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Hassliebe

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05.06.2018
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Hassliebe

Sie starrt mich an, ihre weißen Augen leer und fahl. Ihr bleicher Mund fordert mich zum Duell heraus. Mein Herz rast, der Schweiß rinnt mir den Rücken hinab. Der Ventilator neben mir läuft auf vollen Touren, schon den ganzen Tag. Ich starre an ihr vorbei in das grelle Licht des vergehenden Tages, doch ihr taillenloser Körper zieht mich wieder und wieder in seinen Bann. Ihre aschfahle Haut blendet mich, ich will sie beschmutzen, will ihr die Unschuld nehmen. Will sie beherrschen, sie zerstören. Wir haben uns schon zu oft gesehen, sind schon zu lange zusammen. Ich ertrage sie nicht mehr. Ihre Art, mich anzusehen, mich zu erniedrigen. Ich fühle mich wertlos, machtlos. Die Hitze sticht mir in die Stirn, vertreibt jeden klaren Gedanken. Die Eiswürfel in meinem Drink sind längst geschmolzen. Ich leere ihn in einem Zug. Vielleicht hilft das. Ich muss Argumente finden, muss sie umschmeicheln, damit sie mich ranlässt. Ich darf nur nicht aufgeben, muss weitermachen, immer weiter, um meinen Traum zu leben. Für einen Moment schließe ich die Augen, genieße die Finsternis meines Innern. Ich atme tief ein, doch keine Erfrischung wartet in der pollenverseuchten Luft. Ich huste trocken, so lange, bis mir Tränen in die Augen steigen. Darauf erst einmal ein weiterer Drink. Auf der Ablage im Flur wartet eine Schachtel Zigaretten. Eigentlich wollte ich aufhören, aber ich muss endlich kreativ werden. Vielleicht helfen die Kippen. Ich setze mich auf die Terrasse, lasse sie zurück, will nichts von ihr hören oder sehen. Verdammt, reiß dich zusammen. Der Gedanke verfliegt ebenso schnell wie all die anderen. Sie sind wie ein reißender Fluss, der durch meine Hirnströme fließt und nie länger als einen Wimpernschlag lang verweilt. Die Kippe verglüht so schnell in meiner Hand, dass ich mich frage, ob ich überhaupt daran gezogen habe. Dennoch stehe ich auf, laufe zurück zu ihr. Sie sitzt noch immer am selben Ort, starrt mich an. Ich hasse sie. Ich will sie nie wiedersehen. Sie widert mich an, schmettert mir mein Versagen ins Gesicht und lacht darüber. Blindlings und voller Wut setze ich mich, genieße noch einmal ihr unschuldiges Weiß. Dann prügle ich auf sie ein, Wort für Wort ringe ich sie nieder, beherrsche sie. Jetzt bin ich derjenige, der zu lachen hat. Ein König, Kaiser und Gesandter. Der Erschaffer fremder Welten.

 

Hallo Raphael97,

cool, da kann ich ja gleich die Mittagspause nutzen, um deine Geschichte zu lesen.

Insgesamt gefällt mir dein Stil sehr gut, hat mich total reingezogen und liest sich sehr flüssig für mich. Über ein paar Sätze/Bilder bin ich etwas gestolpert:

Ihr bleicher Mund fordert mich zum Duell heraus.
Das passt für mich nicht ganz dazu, dass der Protagonist sich so machtlos fühlt und sich ja erst ganz am Ende (und dann sehr heftig) gegen sie wehrt. Denn das hier liest sich für mich so, als würden sie oft streiten.

doch ihr taillenloser Körper zieht mich wieder und wieder in seinen Bann.
Was daran zieht den Protagonisten denn in den Bann? Er scheint sie ja nicht zu mögen und auch nicht schön zu finden, zumindest beschreibt er sie nicht so. Und da frage ich mich, warum sie so eine Sogwirkung auf ihn hat.

Ihre aschfahle Haut blendet mich, ich will sie beschmutzen, will ihr die Unschuld nehmen
Die Unschuld verstehe ich nicht so ganz, was an ihr ist denn unschuldig? Die aschfahle Haut? Fahl klingt für mich eher negativ, also kränklich. Und dass er sie so unschuldig wahrnimmt, passt finde ich nicht so richtig dazu, dass er sich von ihr so dominiert/niedergemacht fühlt. Das sind für mich zwei Arten von Wesen, die nicht so recht zusammenpassen wollen.

genieße noch einmal ihr unschuldiges Weiß. Dann prügle ich auf sie ein, Wort für Wort ringe ich sie nieder, beherrsche sie.
Mit dem Ende habe ich nicht gerechnet und es hat mich ganz schön schockiert. Das unschuldige Weiß will für mich immer noch nicht so ganz passen. Ist ihre Haut noch weiß im Vergleich zu nachher, wenn sie ganz rot voll Blut ist?

Jetzt bin ich derjenige, der zu lachen hat. Ein König, Kaiser und Gesandter. Der Erschaffer fremder Welten.
Den letzten Satz verstehe ich auch nicht ganz. Warum erschafft der Protagonist fremde Welten? Ich verstehe, dass er sich befreit hat von ihr, die ihn so unterdrückt und gedemütigt hat. Aber warum macht ihn das zum Erschaffer fremder Welten?

Vielen lieben Dank für's Teilen, ich habe deine Geschichte sehr gern gelesen,
liebe Grüße,
Maria

 

Zunächst einmal danke ich dir für die Kritik. Es ist der erste Text, den ich hier veröffentliche und ich hatte ehrlich gesagt etwas Angst vor den Reaktionen :)

Der größte Teil deiner Kritik lässt sich mit meiner Intention des Textes erklären. "Sie" ist keine Person, sondern ein leeres, weißes Blatt Papier. Der Protagonist ist ein Autor, der endlich schreiben will und es nicht hinbekommt. Deshalb auch der "taillenlose Körper" als Beschreibung für ein DinA4 Blatt quasi. Und ein Erschaffer fremder Welten ist er, weil er eben selbst Schriftsteller ist.

Ich hoffe das gibt etwas mehr Aufschluss und es freut mich, dass dir meine Geschichte insgesamt gefallen hat.
Grüße
Raphael

 

Hola Raphael97,

mein erster Eindruck zu Deinem ‚Debüt’: Da schwingt Anspruch im Raum bzw. Text!
Herzlich willkommen im Forum – besonders eben mit Anspruch.

Nach einer kurzen Bestandsaufnahme werde ich Zeuge, wie er diese scheußlich graugraue Person niederringt. Ja, verbal – an Prügel hab ich nicht gedacht.
Und an ein Blatt Papier auch nicht. Schließlich lese ich:

Sie sitzt noch immer am selben Ort, starrt mich an.

Na ja, in Deiner Antwort auf MariaSteffens’ Komm erfahre ich schließlich, wie die Dinge liegen. April, April?
Ich meine, Du könntest dem Leser etwas auf die Sprünge helfen, denn an ein taillenloses DinA4-Blatt denkt so schnell keiner.
Trotzdem gut und fehlerfrei geschrieben – ein gelungener Start.

Viele Grüße!

José

 

Hallo und vieleen Dank für deine Kritik :)
Ich muss zugeben, dass der Text ohne Erklärung verwirrend sein kann. Allerdings ist genau das auch mein Anspruch. Ich möchte meine Leser überraschen und dazu anregen, auch etwas außerhalb des Offensichtlichen zu denken. Hoffentlich ist mir das mit diesem Debüt schon einigermaßen gelungen, aber ich werde zukünftig auch darauf achten, den ein oder anderen kleinen Hinweis unterzubringen, um den Leser nicht ganz im Dunkeln zu lassen.

Viele Grüße zurück,

Raphael

 

Hey Raphael97,

ah, ich dachte mir schon, dass sie sicher keine Frau ist. Alles was mich hat stolpern lassen, liest sich für mich aber immer noch verwirrend, auch wenn ich jetzt sicher weiß, dass es um einen Autor und eine leere Seite Papier geht.

Liebe Grüße,
Maria

 

Hallo Raphael 97,

mir gefällt deine Geschichte. Ich mag es gern, wenn da viel Raum für eigene Interpretation ist. Tatsächlich habe ich beim Lesen auch kurz an Papier gedacht. Nach deinem Satz "Sie sitzt noch immer am selben Ort ... ", hatte ich diesen erst verworfen und bei "Der Erschaffer fremder Welten", doch wieder daran gedacht.

Papier sitzt ja nicht, daher ist das verwirrend. Du könntest auch "Sie liegt da", schreiben, damit würdest du die Illusion einer Frau trotzdem aufrecht erhalten, und gleichzeitig würde es auch zu Papier passen.

Entschuldige die fehlenden Sprechblasen und das dein Name nicht blau dasteht. Weiß leider nicht wie das geht.
Technik Genie halt ... :-D

Liebe Grüße
Charly

 

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