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Halloween

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04.12.2020
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Anmerkungen zum Text

Mich interessiert der Unterhaltungswert und ob von der Geschichte etwas nachklingt.

Halloween

Die Süßigkeitendose war berstend voll mit buntem Naschwerk für meine kleinen Kobolde. Wie in jedem Jahr um diese Zeit, bestürmten mich des Nachts diese Plagegeister. In der Dämmerung würden sie aus ihren Gräbern steigen und Menschen erschrecken. So haben sie es mir erzählt. Die Flüsterpost teilte ihnen mit, dass ich erpressbar sei und jede Menge Zuckergold gebunkert hätte. Ohne Lösegeld würden ich nicht davonkommen. Sonst würden sie mir wieder die Hölle auf Erden bereiten. Es ist besser, Lakritze und Schokolade in das Gewusel der Vampire und Skelette zu werfen, damit diese sich darum streiten. Dann bleibe ich verschont und hätte wieder ein Jahr Frieden mit dem Jenseits geschlossen. Ich freute mich schon auf das Süßes oder es gibt Saures an der Haustüre. War es doch eine kleine Heiterkeit in meiner dunklen Welt.
Vor fünf Jahren forderte der Krebs mein linkes Auge. Die Ärzte machten mir Hoffnung, doch einige Monate später, musste ich um mein Leben zu behalte, auch noch das rechte Auge geben. Ein Psychologe versicherte mir, dass sich statistisch mehr taube Menschen das Leben nehmen als Blinde. Welch ein Sarkasmus. Welch ein Trost. Aber dennoch, was hatte ich den noch zu erwarten? Ich ließ mir eine sündhaft teure Stereoanlage installieren und ich lasse mich nun von reinsten Klängen in meine Fantasiewelt tragen. Immer schloss ich die Augen im Konzert, um auf die Stellen des Musikstückes zu warten, die mir besonders nahe gingen. Manchmal war es nur ein Ton. Oder ein einziger Geigenstrich. Vielleicht auch nur die Querflöte, die mit meinen Sinnen flirtete. Dann überrollte mich eine mächtige Klangwoge des gesamten Orchesters und ein Schauer des Entzückens kribbelte an meiner Wirbelsäule entlang.
Es war noch Zeit, bevor die Hexen kamen. Also beschloss ich das Klavierkonzert Nr. Eins von Tschaikowsky anzuhören. Russische Musik ohne Tee war unvorstellbar. Einen Samowar besaß ich nicht, deshalb begnügte ich mich mit einem Teebeutel aus dem Supermarkt. Ich war fast fertig mit den Vorbereitungen für einen schönen Abend. Aber wie ich den Wasserkocher befüllen wollte, spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Ohne Augenlicht waren meine Sinne sensibler geworden und ich hatte gelernt, meinem Instinkt zu vertrauen. Mein Bauchgefühl schlug Alarm. Etwas, oder jemand musste in meiner Wohnung sein. Ich konnte es riechen. Es roch kühl. Wie damals bei der Fotosafari auf Spitzbergen. Es roch nach Gletscher, oder frischem Schnee. Damals erschien der Eisbär wie aus dem Nichts und wir konnten von Glück sagen, dass wir nur die Schlittenhunde verloren hatten und uns unbeschadet aus den Staub machen konnten. Wäre die Reisegruppe mit dem Motorschlitten unterwegs gewesen, hätte es uns erwischt. Der Bär war mächtig und hungrig. Nichts wäre von uns übriggeblieben.
Ich drehte den Wasserhahn zu und lauschte.
Da.
Obwohl ein dicker Teppich im Wohnzimmer lag, vernahm ich Schritte, die auf mich zu kamen.
Fest umklammerte ich den Plastikgriff des Wasserkochers. Die einzige Waffe zur Selbstverteidigung, die mir geblieben war.
“Wer sind Sie!”
Schweigen.
“Herrgott nochmal, geben Sie Antwort. “ Doch statt Antwort zu bekommen, berührte mich etwas an der Schulter. Ich wirbelte herum und schlug mit aller Kraft zu. Der Wasserkocher traf auf Widerstand und der Inhalt platschte auf den Boden.
“Überhöhtes Aggressionspotential ”, sagte eine monotone Stimme.
“Was wollen sie von mir?", brüllte ich.
“Einstellung des Kommunikators noch ungenau.”
Ein Psychopath schoss es mir durch den Kopf. Ausgerechnet bei mir bricht ein durchgeknallter Irrer ein.
“Aggression. Level Null. Korrektur von Kommunikation erfolgreich abgeschlossen. Linguee Germany. Sprache Hochdeutsch”, sagte er mit emotionslose Stimme und der Druck auf meiner Schulter wurde stärker.
“Lass mich los, du verdammter Idiot”, schrie ich verzweifelt und abermals schlug ich mit dem Wasserkocher in die Richtung, aus der die Stimme kam. Aber sein Griff wurde fester und fester. Mein Schlüsselbein knackte. Ich fiel vornüber auf die Knie. Der Schmerz im Brustkorb wurde mörderisch und wie ein Gewichtheber presste ich den Atem in die Lunge. Mir wurde schwindlig. Mein Herzschlag hämmerte wild in den Schläfen und ich übergab mich. Danach brach ich röchelnd zusammen und mein Kopf knallte auf den Fliesenboden. Ich riss meinen Mund auf und rang verzweifelt nach Luft. Doch es half nichts und mein Bewusstsein flüchtete sich in eine wohltuende Ohnmacht.
Als ich wieder zu mir kam, saß ich im Wohnzimmer auf meinem Lieblingssessel. Ein Platz, der mir gewohnte Sicherheit vorgaukelte. Mein Nabel der Welt. Mein Zentrum der Geborgenheit. Hier werde ich in gottgegebener Zeit die Erde verlassen. So dachte ich jedenfalls. Ich hatte keine Schmerzen mehr und ich dachte, all das Schreckliche nur geträumt zu haben. Die Nerven. Halloween. Vollmond.
“ Aggressionspotential null. Willkommensgruß aktiviert. Stufe Eins erreicht zur Kommunikation mit maskuline Kohlenstoffeinheit bereit. Familienname Schäfer. Heinz Schäfer. Hallo Herr Schäfer, sagen Sie etwas, damit ich Sie individuell verstehen kann. Hören Sie mich?”
Ich zuckte zusammen. Meine Muskeln verspannten sich und ich klapperte vor Aufregung mit den Zähnen. Hilflos. Ich war so hilflos wie ein Baby. Der Alptraum war real. Ich bäumte mich auf und obwohl ich wusste, dass ich nicht entkommen konnte, wollte ich fliehen.
Etwas Schweres schob mich zurück auf den Sessel.
Ich strampelte, schrie und schlug um mich. Aber es nutze nichts. Meine Fäuste schlugen ins Leere.
“Schäfer Heinz. Steinweg 5. Können Sie mich verstehen?”
“Ja. Das bin ich”, sagte ich reflexartig.
Eine Frage. Warum stellt der Kerl mir eine persönliche Frage, schoss es mir durch den Kopf.
“Schäfer Heinz. Steinweg 5. Artikulieren Sie einen vollständigen Satz. Ich benötige einen Vergleich zum Erweitern meiner Datenbank.”
“Ich möchte, dass Sie meine Wohnung verlassen und mich in Ruhe lassen. Ansonsten rufe ich die Poli...”
“Abgeschlossen. Datenvolumen vollständig.”
“Verdammt nochmal. Was ist hier eigentlich los?”, platzte es aus mir heraus.
“Hallo. Herr Schäfer. Heinz. Steinweg 5 Sie sind auserwählt. Testperson Eins für Terra blau. Blauer Planet.”
“Soll das ein Witz sein?”
“Definition Witz? Unbekannte Information.”
Ich glaube, ich spinne. Der Kerl ist schlimmer dran, als ich gedacht habe. Vielleicht komme ich aus dem Schlammassel wieder heil heraus, wenn ich mitspiele, dachte ich.
“Also gut. Testperson für Planet Blau. Und wie geht es weiter?”, wollte ich wissen und bemerkte mit Erleichterung, dass der Kerl mich losgelassen hatte.
“Herr Schäfer. Heinz. Ich werde Ihnen eine Frage stellen. Sind sie bereit zur Zusammenarbeit?”
“Wenn du es bist?”
“Herr Schäfer Heinz. Gegenfrage Inakzeptabel. Antwort. Ja oder Nein.”
“Lass dieses verdammte Heinz Schäfer und sprich nicht so monoton wie eine halbleere Gießkanne.”
“Ansprache wird angepasst. Frage. Du oder Sie?”
“Du natürlich, wenn wir schon Freunde sind”, sagte ich forsch, um mutiger zu wirken.
“Akzeptabel.”
Mein Trick funktioniert, dachte ich und schöpfte etwas Hoffnung.
“Und wenn wir schon dabei sind mit der Anrede. Wie soll ich dich ansprechen?”
“Irrelevant.”
Verdammt. Ich brauche seinen Namen. Ohne persönliche Ansprache gewinne ich sein Vertrauen nicht.
“Gut, dann mache ich das Spiel nicht mit”, sagte ich und drückte mein Kinn auf die Brust. Eines schmollenden Kindes gleich zog ich die Mundwinkel nach unten, verschränkte die Arme und wartete in stummer Entschlossenheit.
Nach einer Pause sagte er "Nenne mich PRGOST245RM.”
“Wie?”
“PRGOST245RM”, wiederholte er.
“Mensch, das kann sich doch keiner merken. Das hört sich an wie ein Verschlüsselungscode. Das ist doch kein Name.”
Ich überlegte einen Augenblick lang, und dann sagte ich: “ Weißt du was? Ich nenne dich Gost, oder Prost. Nein, Gost ist besser. Das ist so ungefähr die Mitte aus deinem Kauderwelsch. Was hältst du davon?”
“Gost?”
“Wieso, gefällt dir der Name nicht?”
“Ich akzeptiere. Neue Bezeichnung für PRGOST245RM ist Gost.”
“Also Gost. Was muss ich tun, um dich wieder loszuwerden?”
Ich hörte, wie Gost aufstand und in die Küche ging. Als er wieder kam, drückte er mir einen kleinen Gegenstand in die Hand. Es fühlte sich an wie eine Billardkugel.
“Toll”, sagte ich, "jetzt fehlt mir nur noch das Queue und wir können Poolbillard spielen.”
Statt eine Antwort zu bekommen, drückte er mir eine Schale in die andere Hand.
“Was soll das werden?”
“Lege die Kugel in die Schale.”
Ich wurde misstrauisch. Sein Ton war schärfer geworden.
“Warum?”, wollte ich wissen.
“Nur so kannst du deinen Planet retten.”
“Planet retten? Welchen Planet retten?”
“Planet Blau. Deine Erde.”
“ Das ist doch Blödsinn. Das ist Irrsinn. Für solch einen scheiß Kinderkram brichst du bei mir ein und schlägst mich zu Boden? Hier nimm deinen Krempel und hau endlich ab.”
Ich warf Kugel und Schale in seine Richtung.
“Du verstehst nicht. Wenn du die Kugel nicht in die Schale befördern kannst, ist diese Zivilisation verloren.”
"Heute ist Halloween und es tummeln sich viele Idioten auf der Straße herum. Ich möchte verdammt nochmal wissen, warum ich, ausgerechnet ich den größten ...”, ich stockte erschrocken. Ich hätte mir eine Ohrfeige geben können. Ein Wutausbruch würde mich noch in größere Schwierigkeiten bringen. Deshalb atmete ich kräftig durch und sagte: "du lügst mich an.”
“Es ist real.”
“Dann beweise es.”
“Was für einen Beweis verlangst du?”
“Nun, Gost, wenn es um nichts Geringeres als um die Welt geht ein Wunder natürlich”, sagte ich und war gespannt auf die Antwort.
“Neue Anordnung. Außerordentlicher Befehl. Oberste Priorität. Dringlichkeit Level Eins. Behebung von Koordination Problemen der Kohlenstoffeinheit Schäfer Heinz. Steinweg 5.”
Ich zuckte zusammen. Ein handwarmes feuchtes Tuch berührte meine Stirn und breitete sich bis zur Kinnspitze aus. Diese Berührung war angenehm und behinderte meine Atmung nicht. Plötzlich kribbelte es an meiner Nasenwurzel. Dann über den Augenbrauen. Schließlich an den Schläfen. Es fühlte sich wie eine Gesichtsmassage im Kosmetikstudio an. Ich wäre beinahe eingeschlafen, doch ein Klapps auf die Wange brachte mich in die Wirklichkeit zurück.
“Toll”, sagte ich. “Es hat gutgetan. Aber ein Wunder sieht anders aus.”
“Mache die Augen auf”, sagte er und schob das, was ich für ein feuchtes Tuch gehalten hatte, vorsichtig über meine Stirn.
Ich öffnete die Augen. Mich traf fast der Schlag. Ich sah Umrisse von Möbeln. Meine Möbel. Meine Lider zitterten vor Erregung. Mit den Fingerspitzen suchte ich meine Augäpfel und da, wo vorher ein totes Loch im Schädel war, fühlte es sich wieder lebendig an. Ich fing an zu weinen. Die Mauern meines bis an den Rand gefüllten Staudammes brachen und die Tränen angesammelt in jahrelanger Trauer und Verzweiflung ergossen sich hemmungslos über beide Wangen.
Ich heulte in meine Handflächen hinein und der Rotz zog Fäden. Durch eine Tränenwand hindurch sah ich diese Schlien und kein Anblick konnte schöner für mich sein. Ich stand auf und einer alten Gewohnheit folgend, die kein Denken erforderte, wankte ich in das Badezimmer. Über dem Waschbecken war ein Spiegel angebracht, den ich aus Eitelkeit noch besaß. Aus meiner gebückten Haltung richtete ich mich langsam auf und starrte in den Spiegel und wirklich. Ich konnte wieder sehen.
“Es wird Zeit”, befahl Gost mit erhobener Stimme.
Ich missachtete die Aufforderung und hielt den Kopf unter den Wasserhahn. Das kühle Nass belebte meine Lebensgeister und ich konnte wieder klar denken. Eilig trocknete ich mein Gesicht, kämmte mich und verließ das Badezimmer.
Im Wohnzimmer war es dunkel. Genauso wie in der ganzen Wohnung. Nur die Lichter der Stereoanlage verbreitete ein spärliches blaues Licht.
“Wir haben nicht mehr viel Zeit”, sagte Gost.
“Wo bist du?”, fragte ich in die Richtung, aus der die Stimme kam.
“Na hier”, sagte er und eine schlanke, hochgewachsene Gestalt schälte sich aus dem Schatten der Wohnzimmerecke.
“Du bist Gost?”
“Ich bin ein Teil von Gost”, sagte er.
“Und wo ist der andere Teil von dir?”
“Auf Planet Grün.”
“Wir sind hier auf Planet Blau. Richtig?”
“Korrekt.”
Scheiße, dachte ich. Langsam drehe ich durch. Ich ließ mich auf meinen Sessel fallen und massierte mir den Hinterkopf. Ich hatte ein Ziehen im Nacken. Es waren die Vorboten von Kopfschmerzen. Der Stress war einfach zuviel. Mein Körper schlug Alarm.
“Wir müssen uns beeilen”, sagte er und beugte sich über mich.
“Warum?”
“Wenn dein Kontrahent seine Schale schneller füllt als du, gewinnt er das Spiel und alle Kohlenstoffeinheiten auf deiner Erde werden ausgelöscht.”
“Und ich. Was ist mit mir?”
“Du hörst auf zu existieren.”
“Aber wenn ich schneller bin als er, was passiert dann?”
“Dann ist Planet Grün der Verlierer.”
“Also, wenn es weiter nichts ist, schmeiße ich das verdammte Ding in die Schale.”
Gost reichte mir die Kugel und seine Mandelaugen wechselten die Farbe und leuchteten rot auf.
“Wieviel Bewohner leben auf dem Grünen Planeten eigentlich”, wollte ich wissen.
“ Neun Milliarden.”
Ich zögerte. “Ich kann das nicht tun. Ich kann nicht einmal einen Hund töten und nun soll ich Neun Milliarden Menschen das Leben nehmen”, sagte ich kopfschüttelnd und gab ihm die Kugel zurück.
Gosts Augen wurden gelb. “Das sind keine Menschen”, sagte er nahe an meinem Ohr und drückte mir die Kugel wieder in die Hand.
“Hör mal Gost”, versuchte ich es erneut,” ich bin dir überaus dankbar, dass du mich geheilt hast und würde für dich mein Leben aufs Spiel setzen. Aber was du jetzt von mir verlangst, kann ich nicht tun. Ich kann es nicht mit dem Gewissen vereinbaren, nicht mit meinem Glauben und nicht mit Gott.”
“Gott existiert nicht”, sagte er und seine Augen wurden schwarz.
“Für mich schon.”
“Du hast keine Zeit mehr.”
“Warum wirfst du die Kugel nicht selbst in deine Schale?”
“Ich bin nicht autorisiert. Ich darf nur den Sieger ermitteln. Nur die Starken sollen überlebe.”
“Wozu tötet ihr so viele Menschen. Auf der Erde leben acht Milliarden. Acht Milliarden, verstehst du.”
“Wir Atomisieren niemand. Das machen die Auserwählten.”
“Also ich?”
“Oder dein Gegenspieler.”
“Gibt es keine Hoffnung?”
“Gott. Glaube. Hoffnung. Hoffnung ist eine irrationale Gefühlsprojektion in die Zukunft, um die gegenwärtige Misere zu ertragen.”
“Menschlich” sagte ich. “Auch Gott braucht Zeit für ein Wunder.”
“Es gibt keine Wunder und kein Gott. Ich habe dich geheilt. Kein Gott. Es war meine Mathematik. Eine Erforschung meiner Zivilisation. Es ist Quantenphysik.”
“Ah. Schrödingers Katze. Sie kommt mir gerade Recht. Elektronen, die sich bei Beobachtung von Wellen in Teilchen verwandeln. Fußspuren im Sand, die beweisen, dass da ein Mensch entlanggegangen ist. Sie beweisen, dass Menschen existieren, ohne dass diese gesehen wurden. Es ist also nicht nötig Gott zu sehen. Lediglich seine Werke. Seine Fußspuren. Das Leben selbst dient als Fußspur. Als Beweis. Es ist der Glaube, der die Teilchen verändert. Gott existiert nur im Glauben. Dieser macht ihn lebendig und deine Mathematik ist auch nur eine Spur im Sand.”
“Dann müsste dein Gott alles können, oder etwa nicht?”
Ich nickte und seine Augen blitzten, als er sagte: "Kann dein Gott einen Stein erschaffen, der so groß ist, dass er ihn selbst nicht heben kann?”
“Ein Paradox. Du beschreibst ein Paradox. Ein Paradox ist unlösbar.”
“Ich sagte dir bereits, Gott ist Mathematik.”
“Nein. Er ist Glaube.”
Aus Gosts Augen stieg schwarzer Rauch. Dann sagte er:“ Lege die Kugel in die Schale. Die Zeit läuft ab. Du hast nur noch wenige Minuten.”
Ich drückte den Rücken in die Lehne des Sessels. Meine Kopfschmerzen hämmerten im Nacken und schwarze Kreise schwirrten durch mein Gesichtsfeld. Aufkommende Magensäure brannte in meiner Kehle und ich wagte Gost nicht anzusehen. Die Kugel presste ich mit beiden Händen an meinen Bauch. Ich war fest entschlossen.
“Noch eine Minute”, sagte er.
“Ich mache es nicht verdammt noch mal. Ich gebe mich nicht auf. Nie...Nie...Nie...”
Ich schloss die Augen und presste die Lippen zusammen.
“Noch zehn Sekunden.”
Ein Erschießungskommando. Ich stehe vor einem Erschießungskommando, dachte ich.
“Noch Sechs Sekunden.”
Vater unser.
“Noch Fünf.”
Der du bist im Himmel.
“Noch Vier.”
Geheiligt werde dein Name.
“Noch Drei.”
Dein Reich komme.
“Zwei.”
Wie im Himmel so auch auf Erden.
“Eins.”
Dein Wille geschehe.
“Null.”
Ich bäumte mich auf und brüllte meine Todesangst heraus. Dann keuchte ich wie ein Tier und öffnete die Augen. Ich hielt den Atem an und es war still.
Gost stand vor mir und seine Augen leuchteten wie Gold.
“Bin ich tot?”, fragte ich.
“Nein”, sagte er.
“Warum nicht?”
“Du hast gewonnen.”
“Aber wie...wie ist das möglich?”
“Dein Gegenspieler hat das Elektron in die Schale geworfen", sagte er.
Ich wollte aufstehen, doch meine Beine knickten weg. Meine Nase blutete und es war nass in meiner Hose.
“Wie geht es nun weiter?”, wollte ich wissen.
Gost nahm die Schale und die Kugel zu sich. Seine Augen waren wie Quecksilber und er sagte:” Wir werden uns nicht mehr sehen. Meine Mission ist erfüllt. Ich bedanke mich bei dir.”
Gost wurde transparent und war im nächsten Augenblick verschwunden.
Ich wankte ins Badezimmer. Zum ersten Mal seit fünf Jahren benutzte ich wieder den Lichtschalter. Nach dem Duschen wechselte ich die Wäsche. Mein Magen rebellierte und ich machte mich über die Süßigkeiten meiner Vampire her. Aus Gewohnheit ertastete ich die Zeit an meiner Armbanduhr, von der man den Deckel aufklappen konnte.
Es war kurz nach acht Uhr und dunkel. An der Haustüre klingelte es. Ich zitterte immer noch. Dann knipste das Licht an und öffnete. Eine Horde Geister stand vor mir.
“Süßes oder es gibt Saures”, riefen die Dämonen durcheinander und hielten mir halbgefüllte Tüten entgegen.
Ich warf eine Hand voll Süßigkeiten unter die Kinder und während diese sich um die Beute rauften, schloss ich die Haustüre.
Ich nahm das Telefon und tippte eine Nummer.
“Hallo Frau Messner. Ich bin es Heinz. ...Nein, es ist nichts passiert. ...Ich habe mich entschlossen zu verreise... Ja, der Schlüssel liegt wie immer unter dem Blumentopf, der auf dem Fenstersims steht. Ich melde mich wieder, wann ich angekommen bin, damit sie sich keine Sorgen machen müssen...Wohin? Nach Island oder Spitzbergen, dort riecht es kühl nach frischem Schnee.”

 

Hallo @Billi!

Das ist eine gelungene Geschichte mit gutem Spannungsbogen plus versöhnlichem Ende.
Hat mir gut gefallen! Glückwunsch!

Anbei ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind.

Die Süßigkeiten Dose war berstend voll mit buntem Naschwerk für meine kleinen Kobolde. Wie in jedem Jahr um diese Zeit, bestürmten mich des Nachts diese Plagegeister.
Süßigkeitendose

Immer schloss ich die Augen im Konzert, um auf die Stellen des Musikstückes zu warten das mir besonders nahe gingen.
Immer schloss ich die Augen im Konzert, um auf die Stellen des Musikstückes zu wartenKOMMA die (Mehrzahl) mir besonders nahe gingen.

Wäre die Reisegruppe mit dem Motorschlitten unterwegs gewesen, hätte niemand Gräber für unsere Leichen ausheben müssen.
Verstehe ich nicht ganz. Sind damit die Hunde gemeint?

Meine Faust krallte sich in den Plastikgriff des Wasserkochers.
Faust und Griff umschließen beißt sich ein kleinwenig.

“Lass mich losKOMMA du verdammter Idiot”, schrie ich verzweifelt und abermals schlug ich mit dem Wasserkocher in die Richtung, aus der die Stimme kam.

Hallo Herr Schäfer, sagen sie etwas, damit ich sie Individuell verstehen kann.
individuell klein

Der Alptraum war Real.
real klein

“Toll”, sagte ich, "jetzt fehlt mir nur noch der Queue und wir können Poolbillard spielen.”
das Queue

“Lege die Kugel in die Schal.”
Schale

Für solch einen Scheiß Kinderkram brichst du bei mir ein und schlägst mich zu Boden?
scheiß Kinderkram

“Es ist Real.”
real

Aus meiner gebückten Haltung richtete ich mich langsam auf und starrte in den Spiegel und Wirklich.
wirklich klein

“Na hier”, sagte er und eine schlanke, hochgewachsene Gestalt schälte sich aus dem Schatten der Wohnzimmerecke.
Hier hätte ich mir durchaus mehr Beschreibung gewünscht.

ScheißeKOMMA dachte ich.

Der Stress war einfach Zuviel.
zuviel klein

Gosts Augen wurden Gelb
gelb

Dann müsste dein Gott alles Können, oder etwa nicht?
können

Ich sagte dir bereitsKOMMA Gott ist Mathematik.

Zum ersten Mal seit Fünf Jahren benutzte ich wieder den Lichtschalter.
fünf

Gruß,
Sammis

 

Hallo @Sammis. Danke für deinen Kommentar. Ich habe die kritischen Stellen überarbeitet. Nur den Gost möchte ich nicht näher beschreiben, weil jeder seine eigenen Geister im Kopf hat und alle sind unterschiedlich individuell. Ich möchte die Fantasie des Lesers nicht einschränken. Weißt du, was ich meine?

 
Zuletzt bearbeitet:

@Billi

Nur den Gost möchte ich nicht näher beschreiben, weil jeder seine eigenen Geister im Kopf hat
Dann sollte er aber besser auch Ghost heissen, denn Gost spricht sich [ɡˈɑːst], mit einem gestreckten -o-/-a- Laut. Nicht wie die eigentliche Aussprache [ɡˈo͡ʊst] - so circa: goust / gerundetes gohst.
Dein Gost hat klanglich kaum etwas mit dem englischen Wort für Gespenst zu tun. Und selbst wenn manche Leser es durch die ähnliche Schreibweise damit verbinden, sieht es immer noch aus, als wüsstest du nicht, wie man das schreibt. Das vielleicht besser vermeiden.

 

Hallo @Billi mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen. Sie war sehr eingängig und ich mochte wie Du so viel Werte und Bedeutung in diese ereignisreiche, aber kurze Begegnung gestrickt hast. Es wird nicht langweilig und lässt sich sehr flüssig lesen. Hier noch ein paar Anmerkungen, die mir aufgefallen sind :


Etwas, oder jemand musste in meiner Wohnung sein.
Das würde sich andersherum besser lesen. Man ist es eher gewohnt auf jemanden als etwas in der Wohnung zu treffen.
Ich konnte es riechen. Es roch kühl.
Welches Es? Geht er schon davon aus dass es ein "Etwas" ist? Das würde ich neutraler ausdrücken - also vielleicht: Ich bemerkte einen Geruch. Es roch kühl.

Damals erschien der Eisbär wie aus dem Nichts und wir konnten von Glück sagen, dass wir nur die Schlittenhunde verloren hatten. Wir opferten sie alle um uns unbeschadet aus den Staub machen zu können. Wäre die Reisegruppe mit dem Motorschlitten unterwegs gewesen, hätte es uns erwischt und niemand müsste Gräber für unsere Leichen ausheben. Der Bär war mächtig und hungrig. Er ließ nichts übrig.

Die Anekdote gefällt mir, ist aber etwas unhandlich und lang formuliert.

Schlittenhunde verloren und opfern hätte ich zusammengepackt.
Also: ... wir konnten von Glück sagen, dass wir nur die Schlittenhunde opfern mussten. So konnten wir uns unbeschadet aus dem Staub machen...

So in der Art würde es auch die Schlittenhunde mehr als Opfer dastehen lassen. Es liest sich bei Dir etwas kühl.

Auch den Part danach würde ich etwas umstellen:

Auf Motorschlitten wäre die Reisegruppe dem mächtigen Bären direkt ausgeliefert gewesen und der hätte nichts von uns übrig gelassen, was sich für ein Grab lohnen würde.

Ich finde es liest sich sonst etwas unhandlich, wie Pointen, die hier mMn nicht viel Sinn ergeben.

Ich drehte den Wasserhahn zu und lauschte angestrengt in den Raum.
ich weiß nicht ob mir hier "angestrengt" gefällt. Ich bin etwas drüber gestolpert. Anstrengen kann man sich beim lauschen nur, indem man sich auf jedes Geräusch konzentriert. Also könnte man in der Richtung schreiben.
Mit verkrampfter Faust umklammerte ich den Plastikgriff des Wasserkochers.
Auch hier ein schönes Bild in unhandlicher Reihenfolge. Man stellt sich erst eine verkrampfte Faust vor und dann fügt man gedanklich einen Wasserkocher hinzu. Außerdem schließe ich mich Sammi an, dass sich Faust und Griff umschließen, beißt. Vielleicht eher:
Meine Hand verkrampft sich um den Plastikgriff des Wasserkochers.
Die einzige Lebensversicherung zur Selbstverteidigung, die mir geblieben war.
Hier würde ich Selbstverteidigung streichen. Wenn es die Lebensversicherung ist, ist klar dass es um Selbstverteidigung geht.
“Wer sind Sie”, rief ich.
Das reicht so und hält besser im Lesefluss.
“Überflüssiges Aggressionspotential ”, sagte eine monotone Stimme.
Das Wort "überflüssig" gibt mir direkt ein Gefühl von menschlicher Wertung und Betonung. Das dieser Satz von einer monotonen Stimme kommt hat mich dann überrascht. Vielleicht "Erhöhtes Aggressionspotentilal" o.ä
“Einstellung des Kommunikators noch inkorrekt.”
"unvollständig" anstelle von inkorrekt hätte in meinen Augen mehr Sinn gemacht.
Ein Psychopath schoss es mir durch den Kopf. Ausgerechnet bei mir bricht ein durchgeknallter Irrer ein.
“Aggression. Level Null. Korrektur von Kommunikation erfolgreich abgeschlossen. Linguee Germany. Sprache Hochdeutsch”, sagte diese emotionslose Stimme und der Druck auf meiner Schulter wurde stärker.
“Lass mich los, du verdammter Idiot”, schrie ich verzweifelt und abermals schlug ich mit dem Wasserkocher in die Richtung, aus der die Stimme kam. Aber sein Griff wurde fester und fester.
ich denke es liest sich schöner, wenn Du dich entscheidest ob er die Stimme jetzt als Psychopath oder weiter nur als Stimme identifiziert. Kann man auch durch z.B: "sagt seine emotionslose Stimme..."
oder:
" ...aus der seine Stimme kam."
lösen.
Doch es half nichts und mein Bewusstsein flüchtete sich in eine wohltuende Ohnmacht hinein.

Der Nabel der Welt. Ein Zentrum der Geborgenheit.
"Mein Nabel der Welt. Mein Zentrum von Geborgenheit."
Dann hast Du mehr Bedeutung und Emotionen untergebracht.

Hilflos. Ich war so hilflos wie ein Baby.

Reflexartig sagte ich, “Ja. Das bin ich.”
Würde ich umstellen, dann liest es sich auch als reflexartige Antwort. Also:
"Ja. Das bin ich", sagte ich reflexartig.
Eine Frage. Warum stellt der Kerl mir eine persönliche Frage, schoss es mir durch den Kopf.
So persönlich finde ich die Frage nicht
“Abgeschlossen. Datenvolumen vollständig.”
"Datenvolumen vollständig" liest sich für mich, als wäre sein Speicher voll. "Datensatz/-scan vollständig." - würde sich für mich besser lesen.

Vielleicht komme ich aus dem Schlammassel wieder heil heraus, wenn ich mitspiele, dachte ich.
Den Satz würde ich auch umstellen.
“Herr Schäfer Heinz. Gegenfrage Inakzeptabel. Antwort. Ja oder Nein.”
Eher: "Antwortmöglichkeiten: Ja oder Nein."
“Akzeptabel.”
Ist eine Wertung und nicht direkt eine Zusage.
Ich nenne dich Gost, oder Prost.
Das habe ich nicht ganz verstanden.

Ich hörte, wie Gost aufstand und in die Küche ging.
Es wird nicht erklärt warum er in die Küche gehen muss.
“Nur so kannst du deine Welt retten.”
“Welt retten? Welche Welt retten?”
Im Folgenden sagst Du es geht um die Rettung der Planeten, ich denke da macht es Sinn sich auf Planet zu einigen.
Behebung von Koordination Problemen der Kohlenstoffeinheit Schäfer Heinz. Steinweg 5.”
Kein Augenlicht würd ich nicht direkt als"Koordinations Probleme" beschreiben
Ich öffnete die Augen. Mich traf fast der Schlag
Bevor er die Augen öffnet sollte ihn doch der Schlag treffen, dass es ihm überhaupt möglich ist, oder?
Durch eine Tränenwand hindurch sah ich diese Schlien und kein Anblick konnte schöner für mich sein.
Tränenwand und Schlien, ist für mich eine Dopplung der selben Bedeutung.
Nur die Lichter der eingeschalteten Stereoanlage verbreitete ein spärliches blaues Licht.

“Na hier”, sagte er und eine schlanke, hochgewachsene Gestalt schälte sich aus dem Schatten der Wohnzimmerecke.
Da hätte ich mir etwas mehr Beschreibung der Gestalt erwartet. So kann ich sie mir kaum vorstellen. Auch wenn meine Fantasie angeregt werden soll, könnte eine Farbe oder Struktur der Gestalt dabei helfen.
“Wenn dein Kontrahent seine Schale schneller füllt als du, gewinnt er das Spiel und alle Kohlenstoffeinheiten auf deiner Erde werden ausgelöscht.”
Geht es nicht nur um eine Kugel?
Das Spiel erschließt sich mir aber auch nicht ganz. Warum wird runtergezählt, wenn es darum geht wer zuerst handelt? Natürlich geht es am Ende anscheinend darum wer es nicht tut, aber das Spiel hat mich insgesamt verwirrt.
“Ah. Schrödingers Katze.
Das klingt leider so, als hättest Du sie unterbringen wollen. Auch der Absatz danach wirkt irgendwie so, als hätte es so in deiner Geschichte sein müssen und hat mich deshalb rausgebracht.
Ich warf eine Hand voll Süßigkeiten unter die Kobolde und während diese sich um die Beute rauften, schloss ich die Haustüre.
Dass Du den süßen Kindern gerne Kosenamen in Bezug auf ihre Kleidung gibst, ist klar geworden, aber ich finde spätestens hier übertreibst Du es ein wenig. Halte dich damit was zurück und dafür an den richtigen Stellen. Das würde mir besser gefallen :)

 

Hallo @BlackFlag. Besten Dank für deine Anregungen. Ich habe einige umgesetzt. Bei den Übrigen muss ich noch nachdenken. Immer wenn ich Sätze umbaue, fällt mir zu viel ein und manchmal schweife ich auch ab. Ich wünsche dir einen schönen Tag.

 

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