Hallo RaddyRoad,
willkommen auf kurzgeschichten.de!
Deine Geschichte hat zwar ein paar ganz gute Ansätze, aber insgesamt hat sie mich enttäuscht.
Zunächst zu deiner Frage, welchem Genre sie zuzuordnen wäre. Ich würde Alltag vorschlagen, denn Selbstmorde bzw. Selbstmorversuche sind alltäglich, wenn auch sie für den Betroffenen eine grandiose Einzigartigkeit besitzen.
Während Selbstmordgeschichten oftmals in rührseligen Formulierungen ertrinken, gehst du zum Teil mit Schnellschritten voran und wirfst dem Leser ein paar allgemeinplatzige Formulierungen vor die Augen.
In mir wechseln unbändige Wut und pure Verzweiflung die Plätze,
Einmal abgesehen davon, dass ich die Formulierung für unglücklich halte, soweit du von wechselnden Plätzen schreibst, ich stolperte bei der der dadurch entstehenden Frage, welche Plätze zu meinst, ist "unbändige Wut und pure Verzweiflung" nicht sehr informativ, weil ich einerseits nicht erfahre, was diese Wut auslöst und sogar unbändig macht und andererseits ich nicht erfahre, wie sich das bei deinem Protagonisten äußert.
Wenn du ihn mir beschreiben müsstest, was genau wäre dann sein Verhalten, das mir die Erkenntis bringt, er ist unbändig wütend?
Mir fehlt die deutlichere Darstellung deiner Figur, um mit ihr mitgehen zu können, sie verstehen oder auch einfach nur interessant finden zu können.
Übrigens ist die Bezeichnung "pure Verzweiflung" zwar in der Umgangssprache üblich, aber trotzdem überkandidelt. Verzweiflung ist Verzweiflung und damit für sich genommen immer pur. In deiner Geschichte ist dein Protagonist zudem noch unbändig wütend neben seiner Verzweiflung. Wie soll ich mir diese wuchtigen Gemütszustände nebeneinander vorstellen? Doch wohl kaum, wenn du mir auch noch mitteilst, dass der eine unbändig, der andere pur ist. Das geht begrifflich erst recht nicht zusammen.
Ich seziere den Anfang deiner Geschichte deswegen, um dir deutlich zu machen, dass exakte Formulierungen wichtig sind, um beim Leser die richtige Stimmung zu erreichen.
Ich umklammere das Lenkrad fester, bis sich meine Fingernägel tief in den weichen Kunststoff graben,
Hast du das schon mal versucht? Die normalen Lenkräder sind so gering im Durchmesser, dass man eher seine Fingernägel in die eigenen Hände graben kann als ins Lenkrad. Und mit ins Lenkrad gegrabenen Fingern kann man nicht lenken.
Bitte versuche, wenn du Situationen schilderst, einfach ab und zu mal in die Rolle deiner Personen zu schlüpfen. Stelle dir vor, du sitzt jetzt in dem Auto. Dir würde dann auffallen, dass es so nicht funktioniert wie du es geschrieben hast.
Vielleicht hat dein Protagonist das Lenkrad derartig verkrampft umklammert, dass er kaum noch steuern konnte. Stelle dir vor, dass er seine Oberarme an seinen Oberkörper presst als seien sie angewachsen und mit angewinkelten Armen das Lenkrad umklammert.
dann trete ich das Gaspedal bis zum Bodenblech durch und folge der Landstraße in Richtung des aufgehenden Mondes.
Dieser Satzteil gefällt mir gut.
Zirka 700 Meter Orts einwärts beschreibt sie mit der Straße eine scharfe 90-Grad-Kurve.
Nachdem ich das Ende der Geschichte gelesen hatte, hab ich diesen Satz nochmals gelesen, weil ich mir nicht so recht vorstellen konnte, wie der Unfall passieren konnte. Ich glaube, wenn du 90-Grad-Linkskurve geschrieben hättest, wäre es einfacher für mich gewesen.
Übrigens gehe ich zu diesem Zeitpunkt immer noch davon aus, dass dein Protagonist das Gaspedal durchgedrückt hat und rasend schnell fährt.
während sich der Schmerz durch meine Eingeweide wühlt.
Auch wieder so eine Aussage, die zwar dramatisch sein soll, aber mir keine Informationen gibt. Was für ein Schmerz soll das sein? Hat er eine Bauchverletzung, ist ihm das Blinddarm geplatzt, hat er schlimmen Durchfall? Und wieso hat er diesen Schmerz? Hat er zu lange gewartet, um sich Hilfe zu holen? Es könnte nun tausend Gründe für all das geben, du bietest keine einzige an.
[quotezwingt mich die Bilder zu sehen, die ich eigentlich vergessen will.] [/quote] Jetzt, so dachte ich, erfahre ich, was los ist.
Und dann steht da das:
Bilder der Wut, Bilder der Ohnmacht und Verzweiflung.
Und ich erfahre nicht mehr, dabei könntest du als der Autor mir sehr viel erzählen an dieser Stelle. Wut, Ohnmacht, Verzweiflung sind Hülsen, die du mit Inhalt füllen musst. Es gibt Leute, die sind schon wütend, wenn sie keinen Regenschirm dabei haben und sie deswegen in Regen geraten. Es gibt Menschen für die ist der Zustand der Wut die äusserste denkbare Reaktion. Was ist Wut? Wie zeigt sie sich? Ist nur derjenige wütend, der um sich schlägt oder auch der, der die Zähne aufeinanderbeißt?
Mein Herz windet sich in meiner Brust. Abwechselnd zieht es sich zu einem Knoten zusammen, dann bläht es sich auf und bringt Bäche salzigen Wassers, die ich nur noch an den kühlen Streifen auf meinen Wangen erkenne.
Bei diesem Satz bist du auf dem besten Wege in der Humorabteilung zu landen, dabei ist es dir bitter ernst mit dem Geschehen. Ein sich windendes Herz kennt man normalerweise aus der alten Romantik unserer Vorgenerationen, z.B., wenn man verliebt ist. Oder aus dem Horrorgenre. Auch dieser Herzknoten ist höchst unglücklich gewählt von dir, aber noch schlimmer wird es mit dem Aufblähen und den salzigen Bächen, die dann über die Wangen laufen. Dies ist anatomisch nicht möglich. Dein Protagonist weint offenbar, scheinbar schon seit dem Anfang, weil er verschwommen sieht.
Was hinderte dich, es auch so zu schreiben?
Ich bin noch vielleicht 400 Meter von der Kurve entfernt, als ich wieder auf das Gaspedal trete.
Ich habe schon weiter oben geschrieben, dass ich bis zu diesem Satz davon ausging, dein Protagonist fährt immer noch mit bis zum Boden gedrückten Gaspedal.
Da fehlt also eine Zwischenmitteilung für den Leser, dass dein Protagonist, vielleicht am Ortseingang, wieder vom Gas gegangen ist.
Wenn du dir den gesamten Ablauf wie in einem Film vorstellst mit dir als Hauptakteur würde dir das auffallen, dass der Handlungsablauf nicht stimmig ist.
vielleicht klarer als ich sie jemals gesehen habe.
Dieser Satz wäre gehaltvoll, wenn ich etwas mehr über den Protagonisten erfahren hätte, wobei das Wort vielleicht der Aussage die Kraft raubt.
Vielleicht täusche ich mich, vielleicht werde ich morgen Eis essen, das Wort "vielleicht" macht eine Aussage wieder kaputt. Du möchtest aber als Autor etwas mitteilen und nicht Nebelbomben werfen, nicht wahr?
Ich kann das silbrige Glitzern des Raureifs auf der Straße sehen, beobachte wie die Grashalme am Straßenrand in der kalten Luft des Abends zittern, während der Wagen immer weiter beschleunigt.
Das ist ein gut formulierter Satz. Das Problem ist nur, dass ich dem Protagonisten nicht abkaufe, dass er das alles beobachtet.
Ich vermute, du willst darstellen, wie der innere Kampf jetzt beendet ist, dein Protagonist zum Sterben bereit ist und sich Ruhe ausbreitet und er beginnen kann, seine Umwelt mit all ihrer Schönheit wahrzunehmen.
Der Übergang vom auf das Ziel zurasen zum zur Besinnung kommen, ist, weil ich nichts von dem Menschen erfahre, schwer nachvollziehbar und du auch übergangslos vorangehst.
Das Gaspedal am Anschlag klettert die Tachonadel weiter und weiter, doch umso näher ich der Kurve komme, desto langsamer scheint sich das Auto zu bewegen. Das Rauschen des Fahrtwindes und das Röhren des Motors verblassen zu einem Flüstern. Seltsam warme Ruhe durchströmt mich und langsam wandelt sich das leise Gefühl des Zweifels in mir in pure Erleichterung. Ich sehe einen Ausweg hier und jetzt. Eine Lösung, die alles verschwinden lässt. Alles. Alles vorbei. Alles weg. Hauptsache weg, denn alles ist besser als jetzt.
Bei diesem Absatz konnte ich deinem Protagonisten folgen und ihn verstehen. Die Langsamkeit gepaart mit einer inneren Ruhe ist gut dargestellt. Allerdings störe ich mit wieder an dem Wort "pure" vor Erleichterung. Darunter kann ich mir nichts vorstellen. Wie wäre es mit "befreiender" "beseelender" oder einfach nur Erleichterung?
Ich schlage die Augen auf
Ich empfinde das Wort "schlage" für zu übertrieben. Öffne klingt glaubwürdiger.
beobachte, wie sich die Risse langsam durch mein Spiegelbild schneiden
Beobachte finde ich hier auch nicht so passend. Wir wärs mit weglassen und nur: Risse schneiden sich langsam durch mein Spiegelbild?
Ob die letzten beiden Sätze passen, vermag ich leider nicht zu beurteilen. Ich weiß nichts über deinen Protagonisten. Ich weiß also nicht, ob er selbstironisch ist und deswegen schief grinst oder ob er noch einen Funken Lebenswillen hat und nun aber merkt, dass es dafür zu spät ist oder oder oder.
Dein Zusatzabsatz kommt mir noch unpassender vor.
Ich bin mir sicher, dass du aus dieser Geschichte deutlich mehr machen kannst, als da jetzt steht. Nur Mut!
Lieben Gruß
lakita