Hörni auf der Baustelle
Hörni auf der Baustelle
Bei seinem gewöhnlichen Weg über die Dächer ist Hörni das Eichhörnchen gestern ins Leere gesprungen: Ein Dach war weg! Statt dessen stand da ein Metallgerüst, an dem Hörni sich gerade noch festklammern konnte. Zwei riesige Menschen mit großen Geräten in der Hand haben ihn angestarrt. Als der erschrockene Hörni irgendwie wieder von diesem Haus weg gekommen ist, hat er sich geschworen, nie hierher zurückzukehren.
Aber neugierig ist er doch. Immerhin handelt es sich um seinen täglichen Weg. Und so schleicht Hörni sich am nächsten Abend noch einmal heran. Er hangelt sich über das Gerüst von einem Brett zum nächsten, bis er über die Mauerreste ins Dachgeschoss gelangt. Er sieht kahle Wände überall; nur an einer Seite hängt ein einzelnes Klo. Es erregt sofort Hörnis Mitleid, wie es da so verlassen hängt. "Guten Tag", sagt er einfühlsam, "Hörni ist mein Name. Und wer bist du?" - Das Klo öffnet zum Sprechen seinen Deckel und sagt:
"Ich bin das Klo. Guten Tag."
"Ah ja. Angenehm. Und was tust du hier den ganzen Tag, wenn man fragen darf?"
Das Klo gähnt.
"Gute Frage. Ich hänge hier an der Wand. Das ist alles. Keiner will mehr auf mir sitzen, seit es keine Tür mehr zum Abschließen gibt. Dabei bin ich das einzige, was hier oben noch funktioniert!"
Den letzten Satz sagt es mit einem gewissen Stolz.
"Das ist beeindruckend", meint Hörni, "Wer ist es denn, der immer auf dir gesessen hat?"
"Och, alle! Alle, die hier im Laufe der Zeit gewohnt haben: Herr Müller, seine kranke Frau, Eva und ihre vielen Freunde und zuletzt die Familie Nagel. Die Besitzer eben. Besitzer sitzen auf dem, was sie besitzen, besonders auf mir. Aber in den letzten Wochen, seit das Dach renoviert wird, fehlt ihnen wie gesagt die abschließbare Tür."
"Renoviert?"
"Ja, renoviert. Erneuert. Es war ein altes Dach."
"Aber ein gutes", ruft Hörni, "und es fehlt mir so sehr! Gestern wollte ich darüber laufen wie immer, und es war einfach nicht mehr da! Was glaubst du, wie ich mich erschreckt habe! Und dann diese Kerle mit den großen Sachen in der Hand, wie die geglotzt haben!"
"Du wirst bald ein neues Dach haben zum Drüberrennen."
"Na gut, ich will es hoffen. Aber sag mal, dieses mit dem Besitzen. . . darf ich dich auch mal besitzen? Ich habe noch nie ein Klo besessen."
Hörni ist plötzlich ganz aufgeregt. Vielleicht ist er ein bißchen voreilig, vielleicht macht das Klo gleich seinen Deckel zu und sagt nichts mehr!
"Oder trete ich dir zu nahe?" fragt Hörni deshalb noch schnell.
"Oh nein, neinnein, keineswegs!" sagt das Klo gütig, "komm nur her."
Hörni trippelt herbei. "Und wie geht das jetzt?" - "Du springst auf meinen Rand und setzt dich hin. So einfach ist das."
Hörni nimmt einen kleinen Anlauf und macht einen Satz nach oben, wo das Klo geduldig seine Brille für ihn auf hält. Im nächsten Moment macht es Platsch und Hörni liegt im Klo. Er strampelt überrascht in der kleinen Pfütze herum. So hatte er sich das mit dem Besitz nicht vorgestellt. "He, Klo!" ruft er, "Was soll das? Ich wollte auf dir sitzen und nicht in dich hineinfallen!"
Das Klo antwortet in aller Seelenruhe: "Normalerweise spült man jetzt." "Neiiin!" kreischt Hörni, "bitte nicht spülen, bitte nicht!!! Sag mir lieber, wie ich hier wieder raus komme!"
"Du springst wieder auf meinen Rand und dann auf den Boden. So einfach ist das." Hörni folgt den Anweisungen ohne zu zögern. Während er sein feuchtes Fell ordnet, sagt das Klo leise: " Ich wußte ja nicht, daß du einen so kleinen Po hast."
Wenige Tage später kann Hörni vom gegenüber liegenden Dach aus beobachten, wie das Klo über das Metallgerüst auf die Straße getragen und in einen Container für Bauschutt geladen wird. Hörni winkt dem Klo zum Abschied zu, als der Container abgeholt wird, und er ist sich sicher, dass es ihm mit dem Deckel zugezwinkert hat.