Hausaufgaben und ich
„Es war einmal eine finstere Nacht.“
Ich strich den Satz wieder durch, und bemerkte, dass ich inzwischen schon meine dritte Collegeblockseite an unserer ach so tollen Deutschhausaufgabe verschwendet hatte.
Ich stieß einen langen, genervten Seufzer aus und musste dazu auch noch bemerken, dass meine Chipstüte leer war.
Froh über eine Pause mit einer überaus guten Ausrede, machte ich mich auf den Weg in die Küche, wo mein kleiner Bruder gerade dabei war, sich den halben Kuchen auf einen dafür viel zu kleinen Teller zu hieven. Der Kuchen kümmerte mich nicht weiter, da er sowieso gleich leer sein würde und durchstöberte die Schränke nach etwas Essbarem. Der Mensch braucht schließlich Nervennahrung zum Denken.
Bepackt mit einer Tafel Schokolade und Cola stiefelte ich zurück in mein Zimmer und setzte mich genau an die Stelle, an der ich schon den halben Nachmittag verschwendet hatte, obwohl ich eigentlich wirklich besseres zu tun hatte, wie zum Beispiel mir Gedanken über die wertvoll, pädagogisch wichtige Frage zu machen, was ich morgen anziehen sollte.
Doch anscheinend ging unsere Deutschlehrerin davon aus, dass jeder aus ihrem Kurs ein kreativer Langweiler war, der den ganzen Tag nichts besseres zu tun hatte, als Hausaufgaben zu machen oder ganz schlimm: zu lernen. Dabei sollte man doch wirklich meinen, dass man mit über fünfzig weitaus mehr Gehirnzellen hatte, als eine übereifrige Referendarin, die ja nun wirklich in jedem Schüler einen Einser Abiturienten sah. Doch mal wieder hatte ich mich in Punkto Lehrerverhalten geirrt.
Ungeduldig spielte ich mit meinem Kuli herum und wartete auf meinen ach so tollen Geistesblitz, der zu meinem Leidwesen wirklich lange auf sich warten ließ.
Ein Märchen; ein verdammtes, klischeehaftes, langweiliges Märchen. Es konnte ja wohl nicht so schwer sein, sich so etwas einfallen zu lassen. Ich brach das erste Stück der Schokolade ab. Wenn man ja wenigstens ein modernes Märchen schreiben konnte, dass einem Horrorfilm glich, wäre das ganze ja wirklich kein Problem gewesen (ich hätte einfach die nächstbeste FanFiction aus dem Internet kopiert und ein wenig abgeändert), aber nein, es musste ja etwas klischeehaftes und langweiliges sein, dazu noch handgeschrieben und alles was ich im Internet bisher aufgegabelt hatte, war mir wirklich viel zu lang zum Abschreiben gewesen.
So langsam fragte ich mich, ob sie nicht doch in der Entwicklung einer besonders engagierten Referendarin hängengeblieben war, da sie zu mir einmal gesagt hatte, ich wäre gut in dem Fach; dabei passte ich die größte Zeit ja nicht mal auf, sondern diskutierte mit meiner Freundin in ausgesprochen vorbildlich lauter Lautstärke über die wichtigen Fragen des Lebens und Überlebens (Mode, Musik, Schuhe und die überaus interessante Frage welche Saftnasen aus der Dreizehn mal wieder ihr neues Auto zu Schrott gefahren haben). Naja, wenn es mir aber zu einer Zwei im Zeugnis verhalf, konnte ich mich wirklich nicht beschweren.
Doch das hier ging jetzt wirklich zu weit. Frau Fisch (ja sie heißt wirklich so) hatte uns mit dem Gesicht eines Weihnachtsmannes, der besonders große Schokokuchen verteilte, verkündet, dass wir bis zur nächsten Stunde ein fünfseitiges Märchen schreiben sollten, das hieß: bis morgen. Immerhin hatte sie damit das Kunststück vollbracht unsere Klasse aus ihrem chronischen Tiefschlaf zu wecken, was sich darin äußerte, dass wir uns alle aufrichteten, sie ungläubig anstarrten und uns fragten ob ihr überhaupt bewusst war, dass wir keine kleinen Unterstufenkinder mehr waren, sondern bereits seit einem halben Jahr unser elendes Schülerdasein in der Zehn fristeten.
Und als wäre das nicht auch noch genug, musste das ja auch noch benotet und vor der ganzen Klasse vorgelesen werden und ich hatte wirklich keine Lust, da etwas über Trolle, Kobolde und Prinzessinnen zu schwafeln.
Noch genervter als vorher stützte ich meinen Kopf in eine Hand und kramte mit der Anderen meinen IPod aus meiner Jeanstasche. Immerhin sollte ja Musik die Kreativität fördern, doch auch als mir nacheinander AC/DC, Metallica und System Of A Down ins Ohr jaulten, fühlte ich mich keinen Nanometer motivierter. Ich versuchte es mit ein paar langsameren Liedern, doch dann hatte ich nur dann Gefühl, gleich einschlafen zu müssen. Und gerade als Klaus Maine mir irgendetwas über einen Wind der Veränderung vorträllerte, mein IPod seinen Geist aufgab, war meine Laune endgültig im Keller.
Ich schlurfte in unser Wohnzimmer, wo die einzige Computerähnliche Stromquelle mit USB-Anschluss war, an dem ich das Teil aufladen konnte, doch mein Bruder und irgendeine weitere unterentwickelte Nervensäge aus der Nachbarschaft, hatten ihn blockiert und zockten irgendein Ballerspiel, während vor ihnen die letzten Stücke unseres Kuchens ums Überleben bangten.
Da ich mich auf gar keinen Fall weiter mit ihnen beschäftigen wollte, drehte ich mich um und lief geradewegs zurück in mein Zimmer. So langsam hatte ich das Gefühl, dass mich die Welt hier gefangen hielt.
Also hockte ich mich wieder auf meinen Schreitischstuhl und starrte wütend das leere Blatt Papier an, als könne allein mein Blick ein Wunder zustande bringen.
Aber anscheinend meinte es doch noch jemand gut mit mir, da mich keine Stunde später mein Vater zum Abendessen rief. Ich konnte zwar erst einmal etwas essen, doch mein Tag war gelaufen.
Sonderlich viel Gesprächsstoff gab es beim Essen auch nicht wirklich viel, da mein Bruder ja keinen Hunger hatte und sich auf sein Zimmer verzog (wer hätte das gedacht) und mein Vater war noch nie sonderlich gesprächig gewesen. Die eigentliche Tratschtüte der Familie war meine Schwester, doch die war nach der Schule direkt mit zu ihrem Typen gefahren (um fürs Abi zu lernen, natürlich…).
Da ich allerdings auch nicht diejenige sein wollte, die mal wieder die Haushaltstechnischen Tätigkeiten des Abends zu erledigen hatte, verdrückte ich mich allerdings auch nach keinen zehn Minuten wieder in meinem Zimmer. Schließlich musste ich ja noch Hausaufgaben machen.
Meine nächste Langeweilephase wurde von meiner Schwester unterbrochen, die sich im Flur bei unserem Vater lauthals darüber auskotzte, was für ein schweres Leistungsfach Biologie doch sei. Dieser Vortrag war zwar recht uninformativ, da sie zu 100% eh nicht gelernt hatte, aber immerhin weitaus interessanter, als meine bescheuerte Sklavenarbeit.
Ich futterte ungefähr noch zwei weitere Schokoladentafeln weg, und hatte trotzdem bis elf Uhr immer noch keine Idee. So langsam wurde ich wirklich müde.
Da aber das Schicksal immer doch noch irgendwie auf meiner Seite stand, bekam ich um punkt halb Zwölf den genialen Einfall. Zwar etwas spät doch besser als nie.
Also fing ich an ein fünfseitiges Etwas auf Papier zu klatschen, was zwar die bescheuertste Story aller Zeiten war (Mädchen wird von Kobold gefangen genommen, Prinz rettet Mädchen und dann wird geheiratet), doch es war besser als nichts. Immerhin durfte ich den Kobold Herbert nennen und der Prinz hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit Robert Pattinson, nicht zu vergessen, dass er Edward hieß.
So ging ich schließlich um zwei Uhr morgens ins Bett und wurde vier Stunden später schon wieder von meinem dämlichen Wecker aus dem Schlaf gerissen.
Zombieartig schlurfte ich in die Küche und machte mir erst mal Kaffee. Dann setzte ich mich zu meinem Bruder, der eifrig Müsli in sich rein schaufelte, als hätte er die letzten Tage nichts zu essen bekommen. (Jungs...)
Ich schaltete das Radio ein wenig lauter als der Moderator etwas über heftige Schneefälle und Glatteis redete, was meine morgendliche Muffellaune noch verschlimmerte.
Ich fing an, die Küche nach einem noch halbwegs verwendbarem Glas Nutella abzusuchen und summte dabei das Lied mit, welchen gerade im Radio lief, auch wenn ich keine Ahnung hatte welches es war. Doch gerade als ich glaubte das Lied zu kennen, unterbrach der Moderator den Refrain. Ich seufzte und setzte mich mit dem gefundenen Nutellaglas zurück an den Tisch.
Mein Bruder beschloss, vor unserer Schwester und mir das Bad zu belagern, und machte sich vom Acker. Somit war ich die Einzige die mitbekam, dass unsere Schule wegen eines Wasserrohrbruchs für den Rest der Woche geschlossen blieb.