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Harpyien
Harpyienjagd
„Nun los, sperr’ schon das Maul auf, du Schönling!“ Galon begann allmählich die Geduld mit seinem Gefangenen zu verlieren. „Oder muss ich dich erst kopfüber auf dem Lagerfeuer anbraten, bevor du uns sagst, wie wir zu diesem Harpyiennest kommen?“
Der gefesselte Elf ließ sich keinerlei Gemütsregung anmerken. „Und denk’ ja nicht, mich glauben lassen zu können, du verstündest mich nicht. Ich weiß sehr wohl, dass du meine Sprache beherrscht.“ Diesmal erntete Galon nur einen kurzen finsteren Blick. „Nun gut“, dachte er bei sich, „dann ist es wohl an der Zeit für eine andere Taktik.“
Er wandte sich dem zweiten Gefangenen zu, einer hübschen Waldelfe mit graublauem Haar und roten Augen, von der er glaubte, dass sie die Gefährtin des Sturkopfes sei. „Vielleicht bist du ja etwas zuvorkommender...“ Sie verzog keine Miene, doch in ihren Augen war ein furchtsames Flackern zu erkennen. Galon zog einen langen Dolch mit geflammter Klinge aus der Gürtelscheide und betrachtete einen Moment lang sein grinsendes Spiegelbild auf dem blanken, scharfen Stahl.
Seine zerzausten, halblangen Haare und seine stoppelbärtigen Wangen verliehen ihm ein wildes Aussehen. Zwei kleinere Narben auf der Stirn und am Kinn zeugten von einer gewissen Kampferfahrung. Das leicht gebräunte Gesicht wirkte noch nicht besonders alt, sondern ließ ihn auf etwa 25 Winter schätzen.
Langsam fuhr er mit der Dolchspitze ihr spärlich bekleidetes Bein herauf und kratzte einen dünnen weißen Strich in die Haut. Der Elf neben ihr weitete die Augen und wurde langsam unruhig. Als die Dolchklinge an ihrem Hals innehielt, kniff sie die Augen zu und wartete auf die ruckartige Bewegung, welche ihr die Kehle durchtrennen würde.
Galons Grinsen wurde breiter, während er die Reaktion ihres Gefährten aus den Augenwinkeln beobachtete. Die stählerne Schneide drückte fester an den schlanken Hals. Der Elf zerrte an seinen Fesseln, während er die Verzweiflung in seinem Gesichtsausdruck nicht mehr verbergen konnte. Schließlich gab er auf und sprach: „ Halte ein, Menschennarr! Ich werde dich zu jenem Ort führen, den du zu finden begehrst.“
Galons Augen funkelten triumphierend, er nahm den Dolch von der Kehle der Elfe und durchschnitt die Fesseln ihres Gefährten. Zwei mit Bögen und Kurzschwertern bewaffnete Männer winkte er heran, um die Gefangenen auf dem Weg zu bewachen. Man legte den beiden breite Eisenkragen um den Hals, da viel Metall im direkten Körperkontakt belanntlich die Magie der naturverbundenen Waldelfen einschränkte. Nun wurden sie vorangetrieben, um Galon und seine Begleiter durch den dichten Wald zu führen, während die übrigen Männer im rasch aufgestellten Lager blieben.
Nach einer Weile hatte Galon vollends die Orientierung verloren, während die Elfen scheinbar mühelos den Weg durch das Unterholz fanden und zielstrebig vorangingen. Ihm war allmählich, als würden die beiden sie in die Irre führen oder an einen gefährlichen Ort locken. Er packte den Elf neben ihm am Arm und hielt ihn auf, während er sein Langschwert zog. Die Spitze der Klinge wies auf die Brust des Gefangenen, als Galon ihn fragte: „Wie weit führt ihr uns eigentlich noch? Wenn ihr beiden glaubt, uns eine Falle stellen zu können, vergesst es lieber schnell wieder. Sobald ich eine Gefahr entdecke oder merke, was ihr vorhabt, werde ich euch töten und zum Fraße der Krähen an den nächsten Baum hängen.“ Er wusste sehr wohl, wie sehr den Waldelfen die Vorstellung eines entstellten und verrottenden Körpers zuwider war.
Der Angesprochene verzog das Gesicht kaum merklich und antwortete: „Die einzige Gefahr ist jene eurer Torheit. Ihr hofft auf eine Verlängerung eures unbedeutenden Daseins, welches nur ein winziger Teil allen Lebens ist. Doch der Versuch wird euer Schicksal besiegeln.“ Die geballte Faust Galons traf ihn ins Gesicht. „Schweig! Du hast mir gar nichts zu sagen, sondern nur zu tun, was ich verlange! Oder gefällt dir die andere Möglichkeit besser?“
Die Elfe zuckte nach dem Schlag zusammen, als sei sie selbst getroffen worden. Sie ergriff die Hand ihres Gefährten und sprach sanft zu ihm: „Laß sie in ihr Verderben wandeln, wenn es ihr Wille ist. Menschen wie sie verstehen nur ihr eigenes Verlangen.“ Die beiden schritten wieder voran, während Galon nur spöttisch lächelte.
Schließlich kamen die beiden zum Stehen und machten eine Geste zum Zeichen, dass sie angekommen seien. Ihre Wächter verwunderten sich, da sich für ihr Empfinden die Umgebung nicht verändert hatte und es nichts Auffälliges zu entdecken gab. Die Elfen deuteten auf einen gewaltigen Baum, dessen uralter Stamm breiter war als zehn nebeneinander stehende Männer. Seine riesige Krone ragte weit in den Himmel und war durch Nebelschwaden halb verschleiert. „Dort oben soll das Nest sein?“
Der Elf richtete den Blick auf Galon und nickte finster. Dieser rieb sich einen Moment nachdenklich das Kinn und sagte schließlich: „Dieser Baum ist höher als ich dachte. Nun gut, dann wirst du uns das Harpyienmännchen bringen, Langohr. Wenn du von deinen magischen Fertigkeiten Gebrauch machst, sollte es kein großes Problem sein.“
Die Männer nahmen ihm den Eisenkragen ab, während Galon der Elfe wieder Fesseln anlegte und seine Begleiter anwies, sie nicht aus den Augen zu lassen. „Wenn du versagst oder fliehst, kannst du dir ja denken, was mit deiner hübschen Gefährtin hier geschieht“, ermahnte er den Elfen, welcher sich nun mit grimmiger Miene zum Baum wandte. Mit geschmeidigen Bewegungen und geschickten Griffen machte er sich daran, an der groben Rinde und den Ästen emporzuklettern.
Während die Männer unten auf dem weichen Moosteppich saßen und warteten, sann Galon über die Lage nach. Es kursierten viele Gerüchte von den besonderen Eigenschaften des Blutes männlicher Harpyien, allen voran die lebensverlängernde Wirkung. Manche sagten, man könne nach dem Trunk mindestens 50 Jahre länger leben, ohne jegliche Alterserscheinungen. Andere behaupteten, das Blut könne die körperlichen Kräfte steigern und die Sinne schärfen.
Galon wusste, dass hinter solchen Gerüchten meistens Wahrheit steckt und war sich sicher, dass die magische Wirkung ihm Vorteile bringen würde. Wer weiß, ob er nicht am Ende unsterblich würde?
Dass dies die letzte männliche Harpyie in dieser Region war, kümmerte ihn herzlich wenig. Die Harpyien hatten schon immer Probleme mit Unterbevölkerung der Männchen, na und? Auf hundert Weibchen kam in der Regel eine männliche Harpyie, daher war die Erhaltung dieser Rasse stets gefährdet. Andererseits konnten sie sich auch mit Menschen paaren, um Nachkommen ihresgleichen zu haben. Aber welcher Mensch würde dies schon freiwillig tun? Galon schauderte es bei dem Gedanken an das schmutzige Gefieder und die hässlichen Vogelklauen der ständig schimpfenden und fluchenden Wesen.
Der Oberkörper eines Mädchens und der Unterkörper und die Flügel eines Vogels, das klingt ja an sich gar nicht so schlecht. Zumindest, was den oberen Teil anbelangte. Es war jedoch allgemein bekannt, dass auch der menschliche Teil ihrer Erscheinung eher selten besonders hübsch war, dafür umso ungepflegter, da weibliche Harpyien gern im Schlamm herumtollten und sich manchmal an frischen Leichen gütlich taten.
Galon wurde aus seinen Gedanken gerissen, als seine Begleiter nach ihm riefen. Anscheinend war der Elf gerade wieder am Abstieg, den Körper der bewusstlosen Harpyie über die Schulter geworfen.
„Sieh an, er hat es geschafft. Los, nehmt ihm das Viech ab und dann lasst uns ein Stück in den dichteren Wald gehen, um unentdeckt zu bleiben.“ Nachdem dies getan war, wurden der Elfe Fesseln und Eisenkragen abgelegt. Galon wandte sich an die beiden Waldelfen: „Ihr habt mir einen großen Dienst erwiesen. Nun geht, ihr seid frei.“
Das Paar wechselte einen undeutbaren Blick, dann machten sie sich rasch auf, wieder in den tieferen Wald zu verschwinden. Mit einer knappen Geste, gab Galon den Männern zu verstehen, wie er diese Freiheit meinte. Diese nickten und zogen einen Pfeil aus dem Köcher, um auf die davoneilenden Elfen zu zielen. Die Bögen gespannt, beobachteten sie die Bewegung der beiden. Mit einem Surren schnellte die Sehne nach vorn und ließ die tödlichen Spitzen auf ihre Ziele zujagen.
Einen Moment lang waren die Elfen nur als Schemen zu erkennen und verschwanden dann plötzlich vollends, als seien sie in dunkle Schatten getreten. Die Pfeile bohrten sich wirkungslos ins Unterholz.
Überrascht erstarrte Galon und stieß einen Fluch aus. Er hätte die Magie dieser Waldelfen nicht unterschätzen sollen. „Ach, was soll’s. Lasst sie sich doch wieder verkriechen, wir haben ja, was wir wollten.“ Er drehte sich zu seinen Begleitern um. „Ihr werdet den Weg zurück zum Lager suchen und mir Markierungen hinterlassen. Ich komme dann etwas später nach.“ Die Männer blickten sich an und schlugen dann murrend den Weg ein, den sie gekommen waren.
Nun war der Moment gekommen: Galon zog sein Schwert und baute sich über dem bewusstlosen Harpyienmännchen auf. Er hob die glänzende Klinge über den Kopf und grinste zufrieden, um schließlich den Hals der Harpyie mit einem Schlag zu durchtrennen. Ein Rinnsal von dunkelroter Flüssigkeit ergoss sich auf den Waldboden.
Galon tauchte mit den Fingern in den Leib und schöpfte eine Handvoll Blut, die er mit einem Schluck seine Kehle hinunterrinnen ließ. Er schloss die Augen und wartete ab. Tatsächlich begann er nach einiger Zeit ein seltsames prickelndes Gefühl sich in seinem Inneren ausbreitete. Er konnte nicht genau sagen, ob er sich veränderte; er wusste nur, dass es ein gutes Gefühl war. Vielleicht stimmte es, was die Leute sagten.
Als er die Augen öffnet und aufblickt, sieht er seinem Schicksal entgegen.
Eine ganze Gruppe von Kriegerinnen der Harpyien stehen im Kreis um ihn herum. Ihre schmutzigen Gesichter spiegeln Bestürzung, Trauer und Zorn wider. Galon hatte ihr einziges Männchen getötet und nun haben sie ihn entdeckt.
Er weiß, dass er angesichts dieser Übermacht nicht entkommen kann und ihnen ausgeliefert ist. Während sie näherkommen, wird er voller Grauen an eines erinnert: Seine Zeugungsfähigkeit...