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Hörni muss sich kratzen (eine Nikolausgeschichte)
Hörni muss sich kratzen (eine Nikolausgeschichte)
Am sechsten Dezember muss Hörni das Eichhörnchen sich überall kratzen. Es juckt und juckt. Er kratzt sich hinter den Ohren, am Hals, am Bauch, in den Kniekehlen; er wirft seinen Schwanz hin und her und wühlt mit den Krallen darin herum - es juckt. Hörnina kratzt stundenlang seinen Rücken. Hörni ächzt und stöhnt.
"Ich muss meine Oma fragen, ob sie weiß, was das ist", sagt er am Nachmittag, als die Sonne schon untergehen will. "Oma weiß fast immer fast alles."
Hörnina kommt natürlich mit.
Hörnis Großmutter freut sich sehr über den Besuch.
"Kommt, Kinder, wir nehmen erstmal eine Pfote Nutella!", schlägt sie vor. Es wundert sie, dass Hörni dankend ablehnt:
"Oma, ich kann gar nicht essen, ich muss mich immer kratzen! Was kann das denn sein? Den ganzen Tag geht das schon so!"
"Oh, oh ...", murmelt die Großmutter, "das klingt nicht gut. Ich hol´ sofort meine Lupe. Möchte wetten, dass du Ungeziefer im Pelz hast!"
"Eine Lupe?", fragt Hörnina. "Was ist denn das? Und wo hast du die her?"
Großmutter zerwühlt gerade ihren ganzen Kobel. Aus einem Haufen Laub, Nussschalen, leergegessenen Schneckenhäusern und anderem Krimskrams holt sie tatsächlich eine Lupe ans Tageslicht.
"Ein Vergrößerungsglas!", sagt sie stolz, "das hat mein lieber Mann auf einem Flohmarkt in Corralejo auf Fuerteventura gekauft. Man kann dadurch kleine Sachen größer sehen, zum Beispiel ... ja, zum Beispiel Flöhe! Vielleicht hast du ja Flöhe, Hörni! Hast du mit einer Katze gespielt? Von nichts kommt nämlich nichts!"
Hörnina guckt ihren Freund mit großen Augen an:
"Hast du mit einer Katze gespielt???"
Und es ist ihr anzusehen, dass sie diese Vorstellung nicht schön findet.
Hörni sieht schuldbewusst aus.
"Nee, viel schlimmer", gibt er zu, "ehrlich gesagt: Ich war vor ein paar Tagen bei einem Menschen - da drüben im Hinterhof von diesem Haus, wo ich mal ins Klo gefallen bin. Es war ein kleines Kind, und es hat die ganze Zeit mit den Augen geleuchtet und gelacht und meinen Namen gesagt und mir eine Nuss geschenkt und mich am Ende sogar auf den Arm genommen und gestreichelt... das war, ja, also, das war soooo schön!"
Hörnina sieht entsetzt aus, und Großmutter ist ganz still geworden.
"Jaaa", sagt sie schließlich und wiegt den Kopf hin und her, "manche Menschen sind gut zu uns. Aber sei auf der Hut, Hörni, sei auf der Hut! - Wie ging es denn weiter?"
"Nach einiger Zeit hörte ich von oben aus dem Haus eine schrille Stimme: `Jonny, komm! Nissen auskämmen!´"
"Ha!", entfährt es Großmutter, "Läuse also! Nissen sind Läuse-Eier! Komm mal her zu mir, jetzt guck´ ich mir das mal an."
Voller Elan hält sie die Lupe an Hörnis Fell und zerzaust es ihm nach allen Regeln der Kunst.
"Na, da hopsen sie ja! Eine schöne Bescherung! Und alles verklebt von Nissen! Hat man sowas schon gehört: Läuse, die vom Menschen auf Eichhörnchen gehen! Hörnina, willst du´s auch mal sehen?"
Gemeinsam untersuchen die beiden Frauen Hörnis Fell. Hörni findet es recht angenehm, weil sie ihn dabei immer wieder liebevoll mit ihren scharfen Krallen kratzen.
"Aber was machen wir denn nun?", fragt er nach einer Weile.
"Das weiß ich zufällig auch", sagt Großmutter, "Wir brauchen Goldgeist aus der Apotheke. Meine Mutter hat auch mal Läuse gehabt, und da hat sie von ihrem Großonkel gehört, seiner einst verlausten Urgroßmutter sei einmal im Traum das geflügelte Eichhörnchen Engelhorn erschienen und habe ihr gesagt, sie solle ihren Geist vergolden ..."
"Goldgeist", staunt Hörni, "Das klingt nach etwas sehr Edlem."
"Ist es aber nicht", sagt Großmutter, die die ganze Zeit weiter in Hörnis Fell nach Nissen und Läusen sucht. "Man kann es überall kaufen. Aber halt! Was ist denn das?! Durch die Lupe sehe ich hier eine Laus, die einen roten Sack auf dem Rücken trägt! Das kann doch nicht wahr sein!"
Hörni und Hörnina drängeln sich um die Lupe. Es ist Großmutter gelungen, die Laus mit dem roten Sack auf ein grünes Blatt zu setzen. Da krabbelt das kleine schwarze Ding jetzt orientierungslos herum. Wenn man ganz genau hinschaut, sieht man sogar, dass es einen winzig kleinen weißen Bart hat und eine rote Mütze auf dem Kopf trägt. Und dass es die Augen bösartig zusammenkneift.
"Wer bist du denn?", fragt Großmutter fassungslos.
Mit einer Antwort ist ja kaum zu rechnen - oder hat schonmal jemand eine sprechende Laus erlebt? Unsere drei Eichhörnchen sind muckshörnchenstill, um nichts zu überhören. Und dann hören sie ein schwaches, schwaches, aber irgendwie auch fieses Stimmchen:
"Ich bin Niko! Niko Laus!
Gleich hol ´ich noch mehr Nissen raus!"
Sie können durch die Lupe erkennen, wie Niko Laus den roten Sack vom Rücken nimmt und mit einem Griff eine Handvoll weißer kleiner Läuse-Eier herausholt.
"Gar kein Fell auf dieser Stell´!", keift es kaum hörbar, aber böse vom grünen Blatt zu den Dreien hinauf. "Niko Laus geht gleich nach Haus!"
"Ja, tu das!", ruft Hörni, und nimm alles mit, was auf mir rumkriecht!"
"Quatsch", sagt Hörnina, "du glaubst doch nicht, dass er sein Säcklein wieder füllen wird mit allem, was er schon verteilt hat? Heute ist doch Nikolaustag!"
"Ja, und zwar der letzte Nikolaustag von Niko Laus in meinem Haus", fügt Großmutter hinzu und lässt das Blatt mit Niko Laus einfach vom Baum fallen.
"So, und jetzt besorgen wir Goldgeist!"
Großmutter und Hörni sind im Lauf ihres Lebens ja schon recht mutig im Umgang mit Menschen geworden. Deshalb braucht hier nicht näher beschrieben zu werden, wie sie es angestellt haben, in die Apotheke zu gehen. Hörni und - vorsichtshalber - auch Hörnina lassen die Kur mit der beißend riechenden Flüssigkeit klaglos über sich ergehen. Und obwohl es eine unangenehme Aktion ist, bereut Hörni weder, dass er mit dem kleinen Jonny gespielt hat, noch dass er Niko Laus persönlich kennenlernen durfte.