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Haltlos
Er drückt meine Hand, um sich vorzustellen, und zieht mich zu sich heran. Ich sehe den dünnen Schweißfilm, der glänzend sein Gesicht überzieht.
„Grüß’ Sie, Schlierhoff mein Name, wir haben telefoniert.“
Lächelnd trete ich einen Schritt zurück.
„Hallo Herr Schlierhoff, ich bin Klara Behrends.“
Er runzelt die Stirn. Flüchtig huscht sein Blick von seinen Füßen zu meinen, als würde er die Entfernung abmessen. Ohne mich noch einmal anzusehen, dreht er sich um. „Na, dann wollen wir mal.“ Er läuft auf das Hochhaus zu.
Es ist nicht besonders schön hier, aber das macht nichts. Immerhin ist es ruhig.
In unserer alten Wohnung war es laut. Max sagte immer, mitten in der Stadt zu wohnen sei das Beste. Etwas anderes könne er sich nicht vorstellen. Bars vor der Tür, Einkaufsläden um die Ecke, pulsierendes Leben. „Die Großstadt atmen“, nannte er es. Ich habe sie tief eingeatmet.
Max und ich waren ständig unterwegs, trafen uns mit Freunden, stritten uns und verschlangen einander. Wir waren verliebt, schätze ich. Ineinander, in den Trubel. Ich zog auch ohne ihn los. Durch die Clubs, getrieben von dröhnenden Bässen. Tanzte bis es hell wurde. Dass diese Nächte auch mal endeten, gefiel mir nicht. Ich dehnte sie aus, landete in Schuppen, die weitermachten, wenn die anderen schlossen. Küsste andere Männer.
Dann hat Max mich rausgeschmissen. Mit einer Schlampe wie mir wolle er nicht länger zusammen sein. Er hat so laut gebrüllt, unter uns gingen schon die Wohnungstüren auf. Ganz leise, damit wir es nicht mitkriegten, aber in Altbauten quietscht und knarrt eben alles. Der Flur war übersät mit meinen Sachen. Als letztes schmiss er mir meinen Reisekoffer vor die Füße. Im ersten Moment war ich verblüfft. In Filmen machen das immer nur Frauen.
Ich mustere den Makler, als er vor mir in den zweiten Stock hinaufsteigt. Sein Gang ist schwerfällig. Er riecht nach einem dieser Männerparfüms, die in der Nase brennen. Ich sehe auf meine Hand hinunter und wische sie an der Hose ab. Als ich wieder aufblicke, steht er direkt vor mir. Erschrocken zucke ich zusammen und laufe fast in ihn hinein. Meine Brust streift seinen linken Arm. Er lächelt.
„Da wären wir.“ Er schließt die Tür auf und bittet mich herein. „Hier rechts haben Sie das Badezimmer mit Dusche, ohne Fenster, aber dafür eine gut funktionierende Lüftung.“ Ich schalte das Licht ein. In der Dusche wächst Schimmel. In der Ecke, ein winziger schwarzer Fleck. Es riecht muffig.
„Hier in den Flur können Sie eine Kommode stellen oder einen Schuhschrank, Platz ist da. Und hier …“, er öffnet eine Glastür, die von dem dunklen engen Flur in den nächsten Raum führt, „… haben wir Schlafzimmer, Wohnzimmer, Esszimmer und Küche in einem.“ Er lacht. Ich schaue mich um.
Der Raum hat nur ein Fenster. Direkt davor steht ein großer Baum, dessen buschige Krone die Lichtstrahlen einfängt. An der Wand ist eine Kochnische installiert. Die Schränke waren einmal weiß, nun überzieht sie ein gelblicher Schleier. Zwei Kochplatten, eine Spüle, der Wasserhahn tropft. Ich denke wieder an den Schimmelfleck. Stelle mir vor, wie er wächst und die Wände der Wohnung schwarz färbt. Die Luft ist feucht, ich fahre mir mit der Hand über die Stirn. Es ist zu düster hier, zu klein. Das Zimmer erinnert mich an eine Höhle. Der graue PVC-Boden hat Dellen und Flecken. An der rechten Wand steht ein gammliges Schlafsofa. Der Makler folgt meinen Blicken.
„Die Couch würde in der Wohnung bleiben. Aber Sie sagten ja, Sie haben kaum Möbel, dann ist das vielleicht ganz praktisch, oder?“ Er leckt sich mit der Zunge über die Lippen. „Frisch getrennt?“
Ich nicke. Drehe mich von ihm weg und starre aus dem Fenster. Auf einem der Äste des großen Baums sitzt ein Spatz. Er putzt sein Gefieder mit hektischen kleinen Bewegungen.
Seit Wochen stelle ich mich in Schlangen an, die sich durch Treppenhäuser nach oben winden. Manchmal fangen sie sogar schon auf der Straße an. Nervöse Menschen mit Selbstauskünften in den Händen, einige haben Anzüge an und Bewerbungsmappen dabei. Ich verschmelze mit ihnen, werde gesichtslos. Die kurzen Gespräche mit den Vermietern sind verkrampft. Man spürt die Verzweiflung, mit der alle um die Gunst des Eigentümers kämpfen.
Auf dem Weg zu Maja rede ich mir jedes Mal ein, dass es gut gelaufen ist. Sitze bei ihr am Küchentisch und starre auf mein Handy. Es klingelt, ich drücke es ans Ohr und spüre ihren erwartungsvollen Blick auf mir ruhen. Wenn ich dann mal wieder mit dem Kopf schüttle, legt sie mir ihre Hand auf die Schulter und lächelt mich an. Aber ich sehe ihren unruhigen Blick, während sie sich morgens Kaffee macht und ich mein Bettzeug von ihrem Sofa räume. Ich türme meine Sachen auf einem kleinen Haufen neben der Couch, damit sie nicht im Weg sind.
„Na, was sagen Sie?“ Der Makler schaut auf die Uhr. Er geht einen Schritt auf mich zu und wedelt mit einem Zettel vor meiner Nase herum. Sein Atem riecht säuerlich nach Kaffee. „Die Selbstauskunft hatten Sie mir ja bereits geschickt. Warm kostet die Wohnung sechshundert Euro, dazu kommt ein Stellplatz für fünfzig Euro.“ Er sieht sich um, als erwarte er jemanden. „Die nächste Interessentin kommt gleich, aber wenn Sie mir zusagen und wir …“, er kommt noch näher, „… vielleicht ein kleines Abkommen treffen, dann kann ich ein gutes Wort für Sie einlegen.“ Er zwinkert mir zu und mir wird schlecht.
Ich konzentriere mich auf meine Stimme. Sie darf nicht zittern. „Was denn für ein Abkommen?“
„Nennen wir es doch einen kleinen Bonus für mich, damit ich die Eigentümerin von Ihnen überzeuge.“ Er steckt mir einen Zettel zu. Für einen kurzen Moment streicht er mit dem Finger über meine Hand. Die Härchen auf meinem Unterarm stellen sich auf, während er Richtung Wohnungstür schlendert. Ich starre auf das Stück Papier. Blut steigt mir in den Kopf. Ich falte das Blatt auseinander. Da steht eine Summe. Fünfhundert Euro. Schlagartig fühle ich mich zehn Kilo leichter. Ich sollte wütend sein. Empört. Aber ich bin erleichtert.
„In Ordnung“, sage ich. Meine Stimme hallt durch den leeren Raum. „Aber wie kann ich denn sicher sein ..."
„... dass Sie die Wohnung wirklich bekommen?" Der Makler dreht sich zu mir um. „Ich würde sagen, die Details besprechen wir dann heute Abend. Sie gehen jetzt erstmal zur Bank und ich rufe die Vermieterin an." Er mustert mich. „Sagen wir, in zwei Stunden in meinem Büro?"
Auf dem Weg zur Sparkasse fahre ich am Westpark vorbei. Ich stelle mein Rad ab und lege mich ins Gras. Max hat ein Loch in meinen Bauch gerissen. Ich sehe ihn vor mir. Mitten auf einer Straßenkreuzung, Menschen rasen an ihm vorbei, laut plappernd und lachend. Er aber steht ganz still in diesem Lärm und lächelt mich an.