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"Gutster Weihnachtsmann!"
Emelie trägt heute ihr schönstes Kleid, das blaue mit den weißen Punkten und der roten Schleife um den Bauch, dazu weiße Strumpfhosen mit roten Herzen. Zwei blonde Zöpfe schaukeln über marienkäfergeschmückten Ohren. Heute will sie alles richtig machen!
Emelie steht vor dem großen Spiegel im Elternschlafzimmer und übt ihr Gedicht:
"Lieber, gutster Weihnachtsmann..."
Das hat sie im Kindergarten gelernt. Sie lächelt sich ganz lieb zu und stellt sich vor, ihr Spiegelbild wäre der Weihnachtsmann. Bei: "... stecke Deine Rute ein, ich..." klingelt es und die Mutter ruft:
"Emelie, komm schnell!"
"... will..." Emelie verschluckt sich an ihrer Spucke und muss heftig husten. Nun läuft auch noch die Nase. Flink wischt sie mit dem Ärmel über den Rotz.
"Das macht ein braves Mädchen nicht!", spricht sie mit Muttis Stimme. Und: "Der Weihnachtsmann sieht alles!"
Emelie hört, wie sich die Wohnungstür öffnet und wieder schließt. Die Mutter ruft: "Emelie!"
Emelie schaut auf ihren Ärmel. Da klebt ein grüner Schleimpopel zwischen weißen Pünktchen. Sie rubbelt und reibt und der Popel wird breit und lang und fest. So darf sie der Weihnachtsmann nicht sehen! Emelie huscht durch die hintere Schlafzimmertür, welche direkt ins Bad führt.
"Ich muss aufs Klo!", ruft sie und erschrickt. Das war gelogen! Außer, sie setzt sich aufs Klo und presst mit rotem Kopf bis ein paar Tropfen...
"Was dauert denn das so lange?", fragt die Mutter.
Emelie drückt die Spülung: "Gleich, ich muss noch Hände waschen", antwortet sie laut, "und den Ärmel", fügt sie leise hinzu.
Mutti nimmt zum Wäschewaschen nie Seife, immer etwas aus riesengroßen Flaschen. Emelie kramt im Badschrank. Hier, ein Mann mit Glatze lacht ihr entgegen. Sein weißer Pulli sieht sehr sauber aus. Emelie schraubt die Flasche auf, stellt sich auf Zehenspitzen vors Waschbecken, legt den rechten Arm hinein und...
"Emelie!", klopft die Mutter an die Tür.
"Ja, ich komm gleich!"
Da schwappt die weiße Soße über ihr Kleid bis auf die neuen schwarzen Lackschuhe. Die Ärmel bleiben trocken.
"Lieber, gutster, bester Weihnachtsmann! Der sieht alles!", murmelt Emelie. "Ich muss schnell den Boden trocken wischen! Am besten mit dem Kleid, dann wird das gleich sauber!"
Also kniet sich Emelie mit dem Kleid in der Hand auf den Fliesenboden. Plötzlich hält sie still und lauscht. Sie hört jemanden mit ihrer Mutter flüstern. Ist das Papas Stimme? Aber Papa ist doch gar nicht da. Oder ist er schon zurück von der Oma? Und der Weihnachtsmann kommt erst später? Grübelnd putzt sie weiter. Nun ist das Kleid schön schaumig und der Boden auch. Als hätte es geschneit. Nur, es riecht viel besser! Ihre Schuhe haben weiße Wolken. Das hat sie richtig gut gemacht!
"Emelie!", ruft die Mutter wieder.
"Ja-ha, ich ko-homm!", springt Emelie auf und... "Aua!", haucht sie, als sie auf dem frischen Schnee ausrutscht. Emelie rappelt sich hoch. Durch ein großes Loch kann sie ihr Knie sehen. Es ist knallrot, aber es blutet nicht. Emelie huscht ins Elternschlafzimmer. Ins Kinderzimmer kann sie nicht. Da müsste sie an Mutti vorbei und... Muttis rosafarbenes Nachthemd wollte Emelie schon immer mal anziehen. Hübsch, so sieht man auch das Loch in der Strumpfhose nicht. Emelie holt tief Luft und öffnet leise die Tür zum Wohnzimmer.
Da steht die Mutti mit dem Weihnachtsmann unterm Tannenbaum. Sie umarmen und küssen sich. Mutti hat die Augen zu, schiebt den Weihnachtsmannmantel bisschen hoch. Emelie sieht Weihnachtsmannwaden. Der Weihnachtsmann trägt lange grüne Unterhosen wie Papa.
"Lieber, gutster..."
Mutti lässt den Weihnachtsmann los und der Weihnachtsmann die Mutti. Sie wirbeln herum zu Emelie im rosa Nachthemd und haben Augen und Mund offen. Der Weihnachtsmann hat seinen Bart verloren.
"Papa!", schreit Emelie und rennt kreischend in ihr Zimmer. Weinend versteckt sie sich unter der Bettdecke. Da klopft es an ihre Tür. Emelie lunst unter der Decke hervor. Der verkleidete Papa kommt herein. Er setzt sich zu Emelie und erklärt ihr, dass er wirklich der Weihnachtsmann ist. Aber nur für Emelie und Kevin Schuster. Der wohnt gleich nebenan. Pst, das ist ein Geheimnis!
Dann gehen die beiden ins Wohnzimmer zurück. Papa richtet sich den Bart. Er ist jetzt wieder der Weihnachtsmann und Emelie sagt ihr Gedicht zehnmal auf, denn sie bekommt zehn Geschenke. Das letzte Päckchen ist so groß und schwer, dass Mutti ihr beim Tragen helfen muss. Emelie zerfetzt das Glitzerpapier und jauchzt:
"Das Puppenhaus! Da muss ich aber sehr brav gewesen sein!"