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Hass aus Liebe
Nichts währt ewig. Nicht einmal die Liebe.
David stöhnte auf, seine Augen geschlossen, sein Körper zuckend, sein Herz rasend. Alex fuhr langsam mit seinen Fingerspitzen über Davids zitternden Oberkörper, bis seine Hände auf den Schultern ruhten, und küsste David. Als Alex sich wieder von ihm löste, flüsterte David: "Ich liebe dich."
Alex lächelte, und seine Hand wanderte auf den Nachttisch, wo er einen kleinen Schlüssel ergriff, mit dem er die Handschellen öffnete, die David an die Bettpfosten fesselten.
"Weißt du, immer, wenn du das sagst, habe ich nur einen Gedanken."
"Dass du der glücklichste Mann auf der Welt bist?", fragte David grinsend.
"Eigentlich, dass ich gut im Bett bin, aber das auch!"
David lachte, während er sich die Handgelenke rieb.
"Hab ich dir weh getan?", fragte Alex unsicher.
David schüttelte grinsend den Kopf. "Denk dir nichts. Geh lieber duschen, wir müssen in 'ner Stunde im Café sein."
Alex zuckte mit den Schultern. "Scheiß drauf. Ich will kuscheln!"
Er legte sich auf seinen Geliebten und schob seine Arme unter dessen Rücken.
"Ich auch. Aber wenn wir zu spät kommen, sind Anna und Nora wieder enttäuscht", flüsterte David. "Und das wollen wir ja nicht."
David legte seinen Arm um Alex' Schultern, nachdem die beiden ihr Wohnhaus verlassen hatten. Alex hatte die frierenden Hände in seine Jackentaschen gesteckt. Während sie den Bürgersteig entlang gingen, begann es zu regnen.
"Scheiß Wetter", murmelte Alex.
"Ich dachte, du liebst Regen?", erwiderte David überrascht.
"Im Sommer, oder wenn er gegen die Fenster trommelt und wir mit Bier vorm Fernseher sitzen."
David lächelte. Vier Jahre, und doch wusste er noch lange nicht alles über seine große Liebe. So blieb es wenigstens interessant. Und der gute Sex half auch.
Nach zehn Minuten Fußmarsch kamen die beiden im Café an. Anna und Nora saßen bereits an einem Tisch beim Fenster und diskutierten eindringlich, und als sie David und Alex erblickten, begannen die Damen, eifrig loszureden: "Ihr müsst uns helfen. Anna ist der blödsinnigen Meinung, dass 'Deep Space Nine' die beste Star Trek-Serie ist."
"Und Nora besteht irrsinnigerweise darauf, dass 'Die Nächste Generation' besser ist. Dabei weiß jeder, dass die ersten zwei Staffeln richtig mies sind."
Während die Frauen anfingen, abwechselnd Argumente für und wider die beiden Fernsehserien aufzuzählen, warf Alex David einen augenrollenden Blick zu. Zwar mochte er Star Trek, konnte sich aber nie so dafür begeistern wie Anna, Nora und David.
"Schon wieder Star Trek", flüsterte Alex, während die Männer langsam auf den Tisch zugingen.
"Komm, wird ja vielleicht lustig."
"Na gut. Aber wenn ich was Falsches sage und die Mädels unangenehm werden, hilfst du mir gefälligst."
David lächelte. "In Ordnung, aber du schuldest mir was."
Nach drei Stunden, von denen sich zwei (zu Alex' großer Freude) um angenehmere Themen drehten, verließen die Männer gut gelaunt das Café. Es war bereits dunkel und der Regen war stärker geworden. Schon nach wenigen Metern bemerkte David, dass Alex zitterte. "Willst du meine Jacke?"
"Ich hab eh eine an."
"Die viel zu dünn ist", erwiderte David lächelnd.
Alex schüttelte den Kopf. "Geht schon. Zuhause darfst du mich dann wärmen."
David nickte lächelnd. Er wollte zwar nicht, dass sich Alex erkältete, doch David kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er stur war. Das war auch der Grund, warum David mit dem Rauchen aufgehört hatte: Alex mochte das nie.
Auf halbem Weg nach Hause blieb Alex unvermittelt stehen und sah auf die andere Straßenseite hinüber.
"Was ist?", fragte David.
"Da, unterm roten VW."
David folgte Alex' Blick und sah, dass unter dem Auto, nur schwach von der Straßenlaterne erleuchtet, ein kleines Kätzchen saß, zitternd und offensichtlich durchnässt.
"Wahrscheinlich 'ne Straßenkatze."
Alex nickte. "Die erfriert noch."
"Katzen sind hart im Nehmen", sagte David, doch Alex schüttelte den Kopf.
"Ich lass das arme Ding nicht im Regen. Nehmen wir sie mit."
David seufzte. "Du magst Katzen doch gar nicht. Außerdem erlaubt unser Vermieter keine Haustiere."
"Ich will sie ja nicht behalten. Nur über Nacht, bis es wieder trocken ist, dann ist sie wieder draußen."
Bevor David ein Gegenargument bringen konnte, ging Alex schon über die Straße. "Bin gleich wieder da."
David seufzte und schüttelte den Kopf. Er wollte kein nasses, haariges Tier in der Wohnung haben, von Alex abgesehen.
Dieser ging vor dem roten Auto in die Knie und streckte seine Hand unter das Fahrzeug. Nach ein paar Sekunden stand er langsam wieder auf und drehte sich in Davids Richtung um; mit dem nassen Tierchen in seinen Händen. "Sie hat gar keine Angst. Wahrscheinlich ist ihr zu kalt, um misstrauisch zu sein."
David sah sich um und bemerkte, dass etwas weiter entfernt ein blauer Kombi um die Kurve kam, aber sehr langsam fuhr, weshalb sich David keine Gedanken machte. Alex ging gemächlich über die Straße, den Blick fest auf das Kätzchen gerichtet, welches er halbherzig streichelte. Und dann hörte David einen heulenden Motor. "Alex!", brüllte er, doch der blaue Kombi war plötzlich enorm schnell, und als Alex versuchte, aus dem Weg zu springen, war es zu spät.
Ein Knall, ein Knirschen, welches den prasselnden Regen übertönte, und quietschende Reifen, als der Kombi nach dreißig Metern zum Stehen kam.
David rannte über die nasse Straße zu dem regungslosen Körper seines Partners und kniete sich hin. Das Kätzchen war fort, Alex' Arme und Beine unnatürlich verdreht, und seine Augen weit geöffnet und völlig leer.
Das Prasseln des Regens wurde stumm, das Licht der Laternen dumpf, und die Kälte verschwand. David strich mit zitternden Fingern über Alex' Wange, doch er spürte nur Nässe, keine Wärme, kein Zucken, keinen Atem. Davids Gedanken waren leer. Alles, was zu existieren schien, war das leblose Gesicht und die leblosen Augen eines Mannes, den er liebte.
Nach einer Ewigkeit der Stille riss eine Stimme David in die verregnete Realität zurück: "Bitte sag, dass das nur 'n blöder Hund is'!"
David blickte zur Seite. Der blaue Kombi stand schräg auf der Straße, die Fahrertür offen, und ein Mann mit blondem Haarschopf, schwarzem Vollbart und grüner Jacke kam in langsamem Zick-Zack auf David zugewackelt. Als der Mann erkannte, dass ein Mensch auf der Straße lag, weiteten sich seine trüben Augen. Schnell drehte er sich um, fiel kurz hin, stand unbeholfen auf und lief zu seinem Auto zurück. Die Fahrertür knallte zu und der Wagen verschwand um die nächste Kurve.
Davids Blick wandte sich wieder dem Körper zu, der vor ihm lag. Langsam griff er nach seinem Handy, wählte den Notruf, und erklärte ruhig, was geschehen war. Als er auflegte, wurde ihm kalt, doch nicht vom Regen. Und nach und nach wurde seiner Seele bewusst, was gerade geschehen war, und David brach weinend zusammen.
David legte mit brennenden Augen sein Handy zur Seite. Stundenlang hatte er bei der Polizei gesessen, hatte alles erklärt, aber weil David nur eine grobe Beschreibung abliefern konnte und er sich das Nummernschild nicht gemerkt hatte, gab es wenig Hoffnung, den betrunkenen Fahrer zu finden. Anschließend war David nach Hause gegangen und hatte Alex' Eltern angerufen. Er hatte befürchtet, während des Telefonats zu weinen oder wütend zu werden. Aber nein. Er blieb die ganze Zeit ruhig. Nun saß er auf dem Sofa, starrte ins Leere, doch er war ruhig. In seinem Inneren waren Kälte und Schmerz, doch David blieb ruhig.
Kaum, dass er das Handy aus der Hand gelegt hatte, klingelte es. Er sah nicht einmal nach, wer anrief. Das Handy verstummte. Und klingelte erneut. Und wieder. Und immer wieder. Irgendwann im Laufe der Nacht verstummte das Handy dann endgültig. Und als die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster drangen, saß David noch immer auf dem Sofa. Und blieb ruhig. Schließlich griff er zu seinem Handy. 23 Anrufe in Abwesenheit, mehr als 40 Textnachrichten. Er musste etwas tun. Die meisten Freunde wussten es wahrscheinlich noch gar nicht. Aber er wollte nicht telefonieren, wollte keine Nachrichten ins Handy tippen, die zu Gesprächen führen konnten. Also ging er zu seinem Computer, startete ihn und ging ins Internet. Im sozialen Netzwerk etwas zu schreiben, musste reichen. Keine Gespräche, keine tränenreichen Beileidsbekundungen, kein ständiges "Wie geht es dir?".
Gerade, als David anfing, einen kurzen Text zu schreiben, fiel sein Blick auf ein Foto, welches einer seiner Freunde am Abend zuvor gepostet hatte, scheinbar von einer Feier oder einem Fest. Im Hintergrund war verschwommen ein Mann mit blonden Haaren und grüner Jacke zu sehen.
David blinzelte. Das konnte nicht sein. So große Zufälle konnte es nicht geben. Seine Hände zitterten, als er auf den Text, der über dem Foto stand, klickte. Ein Haufen Leute waren darauf markiert, nicht jedoch der Mann mit der grünen Jacke. Aber im Text stand, von welcher Feier das Bild stammte. Und für diese Feier gab es eine Veranstaltungsseite. David durchsuchte auf dieser Seite die Liste der Leute, die für die Feier zugesagt hatten. Und neben einem Namen war das Profilbild eines Mannes mit blonden Haaren und schwarzem Vollbart.
David durchstöberte das Profil des Mannes und fand zwei Fotos. Auf dem Ersten trug der Mann eine grüne Jacke. Auf dem Zweiten war ein blauer Kombi zu sehen.
Während er auf die Bilder starrte, griff David zu seinem Handy und wählte die Nummer, die ihm einer der Polizisten am Tag zuvor gegeben hatte. Doch plötzlich verschwand die Kälte in seinem Inneren. Und etwas anderes machte sich breit. Hitze stieg in David auf, begleitet von düsteren Gedanken.
"Hallo?", drang die Stimme des Polizisten aus dem Handy. David legte schnell auf und nahm den Akku aus seinem heraus. Er wusste, was er jetzt tun musste. Er würde diesen Mann, dieses Schwein, welches ihm Alex genommen hatte, nicht dem Gesetz überlassen.
Drei Stunden später hatte David sich eine Stange Zigaretten gekauft und ein Auto gemietet. Er hatte im Internet herausgefunden, wo der Mann arbeitete. Mit dem Mietauto war David in zwei Stunden dort. Vor dem Gebäude stand der blaue Kombi. Nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte, stieg David aus, ging zu dem Kombi und musterte ihn. In der Motorhaube war eine kleine Beule, das Nummernschild und die Stoßstange waren ein wenig verbogen; aber davon sah man dem Auto nicht an, dass damit Tags zuvor ein Mensch überfahren worden war.
David setzte sich wieder in den Mietwagen und zündete sich die nächste Zigarette an. Er würde warten, bis der Mann von der Arbeit kam und ihm nach Hause folgen, und wenn er vor seiner Haustür aus dem Auto ausstieg, würde David das Gaspedal durchtreten. Zwei Stunden vergingen, in denen die Hitze in David unerträglich zu werden schien; ehe der Mann mit blonden Haaren, schwarzem Vollbart und mit der gleichen, grünen Jacke aus dem Gebäude kam und sich in den Kombi setzte. David startete den Motor des Mietautos. Es war so weit.
"Was tust du?", fragte Alex auf dem Beifahrersitz.
"Ich lasse das Schwein nicht damit davonkommen", flüsterte David.
"Dann fahr nach Hause und ruf die Polizei", sagte Alex mit sanfter Stimme.
David schüttelte den Kopf, während er losfuhr, dem blauen Wagen hinterher. "Was werden die machen? Ihm den Führerschein abnehmen und ihn vielleicht ein, zwei Jahre ins Gefängnis werfen. Das reicht nicht."
"Es muss reichen." Alex seufzte. "Der Typ wollte mich wahrscheinlich nicht mal umbringen."
"Scheißegal", erwiderte David, "wegen ihm bist du nicht mehr da."
"Du bist müde. Traurig. Und wütend. Ich wünschte, du hättest im Bett mal so viel Aggression gezeigt", meinte Alex kopfschüttelnd.
"Wieso willst du's mir ausreden?"
"Ich will nicht, dass du mit so 'ner unüberlegten Verzweiflungstat dein Leben wegwirfst."
"Du bist mein Leben!", rief David zitternd. "Du warst ..."
Der blaue Kombi fuhr auf die Autobahn, David folgte ihm mit gerade genug Abstand, um nicht aufzufallen. Er zündete sich wieder eine Zigarette an.
"Das Zeug bringt dich noch um", sagte Alex mit erhobenem Finger.
"Wird es nicht."
"Stimmt", erwiderte Alex, "der Knast wird das noch vorher erledigen!"
David schüttelte den Kopf. "Ich geh nicht ins Gefängnis."
"Was glaubst du, was passiert, nachdem du ihn getötet hast?", fragte Alex laut.
David hielt seinen Blick steif auf die Straße gerichtet, während eine Träne über seine Wange lief.
"Nein ...", flüsterte Alex, "tu das nicht."
"Warum? Was hab ich ohne dich noch?", fragte David mit erstickter Stimme.
Alex schüttelte den Kopf. "Du beschissener Idiot! Du hast Freunde, Familie, du hast ein Leben!"
"Du warst mein Leben!", brüllte David, wobei ihm die Zigarette aus dem Mund fiel. "Scheiße."
Er versuchte gar nicht, die Zigarette aufzuheben, sondern zündete sich eine Neue an.
"Da vorne ist die Ausfahrt nach Hause. Fahr ab! Schlaf zumindest mal, bevor du entscheidest, wen zu töten", bat Alex.
David schüttelte erneut den Kopf. "Ich werd nur noch eine Ausfahrt nehmen. Die Ausfahrt, die er nimmt."
"Vielleicht nimmt er keine Ausfahrt, sondern fährt bis zum Ende der Autobahn", flüsterte Alex. "Schon mal daran gedacht?"
David schrie auf. Dann stieg er aufs Gas. "Scheiß drauf, scheiß drauf, scheiß drauf!"
"David, beruhige dich. Sonst baust du noch 'nen Unfall."
Der blaue Kombi kam immer näher.
"David, hör auf!"
Gleich würden die Autos zusammenprallen.
"Wenn du nicht sofort aufhörst, fessle ich dich wieder!"
David stieg vom Gas. "Was?"
Alex seufzte erleichtert, als der Kombi wieder etwas Abstand gewann. "Das hat dir gestern gefallen, oder?"
David schüttelte den Kopf. "Wieso fängst du jetzt damit an?"
"Und die Diskussion im Café? Es war anstrengend, aber du hast es genossen!"
David schluchzte. "Hör auf."
"War es gestern, bis ich die Katze gefunden habe, nicht ein grandioser Tag?"
"Aber jetzt bist du tot!", schrie David.
Alex nickte. "Ja. Ich bin gestorben. Am Ende eines wunderbaren Tages, nach wunderbaren Jahren, die wir beide hatten. Mehr konnte ich mir für meinen Tod nicht wünschen."
Der blaue Kombi fuhr auf die Abbiegespur für die nächste Ausfahrt. David wollte ihm nachfahren.
"Wir hatten eine wunderbare Zeit miteinander", flüsterte Alex.
David begann, zu weinen. "Es hätte länger sein müssen!"
"Nichts währt ewig, David. Wir nicht, nicht einmal die Liebe. Es sei denn, es ist noch jemand da, um sich zu erinnern."
Davids Tränen versiegten und er hörte auf, zu weinen. Der blaue Kombi bog ab. David fuhr geradeaus weiter.
Alex atmete erleichtert durch. "Gottseidank." Er blickte die qualmende Zigarette in Davids Mund an. "Das Zeug kann dich aber noch immer umbringen."
David fuhr auf den Pannenstreifen und hielt an. Dann nahm er die Zigarette aus seinem Mund und warf sie aus dem Fenster. Den Blick auf die vorbeifahrenden Autos gerichtet, fragte er: "Wieso bist du auf einmal die Stimme der Vernunft?"
Alex gluckste. "Ich war dir noch was schuldig, schon vergessen?"
David lächelte. "Ich liebe dich, Alex."
"Und ich liebe dich, David."
Doch als David sich umdrehte, um Alex zu küssen, war dieser fort. Dennoch musste David lächeln. Er öffnete das Handschuhfach und nahm sein Handy heraus, setzte den Akku wieder ein und rief den Polizisten an.