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Hat die Seele noch eine Chance?
Hat die Seele noch eine Chance?
Wer Albert Camus folgt, sieht den Menschen eindringlich nach einer sinnvollen Welt verlangen. Da dieser aber keinen Sinn vorfindet, verbringt er sein Leben in einer fortwährenden Revolte gegen dieses Absurde.
Was aber veranlasst den Menschen, nach Sinn zu verlangen, nach einem besseren Dasein zu streben? Wer oder was erzeugt unser Bewusstsein, die Gewissheit des „Ich-Selbst“?
Mit der Suche nach Antworten auf diese und weitere Fragen haben sich meine Gedanken bei dieser Arbeit beschäftigt.
Als Fazit wollte ich herausfinden, ob die Seele nunmehr Mythos oder Pathos ist und inwieweit sie heute noch unseren Geist beeinflusst, wie sie unser Handeln und Wirken bestimmt.
Zur Veranschaulichung und praktischen Vertiefung bediene ich mich dabei gelegentlich des Gesprächs mit meinem alten Freund Hans-Josef Schmitz, kurz Hajo genannt, aus Köln-Ehrenfeld.
Da aller guten Dinge bekanntlich drei sind, könnte man die beispiellose Zusammenfügung Mensch aus Körper, Seele und Geist entweder als Dreifaltigkeit oder als Schimäre bezeichnen.
Hier die Dreifaltigkeit als Sinnbild der Harmonie zwischen dem Schützenden, dem Vater Körper, dem Sohn, als genetisch codierter Erbfaktor mit dem gewissenhaften Hang zur Revolte und, last but not least, dem Geist. Der zwar in der Regel nicht heilig, aber auch in seiner profanen Tugend das Richtige zu tun in der Lage ist. Wenn das einmal nicht gelingt, nennt Hajo das „glänzen zu wollen, ohne einen Schimmer zu haben“. Was aber immer noch besser sei, als ein absolut reines Gewissen zu besitzen und es nie zu benutzen.
Alles in allem also eine Dreifaltigkeit, die sich redlich bemüht, dem nach Platon orientierten Kanon der Kardinalstugenden Weisheit, Mäßigung, Tapferkeit und Gerechtigkeit zu folgen.
Auf der anderen Seite die Schimäre in der Maske des dreiköpfigen Trugbilds einer physischen und spirituellen Einheit aus einem despotisch triebhaften Löwen, mal kraftstrotzend, mal wehleidig, aber ohne Gnade körperlich. Einer absolutistischen Schlange, die sich als unstofflich monarchisches Prinzip, als Seele verkauft und sich durch ihr dünnes, grätenartiges Rückgrat nach Belieben zu winden versteht. Und der meckernden Ziege, die nur noch als stets für blöd gehaltene Hippe wenig geistreich hinter allem herrennt, was nur im Entferntesten als Futter zu erkennen ist.
Diesem ungeheuerlichen Trifolium scheint dabei das auf infantile Weise Festklammern an seine Arglist wichtiger zu sein, als Toleranz und Offenheit im Wirken. Dass uneigennützige Handlungsweisen im Wesentlichen nicht vorkommen, sondern die drei es eher mit Machiavelli halten, wenn das Kontrollorgan denn einmal zur Ordnung ruft, steht für den Anachronismus ihrer Wirklichkeit.
Unabhängig davon, um welche der beiden hier geschilderten Triaden es sich handelt, wer gibt in dieser Konstellation den Ton an? Welches Element dominiert die beiden anderen? Wobei ich eingestehen muss, ganz schwarze Seele, dass mir die Beschäftigung mit der „Schimären-Theorie“ die interessanteren Ansätze verspricht, als die doch sehr angepasste Ausprägung einer Dreifaltigkeit.
Carl Friedrich von Weizsäcker hat gesagt, dass Leib und Seele nicht zwei Substanzen sind, sondern eine. Sie seien der Mensch, der sich selbst in verschiedener Weise kennen lernt. Schiller war der Ansicht, dass es der Geist sei, der sich den Körper baut. Was für eine gewisse Dominanz des denkenden und wollenden Bewusstseins sprechen würde.
Hajo meint dazu, wichtig sei doch im Grunde genommen nur, dass beide gleichermaßen ausreichend Nahrung bekämen und bestellt sich gleich noch ein Kölsch. Das Bierglas allein, argwöhnt er, wäre ohne Bier doch gar kein Kölsch. Da wäre ja kein Leben drin. Wie übrigens auch kürzlich meine kleine Tochter anlässlich eine TV-Werbung meinte: “Papi, erst sagen die‚ ein frisches Diebels und dann ist es doch bloß alt.“
Aber zurück zu Hajo und seiner interessanten Betrachtungsweise. Die Hülle kann demnach alleine existieren, aber erst der Inhalt schafft die schöpfungsgerechte Vollkommenheit. Der äußeren Erscheinung kommen verschiedene Funktionen zu: Sie spielt den Lockvogel, den Appetitanreger und sie ist Domizil und Schwinge ihres Untermieters. Ihr Inhalt für sich genommen vermag nur durch seine bloße Existenz keine besondere Wirkung zu erzielen. Aber der Geist, der aus ihm erwachsen kann, vermag in Bereiche vorzudringen, die das Bewusstsein jenseits von sinnlichen oder materiellen Dimensionen zu inspirieren in der Lage ist.
Ja klar, lächelt Hajo, vor allem dann, wenn der Geist zu tief in die Hülle geschaut hat.
Der Inhalt, unverwechselbar, einzigartig und mit einer anscheinend unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung ausgestattet, was aber nicht unbedingt die Arbeitserlaubnis impliziert, für wahr eine echte Seele. Er ist das, was die Hülle verheißt, oder gelegentlich auch vorgaukelt. Auch wenn behauptet wird, dass die Seele ihren Wirt unter bestimmten Konditionen zuweilen verlässt, so sind die beiden doch im Grunde genommen untrennbar miteinander verbunden. Mehr noch, erst ihre Verschmelzung bildet das Leben spendende Prinzip, das, was die Hülle überhaupt erst zum Menschen werden lässt. Die Seele ist die Natur des Menschen, das seine Veranlagung prägende geistige Rüstzeug, sein Charakter.
Aha, denkt Hajo laut nach, wenn er das also richtig verstehe, hätte er eine kölsche Seele und die von Roberto Blanco müsste demnach kohlrabenschwarz sein.
Nun, Hajo, ganz so einfach ist es nicht. Immerhin gibt es ja erstens auch farbige Menschen mit kölscher Identität, und zweitens sind solche gewagten Diagnosen der beste Appell dafür, dass es neben der emotionalen Funktion, dem Gemüt, bei manchen Menschen auch intellektuelle Fähigkeiten geben muss, die sich dem Vernehmen nach vor allem durch Einsatz des Denkens nach Einschalten des Gehirns auszeichnen sollen.
„Aber“, möchte Hajo wissen. „Was ist nun mit der Synthese dieser beiden Elemente, was ist mit dem Produkt ihrer Verschmelzung?“
Ich werde versuchen, das aufzulösen. Auf der einen Seite sehen wir den unter ständiger Hypochondrie leidenden Körper, der sich pausenlos überfordert, übergangen oder überfüttert fühlt, und aus der damit einhergehenden Trägheit in der Weise eine Tugend macht, indem er die Erreichung einer sittlichen Festigkeit als ungleich begehrenswerter betrachtet, als die einer körperlichen. Wogegen seinem artverwandten Abbild die körperlichen, also rein äußerlichen Attribute erheblich wertvoller erscheinen, als innere Reinheit. Was gelegentlich auf den Entzug der Arbeitserlaubnis des Untermieters zurückgeführt wird.
„Wobei“, bemerkt Hajo, „die Fassung der Edelsteine doch allenfalls ihren Preis erhöht, nicht ihren Wert.“ Und äußerlicher Glanz könne doch so trügerisch sein. Oder ob ich schon einmal ein Kölsch gesehen hätte, das eine Brauerei erschaffen hat?
Auf der anderen Seite die in einem solchen Körper residierende Majestät, ich habe ihr bereits den Hang zum Absolutismus unterstellt, die sich oftmals nicht nur über ihren Wirt erhebt, sondern, unter Missachtung der ihr inhärenten ethischen und moralischen Verpflichtungen, auch über seine Mitkörper, die anderen Menschen in seiner Umwelt. Dies in der Hauptsache dann, wenn sie ihre fragwürdige Monarchie ungehemmt auslebt und sich wieder einmal für etwas Besseres hält.
Wenn wir den Körper an dieser Stelle einmal ausklammern und ihn, dem philosophischen Ansatz des Dualismus sträflich zum Trotze, lediglich als mehr oder weniger willfähriges Werkzeug betrachten, bleiben uns zwei, die sich seiner frei bedienen, die Seele und der Geist. Seele und Körper passen, wie oben ausgeführt, als charakterbildende Einheit absolut zusammen. Was Hajo uneingeschränkt bestätigt, weil man ja auch Kölsch nicht aus einem Altbierglas trinken würde.
So wäre nicht nur der wohlige kleine Schwips, sondern auch der morgendliche Kater ein Ergebnis seelischer Einflussnahme, wobei letztere als Sinnbild der seelischen Grausamkeit zu betrachten wäre. Die Seele entwickelt den Geist und lässt ihn als handlungsbevollmächtigten Botschafter in seine Umwelt entströmen. Damit aber der Einfluss der Seele auf den Geist nicht völlig willkürlich und unkontrolliert geschehen kann, gibt es eine Sicherungseinrichtung, eine Art Katalysator. Im weitesten Sinne chemisch betrachtet, nimmt der Katalysator auf Prozesse Einfluss, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Eine praktische Einrichtung.
Stellt also der Geist der Seele die Frage: „Ist etwas zwischen dir und mir?“ So lautet die Antwort: „Ja, ein Gewissen.“
„So hast du ein Gewissen?“
„Viele Anzeichen sprechen dafür.“
„Woran soll ich erkennen, dass du ein Gewissen hast?“
„An Handlung, Wort und Urteil, und der Erfüllung der besonderen Pflichten meiner Existenz.“
„Dann ist das Gewissen also quasi der Schupo vom Geist?“
„Nein, Hajo, nicht die Polizei, eher so etwas wie das Grundgesetz. Es stellt die Regeln auf und ist gleichermaßen Wächter und Schiedsmann.“
„Also demnach bestimmen weder Körper, noch Seele oder Geist, wo es lang geht, sondern das Gewissen?“
„Nicht unbedingt. Zunächst einmal bestimmt der Mensch aufgrund seiner persönlichen und moralischen Überzeugung selbst über seine Handlungen. Das Gewissen steht ihm dabei quasi als Pate zur Seite.“
„Aber was heißt denn, der Mensch bestimmt selbst? Wer ist denn in diesem Sinne der Mensch? Die Seele, der Körper, der Geist oder gar alle drei zusammen?“
„Letztlich kann das eine nicht ohne das andere existieren. Ein Körper ohne Seele ist nicht mehr als eine nutzlose Werkstatt. Eine Seele, die nicht in der Lage ist, einen Geist zu entwickeln, ist eine überflüssige Installation. Und der Geist, dem keine klare und aufrichtige Empfängnis widerfährt, wird weder einen Schwips verursachen, noch irgendein Bewusstsein nachhaltig und positiv inspirieren können. Ein entscheidender Faktor fehlt in diesem Trifolium allerdings noch. Wenn der von der Seele ausströmende Geist die offensichtliche Gegenwart des Gewissens spürt, dann erfährt der Mensch das absolute Reale, sein Bewusstsein. Denn erst unser Bewusstsein ermöglicht die Gewissheit unserer Existenz, die Wahrnehmung des Ich-Selbst. Das Bewusstsein ist die Kraft, die unseren Willen bestimmt.“
„Gibt es auch Bewusstsein mit Sich-Selbst?“
„Bewusstsein mit Sich-Selbst? Ach, du meinst das Selbstbewusstsein, Hajo.“
„Ja, genau. Ist das gut oder schlecht?“
„Das kommt darauf an. Im Grunde genommen ist Selbstbewusstsein etwas Gutes und auch wichtig. Was du im Negativen ansprichst, ist das übersteigerte Selbstbewusstsein, die Egozentrik.“
„Wie äußerst sich so etwas?“
„Der Egozentriker sieht sich im Zentrum allen Geschehens und alle Bedeutung seiner Umwelt für sich geschaffen und auf sich bezogen.“
„Kann das anderen Menschen wehtun?“
„Wenn du meinst, dass man damit andere Menschen verletzen könnte, hast du recht. Aber wie kommst du darauf?“
„Also, das war so. Kürzlich stehe ich an der Theke und vor mir ein frischgezapftes Kölsch mit einem aufregend gefärbten Teint und traumhaft schöner Schaumkrone. Und durch die schimmernde Haut des wohlgeformten Glases sehe ich sanft wehen die Kohlensäure wie goldenes Haar im Wind. Da dachte ich, dass mir mein Bewusstsein gerade den wahren Geist des Lebens offenbarte. Und dann sah ich diese wunderschöne Frau direkt neben dem Kölsch. Ihre Attribute entsprachen in etwa den gerade beschriebenen. Und natürlich hatte sich mein Selbstbewusstsein, quasi gewissenlos beseelt von zuviel Geist, absolut emotional entschieden, dieses wunderbare Geschöpf anzusprechen.“
„Ja, und, hast du es getan?“
„Aber natürlich. Ich ließ die Attribute meiner äußerlichen Beschaffenheit mit Hilfe meiner Ausstrahlung auf männlich setzen, die Duftdrüsen auf Moschus und meinem unwiderstehlichen Charakter freien Lauf. Junge Frau, sprach ich sie an, nicht dass Sie denken, ich würde die Vorzüge einer Dame auf die rein äußerlichen Eigenschaften reduzieren. Aber bei Ihrem verlockend schönen Anblick fühle ich mich direkt verzaubert in die betörende Welt der Märchen aus 1000und1 Nacht.“
„Ja, und dann?“
„Ich glaube, sie war tief beeindruckt.“
„Und?“
„Sie beugte sich zu mir herüber.“
„Ja?“
„Sie lächelte mich sehr verheißungsvoll an.“
„Jetzt mach es nicht so spannend!“
„Und dann muss mein Ego sie wohl voll in ihre „Zentrik“ getroffen haben und ihr der Schmerz in die Glieder gefahren sein.“
„Wieso das? Hat sie denn überhaupt nichts gesagt?“
„Doch. Verpiss dich, du Penner!“
„Na, das war dann wohl entweder ein Beispiel dafür, dass der Inhalt hin und wieder nicht das hält, was die Hülle vorgaukelt. Oder, das zu viel Bewusstsein manchmal ebenso nachteilig sein kann, wie zu wenig Gewissen. Angesichts des gerade von dir geschilderten Erlebnisses, mein lieber Hajo, darf man auch nicht verhehlen, dass solche maskulinen Bewusstseinseruptionen weltweit schon derart überhandgenommen haben, dass es dafür bereits ein internationales Notzeichen gibt. Ich mache dir das einmal kurz vor (hebe den Stinkefinger).“
Aber lass uns noch einmal über die bisher aufgezeigten Zusammenhänge sprechen. Da haben wir den Körper als die äußere Hülle, als inneren Wert die Seele, die verantwortlich darüber entscheidet, wie unser Geist, nämlich der Teil von uns, der unser Wirken und Handeln für unsere Umwelt offensichtlich macht, geleitet ist. In welche Richtung das geht, dafür steht das Gewissen, welches der Seele quasi ständig das Grundgesetz der Menschlichkeit vorbetet und Scham, Furcht, Reue oder Schuld beschert, wenn der Geist sich nicht entsprechend des gewissenhaften Urteils verhält.
Ist es die Seele, die zulässt oder verhindert, dass der Geist nur von durch das Gewissen katalysierten Botschaften befruchtet wird, oder führt der Weg zwangsläufig durch diese mentale Sicherungseinrichtung? Wäre letzteres der Fall, gäbe es auf der Welt wohl kaum so viele lebensverachtende Handlungen, die zutreffender Weise als gewissenlos bezeichnet werden. Immanuel Kant pflegte zu sagen: „Die Gewissenlosigkeit ist nicht ein Mangel des Gewissens, sondern der Hang, sich an dessen Urteil nicht zu kehren.“
Demnach wäre unsere Seele die zentrale Leitstelle unseres Daseins. Sie ist der Vorstandsvorsitzende, der die Richtlinien der Geschäftspolitik bestimmt. Es steht ihrer Amtsführung frei, sich ihrer zur Verfügung stehenden Berater zu bedienen, oder allein zu entscheiden. Und am Ende ihrer Amtszeit ist sie niemandem als dem großen Aufsichtsrat gegenüber verpflichtet, Rechenschaft abzulegen. Oder sollte es da etwa noch ein paar kleine Aktionäre geben?
Hat die Seele noch eine Chance? Vielleicht ist die Formulierung der Frage schon falsch und müsste eher lauten: Wem gibt die Seele noch eine Chance? Ist sie Teamspieler, Patriarch oder gar ein Egomane? Die Antwort kann jeder von uns nur tief in sich selbst finden.
„Was bewog dich, Seele zu werden?“
„Ich war von Finsternis umgeben und fühlte ein Verlangen, das Licht zu sehen.“
„Wie erlangtest du Zugang?“
„Durch drei starke Fürsprecher.“
„Wie heißen sie?“
„Menschenliebe, Toleranz und Vertrauen.“
„Was bedeuten sie?“
„Liebe, dann wirst du geliebt. Höre, dann wirst du verstehen. Gebe, dann wirst du empfangen.
...