danach lachten wir. Eine Mischung aus Erleichterung und Erheiterung.
Soweit wir wussten, handelte es sich hier um die ehemalige Geschäftsstelle eines Getränkeherstellers. Um die einhundert Leute sollen in den kargen Büroräumen die Geschäfte geregelt haben. Wenn ich mich nicht täusche, stellten die auch Spirituosen her, was einer gewissen Ironie gleichkam, als uns der erste Bewohner dieses Anwesens über den Weg lief. Ein besoffener Obdachloser fiel durch die Tür des fünften Büroraums, den wir gerade passiert hatten. Jimmy und ich stolperten vor Schreck übereinander, was seinem verletzten Arm nicht sonderlich zuträglich war.
Auch wenn Jimmy mich mehr oder weniger zur Besichtigung dieses Haus überredet hatte, musste man ihm doch eines lassen: er passte auf mich auf. Denn als wir (besonders ich) Probleme hatten, wieder auf die wackligen Beine zu kommen, war er es, der mich – wie auch immer er das geschafft hat – am Kragen meines alten Poloshirts von dem röchelnden Penner weggezogen hatte. Mit einem Mal lag ich wie ein Kleinkind in Jimmys Schoß und schaute in sein schweißnasses Gesicht. Blut tropfte aus seiner Nase heraus. Diesen Anblick werde ich nie vergessen.
Das Nasenbluten bekam er öfter mal, wenn er etwas gestresst war. Normalerweise zog ich ihn immer damit auf, wie pubertierende Jungs das eben tun. Die suchen sich halt alles, um ein bisschen rumstänkern und laut sein zu können. Wobei mein Opa immer sagte: „Der Lauteste in einem Raum ist auch immer der Schwächste.“
Der Penner bewegte sich kein weiteres Stück mehr. Zumindest atmete er noch, was für uns das eindeutige Zeichen war, dass er noch am Leben war.
„Alles klar, Rob?“, fragte Jimmy mich und wischte sich mit dem Handrücken das Blut von der Nase.
„Sicher“, entgegnete ich und versuchte so cool wie möglich dabei zu klingen. Ich glaube aber, das konnte ich nie besonders gut.
„Lass uns weitergehen.“
„Wie weit denn noch? Da hinten wird es immer dunkler.“
Jimmy wedelte mit den Armen, um seiner folgenden Aussage etwas Dramatik zu verleihen. „Bis wir das Licht am Ende des Tunnels sehen.“ Hätte er das mal nie gesagt.
„Lass uns umkehren“, meinte ich.
Er deutete auf den Penner hinter mir. „Wenn der so schnell zupackt, wie er fällt, will ich nicht über ihn drübersteigen.“
„Du bist so ein Arsch, weißt du das?“
Also gingen wir weiter.
Mittlerweile waren wir am Ende der ersten Etage angekommen, wo es so düster war, dass ich die Uhrzeit auf meiner Armbanduhr nicht mehr ablesen konnte. Ich schätzte sie aber auf 20:45 Uhr. Zwar gewöhnten sich unsere Augen mit der Zeit an die sparsamen Lichtverhältnisse, aber Vorsicht war trotzdem geboten. Bevor wir über die klebrigen Treppen ins zweite Stockwerk hinauftrabten, weckte noch ein Stapel Zeitungen unsere Aufmerksamkeit. Die waren so feucht, dass man sie wie ein rohes Ei behandeln musste, wenn man die Seiten umblättern wollte. Ehrlich gesagt, widerte mich das auch ganz schön an und ich warf meine direkt nach den ersten zwei Seiten wieder weg. Jimmy dagegen fand richtig Gefallen an den alten Berichten aus dem Jahre 1999. Er hatte sich in einem Artikel über den bevorstehenden Jahrtausendwechsel festgebissen, da rumste es einmal über uns. Dem Ganzen folgte ein schrilles Kreischen, welches anscheinend zu einer Katze gehörte.
„Komm, wir sehen nach“, meinte Jimmy hochmotiviert.
Ich folgte ihm mit einem Seufzer.
Die braune Katze machte da oben keine Anstalten sich vor uns zu verstecken. Eher gesagt ignorierte sie uns. Sie hatte etwas anderes im Blick.
„Ich vermisse den Geruch von Zuckerwatte und Schokoladenpralinen“, sagte Jimmy und hielt sich die Nase zu. „Hier drin stinkts wie in einer Leichenhalle.“
„Warst du schon mal in einer?"
„Ne, aber so stell ich mir das vor.“
Zu unserer Linken türmten sich zerbrochene Holzpaletten, Lattenroste, Plastikeimer und Röhrenmonitore. Und zuerst trauten wir unseren Augen kaum, als besagter Haufen begann, sich zu bewegen. Jimmy packte mich am Arm und zog mich instinktiv ein Stück mit zurück. Der Schrotthaufen wurde immer lebendiger. Einer der Röhrenmonitore polterte von der Spitze herab. Anschließend rutschten die Teile der Holzpaletten zur Seite und zwischen einem Lattenrost tauchte eine menschliche Hand auf.
„Scheiße“, wisperte Jimmy.
Ich war komplett sprachlos. Starr vor Angst.
Aus dem Schrotthaufen erhob sich ein anderer Obdachloser, der – möchte man bei dem bildlichen Vergleich bleiben – wie gemalt aussah. Eine tief in die Stirn gezogene Wollmütze. Einen Fetzen von Schal um den Hals gewickelt, Wollhandschuhe, die an den Fingerkuppen beschnitten waren und ein olivgrüner Mantel. Der Typ muss zwei Meter groß gewesen sein. Würde ich es nicht so ernst mit dieser Geschichte meinen, wahrscheinlich sogar vier oder fünf. Er schüttelte sich und klopfte seine Klamotten von dem Staub ab, als trage er die neuesten Designerklamotten. Der feine Herr versuchte sogar noch mit einem bisschen Speichel auf dem Daumen einen Fleck an seinem Mantel zu kaschieren, was völligst skurril aussah. Dann hob er sein Gesicht und schaute uns schweigend an.
„H …Hallo Mister“, stammelte Jimmy. „Wir wollten Sie nicht stören.“
Als der Kerl immer noch nicht antwortete und eine geschlagene Minute verstrichen war, wurde mir allmählich bewusst, dass die Beschreibungen der anderen Kids nicht im Entferntesten auf das zutrafen, was wir hier vorgefunden hatten. Ich mutmaßte, dass keiner von diesen Großmäulern jemals hier gewesen war. Aus gutem Grund. Nur Lebensmüde begaben sich hier rein.
Der Riese stemmte die Hände in die Hüften und rief: „Bodega, du Schweinehund. Komm raus.“
„Wir sind dann mal weg“, merkte Jimmy mit dünner Stimme an.
„Hiergeblieben“, brüllte der Riese und ging auf uns zu.
Gleichzeitig schauten wir zu dem Eingang zurück, durch den wir gekommen waren, wussten abe, dass uns da unten der andere Penner erwarten würde. Vermutlich dieser Bodega. Auf der gegenüberliegenden Seite strahlte das Licht des Treppenhauses durch den Türrahmen. Also liefen wir in diese Richtung. Der Riese warf uns noch irgendein Holzstück hinterher und schrie etwas, dass man nicht verstehen konnte.
Wir musterten nervös das Treppenhaus und hörten die Schritte des Riesen immer näher kommen. Uns blieb keine andere Wahl, als noch ein Stockwerk höher zu steigen. Somit waren wir im Dritten. Jimmy hielt es für eine gute Idee noch höher zu laufen, um uns etwas mehr Zeit zu verschaffen.
Aber uns ereilte der nächste Schreck. Zwischen dem dritten und vierten Stock lag uns der nächste Kamerad im Weg. Jimmy versuchte erneut, den Sportsfreund zu beschwichtigen. „Bleib ruhig liegen, wir finden alleine raus.“
Der kahlköpfige Mann setzte sich in seinem Schlafsack auf und schrie: „Bodega.“ Was auch sonst.
Jimmy verpasste dem Typen einen Tritt gegen das Kinn (wahre Geschichte!) und wir liefen weiter.
Mittlerweile waren wir im fünften Stock angekommen. Von draußen sah das Gebäude gar nicht so groß aus. Vielleicht hatte ich auch einfach nur die Orientierung verloren. Jedenfalls standen wir nun in einem Raum, der den anderen weitestgehend ähnelte. Beherbergte genau so viel Schutt und Schmutz. Ich schaute zu Jimmy rüber und sah wie diese vertikale Rinne zwischen seiner Nase und dem Mund blutverschmiert war. Zudem tropfte immer wieder etwas nach. Ich griff mir an dieselbe Stelle und machte ihn somit auf die Sauerei aufmerksam. Mit seinem verkrusteten Handrücken verschaffte er sich erneut Abhilfe, was mir aber ganz und gar nicht gefiel. „Wir müssen hier raus“, sagte ich.
„Jo, so langsam könnte ich frische Luft gebrauchen.“
Wieder die Bodega-Rufe.
„Meinst du eigentlich, dass der Tritt eben nötig war?“, fragte ich mit einer Hand auf dem Knie abgestützt.
„So viel wie hier falsch läuft, war es das einzig Richtige, ja.“
„Wie kommen wir jetzt hier raus?“
„Da dies mein erster Urlaub hier ist, Rob, habe ich noch keinen Plan.“
Ich glaube an diesem Punkt hatte ich Jimmy echt genervt, was ich ihm kaum verübeln konnte. Ich hatte zu viel Angst, und wenn ich etwas konnte, dann diese Angst auf andere zu übertragen.
Und wie sollte es anders sein, der Friede in Stockwerk Nummer fünf hielt nicht lange an, schon bewegte sich wieder irgendwas. Dieses Mal hinter einer grauen Spindreihe, die unserer auf dem Schulflur verblüffend ähnlich sah. Wir machten kehrt Marsch, rannten ins Treppenhaus zurück, entkamen noch gerade den Griffeln des Riesen und dem Glatzkopf, eilten die Treppen hoch und dann … ja dann … verlor ich Jimmy auf halbem Wege. Das verfluchte Treppengeländer hatte sich gelöst, nach dem er während des Laufens ständig gegriffen hatte. Mit einem gellenden Schrei rauschte er hinab. Unzählige Male hab ich ihn in meinen Träumen gehört. Unzählige Male war ich in meinem Bett hochgeschreckt. Und unzählige Male habe ich versucht, darüber zu reden. Doch es gelang mir einfach nicht. Dafür schreibe ich es nieder.
Ich wünschte, ich wäre auf seiner Seite gelaufen und die gesamten fünf, sechs oder wie viel auch immer, Stockwerke runtergeknallt. Er hatte die ganze Zeit auf mich acht gegeben und ich schaffte es nicht einmal, ihn von diesem dummen Geländer fernzuhalten. Was war ich nur für ein Freund?
Als ich den Aufprall meines besten Freundes vernahm, fuhr mein gesamter Körper zusammen, ehe er sich versteinerte. An Weiterlaufen war gar nicht zu denken. Ich musste nicht mal dem inneren Impuls widerstehen, an die Kante zu treten und nach unten zu schauen, denn ich hatte ihn einfach nicht. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Irgendwas surrte in meinen Ohren, als stünde ich neben einem Bienenstock.
Die zwei Penner ergriffen und trugen mich die gesamten Treppen wieder herunter, was mir völlig egal war. Ich ließ es einfach mit mir machen. Zeigte keinerlei Gegenwehr. Ich hatte es nicht anders verdient. Sollten sie mit mir machen was sie wollten.
Letztendlich musste ich mir das Grauen doch anschauen, da sie mich an Jimmys Leiche vorbeischliffen, die von einer grauen Staubwolke umgeben war.
Dann tauchte endlich Bodega auf. Es war tatsächlich der erste Penner, der uns vor die Füße gefallen war, als wir das Gebäude betreten hatten. Der Bursche schien so etwas wie der Wärter dieses Anwesens zu sein. Er durfte sich nämlich einiges an Beschimpfungen und Einschüchterungen gefallen lassen, als der Riese sein Unverständnis darüber äußerte, warum er uns Rotzlöffel ins Haus gelassen hatte.
„Der ist doch wieder voll wie ‘n Eimer“, sagte Glatze, dabei stank er selbst wie eine Kneipe.
Irgendwann standen an die zehn Penner vor mir und so langsam offenbarte sich, dass diese stillgelegten Büroräume als Zuhause einer ganzen Wohngemeinschaft dienten. Sogar mit leicht hierarchischer Ordnung. Der Riese war allem Anschein nach der Anführer, Hausherr, obwohl ein anderer Typ irgendwas von einer Revanche laberte und sich darüber lustig machte, wie er den Riesen einen Abend zuvor unter dem Trümmerhaufen begraben hätte. Ein klarer Fall von internem Machtkampf. Ein paar der Schweinepriester verzogen sich zwar wieder, doch die restlichen sechs schlugen und traten auf mich ein. Zudem raubten sie mich aus. Bis auf ein paar Dollar in meiner Gesäßtasche war da nicht viel zu holen. Schließlich warf mich Bodega durch das zerstörte Fenster, durch das Jimmy und ich uns Zutritt verschafft hatten, wieder hinaus. Das Einzige was ich dem Taugenichts bis heute hoch anrechnen kann (wer weiß in welchem Abteil der Hölle er schmort), dass er mir den Baseball hinterherwarf, mit dem Jimmy das Fenster gesprengt hatte.
Pünktlich aber Blutüberströmt kehrte ich nach Hause zurück. Meine Mutter war alles andere als begeistert, kann man sich ja vorstellen. Sie hörte den Namen Jimmy niemals gerne, aber sie wusste, dass es mir nicht leicht fiel, neue Kontakte zu knüpfen. Sie war sauer, weil wir ein paar Mal von den Bullen nach Hause gebracht worden waren. Zu unserer Verteidigung muss ich aber sagen, dass wir nie alleine Schuld daran waren. Aber erzählen Sie das mal einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Jobs und einer exzessiven Verlustangst.
Der Anwalt, der Jimmys und meine Mutter gleichzeitig vertrat, verklagte alles und jeden, der nur im Entferntesten was mit diesem Gebäude zu tun hatte. Auch die Stadt von Red York. Er argumentierte damit, dass man das Schild mit dem Warnhinweis “BETRETEN AUF EIGENE GEFAHR – ELTERN HAFTEN FÜR IHRE KINDER“ viel offensichtlicher, gar sogar in mehrfacher Ausführung hätte anbringen müssen.
Der grummelnde Richter zeigte jedoch kaum Erbarmen und ließ den Hammer früher auf den Resonanzblock sausen als uns allen lieb gewesen war. Zwar brummte er zweien der Pennerfamilie empfindliche Geldstrafen wegen Hausfriedensbruch auf, stellte damit aber wieder einmal die Fairness etlicher Gesetze in unserem Bundesstaat in Frage.
Viel mehr Leute konnten demnach gar nicht mehr belangt werden, denn drei von den zehn Pennern wurden später in dem Haus tot aufgefunden. Wahrscheinlich Ärger im Paradies. Drei weitere hatten sich direkt nach dem Unfall aus dem Staub gemacht, und einer galt als unzurechnungsfähig, da er der spleenigste Spiegeltrinker im Bundesstaat war.
Was blieb, war die Trauer um Jimmy, eine noch ängstlichere Mutter und der weiße Baseball, den ich ursprünglich auf dem Grab meines besten Freundes legen wollte, aber dann doch mit nach Hause nahm. Man konnte ja niemandem mehr trauen.
Ich vermisse Jimmy, meinen besten Freund. Es ist auf den Tag genau fünfzehn Jahre her. Wie man sich vorstellen kann, ist dieser Jahrestag (Gott, das hört sich so feierlich an) immer wieder schmerzhaft für mich. Jedes Jahr gehe ich die Geschehnisse jenen Abends durch, der uns entzweit hat. Zumindest wenn ich die Kraft dazu hab.