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Hass

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08.08.2002
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Hass

Charly spannte jeden ihrer Muskeln an. Ihr Herz raste, forderte Raum und zwang sie zu flachem Atmen. Ihr Mund zitterte, es war ihr kaum möglich, die Lippen halbwegs ruhig aneinanderzuhalten. Sie spürte wie sich zwischen Nase und Mund Schweiß ansammelte. Fahrig wischte sie darüber. Ihr Blick flackerte. Das Blut pulsierte in den Adern. Zornig wischte sie eine herabfallende Haarsträhne aus der Stirn. Sie glaubte zu ersticken. Mit einem unterdrückten Aufschrei sog sie fast ansatzlos gierig den Sauerstoff in ihre Lungen, presste die Luft wieder heraus, hyperventilierte fast. Ihre hellbraunen Augen, deren Blick sich meist mit sanfter Ruhe im Gegenüber verlor, war unstet. Sie fühlte durch jede Pore den Angriff näher kommen. Die Lider zuckten. Sie blinzelte, spürte lähmende Angst in sich hochkriechen. Konnte nicht vermeiden, dass sich die Augen mit Tränen der Verzweiflung füllten. Soviel Wut und Zorn, Unausgesprochenes hatte sich aufgestaut, verlangte nach Ausbruch.

Sie beobachtete ihre Gegnerin, versuchte sie durch Bewegungen ihres Körpers zu verunsichern. Diese machte es ihr gleich, kam ihr herausfordernd und geschmeidig entgegen. Ihr Grinsen war gemein, der Mundwinkel schräg nach oben gezogen. Ihre Miene drückte nur eines aus, blanken Hass. Charly kochte innerlich, die Frau ihr gegenüber widerte sie an wie nichts sonst auf der Welt.

Charly spürte es, sah es in dem verzerrten Gesicht der anderen, wusste, der Schlag würde kommen. Möglicherweise würde er sie zerschmettern, gespeist von abgrundtiefen Verachtung. Mit triefender Verhöhnung blickte ihr Gegenüber sie an. Diese Frau konnte kaum den Ekel verbergen, die Gegnerin berühren zu müssen, um sie endlich zu vernichten. Charly sah ganz langsam die Bewegung entstehen, das Emporschnellen des ausholenden Armes konnte sie fast in Zeitlupe beobachten. Die Feindin schlug Charly mit einem ungebremsten und gemeinen Schlag mitten ins Gesicht.

Es war weniger der Schmerz selbst, als vielmehr das seltsam krachende Geräusch das dieser mit aller Kraft geführte Schlag verursachte, welcher sie bis tief ins Mark ihrer Knochen erschütterte. Charly hielt sich fassungslos die Hände vor das Gesicht. Sie war entsetzt, trotzdem sie den Schlag erwartet hatte, überraschte sie doch seine Wucht. Tränen des Zorns liefen über ihre Wangen. Blut rann jetzt über ihre Arme, tropfte auf den Boden, bildete schnell ein Lacke. Charly blickte mit Erstaunen auf dieses blutige Rinnsal.

Irgend etwas in Charly wurde freigesetzt, entglitt völlig ihrer Beherrschung. Sie kannte kein Halten, keinerlei Zurücknahme mehr. All ihr aufgestauter Hass brach ungebremst hervor. Als hätte Dämonen von ihr Besitz ergriffen, drosch sie mit ungeheurer Gewalt und einem nicht enden wollenden Befreiungsschrei, wie eine Besessene der Gegnerin unaufhörlich in deren ungeschütztes Gesicht. Ihr Hände platzen auf, überall rann Blut aus den vielen Wunden, hervorgerufen durch nicht eindämmbaren, ungezügelten Hass. „Ich hasse dich. Alle hassen dich, aber keiner mehr als ich, keiner! Niemand verstehst du, niemand hasst dich mehr als ich. Gott wie ich dich verachte."

Sie kochte förmlich über, spie ihr Gift und ihre Galle nach außen, hatte die letzte Hemmschwelle längst überschritten. Der Speichel triefte aus ihrem Mund, das Gesicht war zu einer Fratze der Wut verzerrt. „Ich hasse dich. Und die welche dich geboren haben, die hasse ich auch. Ich hasse dich so sehr. Hörst du? Du bist so widerlich. Ich hasse dich." Ein Schlag und noch ein Schlag. "Ich hasse dich. Gott wie sehr hasse ich dich."

Ihre Wut war unbezähmbar, Ströme von Blut sammelten sich zu ihren Füßen. Sie schrie und schlug und tobte und schluchzte. Und sie schlug, schlug immer wieder auf diese Frau ein, die ohne Deckung, ohne Vorsicht dem blindem Hass ausgeliefert war.

Charly heulte, zitterte, war wie in einem Fieberwahn, machtlos ihrer eigenen Wut ausgeliefert. Nach einiger Zeit ließ ihre Energie nach, sie hob die Arme, wollte einen neuerlichen Schlag ansetzen und ließ die blutenden Hände kraftlos wieder sinken. Sie winselte und bebte, keuchte und blutete, war wie in Trance.

Langsam, ganz langsam ging sie auf die Knie. Der Kopf sank auf die Brust, unterlag nicht mehr ihrem Willen. Ihr Körper brach ohne Gegenwehr, völlig verausgabt in sich zusammen, konnte sich nicht mehr aufrecht halten. Mit einem verschleierten Blick des Unverständnisses, bleiern vor Schmerz glitt sie ohnmächtig in die Scherben des Wandspiegels. Ihre Gegnerin lag zersplittert unter ihr begraben.

 

Hui, schnee.eule,

diese unglaubliche Anballung von Agressivität habe ich zweimal lesen müssen. Keine Liebe, keine beschauliche Sentimentalität, keine unnötigen Details, keine Förmlichkeiten, die falsches erklären wollen. Nur Hass. Wie gut das geht, wenn man glaubt, hassen zu müssen. Ein neuer Scherbenhaufen, ein neuer Alltag.
Keine Liebe, Auslöschung und Zusammenbruch statt dessen.
Wie gut du schreiben kannst.
Es muss dir ein Anliegen gewesen sein, diese Geschichte auf Papier zu bannen. Sie fordert und lässt doch ob dieser fatalen Begebenheit alles offen.

SEHR GUT GESCHRIEBEN.
VERNEIGUNG!

Liebe Grüße - Aqua

 

Liebe Eva!

Ein Moment, ein übermächtiges Gefühl. Du schreibst sehr geschickt, man erkennt es wirklich erst ganz zum Schluss.
Als Gegenerin das eigene ich. Sehr impulisiv und detailliert, eigentlich will ich sowas ja gar nicht lesen... man kann es spüren, irgendwo zwischen den Zeilen.
Eins möchte ich wissen: Wie kann es zu einem derartigen Gefühl gegen sich selbst (oder einen anderen) kommen? Es gibt Tage, an denen ich mich nicht leiden kann, aber diese Dimension...
Eine Welt fast, das ganze Selbstbild wird hier zerschlagen, zersplittert und vernichtet. Ich begreife nicht, warum. Macht mich traurig.

ganz liebe Grüße... Anne

 

Lieber Aqualung!

Keine Beschönigung nein. Dort wo Liebe harmonisch und ausgleichend, zärtlich geschrieben steht, dort steht der Hass vernichtend, selbstzerstörerisch.

Was ist denn Hass? Das Gefühl welches sich gegen andere richtet und in Wirklichkeit den Menschen auffrisst der ihn aussendet. Deshalb der Spiegel.

Ich habe deine Verneigung als sehr angenehm genossen, weiß, dass du sie nicht blindlings verschenkst.

Lieben Gruß an dich - Eva


Liebe Maus!

Doch, ja Anne, da zerschlägt jemand sein Selbstbild um nicht hinschauen zu müssen wer in diesem Spiegel noch verborgen ist, der Auslöser für diese schlimmen Gefühle ist. Sie schluckt die Wut, verdrängt sie und richtet sie lieber gegen sich selbst als gegen diese Menschen. Sie stellt sich nicht.

Andere projizieren diesen Hass unerkannt auf andere und lösen das viele Leid aus von dem wir in den Zeitungen lesen, den Nachrichten hören.
Ist leider so.

Sei nicht traurig, du weißt ja, Hass ist der Gegenpol zur Liebe - Schwarz nicht ohne Weiß. Aber in alle Dunkelheit fällt auch Schnee.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Hallo schnee.eule,

Dein Text ist ein Lehrbeispiel für die treffsichere Einheit von Stil und Inhalt. „Alle hassen dich, doch keiner mehr als ich“ - welch eine schlimme Selbsterkenntnis, die Protagonistin weiß, daß sie selbst ihr schlimmster, hassender Gegner ist. „die dich geboren haben, hasse ich auch“ - hier ist doch ein Hinweis, woher der Haß kommt. Das Selbstwertgefühl der Frau geht gegen Null, ihr `Geboren- worden- sein´ sieht sie nicht als Geschenk, als Möglichkeit, sondern als Urgrund ihres jetzigen Jammers.
Noch ein Vorschlag: sie war entsetzt, obwohl sie den Schlag ...; bildete sich eine Lache.

Liebe Grüße,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Eule,
im Gegensatz zu den Anderen Beiträge kann ich zu Deiner Geschichte nur sagen, daß ich eine Gänsehaut bekam und mir nichts anderes mehr einfiel als -wow-
ich bin beeindruckt. danke !

 

Hallo schnee.eule!

Was für eine starke Geschichte! Abgesehen davon, dass ich sie wirklich gut geschrieben finde (toller Einstieg, gute Beschreibungen, ...) sag ich jetzt einfach mal wie ich den Text erlebt habe:

Zuerst habe ich mich gefragt, gegen wen sich ihr Hass richtet, und dann, warum sie die - vermeintlich andere - Frau hasst. Die Pointe am Ende kam unerwartet und ich habe darauf hin die Geschichte noch einmal von vorne gelesen.

Beim zweiten Mal Lesen habe ich erst den ganzen Wahnsinn der Prot., ihren schrecklichen Seelenzustand begriffen.

Die Geschichte regt an, sich Gedanken zu machen, wie so ein Selbsthass entstehen kann, aber auch dazu an Situationen zu denken, in denen man selbst schon Gefühle in diese Richtung hatte.

So angenehm und schön wie "Liebe" zu lesen war, so unangenehm und schockierend ist "Hass".

lg
klara

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Woltochinon!

Dieser Rückschluss ist dir wieder gelungen. Die Prot. hasst, aber jene, die sie meint nicht konfrontieren zu können. Da haut sie sich also lieber selbst eine rein.
Wie oft gibt es sowas auch in "Liebesbeziehungen". Statt neben all der Zärtlichkeit auch rauszulassen wo man sich verletzt oder allein fühlt, es zur Sprache bringt - beherrscht sich der Mensch und trägt den Zorn, die Trauer nach innen oder projiziert sie in was weiß ich alles hinein.

Lieben Gruß an dich - Eva

Servus Alan!

Ja Gänsehaut kann man schon kriegen, wenn ein Mensch tatsächlich anderen mehr Achtung entgegenbringt als sich selbst. Sich lieber selbst hasst um jeder Konfrontation auszuweichen.

Ich freu mich wirklich sehr, wenn die Geschichte dich beeindrucken konnte.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Servus Klara!

Liebe und Hass. Klar, dass wir alle Liebe wollen, wünschen, erhoffen. Deshalb ist das Lesen über diesen Glückszustand angenehmer. Das unangenehme Lesegefühl entsteht, wenn Liebe in einer Geschichte abwesend ist. Man spürt sie fehlen.

Wahrscheinlich sitzen wir ein Leben lang auf einer Schaukel und wippen mal mehr auf, mal ab. Aber auf dem Spielplatz, da gibt es auch jene, die setzen sich gewichtig auf eine Seite und lassen den zweiten einfach nicht runter. Kannst dich an sowas erinnern?

So ist es ja auch hier, es ist ja kein Zufall in dieser Geschichte, dass die Prot. letztlich an ihrer eigenen Ohnmacht scheitert.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

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