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Hamburg Marathon 2002

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07.08.2003
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Hamburg Marathon 2002

Am Sonntag um 9:00 Start zum Lauf. Wie üblich konnte ich vorher nicht schlafen, keine Autosuggestion, keine Meditation half, ich war mit den Gedanken schon auf der Strecke. 3 hastig geleerte Gläser Rotwein sorgten dann für die nötige Betäubung.
1/2 6 aufstehen, Frühstücken, Klamotten checken, Wetterbericht hören. Es sollte sonnig werden, deshalb noch ne Lage Sonnencreme auftragen, zusätzlich Sack pudern und Brustwarzen pflastern.
Am Start ist Nebel, 6 Grad, ich steh im kurzen Laufhemd und kurzer Hose unterm Fernsehturm und frier. Zum Glück kann ich eine blaue Mülltüte auftreiben, daraus mache ich mir nen schicken Überzug.
Die ersten 6-7 km suche ich mein Tempo, was gar nicht so leicht ist, bei der Masse an Läufern. Dann bin ich im Trott, es "läuft", 5:05 - 5:10 min / km, perfekt. Mir ist nicht mehr kalt, den anderern offenbar auch nicht: auf und neben der Strecke finden sich Sportklamotten, dass einem die Tränen kommen: Jacken, T-Shirts, Handschuhe... mein Nachbar schwört, vorhin auch ein Paar Socken gesehen zu haben.
Wir sind durch Altona durch, und laufen nun auf der Elbchaussee wieder Richtung Innenstadt. Immer noch Nebel auf der Elbe, man hört die großen Pötte tuten, sieht aber rein gar nichts; auch für mich mal was Neues. Viele frühstücken an der Strecke und feuern die Läufer an. Mit fortschreitender Zeit werden auch die Zuschauer zahlreicher, die Stimmung besser. Auf der Palmallie dann die erste Band: Punkrock und das nicht zu leise. Das macht Laune. Ich freu mich auf das schönste Stück: den Fischmarkt. Hier läuft es mir jedesmal kalt den Rücken runter, was hier an Stimmung geboten wird ist wirklich unglaublich. Noch dazu ne Samba Band mit wirklich schönen Tänzerinnen. Weiter Richtung Rödingmarkt, hier stehen Massen von Leuten. Es ist zwar immer noch kalt, aber ich laufe wie von selbst, bin völlig im Gleichgewicht, sozusagen symmetrisch. Seid willkommen Endorphine, Adrenaline ! Km 15, der Tunnel am Hauptbahnhof, hier ist kein Zuschauer, niemand, und doch geht hier erst recht die Post ab: Laola hin und zurück, Gesänge, Sprechchöre... unglaublich, sind die Leute fit neben mir, ich spare meine Luft fürs Laufen. Dann kommen wir aus dem Tunnel und die Sonne strahlt !
Auf dem Jungfernstieg piept's neben mir, ne Starwars-melodie. Da hat doch tatsächlich einer sein Handy mit! Ich bin sprachlos ! Fehlt nur noch, dass er jetzt Aktien ordert !
Rund um die Außenalster, rechts durch Harvestehude nach Barmbek. Alles im Lot, ich fühl mich super. An der Saarlandstr. wartet Sabine, wir tauschen eine Flasche Apfelschorle und Kohlehydratgel gegen einen salzigen Kuß. Halbmarathon, 21,1 km, 1:45, so schnell war ich noch nie im Wettkampf, und ich fühle mich noch gut. Weiß aber gleichzeitig, dass das nicht so weitergehen wird. Die Sonne brennt, es wird deutlich wärmer. Wenn man den ganzen Winter trainiert hat, ist das irgendwie ungemütlich, ich schwitze mehr, brauche mehr Wasser. Jetzt will ich meine Brühe, den ganzen Winter habe ich experimentiert, nur um fest zu stellen, dass das teuerste Wundermittel gegen einen Suppenwürfel nicht an kommt. Km 25, Rübekamp, Lutz ist nicht da. Scheiße. Bin wohl zu schnell gewesen. Warten ? Kein Gedanke, in Ohlsdorf steht Melanie mit noch einer Flasche.
Letztes mal habe ich auf diesem Stück Magenkrämpfe bekommen. Locker bleiben, das ist lange her, diesmal bist Du topfit. In Ohlsdorf finde ich Melanie nicht, wieder keine Brühe, das ist nicht gut, denn jetzt fängt der Lauf erst richtig an. Km 35: ich horche in mich rein, keine Schmerzen aber ich spüre etwas anderes, etwas unbehagliches, die Beine werden schwerer, der Atem kürzer und schneller, Puls ist auch zu hoch.
Ein Blick auf die Uhr: nur noch 6:00 min pro km, das sieht nicht gut aus, das ist die "Wand" durch die sie alle durch müssen, jetzt tut's gleich weh. Wo bin ich eigentlich, wie viel ist 42-35, das ist 6 oder?
Das Blut transportiert nur noch Sauerstoff zu den Muskeln, das Gehirn wurde die ganze Zeit nicht gebraucht, jetzt bekommt es auch weniger Sauerstoff ab. Leichter Tunnelblick, nix Ernstes.
Km 36, 6:20 min das gibt's doch nicht, werd' ich immer noch langsamer? Steht das Schild da falsch, ich werde immer öfter überholt, da sind meine Eltern : huhu! Sie sehen irgendwie besorgt aus, was soll's, noch etwas mehr als eine Stadtparkrunde, das schaffe ich locker,
locker bleiben,
nicht krampfen,
Krampfadern,
Blut,
Blut und Wasser schwitzen,
Salz auf meiner Haut,
NaCl,
Mineralstoffe,
Gemüsebrühe,
hätte besser klappen können,
wo war Melanie,
hat gestern bestimmt wieder gefeiert und kommt jetzt nicht aus den Federn,
ein federleichter Schritt nach dem anderen.
Km 40, nanu, ich weiß gar nicht mehr, wie ich hier her gekommen bin, Blackout ? Egal, der Schmerz ist nicht mehr da, der Rest ist einfach, die Zuschauer tragen mich weiter, ich "fliege" mit 6:00 min/km ins Ziel. Rechts am Rand
steht ein Rettungswagen, mit Decken wird jemand abgeschirmt. Die Uhr zeigt 3:48, das ist genau meine Zeit, ich will jubeln und kann nicht, mit einem stummen Schrei werfe ich die Arme hoch. Gleich im Ziel gehe ich zum Bierstand und verschlucke 2 Pils. Das ist das einzige
Getränk, das mein Magen bei sich behält.
Jemand erzählt mir, dass der Rettungswagen nicht mehr viel ausrichten konnte, der Läufer war 19 Jahre alt und ist 200m vor dem Ziel gestorben. Ich bin nicht in der Lage, die
Nachricht emotional auf zu nehmen.
Lutz war genau da, wo ich ihn haben wollte, wir haben uns nur nicht gesehen, Melanie stand auf der falschen Straßeneite. Wenn das nächste Mal alles klappt, sind vielleicht 3:30 drin.

 

:crying: Wie denn, gar keine Reaktion ? Liebe Gemeinde, spottet :fluch: , lobt :thumbsup: , zerfleischt :messer: , lacht :lol: oder vergöttert :huldig: mich ! Nur ignoriert :whocares: mich nicht !

 

Hallo Olli,

dein Text ist lebendig geschrieben, und man kann sich gut in den Lauf deines Protagonisten hineinversetzen, sodass er überzeugend beim Leser ankommt.
Etwas störend empfand ich allerdings die Zahlenwerte.

Das Ende mit Lutz und Melanie, die beide nicht an der erwarteten Stelle waren, sowie den folgenden Satz

Lutz war genau da, wo ich ihn haben wollte
verstehe ich aber nicht.
Wer war eigentlich in dem Rettungswagen? Lutz?

Viele Grüße,

Michael :)

 

Moin Michael,
danke für Deine Kritik.

Etwas störend empfand ich allerdings die Zahlenwerte.
Nunja, wie bei jedem Sport sagen die Zahlen deutlich etwas über den Zustand / Leistung aus. Wer selber mal gemessen hat, wie lange man für einen Kilometer braucht, kann damit sicher etwas anfangen. Aber vielleicht sollte ich eine andere Ausdrucksform finden. Nur welche, Zahlen sind das einzige, an das man denken kann.
Wer war eigentlich in dem Rettungswagen? Lutz?
Oha, nein, nicht doch. Lutz sollte mir ein Getränk reichen, wir hatten einen Treffpunkt ausgemacht und uns verpaßt. Gestorben ist ein mir unbekannter Läufer.

<Brot und Spiele>

Gruß

Olli

 

Hallo Olli,

da ich selbst zweimal den Hamburg Marathon gelaufen bin, habe ich deine Geschichte mit großem Interesse gelesen. Du verstehst es sehr gut die Atmosphäre, die während des Laufes an der Strecke herrscht, zu beschreiben. Wovon ich gerne mehr gelesen hätte, wären die inneren Prozesse, die vielen kleinen Filme, die Selbstgespräche gewesen. Also wenn du Lust hast mal etwas in dieser Richtung übers Laufen zu schreiben, ich würde es toll finden.

Herzliche Grüße,
storyteller

 

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