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Serie Hörnis Weihnachtsschatz

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26.03.2006
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Hörnis Weihnachtsschatz

Hörnis Weihnachtsschatz


Die Tage werden immer kürzer. Schon am Nachmittag verglüht der letzte Sonnenschein hinter der Trave, und wenn Hörni auf Familie Nagels neuem Dach eine kleine Verschnaufpause einlegt, bevor er zum Nachbarhaus hinüberspringt, sieht er vom Schornstein aus, wie sich in einiger Entfernung an der Jakobikirche das Riesenrad dreht. Wäre er ein erwachsener Mensch, würde er wohl denken: Das sieht aus wie Blechspielzeug aus dem 19. Jahrhundert. Und die Silhouette der Stadt - wie ein Scherenschnitt in einem alten Kinderbuch. Dass es sowas noch gibt! Da er nun aber ein Eichhörnchen ist, schwelgt er nicht in nostalgischen Gedanken, sondern betrachtet das Riesenrad mit seinen blinkenden Lichterketten ganz still vergnügt. Dabei spürt er, dass für die Menschen eine besondere Zeit angebrochen ist. Sie scheinen es zu lieben, in diesen dunklen Tagen für gemütliches Licht zu sorgen und ihre Häuser zu schmücken. In den Zimmern flackert Kerzenschein, Tannengrün ist aufgestellt und große rote Schleifen zieren Türen und Fenster.

Heute ist wieder einmal ein solcher Spätnachittag, an dem Hörni auf dem Dach sitzt und den Sonnenuntergang genießt. Er schmiegt sich an Nagels Schornstein und schnuppert. Drüben in der Brüggen-Fabrik wird anscheinend ein Fruchtmüsli hergestellt. Dazu mischen sich der Duft von süßem Gebäck, der aus verschiedenen Häusern dringt, und der dezente Qualm aus Holzöfen. Man hat in dieser Jahreszeit gerne Feuer im Kamin.

Da fällt sein Blick auf etwas kleines Goldenes, das auf dem Gehweg vor dem Haus liegt. Von hier oben kann Hörni schlecht erkennen, was genau es ist, aber es weckt auf jeden Fall seine Neugierde. Er läuft zur Regenrinne, späht nach unten, ob alles frei ist - also kein Mensch in der Nähe! - und krallt sich dann im Efeu fest. So wurschtelt er sich an der Hauswand hinunter. Unten angekommen, muss er sich noch einmal neu orientieren: Wo lag jetzt der interessante Gegenstand? Ach ja, da vorne war´s, auf dem Stichweg, der von der Gertrudenstraße zur Haustür führt, und ganz richtig: Da liegt es noch, golden wie ein richtiger Eichhörnchenpiratenschatz. Von solchen Goldschätzen hat Großmutter Hörni schon viele Geschichten erzählt. Deshalb weiß Hörni, dass Gold sehr viel wert ist. Welch ein Glück! Vielleicht ist dies ja ein Goldbatzen, den man beim Chef der Eichhörnchen im Eschenburgpark, beim sogenannten Eichhörnchef, gegen ein paar Pfund Nüsse eintauschen kann. Das wäre nicht schlecht für den Winter. Dann müssten Großmutter, Hörnina und Hörni keinen Hunger leiden. Und wenn der Eichhörnchef im Eschenburgpark den Goldklumpen nicht nehmen will, könnte Hörni es bei dessen Bruder, dem Eichhörnchef im Stadtpark probieren.
Die Bahn ist immer noch frei. Hörni fasst sich ein Herz und rennt flink auf den Goldbatzen zu. Doch nun bekommt er etwas ganz Neuartiges, viel Besseres zu sehen: Es handelt sich um eine goldene Nuss! Sowas hat selbst Oma noch nicht erlebt, da ist er sich sicher. Die wird große Augen machen! Hörni beschnuppert seinen Fund vorsichtig und stupst ihn ein bisschen mit der Nase. Dann nimmt er ihn in die Pfoten. Der Goldschatz wiegt kaum mehr als eine gewöhnliche Nuss. Großmutter hat immer erzählt, Gold sei ziemlich schwer. Sie muss sich geirrt haben, meint Hörni. Er dreht und wendet den Schatz und untersucht ihn von allen Seiten. Darüber vergisst er ganz, dass er mitten auf dem Weg vor Familie Nagels Haus sitzt, sodass er erschrocken zusammenfährt, als plötzlich direkt vor ihm zwei Kinderstimmen aufgeregt durcheinanderrufen:
"Guck mal, Hörni hat unsere dritte Goldnuss!"
"Siehst du, ich hatte sie wirklich nicht! Jetzt weißt du, dass ich nicht gelogen habe!"
"Und ich hatte sie auch nicht!"
Hörni ist wie erstarrt. Nicht einmal sein Fluchtinstinkt funktioniert heute. Wie das wohl kommt? Ganz einfach: Hörni hat diese zwei Jungen schon häufiger gesehen. Sie kommen jeden Morgen aus dem schönen Haus, laufen oft durch den Park, erklimmen die Kletterbäume oder singen lauthals mit hellen Stimmen Lieder unter ein paar gewissen Bäumen, die sie "Kirche" nennen. Allmählich haben die Kinder angefangen, Hörni zu gefallen, sodass er neulich schon einmal kurz mit dem Kleineren gespielt hat. Aber wenn sie jetzt schon zu zweit sind ...

Hoffentlich haben sie keine Läuse mehr! Lieber Goldnuss als Goldgeist! Er möchte zwei Dinge gleichzeitig: Wegrennen und hierbleiben. Deshalb hockt er da wie erstarrt.
"Na, Hörni?", sagt jetzt der größere Junge, der eine orangefarbene Zipfelmütze mit einem roten Bommel trägt. Da beeilt sich der Kleine mit der roten Schalmütze, auch schnell "Naaa, Hörniiii?" zu sagen.
"Du hast unsere Goldnuss gefunden", sagt der Große.
"Die sollte an unseren Adventskranz", sagt der Kleine.
"Wir haben sie überall gesucht", sagt der Große.
"Du kannst sie haben", sagt der Kleine.
Hörni quiekt unsicher.
"Wenn ich dich mal streicheln darf", fügt der Kleine hinzu.
"Und ich auch", sagt schnell der Große.
Hörnis Herz pocht mal wieder bis zum Hals. Aber die Kinderstimmen klingen freundlich. Vor denen muss er vielleicht keine Angst haben? Jetzt kommen die beiden Jungen langsam näher. Der mit der Zipfelmütze spricht ununterbrochen mit Hörni, ganz lieb und sanft und leise:
"Du bist ein feines Eichhörnchen, Hörni. Weißt du, dass wir oft über dich reden? Unsere Mama erzählt Geschichten über dich ... Wo ist denn Hörnina? Willst du ihr die goldene Nuss zeigen? Grüß sie von uns! So, und jetzt ... das hier ist mein Zeigefinger, und mit dem fass´ ich dich an, guck, oh, du bist ja ganz weich! Du hast ja schönes Fell, Hörni!"
Hörni ist vollkommen bezaubert von den kleinen schmutzigen Jungenhänden, die jetzt behutsam über seinen Rücken streichen. Allmählich schlägt sein Herz ruhiger, aber er hält immer noch ganz still - nicht mehr aus Angst, sondern weil es so schön ist. In den Pfoten hält er immer noch die goldene Nuss.
"Ist das echtes Gold?", fragt er endlich. Dabei ist er ganz unsicher, ob die Kinder ihn überhaupt verstehen können, denn eigentlich hat er wieder nur auf Eichhörnchenweise gequiekt.
Der Junge mit der Zipfelmütze sagt aber voller Stolz:
"Ja! Habe ich gestern auf dem Adventsbasar ganz echt selber angemalt."
Und der Kleine fügt hinzu:
"Du hast eine goldene Nase, Hörni. Und goldene Hände!"
Hörni ist verdutzt. Die Nuss muss im Regen gelegen haben. Oder sie war nach dem Anmalen noch nicht richtig getrocknet.
"Meine Hände sind auch noch verschmiert davon", sagt der Große und zeigt Hörni seine goldenen Handinnenflächen.
Ich hatte gedacht, ich würde beim Eichhörnchef viele richtige Nüsse dafür bekommen, denkt Hörni ein bisschen enttäuscht. Dann hätten wir im Winter keine Sorgen.
Der Kleine mit der roten Schalmütze scheint Hörnis Gedanken lesen zu können, denn er sagt nach kurzem Nachdenken:
"Wir haben viele Nüsse."
Und der Große:
"Du kannst welche abhaben, wenn du willst. Wieviele brauchst du denn?"
Hörni ist überwältigt von soviel Freundlichkeit. Er legt die Goldnuss vor sich hin und breitet seine Arme weit aus, um zu zeigen, welch eine große Menge Nüsse man als Eichhörnchen im Winter benötigt.
Die Kinder versprechen ihm, am nächsten Tag im Eschenburgpark einen Haufen Nüsse am Fuß desjenigen Baumes abzulegen, an dem die goldene Nuss liegt. Das ist der Baum, in dessen Zweigen hoch oben Hörni und Hörnina ihren Kobel haben.
Nun will Hörni aber doch schnell nach Hause. Nachdem er sein Geschenk zwischen die Zähne geklemmt hat, kann er kein Wort mehr sagen. Er quiekt nur noch einmal kurz und winkt den Kindern zum Abschied wild mit beiden Armen zu. Dann rast er aufgeregt durch den Gang zwischen Familie Nagels und Frau Wendts Haus, zwängt sich durch den Zaun und verschwindet im Gebüsch des Eschenburgparks. Er muss vor lauter Glück viel schneller rennen als sonst: Der Vorrat für den Winter ist gesichert. Hörnina und Großmutter werden sich sehr freuen. Außerdem hat er sich mit zwei Kindern angefreundet, und das ist beinahe noch aufregender. Kinder sind eine besondere Sorte Mensch, denkt er. Sie sind so schön klein und verstehen mich sogar, wenn ich spreche.
Inzwischen ist es stockdunkel, aber das macht einem so frohen Eichhörnchen nichts aus. Selig rennt Hörni an seinem Baumstamm hoch.
Weihnachten kann kommen.

 

Hallo pmaktiub,

(witziger Nick übrigens - das wollte ich dir schon lange mal sagen - was bedeutet er?)

deine Hörni-Weihnachtsgeschichte habe ich wieder gerne gelesen. Mir gefällt, wie du Hörnis Neugier und seine Begegnung mit den beiden Jungen unaufgeregt und mit leisen, liebevollen Worten schilderst. :)

Fehler sind mir beim Lesen keine aufgefallen.
Der Schlusssatz ist sehr schön.

Lieben Gruß
al-dente

 

Dankedankedanke, ja, jetzt kann Weihnachten kommen! Frohes Fest und schöne Ferien wünscht
pmaktiub

 

Hallo pmaktiub,

auch von mir wieder ein Lob für deine Weihnachtsgeschichte.
Ist es eigentlich das erste Mal, dass sich die Menschen mit Hörni verständigen können oder hattest du das in einer anderen Geschichte schon mal gemacht?

Hoffentlich haben sie keine Läuse mehr! Lieber Goldnuss als Goldgeist!
Diesen Satz mit dem Goldgeist habe ich nicht ganz verstanden oder ich stehe auf dem Schlauch.

Wünsche dir und Hörni ein schönes, geruhsames Weihnachtsfest und ich hoffe, dass ich zu Silvester wieder etwas von euch höre.

Viele Grüße
bambu

 

Hallo al-dente,

danke dir.
Ich habe die Geschichte zwar gelesen, konnte mich aber an den Begriff selbst nicht mehr erinnern. Na ja, man wird eben älter. *smile*

Viele Grüße
bambu

 

hallo pmaktiub,

das ist mE eine Deiner gelungensten Episoden. Hörnis Aufregung ist lebendig, alle ist flüssig erzählt. Die Goldnuss, sein Glück mit dem Versprechen der Kinder, auhc die Nostalgie am Anfang (auch für Kinder verständlich geschrieben) - hat mir ausgezeichnet gefallen! :)

schöne Grüße
Anne

 

Hallo pmaktiup,

hier hast du wieder einmal eine niedliche Geschichte von Hörni zum Besten gegeben.:) Konnte mir die Szene mit den Kindern lebhaft vorstellen.
Muß aber leider noch mal dumm Fragen: Woher kennen die Kinder Hörnis Namen? Gibt es dazu schon eine Geschichte?

Heute ist wieder einmal ein solcher Spätnachittag.
Spätnachmittag
Zipfelmütze mit einem roten Bommel trägt.
mit einer roten Bommel

Frohe Weihnachten wünscht Dir und Hörni
Goldis

 

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