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Hörni fährt schwarz
Hörni fährt schwarz
Eines Tages will Hörni das Eichhörnchen einen Ausflug von Lübeck nach Hamburg machen. Er würde ja laufen, schließlich kann er ganz schön schnell laufen. Aber er kennt den Weg nicht. Eine Straßenkarte kann ihm niemand leihen. Aber es hätte sowieso nichts genutzt, denn Hörni kann sie nicht lesen. Deshalb beschließt er, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Er hat einmal gehört, dass das auch sehr umweltfreundlich sein soll. Zwar versteht er nicht, was daran besser sein soll als zu rennen - aber er nimmt das meiste, was man ihm sagt, ernst.
Es ist das erste Mal, dass er Zug fahren will. Den Weg zum Bahnhof kennt er: Runter an die Trave, immer daran entlang, über die Drehbrücke, Willy-Brandt-Allee, Lindenkreisel, und schon ist man da.
Hörni hopst frohgemut vorwärts. Er hat extra sein Geld dabei, damit er auch eine Fahrkarte kaufen kann. Er trägt es wie immer in einer aufklappbaren Walnuss im Maul. Das ist ein prima Geldversteck, denn alle glauben, er trüge nur eine Nuss umher, so wie Eichhörnchen das nun einmal tun. Raffiniert, nicht wahr?
Jetzt betritt er den Bahnhof und sieht, dass alle Leute sich ihre Fahrscheine am Automaten holen. Sie drücken irgendwelche Tasten und stecken dann Münzen in einen Schlitz, woraufhin ihnen ihre Fahrkarte entgegen fällt. Eine sehr praktische Angelegenheit, findet Hörni. Menschen gibt es schließlich so viele in der Stadt, sogar mehr als Ratten. Hörni erschrickt immer so, wenn er einem Menschen begegnet. Da ist so ein Automat sicher nicht schlecht.
Hörni steht vor dem Automaten. Um die Anweisungen zu lesen, muss er einen Meter hoch springen. Ringsherum sind so viele Menschen, dass kein Platz ist, um Anlauf zu nehmen. Hörni nimmt all seine Kraft zusammen und springt aus dem Stand so hoch er kann. Das ist ziemlich hoch, bestimmt beinahe einen Meter hoch, aber es zieht ihn wieder nach unten, bevor er alles hat lesen können. Also springt er noch einmal. Jetzt kann er immerhin Buchstaben sehen, aber "Hamburg" hat er noch nicht gefunden. Immer wieder versucht er es. Davon wird er immer erschöpfter, er springt weniger hoch als am Anfang, und den Münzschlitz könnte er jetzt nicht einmal mehr erreichen, wenn er im Sprung die Vorderpfote mit der Münze weit nach oben streckte.
Meinen guten Willen habe ich bekundet, denkt Hörni schließlich, und da es mir unmöglich ist, eine Fahrkarte zu lösen, fahre ich jetzt schwarz.
Kurzatmig von der Anstrengung schleicht er die Treppe zum Gleis hinunter und hüpft in den Zug. Dass er auf der ganzen Fahrt Angst hat, erwischt zu werden, ist völlig unnötig. Aber er kann ja nicht wissen, dass weder der Schaffner noch irgend jemand von all den Zeitung lesenden Pendlern im Zug ihn überhaupt sieht. Der Einzige, der interessiert beobachtet, wie Hörnis
Schwanzhaare sich vor Aufregung spreizen, ist ein Biologielehrer, und der kommt gar nicht darauf, dass er es mit einem kleinen kriminellen Schwarzfahrer zu tun hat. Wenn ich überhaupt jemals noch einmal nach Hamburg fahren sollte, denkt Hörni, dann stelle ich mich an die Autobahnauffahrt und trampe.