Hausbesuch
Ich hatte mal wieder Hausbesuchsdienst.
Wir Ärzte, die wir unterschiedliche Notversorgungen abzudecken hatten, trafen uns zuweilen, um Skat, Schach oder Tischtennis zu spielen.
Meistens kamen vier bis fünf Ärzte zusammen, weil sich auch Kollegen dazu gesellten, die keinen Dienst hatten.
Gegen 21.00 Uhr bekam ich einen Anruf.
Am Telefon war ein besorgter Vater, der um einen Hausbesuch bei seiner Tochter bat. Ich fragte nach dem Grund des Hilferufes.
Der Vater: “Meine Tochter blutet, unten herum.“ „Sie wird die Regel haben“ gab ich zur Antwort. „Nein sie ist gebissen worden.“ „Ist Ihnen der Hund bekannt, ist er gegen Tollwut geimpft?“
„Nein, kein Hund, sie ist ins Geschlechtsteil gebissen worden, so ein Dreckschwein, ihr Freund, bitte kommen Sie bald!“
„Leute rief ich meinen Kollegen zu, jetzt fahre ich zu einem spannenden Hausbesuch!“
Gedanklich, wie man sich stets auf einen Hausbesuch vorbereitet, sah ich vor meinem geistigen Auge eine blutüberströmte Frau, bei der ich zuallererst die Blutung zu stillen hatte, und vielleicht musste die Wunde im Ambulatorium genäht werden.
Möglicherweise, darauf war ich vorbereitet, müsste die Polizei gerufen werden.
Mein Ablaufplan war im Kopf fix und fertig, und so eingestellt, klingelte ich an der Tür des Einfamilienhauses in einer abgelegenen Nebenstraße.
Der Vater öffnete die Tür mit betretener Miene, sich der Peinlichkeit der Situation durch und durch bewusst, von der Scham durchdrungen und niedergedrückt.
Er zeigte mir den Weg zur Tür des Schlafzimmers der Tochter.
Ich ging an den erstarrten Familienmitgliedern vorbei, Mutter, Bruder und Freund der Tochter, der abseits stand, den Blick hartnäckig auf den Fußboden gerichtet.
Mich erfasste eine wachsende Anspannung, ausgelöst durch die eindeutig warnende und zugleich Hilfe suchende Körpersprache der Familienmitglieder, so als habe ich nun eine mittlere Katastrophe zu erwarten.
Ich betrat entschlossen, wie das in derartigen Situationen stets meine Art war, den Raum, um sofort handeln zu können, mein chirurgisches Notfallbesteck griffbereit.
Die junge Frau lag hingestreckt auf dem Bett, im Nachthemd, die Arme an den Körper gepresst, unfähig sich zu bewegen.
„Wo blutet es denn?“
Sie hob verschämt das Nachthemd hoch und deutete auf ihre Scham.
Äußerlich keinerlei Blut, keine Bisswunde, auch nach dem Spreizen der Beine nichts zu sehen.
Ich forderte die junge Frau auf, mit dem Finger die geschundene Stelle zu zeigen.
Sie wies auf einen eng umschriebenen Bereich an der rechten großen Schamlippe.
Kein Blut zu sehen!
Sie machte mich nochmals auf die Stelle aufmerksam.
Und tatsächlich!
Ich entdeckte, meine Brille auf das Nahsehen eingestellt, endlich den Abdruck eines Eckzahnes an der großen Schamlippe, ohne eines Tropfen Blutes gewahr zu werden.
„Das ist völlig harmlos“, rief ich dem nun hinzugetretenen Vater zu“, da wird der junge Freund in Ekstase mal aus Versehen zugebissen haben, kommt alle Tage vor!“
Die Ängstlichkeit und Scham des Vaters sowie der Familienmitglieder verwandelte sich augenblicklich in Entsetzen, und ich meinte, eine gewisse Feindseligkeit zu spüren, so als sei ich ein ebenso perverses Schwein.
Ich verließ auf dem schnellsten Wege das Haus, nicht ohne noch einen dankbaren Blick des jungen Freundes zu erhaschen.
Man kann sich leicht die ausgelassene Heiterkeit meiner Kollegen vorstellen, die nach meiner Rückkehr vom Hausbesuch natürlich einen ausführlichen Bericht verlangten.