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Hang over
Jean-Pierre Witteborn, 46,5, ist ausgebildeter Grafiker. An der einstigen Grenze zwischen den damaligen Erb- und Erzfeinden geboren, in der herrlichen Landschaft des Oberrheins, ist er Alemanne mit Leib und Seele. Er betreibt mit großem Erfolg die einzige Sauerkraut-Boutique der Welt und ist als Sauerkraut-Missionar oft interkontinental unterwegs. Sein geschäftsfördernder Titel ist „ Premier Ambassadeur de vraie Choucroute“.
Die gestrigen und erfolgreichen Verhandlungen über die Integration elsässischen Sauerkrauts in die kongolesische Schulspeisung wurden im RED CROCOPHANT, Brazzavilles unseriöses Aushängeschild, ausgiebig gefeiert.
Verbürgt ist, dass die schwer angeheiterten Gäste in diverse Taxis und Pick-ups verladen wurden, als die Morgensonne schon ziemlich hoch am zentralafrikanischen Himmel stand.
Wenn Feuernebel mir die Sicht verspieren,
feurige Nebelschlieren danach gieren,
mich fassungs- und orientierungslos zu machen und mein Hirn verwieren,
wenn Granaten detonieren
als stechende Schmerzen in meinem Kopf und schwarze Männer mit Pfeil und Bogen und den aufgespießten Köpfen ihrer demzufolge unterlegenen Feinde den großen Fleischsuppenkessel mit dem immer seltener werdenden Regenwaldholz anheizen, wenn aus einem regenbogenfarbenen Iglu ein Zulumädchen im Naturkleid tritt und mir in meiner geliebten alemannischen Mundart die Geschmacksrichtungen all der bunten Iglueisbausteine erläutert, die hier von dressierten, bereits in ihrer Berufskleidung geborenen Pinguinen mit und ohne Waffel serviert werden – dann lechze ich nach Kühlung und Balsam für meine Wunden und entscheide mich für Mango, Melone und Caramel, weil diese zarten Farben so schön miteinander korrespondieren. Bon.
Doch sofort rufe ich den befrackten Kellner zurück. Gerade noch rechtzeitig fällt mir ein, dass die von mir gewählten Pastellfarben ihrer Zartheit wegen auf einen willensschwachen Menschen hindeuten könnten, der unsicher, unerwachsen – und wohl auch mit einem laxen Lebensgefühl und weichen Knien unterwegs ist.
Nein, ich bin eher der deftige Typ. Für Deutschland, pour la France. Ich brauche stärkere Farben: Blau (Schlumpf), Rot (Erdbeere) und Schwarz (Lakritz). Schon kommt der Herr Ober mit dem Gewünschten angewatschelt. Er muss hier wohl gut verdienen, denn ich registriere XL-Brillis auf seinen Schwimmhäuten. Das rotblauschwarze Eis mit etwas Blattgold stellt er auf mein Tischchen und plötzlich durchzuckt es mich ganz fürchterlich, eine Krampfattacke schüttelt mich durch und durch – wie in Murano beim Blasen bunten Glases verändern sich die schrillen Farben irrsinnig schnell, auch ihre Formen wechseln in hektischem Tempo. Heiß und Eis, Gänsehaut und Schweiß. Meine Augen brennen, meine Hände und Füße wollen sich von mir ablösen und ich behaupte frech, dieses grellbunte Zeugs nie im Leben bestellt zu haben – zu stark ist die optische Erinnerung an die tausend tropisch-schönen Cocktails der letzten Nacht: ‚Biss der Mamba’, ‚Dschungel-Pipi’, ‚Head off!’, gemixt aus dem Saft exotischer Früchte, Eiswürfeln aus Kongowasser mit Krokodilschuppen und gepanschtem Sprit.
Ich wimmere den Herrn Frackober auf Knien an, doch möglichst schnell dieses widerliche Farbspektakel zu entfernen. Viel lieber hätte ich jetzt etwas Neutrales, Unverfängliches, mit keiner schlechten Erinnerung Angereichertes.
Vanille vielleicht, dann noch Sour Cream und als drittes White Chocolate, bitte.
Jetzt aber packen mich zwei tonnenschwere Seeelephanten, die hier als Rausschmeißer engagiert sind, am Hals und hinten etwas weiter unten und ich lande dort, wo ich in dieser meiner Verfassung - following the Kongolesian Way - auch hingehöre: auf dem Müll, directement hinter dem Great-Brazzaville-Ice-Cream-Palace. Ein ausgewachsener Hang Over ist schlimmer als der Tod.