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Hafis und Suleika wider Herrn & Frau Sarazen

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12.04.2007
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Hafis und Suleika wider Herrn & Frau Sarazen

Hafis und Suleika wider Herrn & Frau Sarazen

„Ich bin nicht so alt geworden, um mich um die Weltgeschichte zu bekümmern,
die das Absurdeste ist, was es gibt; ob dieser oder jener stirbt, dieses oder jenes
Volk untergeht, ist mir einerlei; ich wäre ein Tor, mich darum zu bekümmern.“​

Kurz nach der Zeitenwende brachten römische Eroberer nicht nur den Mithraskult. Mit den Städtegründern fanden auch erste Juden an den Rhein und gründeten kleine Kolonien in den Städten und suchten, sich darin zu assimilieren.

Wir gedenken heute noch, wenn auch verschwiegen, der persischen Erlösungsgottheit, welche die Finsternis überwindet und zudem auf dem indischen Subkontinent Vertrag und Recht gehütet hat. Direkt nach der Wintersonnenwende feiern wir alljährlich am 25. Dezember Mithra, wenn auch bis zur Unkenntlichkeit demaskiert.

Seit eineinhalb Jahrtausenden leben Juden unter Christen und doch bestimmte diese vernachlässigbar kleine Minderheit die Selbstdefinition der großen Mehrheit mit. Bleiben die Vertreter der Vaterreligion zumeist unsichtbare Fremde, so tritt die jüngere Bruderreligion - der Islam - seit allem Anfang bedrohlich auf bis hin zum Bonmot, Türken ständen zwar nicht vor Wien, aber doch mitten in Berlin, oder der noch älteren, sich gewitzt gebenden, aber bösartigeren Frage, was denn Türken von Juden unterscheide. So kann ein Sarazen getrost vom hohen Ross der Sozialdemokratie und der öffentlichen Finanzverwaltung aussprechen, was allzu viele an rassistisch und braunem Gedankengut mit sich herumtragen. Hatte nicht schon ein Heiliger (Papst Leo IV., ca. 850) seine Stadt zum Schutze gegen die Sarazenen mit einer Mauer umgeben? Doch hätten Mauern jemals länger genützt als einen Wimpernschlag der Geschichte?

„Nicht Gelegenheit macht Diebe,
Sie ist selbst der größte Dieb;
Denn sie stahl den Rest der Liebe,
Die mir noch im Herzen blieb.“​

Wer’s nicht besser weiß, mag die Verse dem jungen Heinrich Heine zurechnen. Tatsächlich aber sind sie dem West-östlichen Divan [*] des 70jährigen Goethe entnommen. Der Divan freilich wurde Vorbild fürs Buch der Lieder – dem lyrischen Bestseller des 19. Jh. schlechthin. „… den berauschendsten Lebensgenuß hat hier Goethe in Verse gebracht, und diese sind so leicht, so glücklich, so hingehaucht, so ätherisch, daß man sich wundert wie dergleichen in deutscher Sprache möglich war. [...] Unbeschreiblich ist der Zauber dieses Buches: es ist… ein Gruß, den der Okzident dem Orient geschickt hat ...“ gesteht Heine später im ersten Buch der romantischen Schule.

Die Verse sind gerichtet an Suleika, unter deren Namen der Islam die Frau des Potiphar kennt, die den Joseph verführen will [vgl. Genesis 39 ff., aber auch als Musterbild bei Goethe „Jussuph und Suleika“, *, S. 29]. Um wie viel gefälliger, wenn auch provinzieller müsste einem Sarazen der Name Marianne statt der Suleika erklingen!, verbirgt sich doch hinterm orientalischen Namen die 30jährige Marianne Jung, die im Theater singt und tanzt, als der alte Herr „der Entsagung Zierde“ [*, S. 112] im Sommer 1814 in Frankfurt kennenlernt – alles andere als die Frau des Potiphar, aber gegenseitige Zuneigung und Liebe ist nicht nur Heine ein anregendes Element. Die Jung wird Frau des verwitweten Frankfurter Bankiers Johann Jakob von Willemer, der seit langem mit Goethe befreundet ist. Als im Oktober 1815 mit dem Wiedersehen in Heidelberg die Leidenschaft bedrohlich wächst, reist Goethe eilig nach Weimar zurück. Mit dem Tode von Christiane im folgenden Juni wird er äußerlich frei und will wieder an den Rhein, als er einen kleinen Unfall zu Beginn der Reise als Wink von oben ansieht und verzichtet!

Die Liebenden werden sich nicht wieder sehen, der Austausch aber von Briefen und vor allem Gedichten dauert bis zum Tode Goethes. So sehr er auch in „Derb und Tüchtig“ beteuert „Dichten ist ein Übermut, / Niemand schelte mich! / […] /*Dichten ist ein Übermut! / Treib' es gern allein. / […]“, schwindelt er nicht, finden sich hier doch auch die Verse „Freund' und Frauen, frisch von Blut, / Kommt nur auch herein!“ [*, S. 19] Wahrlich eine Einladung, mitzumachen!

Mariannes Beiträge zum Divan sind und bleiben ihr geistiger Besitz – was selbst einer patriarchalisch-bürgerlichen Gesellschaft erst nach ihrem Tod [6. Dezember 1860] bewusst wird. Das Buch Suleika ist in Wort und Widerwort zwischen Hatem und Suleika der Höhepunkt dieses gemeinsamen Wirkens [*, S. 65 ff.]. Goethes „geistige Aura hatte sie, die vorher nur Gelegenheitsreime gemacht hatte, in sich gerissen, sie war gleichsam magisch geschlagen und mußte zur Antwortdichterin in seinem westöstlichen Tone werden“, freilich sieht man sie gutbürgerlich als „eine Emanation Goethes“ [Oskar Loerke, Der Goethe des >West-östlichen Divans<, *, S. 364 ff., hier S.373].
Goethes Spät- und Alterswerk gehört der nachklassischen Phase an, von der ich keineswegs behaupten werde, sie wäre romantisch! Nach dem Tod der Christiane werden weitere Liebeserlebnisse und Neigungen für sein dichterisches Schaffen wirksam. In den „Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans“ [*, S. 127 ff.] schreibt er offen zum Buch Suleika incl. Selbsteinschätzung: „Dieses, ohnehin das stärkste der ganzen Sammlung, möchte wohl für abgeschlossen anzusehen sein. Der Hauch und Geist einer Leidenschaft, der durch das Ganze weht, kehrt nicht leicht wieder zurück, wenigstens ist dessen Rückkehr, wie die eines guten Weinjahres, in Hoffnung und Demut zu erwarten. […] Eigentlich … hat sich unser Dichter zu einer freiwilligen Armut bekannt, um desto stolzer aufzutreten, dass es ein Mädchen gäbe, die ihm deswegen doch hold und gewärtig ist. / Aber noch eines größeren Mangels rühmt er sich: Ihm entwich die Jugend; sein Alter, seine grauen Haare schmückt er mit der Liebe Suleikas, nicht geckenhaft zudringlich, nein! Ihrer Gegenliebe gewiss. Sie, die Geistreiche, weiß den Geist zu schätzen, der die Jugend früh zeitigt und das Alter verjüngt.“ [*, S. 205 f.]

Die niemals abgeschlossene Sammlung – dem aufmerksamen Leser ist es spätestens jetzt aufgegangen – beschäftigt ihn seit 1813 und wird ihn sein Lebtag nicht mehr loslassen, geschweige denn, fertig werden – ganz wie es eben ein später Nachfolger benennt:„Wie lange / Dauern die Werke? / So lange / Als bis sie fertig sind. / So lange sie nämlich Mühe machen / Verfallen sie nicht.“ [Brecht, Über die Bauart langdauernder Werke]

Mit dem Tode Schillers ist dem alten Herrn buchstäblich in der Enge Weimars, vor allem aber nach zwanzig Kriegsjahren die Decke auf den Kopf gefallen, dass er sich seit Herbst 1813 für ferne Länder und Kulturen interessiert. Flüchtet er zunächst nach China, kommt im nahen Luftkurort Berka die Übersetzung des Divans des persischen Dichters Hafis [eigentlich Schems ed-Din Mohammed, 1390 +] unters Auge. Im greisen Hafis findet er hinweg über Zeit und Raum einen Bruder im Geiste „Dass du nicht enden kannst, das macht dich groß, /…/ Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe, / Anfang und Ende immerfort dasselbe, / Und was die Mitte bringt, ist offenbar / Das, was zu Ende bleibt und anfangs war. // … // Und mag die ganze Welt versinken! / Hafis mit dir, mit dir allein / Will ich wetteifern! Lust und Pein / Sei uns, den Zwillingen, gemein! / Wie du zu lieben und zu trinken, / Das soll mein Stolz, mein Leben sein. / Nun töne Lied mit eignem Feuer! / Denn du bist älter, du bist neuer.“ [Unbegrenzt, *, S. 25]

„Hafis ist in Goethe eingewandert, Goethe in Hafis“ bringt Loerke es auf den Punkt [*, S. 366] Nach 17 Jahren Weimarer Enge reist er wieder nach Westen, fasst wieder Lebensmut und sprüht vor Energie und Produktivität. Die reale Fahrt ins Rhein-Main-Gebiet wird zur Traumfahrt in den Orient, wo alle westliche Kultur herkommt: zunächst über die alte griechische und – als die Antike im europäischen Bewusstsein verdrängt ist - dann noch einmal über al-Andalus dank der Omajadenherrschaft. „Herrlich ist der Orient / Übers Mittelmeer gedrungen; / Nur wer Hafis liebt und kennt, / Weiß, was Calderon gesungen.“ [*. S. 60]

Die eigene Produktivität wird durchs Studium von 50 und mehr Werken ergänzt [Die wichtigsten nennt Weitz in den Erläuterungen, *, S. 292], dass Goethe auch hinsichtlich der östlichen Welt auf der Höhe der Zeit ist. Es ist ein Werk, dessen Reiz darin besteht, Gegensätze aufzuheben. Erinnerung und Phantasie, Dichtung und Wahrheit, sinnlich und geistig zugleich, der Main wird zum Euphrat, die fremde Denk- und Formweise gegen die Strenge klassischer Formen „im Gegenwärtigen Vergangnes“ – so bedeutet ihm der Feldzug des Timur, der den Hafis verehrte, gegen China das Ende von Macht und Weltreich des Eroberers, ähnlich wie Russland für Napoleon. Reim wechselt sich mit Ungereimtem, bittrer Ernst mit feiner Ironie, alte Worte mit Neuschöpfungen [die Loerke geradezu buchhalterisch aufführt].

Erscheint 1819 noch eine Ausgabe in einem Band, so kann im Jahr, da Heines Buch der Lieder erscheint, eine zweibändige Ausgabe des Divans herausgegeben werden, 1836 werden auch nachgelassene Gedichte angefügt.

„Wisse, dass mir sehr missfällt,
Wenn so viele singen und reden!
Wer treibt die Dichtkunst aus der Welt?
- Die Poeten!“​

Was spricht dafür, dass Weltliteratur, Literatur überhaupt populär sein müsse? Das Dichter irgendwem nach dem Munde reden sollten? Die Wirkung des Divan ist ja nicht nur für Heine nachgewiesen (s. o.) - Anil Bhatti, Germanist an der Jawaharlal Nehru University zu New Delhi, erinnert in „…zwischen zwei Welten schwebend…“ an Muhammad Iqbal (1938 +) der während der indischen Freiheitsbewegung als Antwort auf den Divan eine Botschaft des Ostens verfasst hat (hg. und übersetzt durch Annemarie Schimmel) und eine Linie Hafiz-Goethe-Iqbal herstellt. 1999 startet Daniel Barenboim ein Divan-Projekt als Zeichen des Friedenwillens zwischen Israel und den arabischen Ländern. Der clash of cultures findet nur statt in Flachköpfen, eher wird Blut für Öl vergossen oder verwechselt die andre Seite Huri mit Huren, fürchtet der engstirnige Sesselfurzer um sein warmes Plätzchen, um doch zugleich das Hohelied des Finanzkapitals zu pfeifen. „Wer nicht von dreitausend Jahren / Sich weiß Rechenschaft zu geben, / Bleib' im Dunkeln unerfahren, / Mag von Tag zu Tage leben.“ [*, S. 53]

„Unserm Meister, geh! Verpfände
Dich, o Büchlein, traulich-froh;
Hier am Anfang, hier am Ende,
Östlich, westlich, Α und Ω.“​

* zit. nach Johann Wolfgang Goethe: West-östlicher Divan, hgg. u. erläutert v. Hans-J. Weitz. Mit Essays zum >Divan< von Hugo von Hofmannsthal, Oskar Loerke und Karl Krolow, insel taschenbuch 75, Ffm. 1974 / 8. Auflage 1988.

Der Divan ist auch im Internet unter gutenberg.de eingestellt, wenn auch schlampig redigiert.

Das Eingangszitat stammt weniger von Altkanzler Helmut Schmidt als von Goethe, der es 1829 seinem Kanzler Müller an den Kopf warf.

 

"A und O" der Schlussverse hätte mit den Zeichen für Alpha und Omega enden müssen. Die mir z. V. stehende Technik lässt es derzeit nicht zu.
Hier schenk ich sie dir, damit die runde Sache ganz abgerundet ist:
„ Α + Ω “

Gerne gelesen!

Lieben Gruss,
Gisanne

 

Hier schenk ich sie dir, damit die runde Sache ganz abgerundet ist:
„ Α + Ω “

Gerne gelesen!


Gerne angenommen,

liebe Gisanne,

so wird auch hier eine Art Zusammenarbeit draus! Darum noch 'ne winzige Zugabe (vor allem denen, die's nicht lesen):

Das Leben ist ein schlechter Spaß,

Dem fehlt's an Dies, dem fehlt's an Das,

Der will nicht wenig, der zuviel,

Und Kann und Glück kommt auch ins Spiel.

Und hat sich's Unglück drein gelegt,

Jeder, wie er nicht wollte, trägt.

Bis endlich Erben mit Behagen

Herrn Kannicht-Willnicht weiter tragen.

Gruß & Dank

Friedel

 

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