H wie Hohn, Heiterkeit und Homo
Sonne… Fuck. Wenn es das Leben gut mit mir meinte, wurde ich von irgendwelchen Geräuschen von draußen geweckt, einem zu lauten Auto, oder irgendwelchen Leuten oder so. Manchmal auch von irgendwelchem Lärm innerhalb des Hauses, dem quietschenden Boden im Treppenhaus oder dem psychisch nicht ganz vollen Mongo, der jubelnd mit einer Plastiktüte, die an einer Schnur befestigt war, auf dem Balkon gegenüber stand und diese im Wind rumfliegen ließ; im angeblich besten Fall von einer Frau neben mir … oder auf mir. Heute also die Sonne, die so aggressiv durch den nicht ganz zugezogenen roten Vorhang schien und kleine Staubkörnchen vor den Stellen tanzen ließ, die er nicht verdeckte. Und es schien mir, dass der einzige Grund weswegen diese scheiß Sonne an diesem Tag aufgegangen sein musste, der war, mir auf den Sack zu gehen. Nicht um irgendwelchen Kaltblütern das Leben zu schenken oder irgendwo in Afrika eine Trinkwasserquelle austrocknen zu lassen, sondern nur, um mir auf den Sack zu gehen. Großartig.
Einen Wecker hatte ich schon lange nicht mehr. Ob eine ratternde Uhr neben meinem Kopf angenehmer gewesen wäre?
Ich hielt meine Augen noch geschlossen und versuchte den letzten Abend zu rekonstruieren. Da waren einige Bilder, wie bei einer Diashow, aber keine Zusammenhänge. Eine Situation erschien mir klar. Abspielbar wie eine realistische Videoaufnahme. Jedes gesprochene Wort und jedes gesehene Bild. Sogar scheiß Gerüche waren dabei. Dann eine neue Situation. Woanders. Andere Menschen, andere Gerüche. Aus Lilien wurde Scheiße. Wie kam es dazu? Wie konnte ich von der einen in die andere Situation geraten? Keine Ahnung. Die Übergänge fehlten.
War ich zuhause? Ich wagte, es zu hoffen. Sicher konnte ich mir da nicht mehr sein. Aber wieso sollte ich das auch? Gehörte doch dazu, oder? Die zerschlissene Matratze unter mir fühlte sich gewohnt ungemütlich an. Doch, das musste mein zuhause sein.
Ich bewegte meine Extremitäten… eine nach der anderen, nur ein bisschen, hoch, runter und in kleinen Kreisen. Irgendwelche Schäden? Fühlte sich nicht so an. Ich konnte meine Finger bewegen, meinen Nacken, nichts schmerzte. Wieder mal alles richtig gemacht. Kopfschmerzen waren da, aber das war ein temporärer Schaden. Ein oder zwei Tabletten und die Sache war vorbei. Oder das eine oder andere Bier, um den Rest, der in meinem Blut vor sich hinschwamm wieder ordentlich Zunder zu geben, es wieder Wackeln zu lassen. Das war meine Methode. Die funktionierte am besten. Ich entdeckte diese Methode der Bekämpfung der Schmerzen als ich noch ziemlich jung war. Ach ja, die gute alte Zeit. Damals fühlte es sich an, als hätte ich das verfickte Feuer entdeckt… Heute beherrschte ich sie wie kein anderer.
Die Innenseite meines Mundes brannte. Als hätte mir Satan seinen feurigen Höllenschwanz bis zum Anschlag zwischen die Zähne geschoben. Scheiß XTC. Mein Gaumen war offen, das Zahnfleisch an meinen Backenzähnen war komplett wund. Musste wohl ein kleiner Spaßspender zu viel gewesen sein. Vergessen. Egal. Die Party wäre scheiße gewesen, wenn ich mich noch an alles hätte erinnern können. Als ich die Augen öffnete, fühlte es sich an als hätte Satan sein riesiges Glied – zu allem Überfluss - rechtzeitig aus meinem Mund gezogen und den Rest in meinem Gesicht erledigt. Klassiker der Pornoindustrie.
Ich tastete den Nachtschrank ab, der in ungefährer Griffweite stand.
Zigaretten? Ja. Meine Finger fanden eine Schachtel. Ich hatte beschlossen meine Augen wieder geschlossen zu halten. Einerseits brannten sie und andererseits war der Tag eingebrochen. Ich war zum Vampir geworden. Das Sonnenlicht tat mir weh, wie tausend Nadeln, die auf mich einstachen, jedes Mal, wenn ich der im Weltall brennenden Kugel ausgesetzt war. Draußen irrten die Menschen herum, planlos wirkte es, doch hatten sie ein Konzept. Wie in einem Ameisenhaufen, kannte jeder den eigenen Weg. Er war vorprogrammiert. Worin wir den Ameisen nachstanden war? Wir kannten das Programm der anderen nicht. Wohin ging jeder einzelne da draußen? Was machten sie da? Das interessierte keinen, so lange die Zahnräder ineinander griffen. Ich verstand das Zahnrad nicht mehr, weswegen mir sein Aufbau auch scheißegal war. Hier drin war ich sicher, während draußen der Alltag der anderen tobte. Hier konnte mir keiner was und ich konnte niemandem was. Win-win-Situation für alle Beteiligten.
Ich schüttelte die Schachtel und hörte die akustische Ambrosia von zwei letzten vorhandenen Patrone. Mit nach wie vor geschlossenen Augen steckte ich mir eine davon in den Mund, doch fand ich den Abzug nicht. Satans Zielscheiben mussten geöffnet werden.
„Fuck…“ Außerhalb der Reichweite des durchschnittlichen Arms. Am Boden lag mein Feuerzeug, auf der Spitze des Hügels, den meine Klamotten vom Vorabend bildeten. Wie auf einem Thron sitzend, und es lachte mich aus. „Steh auf, Sklave!“, schrie es mich an, „Ich habe die Kontrolle über dich, deinen Körper und deine Bewegungen, also komm her! Das werde ich nicht von alleine tun. Diesen Gefallen tue ich dir nicht.“ Und der kleine Wichser hatte Recht. Meine Knochen ächzten wie morsche Äste eines morschen Baumes. Sie ächzten, aber schmerzten nicht. Ich war zu alt für den Scheiß, aber mir ging es gut. Wer hätte gedacht, dass man das alles so lange machen konnte? Der jugendliche Wille war wie immer stärker als das alte Fleisch…
Nach einiger Überlegung fiel mir auf, dass ich noch gar nicht so alt war. Ganz im Gegenteil… was redete ich da für einen Schwachsinn? Beziehungsweise, was dachte ich da für einen Schwachsinn…?
Schweren Schrittes holte ich mein Feuerzeug, hob es auf, ließ mich wieder aufs Bett fallen, zündete mir eine Zigarette an und schloss erneut die Augen.
Ein Bild schoss mir in den Kopf. Sie war wunderschön. Sie war fast durchsichtig, als würde sie aus Nebel bestehen, aber ich konnte sie noch klar erkennen. Es war vor nicht allzu langer Zeit, einige Wochen, vielleicht auch Monate, mussten es nun gewesen sein, da beauftragte ich sie, uns das eine oder andere Getränk zu holen. Das war die Abmachung.
„Ich habe sie nicht zu stark machen lassen. Es ist schon halb 2.“
Und sie grinste mich an mit ihren perfekten Zähnen und ihrem unschuldigen Lächeln. Elendiges Miststück.
Gestern war sie wieder wunderschön, sah jedoch anders aus. Irgendwie echter. Nicht so durchsichtig. Die Situation war ähnlich. Ihre Zähne waren nicht so perfekt, aber schön, und ihr lächeln war alles andere als unschuldig. Großartiges Miststück. Ich beauftragte sie, uns das eine oder andere Getränk zu holen. Das war die Abmachung.
„Ich habe dem Penner hinter der Bar die ganze Flasche geklaut, damit wir später wenigstens noch en bisschen was von dem Fusel haben, den sie uns hier verkaufen wollen. Die Nacht ist noch jung.“
Das war besser. Viel besser. Wer war sie noch gleich? Ich öffnete die Augen. Ich war mir nicht ganz sicher, obwohl sie nicht so durchsichtig war. Aber irgendwas war…ah, da stand sie ja. In der Tür, die zum Badezimmer führte. Sie lächelte mich an, nach wie vor durchtrieben. Nicht nur ihr Mund grinste, auch ihre Augen. Sie meinte es wohl wirklich. Durchtriebenes Ding. Sie war so blass, dass ihre Hautfarbe die Farbe ihrer Zähne angenommen hatte. Ihre Haare hingen über ihre Brüste und nahmen die Form einer natürlichen Zensur an. Viel besser als jeder schwarze Balken. Sie wackelte auf mich zu, riss mir die Zigarette aus der Hand und ließ sich aufs Bett fallen.
„Scheiß Sonne.“, sagte sie und das gefiel mir.
„Tun dir auch so die Augen weh?“, fragte ich sie.
„Nein. Das sollten sie aber.“
Ich gratulierte meinem pornoschauenden Ich.
„Danke.“
Sie blies mir Rauch ins Gesicht und gab mir meine Zigarette wieder. Wofür hatte sie sich gerade bei mir bedankt?
Nach der Zigarette stand ich auf, um vom Küchentresen zwei halbvolle Flaschen Bier zu holen, die vom Vorabend, beziehungsweise vom Morgen, noch darauf warteten ausgetrunken zu werden.
„Woher hast du die Narbe auf deiner Brust?“, fragte sie mich, als ich mich wieder neben sie aufs Bett fallen ließ und ihr eine der Flaschen reichte. Sie hatte sich auf ihre Ellenbogen gestützt und musterte meinen nackten Körper. Ich nahm einen großen Schluck. Das Bier war noch ok. Etwas wenig Kohlensäure aber das war in Ordnung.
„Hast du noch Zigaretten? Wenn nicht müssten wir bald welche holen. Ich hab nur noch eine.“
„Die Narbe. Woher hast du die?“
„Ein entferntes Tattoo. Und, hast du noch Zigaretten?“
„Ja, habe ich. Das sieht ja nicht sonderlich gesund aus…“
„Sehr gut. Und ahm…zu der Zeit war die Lasertechnik noch nicht so weit wie sie es heute ist. Ist schon en Stück her.“
Das war eine Lüge. Ich musste es mir selbst entfernen, weil ich mir keine professionelle Entfernung leisten konnte und es war auch gerade mal ein paar Wochen her.
„Hat das wehgetan?“
Sie hakte weiter nach und betrachtete die Narbe näher. Sowohl mit ihren langen, schlanken Fingern als auch mit ihren großen, matten Augen.
„Nicht mehr, als das Stechen.“
Wieder eine Lüge. Ich hätte gerne ihre Vorstellung davon gehört, wie es sich wohl anfühlte, sowas mit einer handelsüblichen Drahtbürste und einer Flasche Jack Daniel’s zu machen.
„Wieso hast du es entfernen lassen?“ Sie bohrte weiter. Meine Güte. Immerhin hörte sie damit auf, meine widerliche Narbe zu inspizieren. Sie hatte sich wieder zurückgelehnt und genoss mittlerweile ihr Bier vom Vorabend in vollen Zügen.
„Passte nicht mehr zu meinem Lifestyle.“
Ich konnte nicht aufhören zu lügen, aber da ich schon mal dabei war, dachte ich, dass ich mir auch die Peinlichkeit ersparen konnte, ihr zu sagen, dass sich dort einst der Name meiner Ex-Freundin befand.
„Ah.“
Und damit hatte sich dann sowohl dieses Thema als auch all die anderen Themen, die sich um diese Frau drehten, erledigt.
Kaum war sie aus der Wohnungstür gegangen, kam H reinspaziert, als wäre er hier zuhause.
„Nette Kleine.“, sagte er und zeigte auf die Frau, die gerade hinausgegangen war. „Hast du was zu trinken?“
Bevor ich antworten konnte, riss er meinen Kühlschrank auf.
Meine Einzimmerwohnung bot nicht sonderlich viel Platz, weswegen ich ihn problemlos bei seinem selbstgefälligen Verhalten beobachten konnte, ohne meinen Kokon zu verlassen.
„Fühl dich nur wie zuhause. Komm rein. Machs dir bequem. Nimm dir’n … du weißt schon“, sagte ich, während ich mir eine der Zigaretten anzündete, die mir freundlicherweise von der blassen Dame hinterlassen wurden.
H schlug den Kühlschrank wieder zu und drehte sich sichtlich genervt zu mir um. Ich gestikulierte in Richtung eines kleinen Sessels, der in der Ecke des Raumes stand. Zu Hs Freude stand auf dem kleinen Tisch daneben noch eine ungeöffnete Flasche Jameson Whiskey.
Er nahm sich ein dreckiges Glas vom Tresen, pustete ein paarmal hinein, goss sich das goldbraune Getränk zwei Finger breit ein, zündete sich ebenfalls eine Zigarette an, und setzte sich. Er ließ sich weit in den Sessel fallen. Es sah beinahe aus, als würde er mehr liegen als sitzen. Die Armlehnen waren auf Schulterhöhe, er legte seinen Kopf in den Nacken und blies weißen Rauch vertikal in die Luft.
Ich sagte nichts. Wie spät war es eigentlich? Spielte es eine Rolle? Wahrscheinlich eher nicht. Nachdem mein halbes Bier leer war, begann meine Kehle erneut zu brennen. Wasser! Ich wandte mich aus meinem Kokon aus Decken und Kissen und ging auf wackligen Beinen zur Küchenecke. Dort nahm ich ein Glas von dem Tresen, auf dem sich mittlerweile irgendwelche undefinierbaren Krabbeltiere einen Kampf um Leben und Tod leisteten. Dem blühenden Sieger würde die Ehre zuteil kommen, Essensreste der letzten 2 Wochen für sich behaupten und vertilgen zu dürfen. Scheiß drauf.
Aus der Leitung füllte ich mir mein Glas auf, drehte mich zu H, nahm einen großen Schluck, setzte das Glas ab und stützte mich mit durchgestreckten Armen auf den Tresen.
„Also die Kleine…“, sagte H, der mittlerweile seine Liegeposition gegen eine semi-sitzende Position eingetauscht hatte, „…woher hattest du die?“
„Der Laden unten an der Ecke.“, erwiderte ich und gestikulierte in die ungefähre Himmelsrichtung, in der ich glaubte, dass sich die Bar befand, in der ich den Großteil der letzten Nacht verbrachte.
„Vor der Eröffnung wurde noch groß angekündigt, dass das en richtiger scheiß Nobelschuppen wird, aber mittlerweile ists da so runtergekommen, dass sich da keine Nutte mehr blicken lässt, die noch alle Zähne im Mund hat. Nur noch Gesindel.“
„Was du nicht sagst.“, sagte H dummgrinsend.
„Echt witzig. Aber kein Scheiß. Ich könnte schwören, dass ich da ne scheiß Ziege in der Ecke stehen sehen habe. Egal …Was willst du eigentlich hier. Wie spät ist es?“
„Spät genug. Darf ich…?“ H deutete auf die Flasche und fuchtelte mit seinem bereits leeren Glas in der Luft rum.
Ich nickte. Wieso fragte der Penner eigentlich, wo er sich doch sowieso schon dran vergriffen hat?
„Also. Was willst du?“
Ich ging zurück zum Bett und ließ mich wieder fallen.
„Die Kleine. Wars schwierig?“
„Ganz und gar nicht. Sie…“
„Sie war doch keine…?!“, unterbrach er mich.
„Nein, nein. Das war sie nicht. Einfach war es trotzdem. Vaterkomplex. Von der feinsten Sorte.“
„Und nur, weil du jetzt seit zwei Monaten scheiß Fussel im Gesicht mit dir rumträgst, warst du ihr Daddy, den sie niemals hatte?“
H grinste mich an.
„So siehts mal aus.“ Ich winkte ab. „Aber nein. Ärgerlicherweise hatte sie einen Daddy. Die hat sich gestern voll bei mir ausgekotzt. Gib den Ladys ein paar Gläser und sie erzählen dir von allem, was in ihrem Leben schief gelaufen ist. Je mehr Gläsern sie auf den Grund gehen, desto mehr denken sie, du willst ihrer Seele auf den Grund gehen. Seltsamerweise erzählen sie nie, was richtig, sondern immer nur was falsch lief. Und glaub mir, ein toter oder nicht vorhandener Daddy, wäre ein besserer Daddy gewesen, als der, den sie hatte…wenn denn alles stimmt, was sie erzählt hat.“
„Das wäre was genau gewesen?“
„Naja, keine Ahnung. Irgendwann meinte sie, dass das einzig Gute an ihrem Vater war, dass er kein Säufer war und nicht an irgendeiner Nadel hing.“
„Das war das Gute?!“
H sah mich fragend an und setzte sich gerade hin. Die Frau schien ihn aus irgendeinem Grund zu interessieren.
„Genau das dachte ich auch. Ich hab sie dann nur scheiße angeschaut und gemeint ‚Was hat er denn dann schlechtes gemacht?‘ und sie antwortete nur ‚Alles‘. Und ich hab dann gefragt ‚Alles, alles?‘ und sie meinte ‚Ja, alles‘.“
„Also hat der Alte sie auch gefickt?“
„Denke schon. Ich wusste ja nicht, wie extrem ich das interpretieren sollte, aber ja, ich glaube, dass die mir gesagt hat, dass der Alte sie gefickt hat.“
„Fuck.“
„Ja schon irgendwie. Aber was interessiert mich das? Ich bin weder ihr Therapeut, noch will ich sie irgendwie heiraten oder so. Sie war eine von den Bauern mit denen ich tanze, während ich darauf warte, dass mein Prinz das Reich meines Herzens betritt.“
Ich stand auf und suchte mein Hemd. Mir war kalt und ich schwitzte. Meine Augen hatten in der Zwischenzeit vollends aufgehört zu brennen, weswegen mir die Suche nicht mehr so schwierig vorkam, als sie es mir vor einer Stunde noch vorgekommen wäre. Während ich durchs Zimmer irrte, merkte ich, wie H mich beobachtete. Ich suchte den Boden ab, konnte aber nichts finden. Ich sah mich im Zimmer um und als Hs Blick meinen traf, merkte ich, wie er mir tief in die Augen starrte.
„Was?“ fragte ich ihn überrascht.
Er sagte nichts, sondern lehnte sich lediglich zurück, sah mich jedoch weiter an. Er sah mich an als ob er versuchte, irgendetwas Bestimmtes in meinen Augen zu erkennen. Die scheiß Spiegel meiner scheiß Seele zu ergründen, mit seinen penetranten, doch durchaus attraktiven, blauen Augen.
„Was?!“, fragte ich erneut. Etwas lauter.
„Wie geht es dir?“, fragte er mit so ruhiger Stimme, dass es mir fast unangenehm war.
„Passt schon. Dir?“
„Nein, ernsthaft. Wie geht’s?“
„Passt schon alles. Wie soll es mir schon gehen?“
Ich hatte mittlerweile mein Hemd gefunden und setzte mich aufs Bett. Mehr Zigaretten…
„Du… ich weiß nicht. Geht es dir wirklich gut? Was hattest du da gerade mit den Bauern und dem Prinzen gesagt?“
Wieso hörte er nicht damit auf?
„Keine Ahnung. Egal. Mir geht es gut! Was willst du von mir und wieso machst du jetzt hier so einen auf Schraubendreher?“
Meine Stimme wurde lauter.
„Die Kleine wurde eventuell von ihrem Vater missbraucht.“, sagte er leise.
„Ja, die Kleine wurde eventuell von ihrem scheiß Vater scheiße nochmal missbraucht. Entweder sie kommt damit klar, oder soll sich einweisen lassen, oder sich ne scheiß Kugel geben, damit sie das Elend der Welt endlich hinter sich lassen und ihre verkrüppelte, gepeinigte Seele von fetten Babys mit Flügeln am Himmelstor empfangen werden kann. Und da du am besten wissen solltest, dass ich mich weniger für sie interessiere, als du es gerne hättest, ist das nicht mein verficktes Problem.“
„Ist es das nicht?“
„Nein, das geht mir am Arsch vorbei!“
„Deine Narbe sieht schlecht aus.“, sagte er still und deutete auf meine Brust, die durch die offenen Hemdknöpfe sichtbar war.
„Was zur…?! Meine Narbe?! Was willst du gerade von mir?“
Ich wurde wütend. Wütender, als ich es eigentlich werden wollte.
„Sieh dich an.“
Er deutete zum Spiegel, der an der Wand neben meinem Bett stand.
Ich drehte mich kurz um, sah mich an, dann wieder ihn.
„Und weiter?“
„Sieh dich richtig an.“, bat er mich höflich.
Um endlich meine Ruhe von ihm zu haben, stand ich auf und sah mich an. Ich fand, dass ich ok aussah. Naja, eventuell ein wenig mitgenommen, klar, letzte Nacht war auch anstrengend. Tiefe Augenringe, dunkel wie die Nacht die mein Zuhause war. Nicht so tragisch. Ich hätte mal wieder zum Zahnarzt gehen können. Professionelle Zahnreinigung und son Scheiß, aber wer zahlte für sowas schon 70 Glocken?! Das wäre eine halbe Nacht lang Spaß gewesen. Meine Haare waren fettig und hingen in dunklen Strähnen in mein Gesicht. Ich hatte einen Kratzer unterhalb meines linken Auges, der bis zur Mitte meiner eingefallenen Wange ging. Ich sah einigermaßen aus wie der Tod. Wenn er denn so aussah, wie ich ihn mir vorstellte. Aber das sind eben die Opfer der Nacht, die ich gerne gewillt war einzugehen. Was gab es auch sonst für mich außer der verführerischen Dunkelheit? Für mich war kein Platz mehr. Für mich würde es nie wieder einen geben. Ich hatte meinen Platz verspielt. Ihn ohne nachzudenken in die Mitte des Pokertischs geworfen. Angestachelt vom männlichen Übermut zu meiner Linken, der mich ununterbrochen verhöhnte, während mich meine weibliche Stimme der Vernunft von hinten anflehte, es nicht zu tun. Alles Flehen war umsonst… All in! Drauf geschissen! Die Heiterkeit und die Gunst der Stunde obsiegten. Und ich verlor…
Ich drehte mich zu H um, der mich prüfend ansah, sein Glas in beiden Handflächen hin und her drehend und seine Ellenbogen auf seine Knie gestützt. Ich hob die Arme und ließ sie in einer fragenden Geste fallen.
„Und weiter?“
„Du weißt, was ich dir sagen will…“
„Nein, keine Ahnung. Kläre mich auf. Erleuchte mich. Obgleich ich meine Unwissenheit der Vergangenheit zuschreiben darf.“
„Das ist nicht, was ich dir damals sagen wollte und das weißt du auch.“
„Schwachsinn!“, schrie ich ihn an. Ihn, wie er mit seiner makellosen Selbstgefälligkeit auf meinem Sessel saß und meinen Whiskey trank.
„Du weißt, dass ich Recht habe. Aber drauf geschissen. Gut, du hast eine Ausfahrt verpasst. Du hast da etwas mehr gehört, als ich es beabsichtigt hatte. Das passiert eben, aber bleibe nicht, wer du geworden bist.“
„WER ICH GEWORDEN BIN?“
„Ja, Nick, was ist aus dir geworden? Wer bist du geworden? Sag es mir.“
„Das sind verfickt nochmal die komplett falschen Fragen. Wie sollte man derartige Fragen beantworten können? Frag lieber, was mir passiert ist, H, falls das überhaupt dein scheiß richtiger scheiß Name ist, frag mich, was mir passiert ist!“
„Was ist dir passiert?“
„Du bist mir passiert! Ist genau das hier nicht auch genau das, was du immer wolltest du verfickter Penner?!“ Ich zeigte erst auf mich und kreiste dann mit dem Finger in der Luft, um alles andere um mich herum miteinzubeziehen.
„Nein, das ist es nicht. So hatte ich das alles nicht gemeint.“
Er stand auf und ging zur Türe.
„Danke für die Drinks.“, sagte er und verließ mich und meine Wohnung. Vor Wut warf ich ihm mein Glas hinterher, das an der Tür in abertausende, kleine Scherben und Splitter zerschellte. Und da ging her hin und ich hatte es wieder mal versaut. Mein Mann… Hätte er doch damals nur verstanden, was ich von ihm wollte.