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Hüftschmerzen

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02.11.2001
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Hüftschmerzen

Er hatte die Hände auf der Tischplatte liegen und als er davon erzählte, grub sich vom Himmel gefallener Weltraumschrott in die nassen Äcker draußen. Die beiden Kerzen waren fast niedergebrannt. Die Frau betrachtete das krause Haar an seinen Schläfen. Diese lange Zeit, dieses eine Leben mit ihm, dachte sie. Was er sprach, verstand sie. Doch wie er es sagte, mit welcher Engelsgeduld er es ihr beizubringen versuchte, das verschlug ihr den Atem. Sie hatte darüber nie nachgedacht, nicht darüber, dass er sich für diese Möglichkeit entscheiden würde. Wie ich ihn liebe, dachte sie. Das hatte sich nie geändert. Sie hatte gewusst, dass nur er es sein konnte für alles, das kommen würde.

Die Suppenteller waren leer, das Brot und der Käse standen unangetastet.
Was hat ihn dazu veranlasst, mit mir darüber zu sprechen? Blieb für das Andere, für das, das wir uns vorgenommen hatten, so wenig Zeit, dass er dies heute schon zum Thema machte? Es ihr vorzusetzen versuchte wie den endgültigen Urbrei?
So dachte sie und ihr Herz pochte bis zum Hals und das Regentrommeln war zu hören. Hunde bellten irgendwo und Mehlschwalben bauten trotz allem neue Nester unter den Regenrinnen. Langsam kam ihre Angst. Angst vor etwas, das sie nicht greifen konnte. Eine Angst, der sie mit Hilflosigkeit gegenüberstand.
So wie er darüber jetzt zu mir spricht, steht es für ihn schon lange fest, dachte sie und sie wartete, ob sich in ihren Augen Tränen ankündigen würden. Es kamen keine. Es hätte auch nichts genutzt, nicht bei ihm. Nicht bei einem, der, wenn er sich für eine Sache entschlossen hatte, von dieser nicht mehr abzubringen war.

Ihr Hüftgelenk schmerzte. Der erste Regen im April.
Die Tischkante hatte Rillen in die Haut ihrer Unterarme gezeichnet. Er redete weiter.
Es würde dauern. Ich werde ihn reden lassen und noch eine Kerze holen, dachte sie, stand auf und schlurfte zu der Truhe, in der sie diese aufbewahrte.
Was würde das Dorf dazu sagen? Wohin soll ich mit meiner Trauer, wenn er seinen Entschluss tatsächlich wahrmacht? Worüber das Dorf dann zu sprechen hatte, war vorhersehbar. Doch wer ist schon das Dorf? Hatte er nicht recht? Aber wieso....
Wieso tat er ihr das an?
Sie legte den geschnittenen Käse auf die Brotscheiben, schob ihm seinen Teller hin, sah dabei die Muskeln seiner noch starken Arme, roch seinen Atem, liebte ihn für das, dass er all die Jahre bei ihr war und auch heute hier saß.
Wie seine leisen Worte die Stube füllten, so behutsam kroch die bis dahin nicht gekannte Ahnung von einer unabwendbaren Einsamkeit in ihr hoch.
Das war es. Das war der Grund ihrer Angst. Die Einsamkeit, ihre Einsamkeit, die schon in seinen Worten mitschwang, die sich dahinter verbarg. Die sich im Haus breit machen würde. Der sie sich ausgeliefert fühlen würde, ja jetzt schon fühlte, so unverrückbar, wie er sprach. Nicht so, dachte sie, bitte nicht so.
Wenn nichts mehr ist, habe ich Angst davor, den Verstand zu verlieren. Wenn ich den verliere, verliere ich damit die Erinnerung. Was dann? Was würde bleiben? Er würde ihr so sehr fehlen, dass sie darüber den Verstand verlieren würde. Sie spürte es. Sie glaubte zu wissen, dass es so kommen würde. Aber wie er zu ihr sprach, jetzt.....

Er:
,In jedem Stern wirst du mich wiedererkennen. Kleines, sag ich zu dir. Heute wie damals. In jedem Windhauch kannst du mich dann immer noch auf deinen Wangen spüren. Wenn du es zulässt.
Setz dich vor unser Haus und lausche. Wenn du den Specht klopfen hörst, dann wird es mein Klopfen sein, das dir näher ist als alles andere um dich herum. Oder ist es das Eichhörnchen, unter dessen Fell ich geschlüpft bin, nur um dir mit seinen Zähnen, die dann die meinen sind, diese eine Nuss zu knacken?
Du wirst es herausfinden.
Auch der entfernte Glockenschlag ist dann ein naher Gruß von mir. Nicht mehr, aber nie weniger. Und in den Nächten bin ich der Holzwurm, der im Gebälk deines Hauses tickt. Verstehst du mich? Der Regen auf deinem Haar wird meine Sehnsucht nach dir sein und mein Kummer, wenn dir das Metall in deiner Hüfte wieder diese grässlichen Schmerzen bereitet..
Und schau doch, Liebes.
Denk’ an unsere Jahre und du wirst dabei meine Küsse auf deinen Lippen wiederfinden. Ich bin draußen im Wald, wenn er wieder nach seinen Pilzen duftet. Dann hocke ich unter den Tannen und bin doch bei dir. Ich bin in allen Schatten und dem Licht. Damit werde ich dich umgarnen und du mich nicht verlieren. Was also ist schon eine Grube gegen das Andere?
Du würdest mich nie in nasse Erde betten, wenn du anders könntest; neben all dem strahlenden Weltraumschrott, der sich dort begraben hat. Vor dieser gespickten Erde würdest du stehen und darin würde ich ein Fraß für Würmer. Der aber will ich nicht sein.
Siehst du es jetzt? Du und ich, wir können anders. Daher eben anders.

Ja. Der Käse ist gut.
Welch ein Genuss, ihn mit dem frisch gebackenen Brot zu verzehren....Hast du etwas Wein? Den goldfarbenen aus den Sonnenrieden des Weingartens?
Dich fröstelt. Das muss nicht sein. Nicht mehr. Wir haben alles. Das Alles sind wir.
Uns zu haben, ist mehr als wir erwarten durften.
Wie schön du bist und welch ein Glück ich halten durfte, noch eine kleine Zeit halten darf.
Der Doktor sprach von zwei Monaten.
Es bleibt die Zeit dafür, etwas letztes Vernünftiges daraus zu machen. Ohne meinem Platz in dem Flugzeug damals, raus aus diesem zu Eis gewordenen Wahnsinn, hätten wir keine Jahre danach für uns gehabt. Deine Jahre wären ohne mich gewesen. Ein Foto von mir an der Wand, vielleicht ein vergilbtes Schreiben in der Lade.
Es gab immer ein Ohne, das unserer Liebe weiterhalf, uns half, die Einsamkeit in weite Ferne zu schieben. Ohne dem Doktor säße ich nicht mehr hier bei dir und Brot und Wein. Ohne der Angst um unsere Liebe hätten wir diese längst verloren. Ohne uns wären wir verloren.
Das wissen wir. Wir wollten stark sein, beide, wenn es soweit ist. Es ist soweit, meinte der Doktor. Das will ich dir jetzt sagen.
Daher mein Entschluss.
Ohne diesen Entschlüssen, deren Stärke sich Manche von uns sicher sein müssen, hat die Medizin keine Chance. Keine Forschung, keine Weiterentwicklung. Nichts wäre zu finden, was später helfen kann. Was sind schon Gräber gegen die Liebe der Erinnerung.
Nicht weinen. Komm’, lass’ uns das Brot essen und dem Regen lauschen. Ich werde dich bei mir behalten. Vielleicht bin ich der Spatz, den du im Sommerschatten mit unserem Brot fütterst. Dann heb’ mich auf deine Schulter, denn ich hab’ dir was ins Ohr zu flüstern.’

 

Hallo Aqua!

Nichts ist wichtig, außer ihre Liebe zueinander... der „Weltraumschrott“, für viele Stoff der Hoffnung und des Träumens, ist egal. Wichtig ist das eine Gespräch, diese intime, persönliche Beziehung der beiden in der Stille. Der Abschied auch schon...

ich gestehe, dass ich nicht sicher bin, ganz durchzublicken.
Eine Alternative zum „normalen Begräbnis“, zum Wohle der Forschung. Und sie, in diesem Moment, kann nicht verstehen.
Sein Entschluss. Sein Trost. Ihre Liebe und Angst.

„liebte ihn für das, dass er all die Jahre bei ihr war und auch heute hier saß.“ – liebte ihn dafür?

„In jedem Stern wirst du mich wiedererkennen. Kleines, sag ich zu dir. Heute wie damals. In jedem Windhauch kannst du mich dann immer noch auf deinen Wangen spüren. Wenn du es zulässt.“ – dieser Absatz, der ganze, ist zauberhaft schön. So liebevoll, tröstend, wunderschön beschrieben.

„Ohne der Angst um unsere Liebe hätten wir diese längst verloren.“ - ohne die Angst?

Ein sehr... intimer Text. Toll geschrieben.

Gnaz liebe Grüße... Anne

 
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Servus Aqualung !

Diese Geschichte gefällt mir ausnehmend gut. Das Bild der äußerlich ruhig am Tisch sitzenden Menschen am unaufgeregten Ende ihres gemeinsamen Lebenswegs wo nichts offen geblieben ist, keine Vorwürfe, keine Bitterkeit, keine Tränen. Vor allem die Art wie du dieses Bild zeichnest ist eigenwillig und toll beschrieben. Diese trotz der liebevollen bemühten Worte fast völlige Berührungslosigkeit. Es wird vieles gedacht, gesprochen, aber in einer seltsam anmutenden Distanziertheit. Es gibt keine zärtliche Geste, keine streichelnde Hände. Der fehlende Grabesritus scheint aber eher ein gesellschaftliches Problem zu sein.

Geschrieben ist es aus dem Verständnis dessen heraus, der geht. Er hat seinen Frieden schon gemacht, hat bereits losgelassen. Er zeigt Demut vor dem was er erleben durfte und genießt was ihm bleibt. Soweit ist sie aber nicht, ihre Liebe der es scheinbar genügte, dass er da war, ihre Zukunft ist von seinem Fehlen und von ihren Ängsten geprägt. Er zeigt ihr die Möglichkeit, ihn in allem wiederzufinden das sie umgibt. Wenn sie daran glaubt, dass Liebe nicht sterben kann und ihr sein Überallsein aursreichend Trost ist, dann ist es gut so.

Echt Klasse!

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Hallo Maus, Maus, hallo liebe schnee.eule,

ich möchte mich bei euch Beiden für die intensive und schöne Kritik bedanken.
Ich dachte während des Schreibens an eine Liebe, die über den Tod hinaus bleibt, ja sogar noch intensiviert wird durch die vielen Zeichen, die, wenn man sie zulässt und bemerken will, sich als Zeichen der Liebe zu erkennen geben.
Der Mann ist schon soweit, die Frau noch mit sich selbst und ihrer Angst und zukünftigen Trauer beschäftigt.
Er will kein Grab, er erzählt ihr von der Möglichkeit, seinen Körper der Medizin zur Verfügung zu stellen.
Sie wird erst später verstehen. Dann, wenn sie den Spatz füttert.

Liebe Grüße an euch - Aqua

 

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