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Hanfkrawatten-Party, El Paso 1889
Ich habe Angst, niemand darf es bemerken! Ist das Seil am oberen Querbalken richtig festgemacht worden, wird es halten?
Viertausend Menschen zu diesem öffentlichen Schauspiel? Rancher, Cowboys, Ehrenmänner mit ihren Frauen und Kindern. Alle starren sie hinauf, zum Galgen, warten, lechzen, ihr Blutdurst soll gestillt werden. Ersehnen den Todessprung, zwölf Fuß tief, mit einem jähen Halt.
In Lee County, einem kleinen Nest, knapp dreißig Meilen von hier, hängte man vor kurzem einen Pferdedieb. Das Seil war nicht richtig befestigt worden, rutschte nach. Die Füße des Opfers berührten den Boden, der zuckende Körper pendelte hin und her. Zuschauer eilten zum Galgengerüst, hoben den Unglückseligen vom Boden, hievten ihn erneut auf die Plattform. Sheriff und Deputy zogen das Seil straff, knoteten es fester; die Prozedur konnte von neuem beginnen. Eine zweite Chance zum Sterben, er nutzte sie, nach neun Minuten!
Tausende versammeln sich an diesem heißen Sommertage, schwitzen in der Mittagshitze, kühlen mit feuchten Tüchern ihre Stirn und hoffen auf die Tat es Henkers. Sie gafft, die Menge. John Rollin Ridge soll am Galgen hängen, bis der Tod eintritt. “Hängt ihn doch endlich auf den Mörder! Lasst ihn baumeln!“ Der Volkszorn entlädt sich, viel Lärm, lautes Geschrei, aufgestaute Aggressionen finden ihr Ventil. Volksfeststimmung
Die Angst, ich spüre sie in mir aufsteigen, wie sie nagt, wie sie hämmert. Die Hanfschlinge, wird sie halten? Es muss schnell gehen. Gebrochenes Genick, nichts anderes zählt! Eine Hinrichtung ist Chronistenpflicht. Man wird mich beobachten, mir Zeilen widmen, meine Nerven dürfen nicht versagen!
Das Volk wird ungeduldig, es schimpft, will Gerechtigkeit. Ich blicke in Gesichter voller Hass, spüre ihren Rachedurst, ihr Verlangen nach der Marter, bin gekommen, um sie zu befriedigen. Ich sehe ein kleines Mädchen mit verstörtem Blick! Geschieht hier ein Unrecht? Nein, ihre Mutter lacht. Sehe die vor Wut Schäumenden, die ihre Faust empor heben, dem Todgeweihten drohen, ihrem Zerstörungstrieb freien Lauf lassen, sehe…meine Frau! Meine kleine Mary. Sie steht zwischen den Gröhlenden, in einer der vorderen Reihen, gibt mir ein Zeichen, sie lächelt, macht mir Mut.
„Mary, du hier!“, denke ich.
Die Frau, die ich liebe ist gekommen, um mich zu sehen! Das mutet sie sich,…das mutet sie mir zu.
Ich möchte keine Schwäche zeigen. Halte durch! Ein, zwei Minuten, dann ist´s vorbei. Wird schon alles gut gehen!
Endlich! Sheriff, Deputy und Richter steigen das Schafott hinauf.
„John Rollin Ridge, Sie sind zum Tode durch den Strang verurteilt, werden am Halse aufgehängt, Gott sei Ihrer armen Seele gnädig! Henker walte deines Amtes!“ Die Anordnung des Richters ist kurz und eindeutig, wozu viele Worte?
Die Angst ist unerträglich, lähmt mich fast! Wenn die Gewichte an den Füssen zu schwer sind, schneidet das Seil derart tief in den Hals,…dann droht die Enthauptung! Das darf nicht passieren!
Was wird Mary denken? Mein Blick wandert zu ihr, sie lächelt!
Plötzlich verstummt des Volkes Stimme, es wird still, Schweigen.
Der Richter nickt, das Zeichen den Hebel um neunzig Grad nach oben zu ziehen. Die Falltür öffnet sich, der Körper saust nach unten, ein lautes Knacken. Das Genick ist gebrochen!
Die Menge stöhnt auf. Stille. John Rollin Ridge hängt schlaff am Seil, kein letztes Zucken im Todeskampf.
Nachdem der Arzt den Tod festgestellt hat, beginnt der Jubel. Die Menschen fallen sich um den Hals, rufen: “Rollin Ridge ist tot!, Rollin Ridge ist tot!“ Sie tanzen, hüpfen umher, klopfen sich auf die Schenkel, lachen und winken dem Henker zu. Richter und Sheriff beglückwünschen sich, gratulieren dem Scharfrichter, loben ihn für seine Tat. Mary kämpft sich durch die Zuschauer, hastet die Stufen des Schafotts hinauf, küsst und umarmt ihren Mann.
„Ich wusste, dass du es schaffst! Ich wusste es, ich freue mich so sehr für dich, es war wichtig, dass du diese erste Prüfung bestehst. Bravourös, mein Lieber!"
Ihr Mann lässt sich feiern, in der Gewissheit, eine lange Amtszeit stehe ihm bevor. Vorbei die Anspannung, verflogen die Aufregung.
„Ach Mary, ich hatte solche Angst, es würde nicht recht klappen, aber jetzt bin ich so glücklich, ich habe alles richtig berechnet, könnte die ganze Welt umarmen und natürlich dich, Mary ich liebe dich!“
„Ich liebe dich auch, du, mein kleiner tapferer Held!“