Hallo, du Schwein da
„Hallo du Schwein da“ waren tatsächlich die ersten Worte die ich an das riesige Schwein richtete ohne dass ich mir dabei lächerlich vorkam.
Warum auch, schließlich ging es darum einen Dialog zu beginnen.
„Rüfff“ kam zurück.
Der Typ mit dem Oberlippenbärtchen, sein Gesichtsschnitt ließ einen Afghanen vermuten, in einen sauberen hellblauen Overall verpackt, zeigte mit dem Mittelfinger auf eine Metalltür, „hier“. Mehr kam nicht und der Zeigefinger fehlte gänzlich an seiner Hand. Gefragt warum ausgerechnet himmelblau seine Arbeitskleidung sei, kam ein ziemlich schiefes Grinsen mit der Erklärung „nicht gut zu verwechseln mit Rosa!“ Ich versuchte einen direkten Augenkontakt mit ihm, er wurde ernst, er ergänzte „mit Schwein!“
Er ließ mich allein mit dem Schwein.
Es war mein Wunsch mit einem Schwein Kontakt zu haben. Ich bin Studentin der Philbi, das steht für Philosophie der Biologie, in Hannover und von meiner Uni wurde ich in diese Mammutanlage einer Schweineaufzucht bei Lüneburg vermittelt. Meine Absicht ein Interview mit einem Schwein ihres Hauses zu führen wurde kurz und bissig kommentiert: „Dann sind Sie ja wohl gleich fertig!“
Diese Erwartung deckte sich nicht mit meiner Vorstellung, aber dass ich nach zwei Tagen immer noch mit Marie, so hatte ich sie genannt, redete, überraschte mich doch.
„Hallo du Schwein“, ein neuer Versuch, und zurück kam:
„Rüff, rüff!“
Ich prüfte die Einstellungen der App auf meinem kleinen Tablet Computer, aber alles schien in Ordnung zu sein. – Oder, überlegte ich, war da …
„Wieso kann ich dir trauen?“
Wer hatte das jetzt gesagt? Es durchzuckte mich, ich drehte mich um, aber es war niemand hereingekommen. Ich saß auf einem hölzernen, wenig sauberen Hocker und mir rutschte ein:
„Hast du das gesagt?“ heraus.
„Aber ja. – Wieso kann ich dir trauen?“
Ich hatte mich auf dieses Interview vorbereitet, ich hatte eine Liste einfachster Fragen und ich war endlose Male mögliche Entwicklungen im Gespräch, einschließlich denkbarer Komplikationen durchgegangen. Im Moment aber hatte es mich aus der Spur geworfen.
Nicht nur das der Dialoger offensichtlich funktionierte, vor allem zeigte mir die ambitionierte Gegenfrage, dass mein Interviewpartner auf einem nicht erwarteten Niveau einzustufen war. Blitzschnell ging ich verschiedene vertrauensbildende Antworten durch. Unwillkürlich erinnerte mich die Frage an einen einsitzenden Delinquenten, der seinen Pflichtverteidiger zum ersten Mal trifft und es fiel mir wie Schuppen von den Augen, so ähnlich war die Situation ja auch, auch wenn ich nichts für das Schwein würde erreichen können. Wieso war ich darauf nicht vorbereitet?
Also was antworten?
Dem Schwein hatten meine Überlegungen zu lang gedauert:
„Isst du uns?“
Ach du je, auch das noch!
Das Schwein blickte mich mit blauen Augen, umrahmt von fast weißen Wimpern, aufmerksam und sehr direkt an. Es hockte auf seinem seitwärts leicht eingeknickten Hinterviertel, die Vorderbeine aufgestellt. Nur das schmutzige Eisengitter trennte uns.
Ich gab mir einen Ruck: „Darf ich nochmal von vorn anfangen?“
„Aber ja, - ich hab ja viel Zeit.“
„Dann will ich mich zunächst bei dir vorstellen. Mein Name ist Manu Maier und ich bin Biologiestudentin. – Weißt du überhaupt was das ist?“
„Natürlich, - ich frage dich, wenn ich etwas nicht verstehe! – Ist das OK?“
„Ja, ja, ich weiß zwar nicht woher und schon gar nicht wieso du so etwas weißt, - aber, im Rahmen meines Studiums muss ich eine Arbeit über – wie sag ich das bloß, - über die Gedanken von Tieren schreiben.“
„Das ist soweit klar, aber was ich dabei noch nicht verstehe“, wirft das Schwein ein, „wieso kannst du mich verstehen, wo doch andere Menschen von uns nur rüff, rüff oder rutz, rutz verstehen?“
„Das erklär ich dir schon noch, jetzt …“
„Das erklär ich dir schon noch, woher ich alles weiß!“ äffte Marie in dem sie mich unterbrach. ‚Verhandlungstaktik‘ blitzte es in meinem Hinterkopf auf, ist das Tier etwa geschult?
Es nahm mir den Atem.
„Ich verspreche dir alles zu erklären. Aber eins nach dem anderen. Ich hab dir eben für mein Interview den Namen Marie gegeben, bist du damit einverstanden?“
„OK, Manu, - ich hab zwar einen Schweinenamen, aber der ist vermutlich sowieso zu kompliziert für dich. - Isst du uns?“
Da war die Frage wieder, - es war zum Verzweifeln, wie sollte ich da meine eigenen Fragen beantwortet kriegen? – Und schon wieder zu lang überlegt, sie legte nach:
„Denkst du die Frage ist unwichtig?“
Ohne zu überlegen rückte ich mit dem Hocker dichter an das dreckige Eisengitter.
„Natürlich nicht!“, es lag mir auch das Wort ‚essentiell‘ auf der Zunge um mein Verständnis für die große Bedeutung zu beschreiben, aber der Wortteil ‚essen‘ und auch die Vermutung, dass mein Dialoger mit Fremdworten nicht ausreichend gefühlvoll umgehen könnte, ließen mich verstummen. Ich atmete tief durch und versuchte es:
„Wie du weißt Marie essen Menschen Schweine …“
„Und nicht umgekehrt!“
„Ja, Marie, ich habe früher auch Schweinefleisch gegessen, ich …“
„Wieviel früher?“
Etwas kleinlaut kam von mir:
„Sechs Monate. - Seit ich darüber nachdenke was wir da tun!“
„Willst du mir jetzt deine Fragen stellen?“
„Ja Marie. – Bist du mir böse weil ich früher Schweinefleisch gegessen habe?“
Sie legte den Kopf etwas schief, sie wirkte ernst: „Nein Manu, aber ich weiß immer noch nicht ob ich dir trauen kann, ich würde …“
Die Eisentür wurde aufgerissen, ein rothaariger Choleriker raunzte: „Sie sind ja immer noch da, was machen sie mit dem Schwein?“
Und wie bestellt kam aus der Dialoger-App die Übersetzung seiner Worte „Rüff, rüff, wutz, rüff, rüff.“
Spontan kam mir die Erklärung in den Sinn: „Ich nehme ihre Worte auf und spiele sie ihr vor. Das ist ein übliches Verfahren in der Analyse!“
Im Abgang stieß er seinen Stinkefinger in die Luft und brüllte: „In zehn Minuten ist Feierabend!“
Mit der zuschlagenden Tür meldete sich Marie: “Ich vertraue dir, was willst du wissen?“
„Die Zeit wird knapp, aber sag mir wenigstens woher dein Wissen stammt, ich kann immer noch nicht glauben, was ich da von dir höre.“
„Manu, ich spreche jetzt leiser, weil ich unser geheimstes Geheimnis verrate.“
Total aufgeregt konnte ich nur nicken.
„Alles was ich weiß, habe ich von Umo gelernt. Umo ist ein ganz altes Schwein, sie lebt schon immer hier und wir alle verstecken sie ständig, ich sag dir auch nicht genau an welchem Ort und alle Schlächter wissen nichts von ihr. Sie hat mich gelehrt, dass ich das Beruhigungspulver, welches vor dem Schlachttermin in die Kleie gegeben wird, auf keinen Fall essen darf. Deshalb bin ich bisher am Leben geblieben, weil zum Töten das Schwein dösig sein muss,- entspannt und locker in den Tod, - sagen wir immer, und manchmal singen wir es sogar.“
Ich senkte gleichfalls meine Stimme: „Danke für dein Vertrauen, wir müssen jetzt Schluss machen, aber ich verspreche dir, dass ich morgen wiederkomme.
Ich verrate dir dann mein geheimstes Geheimnis und erkläre dir wieso ich mit dir sprechen kann. – Tschüss Marie.“
Sie tippte mit ihrem sabberigen Rüssel an das Eisengitter.
Vom Büro wurde ich am nächsten Vormittag zu einem Pferch begleitet, in dem Hunderte von Jungschweinen einen Riesenlärm veranstalteten, sie langweilten sich offensichtlich enorm. Ich schüttelte den Kopf: „Das geht nicht, ich brauche Ruhe bei meiner Arbeit, was ist mit dem Schwein von gestern?“
„Sie sollen es hier versuchen.“
Nach einem Fehlversuch, telefonierte der Himmelblaue.
Per Handy kam die Erlaubnis.
„Hallo, Maria“,
„rüff, rüff“
„Verflixt, ich hab vergessen den Dialoger anzuschalten.“
„Hallo, Manu“, kam jetzt aus dem Gerät.
„Stell dir vor ich sollte versuchen mit einem Jungschwein zu reden, aber das ging gar nicht.“
Maria hielt ihren Kopf etwas schief: „Diese jungen Schweine sind saudumm! – Sie tun so wichtig, haben von nichts eine Ahnung und interessieren sich nur für Sex. – Erzählst du mir jetzt wieso du mit uns reden kannst?“
„Na, klar. – Weißt du was Katar ist.“
„Oh, ja, ein Land mit einem weit entwickelten Volk, diese Leute essen keine Schweine!“
„Stimmt! – Mein platonischer Unifreund, folgte einer Einladung nach Katar an der ersten wissenschaftlich begleiteten Psychoanalyse von Kamelzuchthengsten teilzunehmen, nachdem er mir mehrere Eide zur Bewahrung unserer Partnerschaft abgenommen hatte. Immerhin war er bei der Bewältigung lebensentscheidender Fragen für sechs lange Wochen auf sich allein und den allabendlichen Kontakt per Skype zu mir gestellt. Mit anderen Worten, ich war von Anfang an mit einbezogen.
Randolf hatte es gut getroffen, im März war es warm, aber nicht heiß, die Unterbringung war phantastisch, fast so gut wie für die Kamele, sagte er mehrfach. Nur die verantwortlichen Betreuer der Tiere hielten sich mit ihrer Einschätzung über den Wert von Randolfs Beitrag zum Projekt ziemlich bedeckt. Schadenfrohsinn schimmerte durch, berichtete er mir.
So hatte er auch kaum Skrupel einer Sache nachzugehen, die er eigentlich nicht erfahren sollte. Und das kam so:
Auf dem Weg zu seinem Therapiehengst kam er an einer Box vorbei in der geredet wurde, arabisch natürlich, aber es war nur ein einziger Betreuer, außer dem Tier, einem 3C-Hengst, zu sehen. Randolf hat der Beobachtung gar keine Bedeutung beigemessen, weil er selber mit seinem Hund Dialoge führt. Der Hund hat dann einfach eine höhere Stimmlage.
Aber es folgte eine Wiederholung, er schaute genauer hin und erkannte die Person als einen pakistanischen Programmierer, einen armen Kerl, den der Kamelprinz im Meeting mit der Kamelpeitsche auf den Rücken geschlagen hatte.“
Maria blinzelte aus Anteilnahme aus ihren blauen Augen: „Und?“
„Der Programmierer überließ Randolf eine Kopie seiner für den Dialog mit Kamelen entwickelten Software. Diese Dialoger-App haben wir hier von Arabisch/Kamel auf Deutsch/Schwein umgebaut. – Toll, was?“
Messerscharf kam die Frage von Maria: „Warum ausgerechnet Schwein?“
„Das Schwein ist uns Menschen ganz schön ähnlich …“
„Stimmt, es besteht eine genetische Übereinstimmung von neunzig Prozent…“
Ich nickte und ergänzte: „Aber wir zögern nicht ein Schwein zu töten, um es zu essen. Was wäre, wenn wir uns mit euch so unterhalten könnten, wie wir beide es jetzt gerade tun? – Du hättest mir nicht verraten können, wie du um den Schlachttermin herumkommst, was du über Jungschweine denkst und schon gar nicht woher du dein Wissen über die Welt bekommen hast.“
Marie nickte langsam:
„Wenn wir immer miteinander sprechen könnten, könntet ihr uns, die Schweine, zum Beispiel fragen, ob wir heute sterben wollten, um für euch ein Stück Fleisch auf dem Teller zu sein.“
Ich ging darauf ein: “Der Lebenswille ist viel zu stark, um auch nur darüber nachzudenken. Auch mit solchen Versprechungen, dass dann die Seele in den Himmel kommt, ist doch kein Schwein bereit zu solch einem Deal!“
Marie stimmte mir wieder zu, fragte dann aber, wieso ich über diese Frage nachdenken würde.
Ich musste ihr also von Derrida erzählen: „Marie neben der Biologie studiere ich auch etwas Philosophie, weißt du auch was das ist?“
Ein Stirnrunzeln, dann: „Äh, nicht ganz genau. Ich glaube es hat was mit Seele zu tun. – Ich müsste Umo fragen“!
„Pass auf! – Du wirst es gleich verstehen. Ein berühmter französischer Philosoph, sein Name war Jacques Derrida, steht nackt im Bad, seine Katze kommt herein und betrachtet ihn von oben bis unten. Er schaut zurück, ‚was schaut sie nur‘ und beginnt einen stummen Dialog, er nimmt die Rolle der Katze ein.“
Ihre großen Ohren vibrierten: „Schon verstanden, er sah sich mit den Augen seiner Katze und war ziemlich erschüttert.“
„Stimmt er sah sich, - warum aber erschüttert?“
„Na, sieh dir eine Katze an. Ein wunderbarer Körper, der sich vollendet bewegt. Sie weiß immer was sie will und bekommt es meist auch. Sie ist wirklich schön, aber geschlachtet wird sie nie.“
Ich musste darüber nachdenken. – Aber sie war schon weiter:
„Mir fällt dazu noch eine Frage ein, würdet ihr Menschen andere Menschen essen, wenn diese auf vier Beinen laufen und in einer fremden Sprache reden?“
Mich zerriss es, aus mir platzte es laut heraus: „Ich bin jetzt Vegetarier, aber ja, ich denke, wir würden sie essen, - ja, ja.“
Mir waren die Tränen in die Augen geschossen.