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H.E.I.L. Europe

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26.11.2008
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H.E.I.L. Europe

Kevin Pascal Schlüter war ein wirklich fleißiger und akribischer Mitarbeiter der Europabehörde „Agency for Health, Environment, Infrastructure and Lifestyle“, besser bekannt unter ihrem Kurznamen „H.E.I.L. Europe“. Er erfüllte dort die Funktion eines H.E.I.L. Accessors für den Privathaushalt, was nichts anderes bedeutete, als die ständige und unangekündigte Kontrolle eines jeden EU Bürgers auf die Einhaltung der Gesetze innerhalb seiner Wohnung. Dieser Beruf passte gut zu dem fülligen, leicht untersetzten und peniblen Deutschen.
Nach der großen Terrorwelle zur Jahrtausendwende wurde die Justiz der akuten Bedrohung nach und nach angepasst. Da wirklich jeder ein potentieller Terrorist ist, oder auch werden kann, oder mal war, wurde die Methode der „kompletten Beweislastumkehr“ auf das Gesetz angewandt. Nun musste jeder Bürger regelmäßig Beweisen, dass er gegen keine Gesetze verstoßen hat, oder gar ein Terrorist ist. Dazu pflegte jeder Bürger eine Kamera mit sich zu führen und den kompletten Tagesablauf lückenlos aufzuzeichnen. Nur so war zweifelsfrei zu beweisen, dass man wirklich ein unbescholtener Bürger war. Da die List eine Freundin des Terrors ist, wurde die Bevölkerung natürlich trotzdem regelmäßig besucht und kontrolliert bzw. es wurde ein staatlicher Service angeboten.

Nach einem schönen und erfolgreichen Arbeitstag, das bedeutete genau vier Verwarnungen wegen Übergewicht, Konfiszierung einer illegalen Sachertorte und einer nicht versteuerten Zigarette, war Kevin auf dem Nachhauseweg. Seine Behörde überwachte auch die Gesundheit des Bürgers und Übergewicht wurde verboten. Viel zu ungesund und erst die Kosten im Gesundheitssystem! Ausnahmen wurden nur selten gemacht, und wenn, dann nur mit ärztlichem Attest. Zum Service der Behörde gehörte daher auch Kontrolle der Fitness und Ernährung. Jegliche Süßigkeiten wurden extra besteuert und man benötigte eine Lizenz (Ernährungsführerschein), um sie gelegentlich (Geburtstage, Weihnachten) zu konsumieren.
Kevin liebte seinen Beruf, denn er wusste, dass er den Menschen damit half, obwohl er nicht sehr beliebt war. Kurz vor seinem Wohnblock wurde er von einem Polizisten angehalten. Er bemerkte erst dann, dass ein großräumiger Bereich vor einem Werbeplakat mit Flatterband abgesperrt war und mehrere Polizisten scheinbar Beweismaterial und Proben sammelten.
Der Polizist sprach ihn in einem sachlichen Ton an: „Guten Abend. Allgemeine Polizeikontrolle. Weisen sie sich bitte aus.“ Verdutzt reichte Kevin ihm seinen Ausweis, während der Retina-Scanner in der Mütze des Beamten seine Augen kurz aufblitzen ließ. „Guten Abend. Was ist denn hier passiert? Schon wieder ein Bio-Anschlag?“ Der Polizist, nun grimmiger: „Ja. Das dritte Mal diesen Monat. Wenn ich mir vorstelle, was da für Keime drin sein könnten. Nur ein Mensch ohne jegliche Moral würde an ein Plakat spucken!“
Kevin nickte eifrig und bestärkte den Polizisten in seiner Meinung noch: „Sie haben vollkommen Recht! Diese Schweine gefährden unsere Gesundheit und damit die Sicherheit von Europa! Ich hoffe, sie packen den Täter schnell.“ Der Polizist entwickelte eine Sympathie für Kevin und so wurde seine Reaktion auf die Meldung in seinem Display ein wenig abgemildert. Besorgt sagte er zu ihm: „Oh, da gibt es wohl ein Problem mit ihrer BP. Die ist gestern abgelaufen! Haben sie die Erneuerung nicht beantragt?“ Nicht mehr so agil und ein wenig blass antwortete Kevin: „Meine Bürgerplakette ist abgelaufen? Was? Das kann doch nicht sein. Ich habe sie letzte Woche doch erneuert! Hier muss es sich um einen Fehler handeln!“. Nun zog ihn der Polizist näher und flüsterte in sein Ohr: „Hören sie, irgendwie sind sie mir sympathisch, aber behaupten sie nie wieder, der EU Zentralrechner würde einen Fehler machen. Das ist ausgeschlossen! Ich belasse es bei einer Verwarnung, aber gehen sie morgen früh direkt in die Bürgeragentur und lassen sie das regeln. Das ist eine ernste Sache, mein Junge!“ Da hatte Kevin aber Glück gehabt, einen so netten Polizisten zu treffen.
Mit einer abgelaufenen BP drohten ihm massive Steuererhöhungen, die einen Ausgleich für sein nicht konformes Verhalten darstellten, welches ernorme Kosten im System verursachte. Er bedankte sich und ging schleunigst nach Hause.

Nach einer unruhigen Nacht brach Kevin schon in der Frühe auf und war Erster in der Schlange vor der Bürgeragentur. Er kam schnell dran und betrat ein kastenförmiges Büro, welches nicht einmal den Versuch unternahm, Geborgenheit zu verbreiten.
Er setzte sich vor den Schreibtisch einer beleibten und unattraktiven Sachbearbeiterin. Mit einer Art Grunzlaut sagte sie: „Ja bitte? Was kann ich für sie tun?“ Die Nervosität trieb ihn zur Eile. „Guten Morgen. Schlüter. Kevin Schlüter. Es gibt ein Problem mit meiner Plakette. Sie ist angeblich abgelaufen. Könnten sie das Überprüfen und sie gegebenenfalls verlängern?“ Erst daraufhin hob sie ihren Kopf komplett und schaute sich Kevin genauer an. „Herr Schlüter, wie kann man denn vergessen, die BP zu verlängern? Das weiß doch jedes Kind, dass man alle drei Monate eine Verlängerung beantragt. Das macht sie verdächtig.“ Kevin sank ein paar Zentimeter ein und wollte ihr gerade kundtun, dass er sehr wohl eine Verlängerung beantragt hatte, erst letzte Woche. Da dachte er an sein Gespräch mit dem Polizisten. Der Zentralcomputer der EU macht nie Fehler. Ausgeschlossen! Es war bestimmt sein Fehler. Ein kleiner Fehler ist ihm beim Ausfüllen des fünfseitigen Formulares unterlaufen. So wird es sein. Er setzte seinen besten Hundeblick auf und sagte: „Es tut mir wirklich leid! In letzter Zeit bin ich so zerstreut. Mich plagt seit Monaten eine Depression und dann noch Probleme auf der Arbeit. Ich bin ein stolzer EU Bürger und würde nie etwas Illegales tun. Bitte verlängern sie die Plakette doch einfach.“
Mehr Mitleid erregendes war in Kevin nicht drin. Er gab alles und hatte Erfolg. Zuerst überlegte die Sachbearbeiterin ein wenig, ging in sich und entschloss dann, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Man konnte es fast schon ein Lächeln nennen, was sich auf ihrem Antlitz bildete.
„Gut. Ich werde es dieses eine Mal übersehen, dass sie zwei Tage zu spät erscheinen. Geben sie mir ihren Ausweis und ich nehme eine Standard-EU-Bürger-Compliance-Prüfung vor. Das dauert nur ein paar Sekunden.“ Erleichtert reichte Kevin ihr seinen Ausweis und sah zu, wie sie ihn in ihren Computer einlas. Er schaute ihr gebannt dabei zu, wie sie die eintreffenden Ergebnisse der SEUBCP einsog.

Nach wenigen Minuten blickte sie auf. „Hmm. Das sieht ja alles ganz gut aus. Sie haben sich keiner groben Vergehen schuldig gemacht. Nur eine Kleinigkeit. Der Biosensor ihrer Waschmaschine hat Spermareste im Abwasser gefunden. Das ist zwar keine Umweltverschmutzung, aber Ejakulationen werden halt versteuert, wie alle anderen Vergnügen auch. Das wissen sie doch und haben trotzdem keine Steuer abgeführt.“
Der dann richtig bleich gewordene Kevin sprach nur noch stotternd. „Ja, äh, das kann ich erklären. Das hat medizinische Gründe. Ich hatte eine Ejakulation während ich schlief und die kann man nicht kontrollieren. Somit folgte die Ejakulation unbewusst und ist nicht versteuerungspflichtig, da kein aktives Vergnügen vorlag.“ Kevin wurde richtig stolz auf seine gekonnte Ausrede. Als hätte sie das schon hundert Mal gehört, sagte sie routiniert: „Gut. Dann prüfe ich eben kurz das Schlafdiagramm ihres Gesundheitssensors des letzten Monats. Der Computer erkennt feuchte Träume anhand der Körperreaktionen. Das macht ihnen dann ja sicherlich nichts aus, wenn sie die Wahrheit sagen.“ Kevins Ausrede war scheinbar doch nicht so gut, so dass er nun den Büßer spielen musste: „Nein, tun sie das nicht. Sie haben mich erwischt. Ich habe tatsächlich letzten Monat unversteuert onaniert. Aus Scham, nicht aus Geiz, wollte ich es nicht versteuern. Ich bin ein einsamer Mann! Welchen Betrag bin ich der EU denn nun schuldig? Es gibt doch keine Strafpunkte im Moralregister, oder?“
Auch dass hatte sie anscheinend schon erwartet. Sie reichte ihm seinen Ausweis mit den Worten zurück: „Ja natürlich. Das Übliche. Ich habe die Steuern von 10 Euro für eine Ejakulation und eine zusätzliche Strafzahlung von 100 Euro wegen Steuerhinterziehung von ihrem Konto abbuchen lassen. Die 20 Euro Zuschlag wegen unsachgemäßer Entsorgung von Biomasse wird auf ihre nächste Müllerzeugungsgebühr aufgeschlagen. Zahlen sie nächstes Mal einfach die zehn Euro und benutzen sie den Biomülleimer. Ihre Bürgerplakette wurde um drei Monate verlängert. Auf Wiedersehen.“

Puh, da hatte unser Kevin aber noch mal richtig Glück gehabt.
Es wäre auch schade um ihn gewesen, denn kaum einer war ein so guter Kontrolleur wie er. Auf solchen Menschen beruhte immerhin das reibungslose Funktionieren der größten Demokratie der Welt.

 

Hallo Existence,

es freut mich, dass diese Geschichte so eine starke Reaktion bei dir auslöst,
was die akute Terrorbedrohung angeht.
Diese Gefahr ist mir bewußt, aber sie ist statistisch gesehen unrelevant.
Die Bedrohung vom täglichen Berufsverkehr ist viel höher als die des Terrors
und trotzdem werden Autos nicht bekämpft.
Klar habe ich ziemlich übertrieben, vor allem bei der kompletten Beweislastumkehr, aber für mich ist das eine konsequente Fortsetzung
der heutigen Politik in der Zukunft. Guantanamo läßt grüßen ;o)
Das Ganze ist eingebettet in eine "Bürokratur", welche erst sie totale Kontrolle ermöglicht.
Ich nehme auf keinen Fall in Kauf, dass mein Telefon abgehört wird, nur
damit Barack Obama besser schlafen kann.
Warum ist meine Freiheit so mit der inneren Sicherheit gekoppelt?
Auf jedenfall ist das ja eine Satire und soll nicht umbedingt die aktuellen Verhältnisse wiederspiegeln, sondern eher eine düstere Zukunft.
Na ja, ich neige zur Übertreibung...

liebe Grüße
Mr.Pepino

 

In ein paar Jahren könnte der Text als Satire schon überholt sein. Ich weiß jedoch nicht, wie lange Herr Schäuble Innenminister bleibt. Das Steuersystem hat mich an eine Dagobert Duck Geschichte erinnert, die ich gerade vorige Woche in der Badewanne gelesen habe, in der die Panzerknacker als vermeintliche Steuerexperten die wildesten Abgaben erfinden.

Übergewicht, Konfiszierung einer illegalen Sachertorte und einer nicht versteuerten Zigarette, war Kevin auf dem Nachhauseweg.

Lebst Du in Frankfurt?

Dazu pflegte jeder Bürger eine Kamera mit sich zu führen und den kompletten Tagesablauf lückenlos aufzuzeichnen.

Das machen immer mehr Menschen dank Youtube schon ganz von alleine.

ein Depression

Hier fehlt noch ein „e“

was sich auf ihrem Anlitz bildete.

Ich würde „Antlitz“ schreiben.

Die 20 Euro Zuschlag wegen unsachgemäßer Entsorgung von Biomasse erlasse ich ihnen, da sie mir leid tun.

Das wiederum wundert mich. Hat die Frau solche Spielräume in einer derart überwachten Welt? Ich denke, nein.

stilistisch ist die Geschichte in Ordnung, wobei Du Dich bisweilen in Detailbeschreibungen der Zustände verlierst.

Gerade diese Details haben mir sehr gut gefallen.

 

Hallo findur,

habe die Rechtschreibfehler entfernt. Danke!
Bei deiner letzten Bemerkung hast du Recht damit, dass
diese Frau über große Spielräume verfügt. Sie ist ja auch übergewichtig,
also scheint sie doch über gewisse Beziehungen zu verfügen.
Sie geniesst die üblichen Vorteile von Bediensteten des Systems.
Ich denke, selbst die krasseste Überwachung kann den Filz nicht
komplett verhindern. Wer kontrolliert die Kontrolleure?

Schön, dass dir die Details gefallen. Mußte beim Schreiben viel an Geschichten von Stanislaw Lem denken, die ähnlich funktionieren.
Ich hoffe aber, dass der Text nicht von der Realität eingeholt wird...

Grüße
Mr.Pepino

 

Mußte beim Schreiben viel an Geschichten von Stanislaw Lem denken, die ähnlich funktionieren.
Ich hoffe aber, dass der Text nicht von der Realität eingeholt wird...

Ich hätte jetzt vielleicht an Franz Kafka gedacht, aber Lem? Sag mir mal ein paar Titel, sowas würde ich von Lem gerne lesen.

 
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Lieber pepino,

Satire ist ein schwieriges Feld. Du kannst natürlich auf die Gemeinplätze zielen, etwa so, wie Loriot das macht. Dann lachen sogar die, denen seine Witze gelten.

Du kannst eine nicht ausgesprochene, aber von vielen gefühlte Wahrheit umsetzen, dann erntest Du das befreiende Lachen der von der Herrschaft unterdrückten, das eigentlich von der Druckentlastung zehrt und das sich auch in den Witzen über den Vatikan, den Papst und die Kirche wiederfindet, die in Bayern ständig erzählt werden.

Dann kannst Du eine Realität auf die Schippe nehmen, die vielen noch gar nicht bewußt ist. Damit hast Du dann zwei Aufgaben: Du mußt den Mißstand vermitteln und dann den Witz darüber. Das ist für eine Satire zuviel; die Folge ist, daß Du einen Text für eine kleine Minderheit verfaßt.
„Man muß die Menschen da abholen, wo sie stehen“, lautet eine aktuelle Floskel, eigentlich auch satirewürdig. Ich denke mal, das hast Du Dir nicht vorgenommen. Damit stellst Du Dich in die Reihe vieler Warner, die nur noch die Satire als Sprache verwenden konnten und die deshalb nicht verstanden wurden, 50 Jahre später sagt man dann: Ja, der hat es gesehen! So etwa mit der Radierung von A. Paul Weber aus dem Jahre 1932 „Das Verhängnis“, wo tausende Menschen mit Fahnen in einen offenen Sarg wandern. Weber hat das so gemacht, weil eine andere Sprache wegen der Entwicklung nicht mehr möglich war; da sind wir (noch) nicht, und Du kannst noch offener Deine Kritik äußern.

Der Rechtsstaat EU ist auch meiner Erfahrung nach nur wenigen bekannt. Das hat zwei Ursachen: erstens vollziehen sich viele politische Abläufe in der EU hinter verschlossenen Türen, man erfährt nicht, was läuft, und schon gar nicht, wie Entscheidungen zustande kommen. Einer demokratischen Kontrolle durch den Bürger ist die Politik der EU nicht zugänglich, obwohl sie zunehmend unser Leben regelt. Zweitens stoßen die weinigen Nachrichten aus Brüssel auf eine Bevölkerung, die unsere Verfassung nicht verinnerlicht hat; die Verfassung wurde uns nur verordnet, sie wird in der Schule behandelt und damit hat es sich. Das hat Folgen:

Wer hat sich darüber gewundert, daß eine Gesundheitsministerin, die einen Eid geschworen hat, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, und die nach ihrem Gewissen kein Fleisch aus England importieren wollte (wegen des BSE-Risikos), von Brüssel angewiesen wird, es doch zu tun. Sie ist doch ihrem Eid verpflichtet!

Ähnlich läuft es ja auch mit den EU-Gesetzen: für die nationale Umsetzung müssen die Abgeordneten mit zwei-Drittel-Mehrheit dafür stimmen; tun sie es nicht, drohen Vertragsverletzungsverfahren vor dem EUGh und hohe Strafen für das eigenwillige Land. Wo bleibt das Gewissen der Abgeordneten, wenn ihre Stimmabgabe verordnet wird?

Ich habe in meinem Beruf häufiger mit Vorgängen zu tun, wo die nationale Umsetzung europäischen Rechts nach den Vorgaben der Kommission auf Konflikte mit der deutschen Verfassung stößt; in Brüssel hören die deutschen Ministeriumsmitarbeiter immer nur denselben Refrain: paßt Eure Verfassung an!

War es der Bevölkerung, war es den Politikern klar, daß mit dem EU-Beitritt unser Grundgesetz in den Mülleimer geworfen wird?

Das waren jetzt nur ein paar Ausschnitte, man könnte endlos fortfahren mit den Themen EU-Ausländer, EU-Sicherheit, EU-Kriegseinsätze etc.

Und damit zu Deiner Geschichte:

„Agency for Health, Environment, Infrastructure and Lifestyle“, besser bekannt unter ihrem Kurznamen „H.E.I.L. Europe"
Als Anspielung sehr kreativ, aber wie gesagt: wer kann Dir folgen?

„Da wirklich jeder ein potentieller Terrorist ist, oder auch werden kann, oder mal war, musste die Methode der „kompletten Beweislastumkehr“ auf das Gesetz angewandt werden. Nun musste jeder Bürger regelmäßig Beweisen, dass er gegen keine Gesetze verstoßen hat oder gar ein Terrorist ist.“
Das ist alt. In den Terror-70ern gab es das geflügelte Wort:“Haben Sie sich heute schon distanziert?“ Versuche mal, etwas weniger übertreibend vorzugehen und da zu beginnen, wo man Dich verstehen kann, dann nimmst Du mehr Leser mit. Für die Zielgruppen der Fahnder ist Deine Darstellung allerdings heute schon Realität.

„Ernährungsführerschein“ erinnert mich an den schwedischen Alkoholbezugsschein. Gar nicht so weit weg.

"Bio-Anschlag?“ Der Polizist, nun grimmiger: „Ja. Das dritte Mal diesen Monat. Wenn ich mir vorstelle, was da für Keime drin sein könnten. Nur ein Mensch ohne jegliche Moral würde an ein Plakat spucken!“
Sehr schön, wie die politische Handlung in einen Anschlag auf die Hygiene umgedeutet wird. Auch das ist typisch für den Faschismus: seine Diener verstehen oppositionelle Handlungen nicht mehr.

„Lebensberechtigungsschein ist abgelaufen? Was? Mit einem abgelaufenen LBS drohte einem die Abschiebung oder schlimmeres Unglück“
Ich glaube, dem „Sterbeberechtigungsschein“ sind wir näher. Zu übertrieben.

Der Zentralcomputer der EU macht nie Fehler. Ausgeschlossen! Es war bestimmt sein Fehler. Ein kleiner Fehler ist ihm beim Ausfüllen des fünfseitigen Formulars unterlaufen.
Das alte Thema; schon der Vatikan war unfehlbar. Daß Computer in der Meinung vieler keine Fehler machen, ist auch in anderen Arbeitsbereichen sehr verbreitet. Im Bereich der Fahndung und der Grenzkontrollen sind diese Fehler manchmal tödlich.

„Standard-Bürger-Prüfung“ – hier bist Du weit weg vom EU-Thema; das ist das Thema Schäuble.

„Der Biosensor ihrer Waschmaschine hat Spermareste im Abwasser gefunden. Das ist zwar keine Umweltverschmutzung, aber Ejakulationen werden halt versteuert, wie alle anderen Vergnügen auch.“
Solche Grotesken schwächen die Hauptaussagen der Geschichte.

Die nette Frau von der Behörde: die würde ich gern mal erleben. Ich kämpfe immer nur mit Call-Centern und Computern. Unrealistisch.

„Er stellte sich nur manchmal die Frage, wie die Menschen damals, in einer Welt voller Terrorgefahren, bloß frei sein konnten.“

Für den Prot. ist die Frage aufgesetzt und unglaubwürdig, und die Leser, das kannst Du schon lesen, nimmst Du nicht mit. Also weglassen.

Ich bin sicher kein repräsentativer Leser, wenn ich zum Terror die Fragen stelle:

Wer sind die Terroristen?
Wem nützt der Terror?

Hier kann man die Antworten geben, die der täglichen Gehirnwäsche in den Medien entspringen. Man kann auch weiter fragen, wie z.B. Andreas von Bülow (Der CIA und der 11. September) oder Jürgen Todenhöfer (Warum tötest Du, Zaid) es tun, oder, ein Blick in die Vergangenheit mit demselben Ergebnis: Gerhard Wisniewski u.a.: Das RAF-Phantom.-

Das Problem ist nur, daß auf diesen Wegen fast niemand Dir folgt. Wenn Du ernsthaft mit der Kurzgeschichte als Medium das Zusammenspiel von Terror und faschistischen Strukturen erklären willst, nimm Dir kleine, überschaubare Themen vor, die viele nachvollziehen können, und beschränke Deine Geschichte auf diese. Du brauchst viele Geschichten, um das zu vermitteln. So, wie Du rangehst, erzeugst Du nur ein Aha bei denen, die Deine Sichtweise schon haben.

Deine Schreibfehler: ich habe nur die gefunden, die auch Word anzeigt. Vielleicht finden andere noch mehr.

Gruß Set

 
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Hallo Set.
Deine umfangreiche Kritik beeindruckt mich und trifft ein paar wunde Punkte.
Meine ursprüngliche Idee dieser Geschichte war noch länger und ich habe schon viel gekürzt. Trotzdem schneide ich noch (zu) viele Themen an.
Der Kern dreht sich um die unterschätzte Macht der europäischen Institutionen, welche der Öffentlichkeit kaum bekannt ist.
Du hast Recht, daß das der Quell von vielen Geschichten sein könnte.
Die Sache mit den Spermaresten ist sehr grotesk; ich wollte der Geschichte
den Ernst nehmen, obwohl es eigentlich ein ernstes Thema ist.
Deine Hinweise zur Frau vom Amt und dem Schlusssatz werde ich umsetzen.
Dabei werde ich dann noch den Schreibfehlerteufel bekämpfen.

Ich werde mich dem Thema Terror/Faschismus noch länger widmen.
Es ist schwer, das Thema so anzugehen, dass mehr Menschen meiner Idee folgen können. Du hast mir in deinem Kommentar schon eine Menge neue Einfälle beschehrt. Dann werde ich mich auf einen bestimmten Aspekt beschränken. Mal schauen, wie eine Geschichte dann funktioniert.

Grüße
MrPepino

 
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Hallo findur,
Lem hat in vielen Kurzgeschichten Anspielungen auf faschistische Systeme und Bürokratie gemacht. Ich kann dir wärmstens die "Kyberiade", eine Sammlung von Kurzgeschichten empfehlen. In einer Geschichte wird ein Monster durch die Mittel der Bürokratie besiegt.
Auch das Buch "Memoiren, gefunden in der Badewanne" beschäftigt sich mit einer düsteren Zukunft. Der Klassiker "Der futurologische Kongress" enthält viele Anspielungen/Details auf die Zukunft.
Ist manchmal etwas trocken zu lesen, aber es lohnt sich.

Grüße
MrPepino

 
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So, habe den Text an ein paar Stellen geändert:

- Die Sachbearbeiterin ist ein wenig unfreundlicher geworden
- Aus dem Lebensberechtigungsschein wurde eine Bürgerplakette (ist harmloser)
- Die letzte Reflektion des Prot wurde entfernt und durch ein alternatives Ende ersetzt

Den Rest habe ich bewußt so gelassen. Nach längerem Überlegen
kann ich Sets Kritik nicht zustimmen, dass ich den Leser nicht mitnehmen würde. Ihn habe ich doch auch mitgenommen. Eine Einschränkung der Leserschaft auf bestimmte Kreise nehme ich in Kauf.
Auch die Sachbearbeiterin habe ich nicht durch eine Maschine ersetzt.
Gerade in faschistischen Systemen arbeiten in der Regel eher zu viel, als zu wenig im Staatsdienst. Allein China beschäftigt 30.000 (!) Menschen nur für die Überwachung des Internets.
Auch ihre Freundlichkeit bleibt minimal bestehen.Ich glaube, dass genau
solche zwischenmenschlichen Gefühle wie Sympathie und Mitgefühl nie komplett zu kontrollieren sind. Sie sind der einzige Keim der bleibt, aus dem ein zarter Widerstand erwachsen kann.

An Existence:
Ich glaube an keine übergeordnete Vernunft. Die Vernunft muss jedem einzelnen entspringen und einleuchten. Auf ein gutsherrenartiges System kann ich getrost verzichten. Die Freiheit besteht im Erkennen und Benennen der Mißstände.

liebe Grüße
Mr Pepino

 

hallo Pepino,

"Ich werde mich dem Thema Terror/Faschismus noch länger widmen."

Das wird mich interessieren. Der Übergang zur Politik ist ab einer gewissen Grenze nicht mehr gut in der Literatur diskutierbar. Aber jeder gesicherte Erkenntnisfortschritt kann sich ja in Literatur niederschlagen. Auch angesichts vieler Erzählungen und Romane, für die Böll ausgezeichnet wurde, läßt sich schwerlich politisch diskutieren, jedenfalls nicht mit Lesern, die die Wirklichkeit ganz anders wahrnehmen. An diese Grenzen hast Du uns mit Deiner Geschichte auch geführt, wie die Diskussion zeigt. Schau mal in eines der Bücher, die ich angegeben habe; ich schau mal bei Lem rein.

Gruß Set

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Set,
ich werde mir mal eines der Bücher anschauen. Mach jetzt erstmal Urlaub und bin eine Zeit offline (ja, so Orte gibt es noch ;o)
Das Grundthema der Geschichte ist ein weites Feld. Ich denke, jeder nimmt die Wirklichkeit anders wahr und es bleibt im Grunde immer nur eine Konstruktion aus wagen Vorstellungen, da die Komplexität der Wirklichkeit nicht erfassbar ist. Daher müssen wir ständig mit dem Hilfskonstrukt der Kategorisierung arbeiten, um globale Phänomene zu beschreiben. Das ist die Quelle von Mißverständnissen, da Kategoriesysteme kulturabhängig bedingt gewachsen und global nicht einheitlich sind.
Ich schaute mir letztens Rambo III an und mußte doch lachen, wie
die dort auftretenen Mudschahidin als "Freiheitskämpfer" bezeichnet wurden. Die selben Leute werden heute als "Taliban" bezeichnet. Würde Rambo ihnen noch helfen?

Das ist wirklich ein gutes Forum, um Anregungen zu bekommen.
Aber wo anfangen. Sind die Gentrifizierungsgegner in Berlin schon Terroristen, wenn sie eine S-Klasse demolieren? Profitiert die neue Rechte vom Terror? Ist die zu beobachtende Mixtur aus diversen Verschwörungstheorien, der rechten Unterwanderung der esoterischen Szene (zB "Schwarze Sonne") und die zunehmende Akzeptanz solcher nichtkonformen Gedanken gefährlich?

Habe nun ein wenig Zeit, darüber nachzudenken...

Grüße
MrPepino

 

Hallo MrPepino,

mir hat die Satire gut gefallen. Besonders hervorheben möchte ich deine Idee des Biosensors. Dass hier BigBrother bis ins Intimste vordringt, ist eine gelungene satirische Speerspitze.

Nachdem du schon einiges verbessert hast, bitte das doppelte Sie entfernen:

wenn sie sie die Wahrheit sagen

Formal würde ich mir wünschen, dass du Absätze einfügst. Das dient nicht nur der besseren Lesbarkeit. Absätze sind Sinneinheiten und können so Orts- bzw. Szenenwechsel, Perspektivenwechsel etc. markieren.

Auch sprachlich bewegt sich deine Geschichte auf einem ansehnlichen Niveau, weshalb ich noch zögere, meinen Kram hochzuladen. Deshalb nur Lob von mir für das Geleistete

 

Hallo Papui,
so einen Kommentar liest man gerne nach dem Urlaub :o)
Habe deine Anregungen umgesetzt und den Text durch Absätze stärker strukturiert und den Fehler entfernt.
Liest sich jetzt besser.
Danke!

 

hallo Pepino,

habe gerade in der ZEIT eine Rezension gelesen, Juli Zeh: Corpus delicti. (nicht in der Online-Ausgabe). Gesundheitsfaschismus, geht in die Richtung Deiner Satire.

Gruß Set

 

Hallo MrPepino,

mir hat deine Satire recht gut gefallen. Du springst munter von Idee zu Idee und man kann förmlich spüren, wie dir beim Schreiben immer noch mehr eingefallen ist. Da steckt viel drin in dieser Story und deswegen wirkt sie munter und liest sich gut.
Trotzdem hast du mich z.B.hier etwas verwirrt:

Dieser Beruf passte gut zu dem fülligen, leicht untersetzten und peniblen Deutschen.
fülligen
Für mich war klar, der Mann ist übergewichtig.

Dann folgt später das hier:

Nach einem schönen und erfolgreichen Arbeitstag, das bedeutete genau vier Verwarnungen wegen Übergewicht, Konfiszierung einer illegalen Sachertorte und einer nicht versteuerten Zigarette, war Kevin auf dem Nachhauseweg.
und da war für mich klar, dein Protagonist hat sich im Laufe des Tages all diese vier Verwarnungen eingefangen gehabt. Füllig=Übergewicht=Verwarnung.

Gut im Laufe der Geschichte verlief sich dieser Eindruck wieder, aber anfänglich begleitete mich das Gefühl, dass es nicht so rund wirkt. Vielleicht kannste ja noch an diesem Punkt etwas leicht verändern, dass das Missverständnis nicht mehr aufkommt.

Bei der Ausweisgeschichte dachte ich, dass er am Ende, um die Sache noch absurder zu gestalten, deswegen einen Rüffel bekommt, weil er es wagt einen Ausweis zu beantragen, wo er doch schon einen hat. Also quasi als Dranhängsel an deinen Plot noch eine Schleife weitergedacht. Die Sachbearbeiterin kann ja trotzdem by the way noch ihre sonstigen Feststellungen wegen der Wäsche etc. anbringen. Das wäre ja dann grad das Absurde, dass jemand nix Verbrochen hat, dennoch nur, indem er so tut als sei er ansich schuldig, agiert und deswegen obendrein noch Ärger bekommt. Die klassische Situation: egal, was er macht, er kann es nur falsch machen.

Aber gefallen hat mir deine Satire dennoch.

Lieben Gruß
lakita

 

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