Guten Morgen, Sir
Hey Leute,
ich hab zwar lange nichts mehr von mir hören lassen, warte aber deshalb auch gleich mit einer story auf. Ich weiß nicht ganz, ob "Seltsam" die richtige Wahl war, aber ich hoffe, sie gefällt Euch auf jeden Fall.
Gruß olafson
Guten Morgen, Sir
Ich öffnete und schloss mühsam die Augen einige Male, schaute mich im Zimmer um. Ich befand mich offensichtlich in meiner Wohnung, keine Frage. Die Sonne spiegelte sich matt in dem Parkettboden, reflektierte die wenigen, ausgesprochen geschmackvoll arrangierten Möbelstücke, wurde durch die dezente Beleuchtung unterstützt. Es schien ein wunderschöner Tag zu werden, durch das geöffnete Fenster strömte die Stadtluft der gehobenen Klasse in mein Zimmer, ein Geruch nach teuren Autos, guten Bäckereien und Parks durchflutete den Raum und verfing sich in der Einrichtung. Es war fast, als wertete sie ihren Stil auf. Ich schob das Bettlaken von mir und brachte mich in die Vertikale, mein Kopf war noch immer von der letzten Nacht benebelt, rieb mir den Schlaf aus den Augen und nahm einen Schluck SanPellegrino aus der kleinen Flasche. Sie stand neben dem Futonbett auf dem Nachtkästchen aus Ebenholz. Dann stand ich mühsam auf, ging zu dem großen Fenster und schob die weißen Vorhänge zur Seite, die wie riesenhafte Engelsflügel im Rhythmus des Winds tanzten. Draußen war wunderschönes Wetter, die Straßen, noch immer nass von einem nächtlichen Regen, dampften förmlich und mir stieg ein wunderbarer Geruch nach Sommerregen in die Nase. Ich drehte mich um und ging zu dem Bett zurück.
Meine Bekanntschaft von letzter Nacht schlief noch immer selig. Ihr Gesicht strahlte eine kindliche Ruhe und Entspannung aus, eine beneidenswerte Gabe. Der schlanke Körper zeichnete sich deutlich unter dem Laken ab. Schade, dass ich ihren Namen vergessen hatte, ich würde gezwungen sein, sie so lange mit "Du", "My Dear", vielleicht sogar "Zuckerhäschen" oder sonst irgendeinem Blödsinn anzureden, bis ihr Name wieder in den drogenverseuchten Tiefen meines Kopfes auftauchte. Oder ich könnte einfach wortlos gehen und hoffen, dass Georgey sie aus meiner Wohnung entfernen würde. Sie seufzte kurz, als hätte sie meine Gedanken gelesen, und drehte sich dann um, so dass ihr schlanker Rücken zum Vorschein kam. Ich hätte wetten können, dass das pure Absicht war. Ich blickte noch einmal auf ihr schwarzes Haar, dass wie Schlamm an ihrem verschwitzten Nacken klebte, strich ihr dann, um sie nicht zu wecken, vorsichtig über die Backe, was ihr ein unwillkürliches Lächeln entlockte. Dann wendete ich mich von ihr ab und ging in die andere Ecke des Zimmers zu dem großen Spiegel. "Sie hatte sicherlich einen guten Fick abgegeben", dachte ich mir, während ich mein unglaublich durchtrainiertes Spiegelbild betrachtete.
Bei einem Blick auf die Rolex, ich nahm sie nie ab, stellte ich mit, bei meinem Charakter sicher gespielten, Erstaunen fest, dass der Zeiger fast eine halbe Stunde Vorsprung vor meinem Termin im Verlag hatte. Fluchend schnappte ich mir mein Funktelefon und wählte Annas Nummer.
"Büro von Mr. Garamond, guten Morgen" kam es gutgelaunt aus dem Hörer.
"Morgen Anna, ich bins. Ich habe verschlafen. Wie sieht's aus?"
"Die Herren vom Vorstand sitzen schon in ihrem Büro und warten. Ich werde sie einfach noch eine Weile hinhalten. Hatten sie eine Panne, ein anderes wichtiges Treffen oder hatte ihr Flieger Verspätung, Sir"
Bei dem spitzen "Sir" dachte ich an die Blumen, die ich Anna eigentlich heute mitbringen wollte. Meine Vergesslichkeit hatte von ihrem Geburtstag noch keinen Besitz ergriffen.
"Es war der Flieger. Oder..., nein, nein! Blödsinn. Gestern war's auch schon der Flieger. Überlegen sie sich irgend was. Aber strengen sie sich an"
"Ok, in Ordnung. Ich gebe mein bestes, Sir. Auf Wiederhören"
"Ach Anna, einen Augenblick noch. Mögen sie Magnolien?"
"Ja, warum?"
"Nichts... bis später. Ciao".
Ich legte den Hörer zurück in die Ladestation, warf noch einen sehnsüchtigen Blick auf das Bett, streifte mir den Kimono über und ging dann in die Küche.
Die Espressomaschine blubberte leise vor sich hin, den Kaffeeduft mechanisch in der Luft verteilend. Von der Straße trug ein entferntes Verkehrsrauschen das Stadtgefühl auf den, mit Haschischpflanzen voll gestellten, Balkon. Nicht das ich es nötig gehabt hätte, Gras anzupflanzen. Ich bin seit meiner Jugend ein Pflanzennarr, so das es eine Art Hobby für mich war.
Der Rauch meiner Zigarette bildete kleinen Wolken um mich herum, Fäden zogen sich durch die sonnengetränkte Luft, als wenn sich der Rauch nicht über die Balkonbrüstung trauen würde. Ich trat vor zur Brüstung und lehnte mich über den Abgrund. Unten waren hunderte ameisengroße Menschen damit beschäftigt, ihr Glück zu finden. Bei dem Anblick der Flanierenden überlegte ich mir kurz, ob ein Besuch im Café am Park meinem Glück nicht zuträglicher wäre als die Arbeit. Außerdem würde es meinem Teint zu gute kommen. Dann fiel mir aber wieder Annas Geburtstag ein und ich schlenderte zurück in die Küche, würgte schnell die Aspirin runter und ging dann entlang der Bücherregale zum Bad.
Der dampfende Wasserstrahl prasselte auf meinen Rücken, marterte meine Haut wie mit tausend Nadelstichen. "Reinigung durch Schmerzen, in der verweichlichten Kommerz-Version natürlich" dachte ich. Um meine Füße sammelten sich die Zeugnisse des gestrigen Tages in flüssiger Form. Verwesungsprozess vor dem Tod. Das Duschgel erfrischte mich, kühlte meine rote Haut. Das Rauschen des Wassers mischte sich mit dem monotonen Gespräch zweier Moderatoren aus dem Radio zu einem, für mich urmorgendlichen Akustik-Brei. Dann kam die Melodie des Senders und sie spielten einen extrem guten Song, es kam mir vor, als sei er von "Air", ich konnte mich aber nicht festlegen. Ich lauschte den Beats, der subtilen Melodie, verträumt versponnen zu einer leistungsfähigen Direktleitung in mein Gehirn. Die Bässe waberten durch das Bad, tausendfach reflektiert von Edelstahl und Beton. Doch dann fand ein musikalisches Massaker statt. Die Musik verzehrte sich, schien sich umzukehren, verdrehte den Rhythmus, katapultierte die Höhen bis ins All, Stimmen klangen zwischen dem traurigen Rest des Basses, unmenschliche Frequenzen ließen das Bad vibrieren.
Ich spülte den Schaum ab, meine Ohren schienen im nächsten Augenblick zu bersten, und trat aus der Duschkabine. Als sich der Dampf verflüchtigt hatte, konnte ich den Grund erkennen.
Vor der Anlage von Sony, die auf einer kleinen Kommode am anderen Ende des Bads stand, kauerte ein kleines, grünes etwas. Es war so gut wie nichts von ihm zu erkennen, nur große, weiße Augen, die mich unverwandt anstarrten und eine gewaltige Beule am Kopf.
"Guten Morgen, mein Herr, was tun Sie hier" fragte ich es.
"Ich evoluzierentifizärutiariere, Sir!" antwortete es gelassen.
"Bitte was?"
Das Ding schaute mich unverwandt ruhig und gelassen an. So wie es aussah, saß es im Schneidersitz da und die riesige Beule auf seinem Kopf war eine Art Frisur. Es machte allerdings keine Anstalten, mir zu antworten oder zu erklären, was es hier machte. Die furchtbaren Klänge dröhnten noch immer aus den perfekt im Raum verteilten Boxen, ließen die Spiegel über den Waschbecken vibrieren.
"Ich hatte sie akustisch nicht verstanden, mein Herr, es ist so laut"
"Sir, ich sagte bereits, dass ich evoluzierentifizärutiariere!"
"Aber wieso, mein Herr"
"Ja wisst Ihr das nicht, Sir?"
Es schien erstaunt, legte den Kopf leicht schräg.
"Ich glaube schon, ich habe vor kurzem etwas darüber gelesen, mein Herr"
"Ist es Euch zu laut, Sir?"
"Ehrlich gesagt ein bisschen schon, aber wenn es der Sache dient, mein Herr"
"Das ist die richtige Einstellung, Sir"
Mir fiel schlagartig ein, dass ich die Gelegenheit nützen musste.
"Entschuldigung, mein Herr, könnten sie mir bei einem kleinen Problem behilflich sein?"
"Einem so eloquenten Herren behilflich sein? Warum nicht, Sir. Worum geht es, Sir? Hat es etwas mit der Konsistenz japanischen Masaggeöls zu tun? Wir wollten schon immer einem so exzellenten Sir behilflich sein."
Mir stieg sofort die Röte ins Gesicht.
"Danke, Danke, aber.. nein, es ist weitaus komplexer als dieses, zugegeben sehr empirisch veranlagte Themengebiet. Es geht um das Mädchen in meinem Bett, mein Herr"
"Sie ist mir heute morgen noch gar nicht aufgefallen, Sir! Worum geht es, ist ihr schwarzes Haar spröde"
Ich fasste mir an den Hals. Es war unglaublich anstrengend die ganze Zeit zu schreien.
"Das auch. Aber der Punkt ist, ich vergaß ihren Namen, mein Herr"
"Sie heißt Addadas, wie Ananas, aber nicht exzentrisch, wie Ihr, Sir"
"Sie sind mir eine große Hilfe gewesen, mein Herr!"
"Gern geschehen, Sir! Sterben Sie wohl!"
"Danke, mein Herr"
Beim Verlassen des Bads drehte ich mich noch einmal zu meinem Sony-STR-VA555ES Verstärker, dem ST-D777ES Digital-Tuner, ebenfalls von Sony, und den wunderbaren Boxen aus Mahagoniholz um, schaute sie besorgt an, schüttelte dann aber das elende Misstrauen ab und schlenderte in das Schlafzimmer.
Ich hatte mich fertig angekleidet und war auf dem Weg zur Tür, als mir das Mädchen irgend etwas unverständlich verschlafenes hinterher rief. Ich knurrte kurz, drehte mich um und ging zurück in das Schlafzimmer. Sie saß aufrecht im Bett und wischte sich das Haar aus dem Gesicht.
"Wo gehst du hin, Bastian?" nuschelte sie, ihre großen Augen wanderten planlos im Zimmer umher.
"Ich muss zu einer Besprechung, du kannst hier warten. Es dauert nicht länger als 2 Stunden und danach können wir ins Café gehen oder machen, wozu du Lust hast. Schau einfach ein bisschen fern. In der Küche liegt ein Stapel Zeitschriften."
Ich hoffte insgeheim, dass Georgey bald kommen würde. Sie schaute mich verständnislos an, ein kurzes Aufleuchten huschte über ihr Gesicht, sie nickte, verfiel dann aber wieder in ihren aphatischen Zustand und rieb sich die Augen.
"Ich habe Kaffee gemacht" setzte ich hinzu, ein kläglicher Versuch von meinem Gewissen, meine Ungastlichkeit zu kaschieren.
Sie nickte wieder, ich lächelte sie charmant an, winkte kurz und ging so schnell wie möglich zurück zur Tür.
Als ich die Tür gerade schließen wollte, fiel mir noch diese eine Sache ein. Es wäre unverzeihlich gewesen, es zu vergessen. Ich ging zurück in die Wohnung, schloss die Tür hinter mir und rannte ins Schlafzimmer. Das Mädchen saß noch immer in der selben Haltung da, schaute mich erschrocken an.
"Ach ja, da ist noch eine Sache.." begann ich stockend, versuchte alle Aufmerksamkeit von ihr zu bekommen. Wieder huschte dieses Leuchten über ihr makelloses Gesicht, sie schaute mich mit großen Augen an, legte den Kopf leicht schief und aus ihrem halb geöffneten Mund kam ein zustimmender Laut.
"Wenn du ins Bad gehst, dann sag dem Ding bitte, es soll die Musik leiser machen! Die Boxen werden das nicht lange mitmachen. Hast du mich verstanden?" sagte ich bestimmt.
Sie nickte wieder, ich fixierte sie noch kurz, drehte mich dann um und rannte aus der Wohnung. Draußen war wunderschönes Wetter.