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Gutmütig
„Das scheint sein voller Ernst zu sein“, schnaubte Oskar während er mit angepisstem Blick auf den schon etwas älteren Holztisch des Restaurants starrte. Simon reagierte gar nicht erst auf die Bemerkung seines Sitznachbarn, sondern war noch immer dabei im Sekundentakt seine geballte Faust an die Stirn zu führen, um die Absurdität der Situation zu verdeutlichen.
Beide konnten es noch immer nicht glauben. Julia stand weiter hinten, an die Wand gelehnt und redete mit Thomas. Beiden war klar, welches Gesprächsthema sie hatten. Während Julias bestellter Schwarztee langsam kalt wurde, betrachtete Oskar sie Kopf schüttelnd, die Arme verschränkt. Sie war eine der schönsten Frauen die er je gesehen hatte. Blond, schlank, intelligent, sportlich und mit einem kleinen Vogel-Tattoo auf der rechten Schulter, das unter ihrem BH-Träger hervorschaute. Sie war einfach viel zu toll für diesen spießigen Looser. Eine ganz andere Liga.
Es gab nur einen einzigen Grund warum sie schon seit geschlagenen acht Minuten da vorne stand. Sie war gutmütig. Ein extrem feinfühliger Mensch. Aber nicht so wie eine normale Person, die extra einen größeren Schritt machte um die Ameise unter sich nicht zu zertreten, sondern so, dass sie Oskar einmal ganze 20 Minuten lang massiert hatte als sich dieser beim Schwimmen einen Muskel gezerrt hatte. Als er sich danach weigerte zum Arzt zu gehen, musste er sich eine ewig lange Predigt anhören, die von seiner Mutter hätte stammen können. Aber diese vermeintlich gute Eigenschaft ist ihr nun ein Dorn im Auge. Dieser Thomas war ein „alter Kumpel“, so sagte sie das zumindest. Bullshit. In Wirklichkeit war er ein Bekannter aus ihrer alten Schule, der es damals für sinnvoll empfunden hatte einer Hammerbraut wie Julia Monate lang nachzurennen, obwohl er genau wusste, dass er keine Chance bei ihr hatte. Und jetzt kreuzte er nach vier Jahren wieder auf, weil er über ihren Korb noch immer nicht hinweggekommen war und es seither vermutlich nicht auf die Reihe bekommen hatte, eine Andere flach zu legen.
„Der kennt sie ganz genau, der Arsch. Er weiß, dass sie sich wegen damals schuldig fühlt“. Noch immer keine Reaktion von Simon, der mittlerweile sein neues Huawei rausgeholt hatte, um sich etwas abzulenken.
Nun vergrub Julia ihr Gesicht in ihren Händen. Sie weinte. „Jetzt reicht’s“. Wütend drückte sich Oskar mit den Handflächen vom Tisch nach oben. Simon blickte hektisch auf und klappte die Hülle seines Smartphones zu „Warte, das ist echt ne scheiß Idee!“. Er hörte nicht. Wutentbrannt marschierte er nach vorne zu den beiden, Lippen und Zähne zusammengepresst, mit einem tödlichen Blick auf Thomas gerichtet. Dieser Typ nutzte schamlos die Gutmütigkeit seiner besten Freundin aus, nur weil er es nicht zu stande brauchte auch einmal in einem anderen Teich zu fischen. Er durfte ihm das nicht so durchgehen lassen. Abrupt blieb er stehen. Wenn er jetzt da hineinplatzen und Thomas verscheuchen würde, dann wäre das Problem noch lange nicht gelöst. Er würde vermutlich glauben, dass Julia mit ihm weiter über ihre ach so tolle Beziehung zu einander reden wollte. Er kniff die Augen zusammen und auf seinem Gesicht machte sich ein Lächeln breit.
Er ging zurück zu ihrem Tisch, schnappte sich Simons Smartphone, das er neben sich liegen hatte, während dieser versuchte zu verstehen was Oskar vorhatte. er drehte sich wieder schlagartig zu seiner Freundin um. Mit dem entwendeten Huawei in seiner Rechten rannte er zu ihr, eine komplett andere Mine als zuvor aufgesetzt. „Hey!“. Thomas blickte zu ihm herüber während sich Julia eine Träne aus dem Gesicht wischte. „Juli! Er kommt gleich! Dein Exfreund hat grad angerufen! Er sagte er hätte uns geortet und würde gleich vorbeikommen. Mann, der Kerl hat echt einen Dachschaden. Los, lass uns hier verschwinden!“. Sie stand mit offenem Mund und fragender Mine da. Thomas fragte verunsichert „Dein, dein Exfreund?“ Sie wollte schon etwas sagen, doch Oskar übernahm das für sie. „Ja, und was für einer. Der Typ ist ungelogen zwei Meter groß und breit. Sieht aus wie ein Schrank, überall Tattoos! Einmal da war ich mit Julia am See und er hat mir aus Eifersucht ein Loch in den Bauch geschlagen!“. Oskar hob sein Hemd und zeigte dem ohnehin schon eingeschüchterten Kerlchen seine Narbe links vom Bauchnabel, die der sich mal beim Radfahren geholt hatte. Juli musste grinsen. Thomas ging einen Schritt zurück. „Ach du meine…Also damit will ich echt nichts zu tun haben. Tut mir leid Juli, man sieht sich bestimmt mal!“. Schon war er weg.
Julia wischte sich noch das restliche Wasser aus dem Gesicht und wollte schon zu einem „Danke“ ansetzen, als Oskar ihr zuvor kam. „Du bist ein Weichei“, sagte er mit einem zufriedenen Ausdruck auf seinem Gesicht. „Ach halt die Klappe“, lachte sie als er seinen Arm um ihre Schulter legte und beide zurück zum Tisch gingen.