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Hals über Kopf
"Hals über Kopf", sagt Yunus. "Das ergibt doch gar kein Sinn".
"Hm?", frage ich, mit dem Gedanken bei der Aufgabe, die wir bearbeiten sollen.
"Stell dir das mal vor", redet Yunus weiter und fängt an auf dem Arbeitsblatt zu kritzeln, "das hat doch überhaupt nichts mit der Bedeutung zu tun. Wie soll man denn so etwas schneller machen können, als ein nomaler Mensch?" Er hält mir seine Zeichnung hin. Es ist ein schlecht gezeichneter Mensch, dessen Kopf auf den Schultern liegt. Darauf ist der Hals durch zwei unproportional lange Striche dargestellt.
"Wenn du einen Kreis an den Hals dranmalst, hast du einen Zylinder", sage ich und wende mich wieder der Aufgabe zu.
"Damit hilfst du mir wirklich nicht weiter", verkündet Yunus, nachdem er aus dem Hals den Hut gemacht hat.
"Muss ich ja auch nicht. Ich muss diese blöde Aufgabe machen, so wie du auch."
Er blickt mich ausdruckslos an, wendet sich wieder seinem Blatt zu.
Eine Weile, in der ich mich frage, ob er wirklich die Aufgabe bedenkt oder nur das Männchen begutachtet, sagt Yunus nichts. Gerade als ich beschließe, dass wirklich Ruhe ist und mich der Fotosynthese zuwende, fängt er wieder an:
"Warum lernen wir nichts über Sprichwörter? Das wäre viel interessanter."
"Wir haben Bio, natürlich lernen wir hier nichts darüber."
"Ich meine ja auch in Deutsch", sagt Yunus und wirft mir einen Blick zu, der deutlich macht, wie entäuscht er darüber ist, dass ich nicht mitdenke.
"Da tust du der Schule mal wieder unrecht", versuche ich einzuwenden um diesen Blick loszuwerden. "In der Grundschule haben wir mal darüber gesprochen, oder eher, wir haben sie gemalt, so wie du eben. Meine Gruppe hatte Ruhe im Karton gemalt, eine andere einen tanzenden Bären, und noch eine hat der Spargel schießt genommen."
"Mit welcher Waffe der Spargel wohl schießt?", fragt Yunus völlig am Thema vorbei.
"Also die Gruppe hat..." setze ich an, aber werde von Yunus unterbrochen.
"Lass uns erstmal selbst überlegen, bevor wir die Masterantwort eines 6-10 Jährigen kennen."
"Okay", ich schaue ihn fragend an.
"Der Spargel entwickelt sich bestimmt immer weiter. Am Anfang schießt er noch mit Pfeil und Bogen, aber dann..."
"Dann kommt die Armbrust, dann diese Piratenpistolen, die man einzelnd stopfen muss, und am Ende das Maschinengewehr."
"Fast", sagt Yunus, darüber lächelnd, dass er mich von dem Interesse an der Fotosynthese befreit hat.
"Die Armbrust wird vom Spargel nicht benutzt, es ist ein sehr ehrenvolles Gemüse. Und die letzte Waffe ist nicht das Maschinengewehr, sondern der Phaser aus Star Trek."
"Piu Piu", mache ich, woraufhin Yunus mich zutiefst beleidigt anblickt.
"Das Geräusch ist aus Star Wars", sagt er.
"Oh", sage ich und tu so, als würde ich mich wieder meiner Aufgabe zuwenden. Statt weiter zu arbeiten, überlege ich mir einen neuen Aspekt.
"Könnte es nicht auch sein, dass der Spargel mit Bällen schießt?"
"So mit Fußbällen meinst du?"
"Ja, oder mit Basketbällen."
"Die wirft man doch."
"Man kann aber auch schießen sagen, kommt glaube ich aus dem Englischen", versuch ich zu erklären. Yunus denkt einen Moment nach, dann kritzelt er wieder.
"So ungefähr?", fragt er und hält mir das Blatt hin. Er hat dem Männchen eine große Pistole in die Hand gemalt, mit der es einen Basketball auf einen Korb schießt.
"Äh, jaa...genau so", antworte ich. Die Pausenglocke klingelt. Yunus grinst mich an.
"Komm", sagt er. "Lass uns Hals über Kopf zum Kiosk laufen, sonst ist die Schlange so lang."