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Thema des Monats Hammerschlag

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04.02.2007
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Hammerschlag

„Janai! Janai, warte! Bleib stehen!“ Der Schmied hörte die Rufe seiner Frau zwischen den Schlägen des Hammers. Holgur hielt inne. Lenne stand am Tor. Sie schaute sich um und lief auf ihren Mann zu.
„Janai ist weggelaufen. Sie ist unbedeckt.“ Tränen standen ihr in den grünen Augen.
„Dummes Kind!“ Er riss den Hammer aus dem silberfarbenen Metall. Reste davon bleiben an der Schlagfläche kleben. „Sie weiß es doch genau.“ Der kräftige Mann wies auf das Wohnhaus. „Geh hinein! Ich suche sie.“
Lenne legte ihre Hand auf seinen Arm. „Sei vorsichtig!“
Er strich ihr über die bloße Wange. Sie konnte das Lächeln unter seiner schlichten Maske nicht sehen, doch sie erwiderte es.
Holgur schritt auf die Straße hinaus. Seine Tochter war nicht zu sehen. Er blickte in den Himmel hinauf, aber derzeit schien keine Gefahr zu drohen. Lenne hatte dorfauswärts geblickt, also schlug Holgur diesen Weg ein. Er trabte an den Häusern von Torge und Gernot vorbei, dann ging das unebene Pflaster in fest gestampfte Erde über. Den Hammer schob er hinter das Schnürband seiner Lederschürze.
Selten wendete Holgur den Blick von dem Wald ab, der sich linker Hand entfaltete. In den Stoppelfeldern auf der rechten Seite würde er das feuerrote Haar, das Janai von ihrer Mutter geerbt hatte, nicht übersehen.
Die Sonne stand tief über den Buchen. Holgur kniff die Lippen zusammen. Er musste den Rohling für eine Maske fertig stellen. Der Maskenmacher war kein geduldiger Mann. Wenn die Maske nicht rechtzeitig… – Holgur blieb stehen und schlug sich auf den Schenkel.
„Ich Narr! Warum habe ich ihre Maske nicht mitgenommen?“ Zügig suchte er den Horizont ab, dann warf er einen Blick zurück zum Dorf. Er verharrte unschlüssig. Ein Aufschrei, gefolgt von einem Platschen. Holgur rannte den Weg entlang, fort vom Dorf, den Geräuschen entgegen, eine Steigung hinauf.
Auf der anderen Seite des Hügels watete Janai aus dem Fluss. Ihr leinenes Kleid triefte. In ihrem Gesicht vermischte sich das aus dem Haar tropfende Wasser mit Tränen. Sie streckte die Arme nach ihm aus: „Vater, Vater!“
Holgur eilte dem Mädchen entgegen. Schluchzend schlang es die Arme um ihn. Er streichelte einige Augenblicke das Haar seiner Tochter. Dann hockte er sich nieder und fasste sie bei den Schultern. „Janai, du weißt doch, dass du ohne Maske nicht das Haus verlassen darfst!“
Seine Tochter zuckte zusammen, dann schob sie das Kinn vor. „Blöde Maske. Die zieh ich nicht mehr an. Die macht müde und Kopfweh!“
„So ein Quatsch. Dass ist nur eine Maske. Die macht gar nichts. Außer, dass sie dich schützt.“
Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Wohl doch macht die müde!“
„Na, du musst es ja wissen. Und was wolltest du am Fluss?“
„Ich wollte zur Burg. Dem Grofen sagen, dass er machen soll, dass die Mortai weggehen. Damit die Masken weg können.“
„Der Graf wird bestimmt auf dich hören. Besonders wenn du ihn Grof nennst.“
„Grof, Graf, Blaf!“
„Das reicht!“ Er drehte sich um. An die Hand genommen, ließ sich Janai mehr mitzerren als dass sie ihrem Vater freiwillig folgte.
An der Kuppe des Hügels blieb Holgur so abrupt stehen, dass das Mädchen gegen sein Bein taumelte. Das Schimpfen, zu dem sie ansetzte, blieb aus. Vor ihnen auf dem Weg lauerte ein Mortai. Vater und Tochter rührten sich nicht.
Der grüngefiederte Kopf des Mortai schwang hin und her. Unter den trüben Augen zuckte eine Zunge, dick und lang wie Holgurs Arm, aus dem schnabelähnlichen Maul. Der Mortai drehte Janai den Kopf zu und fauchte. Dutzende fingergroße Stacheln richteten sich zu einem Kamm auf, der von der Stirn des Wesens über seinen schlanken langen Hals und den Rücken verlief. Er endete an der Stelle, an der der massive, meterlange Körper sich in zwei bienenähnliche Hinterleiber teilte. Das Monster schnappte nach dem Kind.
Holgur stieß seine Tochter zur Seite, den Hügel hinunter. Er riss sich seine Maske vom Gesicht. Schreiend sprang auf und ab. Der Kopf des Mortai fuhr züngelnd zu ihm herum. Der Schmied warf dem Mädchen die Maske zu.
„Setz sie auf und lauf in den Wald!“. Janai reagierte nicht. „Mach schon! Los!“
Unterstützt von den krallennbewehrten, lederartigen Schwingen machte der Mortai mit seinen sechs Stummelbeinchen einen Satz nach vorne. Holgur wich aus. Er stolperte und rollte den Hügel hinunter, fort vom Wald, in den Janai jetzt floh.
Holgur stemmte sich hoch und rannte in Richtung des Flusses. Zum Dorf durfte er den Mortai nicht führen. Vielleicht würde die Burg des Grafen ihm Schutz bieten.
Selbst am Boden war das Monster zu schnell für ihn. Ein Schlag in den Rücken schleuderte Holgur meterweit durch die Luft. Nach mehreren Überschlägen blieb er im Gras liegen. Eine schmerzende Hüfte erinnerte ihn an den Hammer, der in seinem Schürzengurt steckte.
Im Hochkommen zog er ihn heraus, bereit sich auf seinen übermächtigen Gegner zu stürzen. Der schwang seinen Schädel gegen den Körper des Mannes und Holgur fand sich keuchend am Boden wieder. An Aufstehen war nicht zu denken, also kroch er dem Fluss entgegen. Der Boden bebte, als der Mortai mit einem gewaltigen Satz heran sprang.
Holgur drehte sich auf den Rücken und schwang blindlings den Hammer, ohne dem Monster nahe zu kommen.
Der Mortai hob den Kopf weit hinauf und fauchte mehrmals. Holgur fühlte sich von dem Wesen verspottet.
„Genug!“ erklang eine sonore Stimme vom anderen Flussufer. Dort stand ein Mann, in feines Tuch gehüllt mit dem Vogelwappen des Grafen auf der Brust. Eine reich verzierte Maske bedeckte sein Gesicht. Seine linke Hand ruhte entspannt auf dem Knauf eines Langschwertes.
„Du!“ Seine in einem Stulpenhandschuh steckende Hand deutete auf den Mortai. „Verschwinde!“
Das Untier schwenkte züngelnd seinen Kopf und kroch dem Neuankömmling entgegen. Der Bewaffnete wich nicht.
„Mach, dass du wegkommst!“ Abweisend schlug er mit dem Handrücken durch die Luft.
Fauchend hob der Mortai die Brust bis er auf den beiden hinteren Beinpaaren stand. Seine Flügel schlugen kräftig. Er hob ab und gewann rasch an Höhe. Lauernd umkreiste er die Gegend der Furt.
Ein Räuspern lenkte Holgurs Aufmerksamkeit zurück auf den Boden. Unbemerkt hatte der Krieger den Fluss durchquert und stand dicht hinter ihm. Holgur kniete vor ihm nieder.
„Danke Herr, dass Ihr mich gerettet habt.“
„So würde ich das… Ach, sieh an!“
Der Schmied blickte über die Schulter. Janai hüpfte auf sie zu. Die zu große Maske baumelte vor ihrem Gesicht hin und her.
„Meine Tochter, Herr!“ Er lief ihr entgegen und hob sie hoch. Als er sich zu dem Fremden umdrehte, stand dieser wieder direkt hinter ihm. Holgur stockten die Worte im offenen Mund.
„Bist du der Grof?“ nutzte Janai die Stille. „Du hast den Mortai verscheucht.“
„Ich habe ihn nicht verscheucht.“ Sein Blick wanderte von Janai zu Holgur. „Ich benötige lediglich seine Dienste derzeit nicht.“
„Dienste?“ Mit gerunzelter Stirn blickte Holgur sein Gegenüber an.
„Genau. Mit euch beiden werde ich alleine fertig “
Sein Arm schnellte vor. Die offene Handfläche versetzte dem Schmied einen Stoß gegen die Brust. Der Hammer flog davon. Vater und Tochter schlugen mit den Köpfen gegeneinander. Janais Geschrei verstummte, ihr Körper erschlaffte. Bevor Holgur sich Gedanken über seine Tochter machen konnte, war der Gegner über ihm. Der Schmied rollte sich zur Seite und entging dem Stiefel, der sich dort in den Boden bohrte, wo sein Oberkörper gelegen hatte.
Holgur hob den Kopf. Der schweren Schmiedehammer lag nur anderthalb Meter entfernt. Alle Reserven einfordernd hechtete er zu seinem Werkzeug. Er schwang es über den Kopf und platzierte einen Schlag auf das sechsbeinige Wappentier, das auf der Brust des Maskierten prangte. Holgurs Arme zitterten, als hätte er mit aller Kraft auf seinen Amboss geschlagen.
Der Getroffene schrie nicht. Er taumelte nicht. Er warf seinen Kopf in den Nacken und lachte.
Der Handrücken des Gegners warf Holgur erneut zu Boden.
Er keuchte. Ihm fehlte die Kraft, die Augen zu öffnen. Es sollte vorbei sein.
„Vater?“ Janais schluchzende Stimme. Holgur sammelte sich. Seine Tochter versuchte, sich aufzurichten. Dann trat der Kämpfer in sein Blickfeld.
„Es ist vorbei, Gewürm!“ Finger für Finger zog er einen Handschuh aus. Zentimeterlange Krallen wuchsen aus den haarigen Fingern und senkten sich gegen den Hals des Dorfbewohners.
Holgur hob den Hammer. Für einen Schlag reichte seine Kraft nicht. Das Werkzeug wankte, drohte, Holgur aus der Hand zu fallen. Beiläufig griff sein Gegner nach dem Hammer und bekam dessen Kopf zu fassen. Seine Finger, dann der Arm, schließlich der gesamte Körper verkrampften sich. Blaue Funken umzüngelten den Hammer dort, wo die Metallreste aus der Schmiede die Haut berührten. Sie vereinten sich und schossen himmelwärts wie ein Geysir. Die Krallen zersplitterten. Schreiend sackte das Wesen über Holgur zusammen.
Mit jedem Atemzug musste seine Brust das Gewicht des Gefallenen stemmen. Doch er zögerte, den fremden Körper zu berühren, fürchtete, dass das Monster zu neuem Leben erwachen würde.
Janai torkelte auf ihn zu. Sie blieb stehen, den Kopf in den Nacken gelegt. Holgur folgte ihrem Blick. Der Mortai stieß auf sie herab.
Hektisch rollte er den Körper zur Seite und hockte sich hin. Er riss seinem besiegten Gegner die Maske vom Kopf. Eine rissige Fratze blickte ihn an. Die Nase war flach und breit, der Mund kreisrund. Für Neugier oder Abscheu blieb keine Zeit. Holgur führte die Maske vor sein Gesicht. Es war keine Maske, an der er gearbeitet hatte. Die innere Schicht bestand aus einem goldenen Metall, nicht aus dem silberfarbenen, das er vom Maskenmacher bekam. Doch die Farbe des Metalls scherte ihn nicht, er wollte sich vor dem Mortai schützen.
Holgur setze die Maske auf. Und dann sah er. Er fühlte. Und er verstand. Verstand alles.
Er sah über das Feld zwischen Fluss und Wald hinaus, auf dem der Kampf stattgefunden hatte. Er sah mehr als den toten Körper und das kleine Mädchen.
Er sah den Strahl blauen Lichtes, der aus Janais Maske auf ihn zu floss. Er sah die Strahlen, die aus dem Dorf kamen. Sie verästelten sich, suchten teilweise die Maske, die er jetzt trug. Andere folgten dem Weg hinüber zur Burg, wo sie in die Masken seiner neuen Brüder flossen.
Er sah jeden Menschen im Dorf, sah ob er seine Maske trug oder nicht. Er sah den Mortai hinter sich, der seinen Sturzflug abbrach und mit kräftigen Schlägen an Höhe gewann.
Er fühlte die Kraft, mit der der Strahl ihn versorgte. Die Macht, über die er verfügen konnte.
Und er verstand, dass die Herde hiervon nichts wissen durfte. Dass sie nicht wissen durfte, wie sie gemolken wurde. Dass es keine Zeugen geben durfte für diesen Vorfall.
Er hob den Hammer auf, ging zu dem Menschenkind hinüber und holte aus.

 

Hallo Teetrinker,

Maskenträger in den letzten Minuten - sozusagen ;)

Ein paar Kleinigkeiten:

„Geh hinein, du trägst deine auch nicht. Ich suche sie.“

Hier würde ich mir irgendwo ein Rufzeichen vorstellen.

Selten wendete Holgur selten den Blick von dem Wald ab

Mit diesem Satz stimmt irgendetwas nicht - auf alle Fälle müsste ein "selten" zuviel sein.

Eine schmerzende Hüfte erinnerte ihn an den Hammer

Die schmerzende Hüfte ... So viele wird er ja doch nicht haben? Oder?

Hechelnd hockte Holgur da

Hechelnd finde ich ein wenig unpassend, eventuell keuchend.

Er keuchte.

Ah, verstehe, Gefahr der Wortwiederholung. Hier könnte durchaus berechtigt auch "schluchzte" stehen

Gegener

Gegner

Nette Geschichte. Man merkt, dass du eher in der SF zuhause bist, aber das ist nichts schlechtes. Science Fantasy ist o.k. und kann ohne weiteres Horror-Elemente enthalten. Für mich ist deine Geschichte dennoch eher Fantasy als Horror, aber mM ist nicht unbedingt relevant :D
Mit deinem Schreibstil hatte ich allerdings so meine Probleme. So manches wollte mir nicht so recht zusammenpassen. Das kann allerdings ohne Weiteres auch nur meinem persönlichem Geschmack zulasten gelegt werden.
Nichts desto Trotz: Nette Geschichte

lg
lev

 

Hallo Lev,

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.
Einige Kleinigkeiten hast du ja berechtigterweise aufgezählt. Ich muss gestehen, dass mir nach dem Einstellen der Geschichte aufgefallen ist, dass noch ein Korrekturdurchgang aussteht. Den werde ich natürlich so bald wie möglich nachholen.

Dass die Geschichte eher Fantasy als Horror ist, war auch mein größtes Bedenken. Aber gerade im phantastischen Bereich empfinde ich die Grenzen oftmals als fließend. Und die erste Idee, die ich zum Thema "Masken" hatte, war die einer Gesellschaft, in der man nur mit Maske bedeckt in die Öffentlichkeit gehen darf, da man sich vor Monstern schüzten muss. Zu dieser Idee fand ich keine plausible Umsetzung in einem zeitgenössischen Horrorsetting.

Mir ist allerdings noch nicht ganz klar, was du als den Science-Einfluss in der Geschichte ansiehst. Könntest du dazu vielleicht noch was sagen?

Was den Schreibstil angeht, bin ich selbst noch am Probieren und Suchen. Da bin ich für jeden Hinweis dankbar. Immerhin ist dies (zusammen mit der anderen drüben in der SF-Ecke) die erste Geschichte, die ich seit fast zehn Jahren geschrieben habe.
Vor dem Hintergrund bin ich mit deinem Fazit schon sehr zufrieden :)

Viele Grüße,
Teetrinker.

 

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