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Happy End für y
Alle Buchstaben rannten geschäftig herum, formierten sich, stoben auseinander und stellten sich wieder neu zusammen. Immer neue Wörter und Sätze entstanden. y saß in einer Ecke des Foyers und sah zu. Zuerst hatte es Yo-yo gespielt, hatte aber bald aufgehört, weil es sich andauernd in der Schnur verwickelt hatte. Danach hatte es Yoga geübt, aber von der vielen Gymnastik hatte es nur einen Muskelkater bekommen. Ein anderes Hobby hatte es nicht. So war ihm immer langweiliger geworden.
Danach hatte es angefangen, sich einfach zwischen die anderen Buchstaben zu schieben, solange, bis alle verwirrt waren und das s hysterisch gebrüllt hatte: „Das ist ja wieder typisch! Du kannst nicht einfach dazwischenflitzen, das bringt doch das ganze System durcheinander! Was sollen die Menschen mit einem ‚Frühstyück‘ oder mit einem ‚Nilpfyerd‘!? Warte, bis du an der Reihe bist, du hyperaktiver Plagegeist!“
Die anderen Buchstaben hatten genickt. Nur das x hatte dem y mitleidig über die beiden schrägen Ärmchen gestrichen, da es wusste, wie schlimm es ist, wenn man nicht mitmachen darf. Das x wurde auch nur selten gebraucht; allerdings war es darüber nicht traurig – es war nämlich eine richtige Schlafmütze und schnarchte den ganzen Tag wie ein Baby. Wenn es doch einmal gebraucht wurde, musste das flinke l losflitzen, um es aufzuwecken. Aber y war anders. Es wollte auch mitlachen können, wenn es zu einem Witz gehörte und es wollte Teil einer romantischen Liebeserklärung werden! Traurig schlich es also durch die Reihen der empörten Buchstaben wieder hinaus, und keiner merkte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen.
Seitdem saß y wieder alleine im Foyer auf einer kleinen Styroporflocke und dachte nach. Und eines Nachts, als alle anderen schliefen (das s, das c, und das h schnarchten gerade einen Kanon), schlich es davon. Es hatte nämlich einmal, vor langer Zeit, einen Traum gehabt, an den es sich jetzt erinnerte: Dass es irgendwo noch eine andere Sprache gab, in der es gebraucht werden würde, in der es so wichtig wäre, dass die anderen gar nicht mehr auf es verzichten könnten! Es hatte sich die letzten Tage ausgemalt, dass es sich vielleicht mit dem gemütlichen o oder dem lustigen e anfreunden könnte, in dieser neuen Sprache … nur neben dem s, da würde es nie stehen wollen!
Also hüpfte es klammheimlich davon und machte sich auf die Suche nach dieser mysteriösen Sprache. Es musste weit laufen, sein Füßchen tat schon weh von der Anstrengung, und dann war vor ihm das Meer. So viel Wasser auf einmal … Aber das y stürzte sich kopfüber in die Wellen und schwamm tapfer los. Es wollte jetzt nicht aufgeben, nachdem es schon so weit gekommen war. Endlich nicht mehr einsam sein! Es strampelte in den Wogen, die Gischt brach über ihm zusammen, immer und immer wieder. Irgendwann taten ihm die dünnen Ärmchen weh. Es bekam kaum noch Luft und musste die ganze Zeit das scheußliche, salzige Wasser schlucken. Das y wollte schon aufgeben, da tauchte vor ihm plötzlich die Küste auf. Mit letzter Kraft paddelte es auf das neue Land zu, ließ sich vom Ozean an den Strand spülen, und schlief dort vor Erschöpfung sofort ein.
Aufgeweckt wurde das y von der Wärme der Sonnenstrahlen, vom Rhythmus der Wellen und von aufgeregten Stimmen. Vorsichtig öffnete es ein Auge – und sah viele andere Buchstaben. Als sie merkten, dass das y aufwachte, stimmten sie ein Freudenlied an, das große H hob das y auf seine Schultern und sie trugen es zu ihrem Büro. Dort erklärten sie, dass sie sich sehr freuten, dass das y auf Besuch gekommen war – besonders, weil ihr eigenes y vor lauter Arbeit krank geworden sei. Und ohne ein y, sagten das t und das h im Chor, kann man im Englischen keinen normalen Satz sagen!
So wurde das y zu einem der meistgefragten Buchstaben. Bald hatte es so viel zu tun, dass es die ruhigen Stunden und das schläfrige x vermisste. Heimlich begann es sich ein bisschen nach seinem ruhigen Foyer zurückzusehnen, auch wenn es mit seinen neuen Freunden viel Spaß hatte.
Währenddessen war in Deutschland Verwirrung ausgebrochen. Denn da hatten Sbille und Jenn aus Baern bei einem Glas Wiske beschlossen, an Slvester in Ägpten Ponurlaub zu machen! Alle wuselten durcheinander und versuchten festzustellen, was da nicht stimmte.
Das s rief: „In einer Reihe aufstellen und durchzählen!“
Das a begann sofort: „eins!“, das b „zwei!“, und so fort, bis sich nach dem w („dreiundzwanzig!“) niemand mehr meldete. Das l flitzte los und kam kurz darauf mit dem x im Schlepptau zurück.
„Vierundzwanzig“, murmelte dieses schläfrig und döste gleich wieder ein. Das z hatte schon den Mund aufgemacht, aber natürlich meldete sich auch die fünfundzwanzig nicht.
Denn das y war ja weit, weit weg, in England, wo es in diesem Moment Teil einer Liebeserklärung wurde.
„I love you, Stephy“, hauchte es und hatte vor lauter Glück feuchte Augen.
„Das y fehlt also“, stellte das s bestürzt fest. „So ein Mist, ohne das y geht es nicht weiter …“
Und so schwärmten alle Buchstaben aus, um ihren Kollegen zu suchen.
Gerade als unser y im höchsten Glück war, klopfte ihm jemand auf die Schulter: „Hey, das hast du gut gemacht. Danke, dass du mich vertreten hast.“
Vor ihm stand … das englische y, das nun wieder ausgeruht war und weiterarbeiten konnte! Zwar boten die englischen Buchstaben dem y an, dass es bei ihnen bleiben könne, solang es wollte, aber y lehnte ab, da es starkes Heimweh bekommen hatte.
Zum Abschied feierten sie eine große Party am Strand mit vielen Lampions und lustigen Geschichten und schmuggelten y dann auf eine große Yacht, damit es nicht wieder schwimmen musste.
„Bye-Bye“, rief das sympatische o und winkte. Auch das e und das u sahen ihm noch lange nach. y stand an Deck und kämpfte mit seinen Gefühlen. Es war traurig, dass es seine neuen Freunde verlassen musste, aber es freute sich auch darauf, daheim von seinem Abenteuer zu erzählen!
Es staunte sehr, als es nach Hause kam und die ganze Aufregung bemerkte.
„Bitte komm sofort, wir brauchen dich!“, rief ihm das a entgegen. Sybille und Jenny aus Bayern konnten nun endlich bei einem Glas Whiskey ihren Sylvester-Ponyurlaub nach Ägypten planen. Und am Abend erzählte das y mit stolzen Augen von seiner Reise. Staunend hörten die anderen zu – eine Expedition zu einer fremden Sprache hatte noch nie jemand gewagt.
Das s meinte schließlich kleinlaut: „Sorry, es tut mir leid, ich war ein richtiger Tyrann.“
„Schon okay“, antwortete das y, und sie beschlossen, ab jetzt gut zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel, wenn es einmal Nachrichten aus Syrien geben würde.
Lange nach Mitternacht, als alle müde wurden, lud das x das y ein, bei ihm zu übernachten. Gemeinsam krochen sie in den gemütlichen Holzkasten des Xylophons, von wo man bald lautes Schnarchen hörte.