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Hörni und Hörnina
Hörni und Hörnina
Am Morgen nach dem Frisörbesuch ist Hörni sehr hungrig. Er läuft in den Park und sucht im grünen Gras nach Nüssen. Er findet ein paar vertrocknete Bucheckern und Eicheln aus dem Vorjahr. Sie sind nicht sehr schmackhaft, aber er wird satt. Nun will er ausprobieren, ob seine neue grüne Tarnung funktioniert. Er legt sich bäuchlings ins Gras. Die Sonne scheint ihm aufs Fell und wärmt ihn so angenehm, dass ihm die Augen zufallen. Ein paar Menschen gehen auf dem Weg an ihm vorbei, doch niemand bemerkt ihn, denn er ist ja grün wie das Gras. Die Vögel singen, die Grillen zirpen, und Hörni liegt zusammengerollt auf der Seite und schläft.
Er wird von einem leisen Summen und Seufzen wach:
"Mmm, ist das schöööön... das Gras ist so warm... mmmm... die Erde atmet... mmm..."
Und erstaunt stellt er fest, dass ein anderes Eichhörnchen sich an ihn geschmiegt und den kleinen Kopf auf Hörnis Seite gebettet hat. Wenn Hörni atmet, wird der Kopf des anderen Eichhörnchens sanft auf und ab bewegt. Und es summt weiter:
"Mmm... so ein schöner Sommer... das Gras streichelt mich... die Erde wiegt mich... mmm..."
Hörni ist überwältigt vom Klang dieser Stimme. Er wünscht, das andere Eichhörnchen wird noch lange, lange so bei ihm liegen bleiben und nicht bemerken, dass er nicht die Erde und nicht das Gras ist. Er behält deshalb die Augen geschlossen und versucht, an seiner Haltung nichts zu verändern. Es ist wundervoll, so aneinander gekuschelt den Sonnenschein zu genießen. Währenddessen atmet Hörni den Duft des anderen Eichhörnchens tief ein und versucht, ihn sich einzuprägen. Es duftet so - warm, so gemütlich, so vertraut. Ach, wenn dieser Moment doch nie verginge!
Doch da hört er plötzlich mehrere Menschenstimmen, die sich nähern, und die eine sagt:
"Ach, guck mal, wie niedlich, da liegt ein Eichhörnchen!"
Dieser eine Satz genügt, um die beiden Eichhörnchen in die Höhe fahren und in verschiedene Richtungen davonrennen zu lassen. Hörni vergisst völlig, dass er wohl nicht gemeint ist. Panisch rennt er den nächstbesten Baumstamm hoch und versteckt sich im Laub.
Die Erinnerung an den Morgen lässt Hörni nicht mehr los. Wo er an diesem Tag gehtund steht, denkt er an das wonnige Gefühl, das sich in ihm ausgebreitet hat, als das andere Eichhörnchen bei ihm lag. Er muss es wiedersehen! Unmöglich kann er diese Begegnung als einmalig hinnehmen! Wo ist das Wesen mit dieser Stimme, mit diesem Summen hingerannt?
Hörni überlegt, was er anstellen könnte, um es wiederzufinden. Und es kommt ihm eine Idee.
Jeden Freitagabend gibt es eine Tanzveranstaltung in der hohlen Eiche.
Dort tanzen und hopsen und flattern alle kleinen Tierchen des Parks zu der Klopfmusik der begehrten Band "Specht und Specht". Es klingt so ähnlich wie Techno, ist aber natürlicher, unterliegt mehr rhythmischen Schwankungen und ist daher nicht ganz so ungesund für das Herz und den Kreislauf. Manchmal treten auch die Tauben auf, aber da sie immer dasselbe spielen - es war mal der Renner, und sie begreifen nicht, daß sie allmählich "out" sind - will kaum noch einer dazu tanzen.
Hörni hat bisher einen großen Bogen um die Disco in der Eiche gemacht, da er dieses Sehen und Gesehenwerden beim Tanzen nicht mag. Genau darauf kommt es ihm nun aber an: Er will jemanden wiedersehen und er will wiedergesehen werden! Deshalb beschließt er, am nächsten Freitag in die Disco zu gehen. Wenn er daran denkt, wird ihm sehr mulmig, aber er findet, dass er es wagen muss.
Sein Fell ist am Freitagabend noch frisch grün, er muss es nur ein bisschen putzen und zurechtlegen um wieder genauso fein auszusehen wie direkt nach dem Frisörbesuch. Oh wie hofft er, dass das andere Eichhörnchen ihn noch gesehen hat, als er wegsprang! Etwas muss mit Hörni geschehen sein, denn noch nie hat er irgendetwas so sehr gehofft wie dies: Dass sie sich wiedererkennen werden, ER UND DAS ANDERE!
Um sich unangenehme Gespräche zu ersparen und seine Aufregung zu überwinden, erstürmt Hörni die Tanzfläche, ohne nach links und rechts zu schauen. "Specht und Specht" spielen gerade ein sehr wildes, ohrenbetäubendes Lied, und das kommt Hörni gerade recht. Er tanzt drauf los, er gibt was er kann. Er wirft die Hände in die Luft, er stampft mit den Füßen, was das Zeug hielt, er schüttelt sein grünes Fell, dass die Locken fliegen; er hat nichts im Sinn als: "Bist du hier? Ich bin hier!"
Hörnis erster Auftritt in der Disco erregt natürlich Aufsehen. Die Tiere treten von der Tanzfläche zurück und starren ihn an: Wer ist das?! Was will der?! Entrüstung, aber auch Bewunderung machen sich breit. Hörnis Dauerwelle sieht wirklich umwerfend aus.
Das findet auch ein junges Eichhörnchenmädchen namens Hörnina, das im Halbdunkel hockt und ihn lange betrachtet, während es auf einem Cocktail-Strohhalm kaut. Hörnina erkennt ihn durchaus wieder, diesen Wirbelwind da in der Mitte. Wie anders er ist als auf der Wiese vor einigen Tagen! Da hat er so still gelegen, dass sie ihn für ein Stück sonnenwarmes Gras gehalten hat. Nun findet sie, dass er ruhig noch ein bisschen tanzen sollte, bevor sie sich ihm zu erkennen gibt. Er sieht so stark aus, so abenteuerlich... mmm... Sie summt schon wieder!
Schließlich legt sie den Strohhalm weg, erhebt sich gespielt ruhig und schlendert auf die Tanzfläche. Sie nähert sich dem grünen Knäuel und berührt es ganz sanft an der Schulter. Hörni zuckt zusammen und kommt ruckartig zum Stillstand. Anders als er es sich vorher ausgemalt hat, wird ihm nun schwindelig, denn er hat sich nicht nur sehr schnell um sich selbst gedreht, nein: Er erkennt auch den Duft des Eichhörnchenmädchens. Alle können sehen, wie er Hörnina mit seinem ganzen Gewicht in die Arme fällt. Aber niemand kann hören, wie er flüstert: "Das Gras streichelt mich... die Erde wiegt mich..."
Als Hörni sein Gleichgewicht wiedergefunden hat, haben Hörni und Hörnina nichts Eiligeres zu tun als die Disco zu verlassen.
Seitdem ist Hörni nie wieder dorthin gegangen. Er ist lieber zu Hause oder in der Natur unterwegs mit Hörnina. Die findet ihn übrigens noch attraktiver, seit sein grünes Fell rausgewachsen und er wieder ganz normal braun ist.
Der Frisör hingegen wundert sich. Neuerdings kommen jeden Tag einige Eichhörnchen zu ihm , um sich ihr Fell grün färben zu lassen. Schließlich lässt er extra einen Reporter von den Lübecker Nachrichten kommen, der darüber berichten soll. Hörni hält sich fern und ist froh, dass die anderen den Medienrummel abkriegen und nicht er.