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Gute Menschen werden niemals vergessen

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05.12.2001
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Gute Menschen werden niemals vergessen

Ich dachte nicht, dass ich es fertig bringen würde, das Folgende niederzuschreiben.
Eigentlich spielte ich nicht einmal mit dem Gedanken daran.
Doch manchmal muss man eine Sache zu Ende bringen, bevor man weiterleben kann. Und manchmal bringst du die Sache zu Ende, obwohl es dich einen Dreck kümmert, ob du danach besser leben kannst als zuvor. Weil irgendetwas dort draussen will, dass du es tust. Weil es richtig ist.
Eines Morgens erwachte ich aus einem meiner üblichen Albträume. Ich schrie nicht - zumindest schon einige Zeit nicht mehr - aber ich wusste, dass es noch etwas zu tun gab. Die Träume würden weitergehen und ebenso meine Schuldgefühle und die Gedanken, dass der Tod vielleicht letzten Endes doch eine Erlösung ist. Es niederzuschreiben würde mir nicht helfen. Aber ich würde es dennoch tun, Freunde und Nachbarn.
Ich quälte mich einige Tage lang mit dem Gedanken. Schob es hinaus wie einen Termin beim Zahnarzt. Aber gestern nicht. Gestern war Schluss mit dem ganzen verfluchten Mist.
Ich nahm mir einen Block aus der Küche und einen Bleistift. Ich nahm mir einen Sechserpack Bier. Ich setzte mich auf die hintere Veranda. Und ich schrieb. Ich schrieb als würde mir der Teufel persönlich über die Schulter schauen.
Und wer weiss? Vielleicht ist auch genau das geschehen.

Ich hätte wissen sollen, dass es ein Fehler war von der Interstate abzubiegen. Aber scheisse Mann, es war dieselbe Kurzschlussreaktion, die mich vor zwanzig Jahren dazu bewegt hat, meine Jimmy Hendrix-Mähne abschneiden zu lassen.
Wir befanden uns vierzig Meilen vor Portland und ungefähr siebzig Meilen vor Warwick, wo wir die nächsten zwei Tage damit verbringen würden, über meine verstorbene Tante Florence zu trauern und uns unzählige Kondolenzbriefe von Leuten durchzulesen, die wir nicht einmal vom Namen her kannten. Ich verabscheue Beerdingungen und ich verabscheue das ganze scheinheilige Mitleid. Ausgestreckte Hände und mitfühlende Gesichter, vorgeschoben vor den Gedanken, dass die alte Vettel endlich das Zeitliche gesegnet hat. Verdammt, ich kannte sie nicht mal richtig. Ich hatte sie nur ein einziges Mal gesehen und das war auf meiner Hochzeit gewesen und ich kann nicht behaupten, dass ich die rundliche, kettenrauchende Alte in irgendeiner Weise liebgewonnen hatte. Aber seit dem Tod meiner Mutter war ich der einzige Verwandte.
So dachte ich, als wir von der Interstate abbogen und vielleicht bin ich selbst Schuld an dem, was danach geschah. Weil ich diese Gedanken hatte. Ich meine scheisse, eine Million Menschen haben wahrscheinlich täglich solche Gedanken, ohne dass ihnen jemals so etwas passiert, aber versuchen sie mal dieses verfluchte Schuldgefühl loszuwerden.
Ich setzte also den Blinker, schaute in den Rückspiegel und nahm die Ausfahrt Harlow. Einfach so. Es gab wirklich keinen Grund – zumindest keinen
(Glühwürmchen)
zumindest keinen, der mir in diesem Augenblick bewusst gewesen wäre.
Kate warf mir vom Beifahrersitz einen verwunderten Blick zu, aber sie sagte nichts. Wahrscheinlich kannte sie diese Art von kurzentschlossener Anwandlung, die ich von Zeit zu Zeit habe. Schließlich waren wir seit acht Jahren verheiratet.
Shawn war hingegen weniger taktvoll. Er steckte seinen Kopf zwischen den Sitzen vor und fragte in seiner hohen, schrillen Stimme, die verriet, dass bis zur Pubertät noch das eine oder andere Jahr vergehen sollte: „Warum fahren wir raus, Daddy?“
„Weil ich die ganzen Autos und die Leitplanken und die Böschung leid bin.“, sagte ich ein
wenig zu laut und Shawn schwieg. Wahrscheinlich tat es ihm leid, dass er gefragt hatte.
Also sagte ich ein wenig freundlicher: „Ausserdem bist du das erste Mal in Maine und dann sollst du auch wenig von der Landschaft sehen.“
Kate warf mir einen erneuten Blick zu, der sagte, dass ich den Eisberg gerade noch einmal umschifft hatte und ich lächelte ihr zu.
Harlow war dasselbe kleine unscheinbare Kaff, dass ich erwartet hatte. Aber die Landstrasse war gut, viel besser als ich dachte und die Landschaft in diesem Teil von Neu-England hat wirklich ihre schönen Seiten. Nach ein paar Meilen war ich beinahe stolz auf meinen Entschluss, die Interstate zu verlassen, auch wenn wir dadurch zwei oder drei Stunden später ankommen würden. Auf jeden Fall nach dem Mittagessen, so viel stand fest.
Wir kamen durch Stedwick, Durham und durch ein beschauliches Örtchen mit Namen Castle Rock. Danach kam für eine Weile nichts mehr.
(das kleine Glühwürmchen)
Die Strasse zog sich ziemlich, aber auf den Seiten wechselten sich Wälder, Wiesen und eine Mischung aus beidem soweit ab, dass es nicht halb so eintönig wurde, wie auf der Interstate, wo eine einzelne Kiefer schon einem Naturschauspiel gleicht. Einmal überquerten wir sogar eine jener hölzernen, überdachten Brücken, die man sonst nur aus Filmen kennt, zumindest wenn man sein ganzes Leben in Chicago verbracht hat. Es war eine ruhige Fahrt, wenig Gegenverkehr und selten eine Menschenseele zu sehen.
Die Radiosender spielten zumeist diesen neumodischen Müll, von dem nur Teenager oder Zugekiffte denken können, dass es Musik sei (nicht dass ich ein Engel gewesen wäre, was Marihuana oder halluzinogenen Kram betraf, aber scheisse noch eins, damals verbanden wir wenigstens ein Lebensgefühl und einen Traum mit dem Zeug).
Ich hatte endlich einen Sender gefunden, der neben den Red Hot Chilli Peppers auch Sachen von Joe Cocker, Pat Boone und Bob Dylan spielte, als Shawn plötzlich vom Rücksitz fragte:
„Was bedeutet denn das Kreuz da vorne, Daddy?“ Er beugte sich vor und deutete auf den linken Strassenrand.
Es war kein Wagen hinter uns und es kam uns auch keiner entgegen, also fuhr ich langsamer, während Kate ihm erklärte:
„An dieser Stelle ist wahrscheinlich einmal jemand verunglückt. Seine Angehörigen haben dann dort ein Kreuz aufgestellt, um daran zu erinnern.“
„Liegt er dort auch begraben?“, fragte Shawn.
Kate verkniff sich ein Grinsen. „Natürlich nicht, Liebling. Er liegt bestimmt auf dem Friedhof.
„Schade.“
Dann befand sich das Kreuz genau neben meinem Seitenfenster. Es war ein schlichtes Holzkreuz ohne Verzierungen und die Blumen, die eine trauernde Mutter oder eine verzweifelte Freundin aufgestellt hatte, waren alt und verwelkt. Ein einzelnes Windlicht war anscheinend schon vor Wochen abgebrannt.
(aber das Glühwürmchen leuchtet und tanzt um das Kreuz)
Das Leben geht weiter, dachte ich. Es geht immer weiter.
Auf dem Kreuz stand:

In stillem Gedenken
Frank Ellway
Gute Menschen sterben nie

Dann waren wir vorbei und ich fragte mich unwillkürlich, ob der gute Frank ein Problem damit hatte, denselben Nachnamen zu tragen wie John von den Broncos. Vielleicht wurde er deswegen gehänselt und wünschte sich, dass er Smith, Brown oder Doe hieß. Vielleicht war
er aber auch Kapitän seines Football-Teams und genoss die Namensgleichheit.
Wieder eine jener Fragen, die mir nie beantwortet werden würden.
Zwei oder drei Meilen später erklärte Shawn, dass er „hungrig wie die Sau“ sei und holte sich einen wütenden Blick von seiner Mutter ab. Ich musste mir auf die Lippe beissen, damit ich nicht laut losprustete.
„Was haltet ihr davon, wenn wir uns im nächsten Ort mit Chips und Schokoriegeln eindecken und später in Portland einen Burger essen?“
„Wegen mir.“, sagte Kate. Sie war wütend auf Shawns Ausdrucksweise.
Arme Kate, dachte ich. In zwei Jahren wird er aus der Schule kommen und Wörter mitbringen, von deren Existenz du noch nicht einmal wusstest.
„Klar.“, sagte Shawn und damit war es beschlossene Sache.
Der nächste Ort lies auf sich warten. Mein Magen begann zu knurren und ich musste aufs Klo. Keine große Sache, ich hätte anhalten und hinter die Büsche gehen können, aber warum sich die Mühe machen, wenn wir sowieso bald halten und aussteigen würden.
Ich nahm mir vor auch Shawn mitzunehmen (Kinder und lange Autofahrten, jeder Elternteil wird wissen, was ich meine) , als ein Schild hinter einer Biegung auftauchte.

Willkommen in Rocatano!
Sie werden uns gar nicht mehr verlassen wollen!

„Das...“, sagte Kate, „...möchte ich ganz entschieden bezweifeln.“
Ich lachte laut auf und Shawn kicherte, obwohl er die Komik in diesem Satz wahrscheinlich nicht völlig begriffen hatte.
„Komischer Name.“, sagte ich kopfschüttelnd. „Aber was soll man von einem Staat erwarten, der einen See Oriquintaquec nennt.“
„Wie?“, fragte Kate lachend und Shawn kreischte auf dem Rücksitz vor Vergnügen.
„Es stimmt.“, sagte ich. „So haben die Waldschrate hier einen See genannt.“
Der Ort vollbrachte die überaus bewundernswerte Leistung, sogar Harlow in Sachen Kleinbürgerlichkeit und Langeweile auf die Plätze zu verweisen.
Eine Hauptstrasse führte der Länge nach hindurch und im Stadtzentrum befanden sich einige kleine Läden, die wegen der Mittagszeit aber zumeist geschlossen waren. Abgesehen davon gab es einige hübsche Häuser im Kolonialstil und nicht einen Menschen zu sehen.
„Wenn die hier fließendes Wasser haben, heiße ich Tanner.“, sagte Kate in Anspielung auf den Spitznamen, den wir ihr wegen ihrer gelegentlichen Anfälle von Spießigkeit während der College-Zeit gegeben hatten. Natürlich benutzte ich den nur bevor wir zusammen waren. Erstens reagierte sie nicht sehr positiv darauf und zweitens hatte ich mich schon zu der Zeit so hoffnungslos in sie verliebt, dass mir sogar dieser Charakterzug gefiel.
„Da vorne ist ein Supermarkt.“, sagte Shawn.
Na ja, dachte ich. Supermarkt konnte man es zwar wirklich nicht nennen, aber Ed´s Grocery lies auf etwas zu essen hoffen und hatte immerhin dem Anschein nach geöffnet. Der Laden war ein heisser Kandidat für eine Generalüberholung – und der in großen Teilen abbröckelnde Putz war noch das kleinste Problem -, aber auf eine eigentümliche Art und Weise
(Glühwümchen!)
schien er realer zu sein, als die übrigen Geschäfte. Mehr da. Ich schüttelte den Gedanken ab.
Ich parkte davor – im Halteverbot, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass in diesem von allen Göttern verlassenen Kaff ein Sheriff seine Runden drehen würde.
„Komisch.“, sagte Kate als wir ausstiegen. „Kein Auto weit und breit.“ Ich schaute mich um. Sie hatte recht. Kein Auto. Nicht einmal ein Parkendes.
„Tja. Rocatano, Maine ist eine Geisterstadt.“
Wir gingen hinein.
Ed´s Grocery entsprach ziemlich exakt dem Idealbild eines hinterwäldlerischen Lebensmittelladens. Es war düster und die grünen Regale standen vollgeräumt mit den verschiedensten Sachen, ohne das Ed oder seine Angestellten (wobei ich bezweifelte, dass letztere die Zahl eins überstiegen hätten) sich in irgendeiner Art und Weise um eine sinnvolle Anordnung bemüht hätten. Nudeln standen neben Coca Cola Kisten, Gemüse neben Sechserpackungen Budweiser, die Kühltruhe mit eingefrorenem Fleisch unter einem Regal mit uralten Duftkerzen. Na, dachte ich, die werden wirklich duften.
Auf der Ladentheke stand eine Registrierkasse, bei deren Anblick jede Requisiteurin, die einen Film über die Jahrhundertwende ausstatten soll, in verzückte Begeisterung ausgebrochen wäre und hinter der besagten Kasse stand ein junger Mann von ungefähr fünfundzwanzig Jahren. Er nickte uns zu. Hinter seinem Kopf sah ich ein kleines Clipboard mit einem Stapel von Gideon-Bibeln.
„Wir schauen mal was wir finden.“, sagte Kate und schob Shawn in den winzigen Gang, der aussah, als könne man dort auf vertrocknete Chips oder harte Schokoriegel stoßen.
Ich trat an die Theke. „Hallo.“, sagte ich. „Wir sind auf der Durchreise. Dürfte ich wohl bitte mal ihre Toilette benutzen?“
Der junge Mann grinste breit und entblößte eine Reihe von unglaublich gelben Zähnen. Er trug ein kariertes Hemd, dass augenscheinlich schon bessere Tage gesehen hatte und das aufgenähte Namensschild darauf war verwaschen und unleserlich. Seine dunklen Haare waren verfilzt und schief geschnitten.
„Wo soll´s denn hingehen, Kumpel?“, fragte er.
„Bangor.“, sagte ich, auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber ich mag es einfach nicht, wenn mich ein Fremder Kumpel nennt.
„Hmm.“, machte er. „Schöne Stadt. N´Haufen tolle Bars. Und unter uns gesagt....“ Er bedeutete mir mit einem Handzeichen näher zu kommen und widerstrebend tat ich ihm den Gefallen. Er roch nach schalem Bier und nach etwas anderem, undefinierbaren. „...mit dem besten Puff in ganz Maine.“
„Kein Bedarf.“, sagte ich und versuchte so freundlich wie möglich zu klingen. Der Gestank, der von ihm ausging wurde stärker, aber der Biergeruch ging zurück. Dafür trat der andere hervor, der, den man am ehesten mit verfaultem Fleisch vergleichen konnte.
„Ayuh. Ne geile Braut haben sie da aufgerissen, das muss man ihnen lassen.“ Er grinste wieder und etwas an diesem Grinsen lies mich unbehaglich werden. Aber meine Blase drückte mittlerweile ziemlich stark und mein Magen hatte beschlossen, dass Knurren ein phantastisch guter Weg war, um an Nahrung zu gelangen und so entschloss ich mich auf die Toilette zu gehen, zu bezahlen was Kate und Shawn sich ausgesucht hatten und zuzusehen, dass wir aus Rocatano, Maine so schnell verschwanden wie nur irgendwie möglich.
„Ähm...wie sieht das denn mit der Toilette aus?“
Der Mann verzog das Gesicht. „Oh Mann, tut mir leid. Ich quatsche einfach zu viel. Wenn ein Mann muss, dann muss er. Hat mein Vater immer gesagt, der alte Suffkopf. Die Toilette ist dort hinten, neben der Kühltruhe. Tut mir echt leid, Kumpel“
„Kein Problem.“, sagte ich und blickte so offensichtlich auf das ausgewaschene Namensschild, dass sogar ein Trottel wie er bemerken musste, worauf ich hinauswollte. Gute alte Erziehungstradition. Man kann sie einfach nicht ablegen.
„Oh Mann, ich bin echt ein Idiot. Freu mich sie kennen zu lernen. Ich heisse Frank Ellway.“
Für einen Moment kam ich mir vor, als hätte mich ein Güterzug gerammt.
Ein Zufall, sagte ich mir. Ein dummer Zufall, kein Grund zur Panik. Geistesabwesend schüttelte ich die Hand, die er mir entgegenstreckte. Der Druck auf meiner Blase war verschwunden, ebenso wie das Knurren meines Magens. Ich wollte nur noch raus aus diesem Laden, raus aus dieser verfluchten Stadt. Aber gute alte Erziehungstradition. So etwas tat man nicht. Man kann sie nicht ablegen, wie gesagt. Und nebenbei: Ich bezweifle, dass es etwas
genutzt hätte.
„Na, was ist jetzt mit der Toilette, Kumpel?“, fragte Ellway.
In diesem Moment kamen Kate und Shawn an die Kasse. Shawn trug ein halbes Dutzend Schokoriegel, die er seiner Mom wahrscheinlich in einem hartnäckigen Wortgefecht abgeschwatzt hatte und Kate hatte neben drei Dosen Cola auch zwei Tüten Chips in der Hand.
„N´hübscher Bengel und ne geile Braut, wie gesagt, ayhu.“, sagte Ellway und bleckte die gelben Zähne.
Kate warf mir einen verwirrten und besorgten Blick zu. Ich konnte sie nur anstarren.
„Willst du uns nicht bekannt machen, Stevie?“
Ich fragte ihn nicht, woher er meinen Namen kannte. Ich wollte es gar nicht wissen.
Ich wusste nur eins: die Namensgleichheit war kein Zufall. Wir sprachen mit einem Toten. Daher auch der Geruch. Er roch nach verfaultem Fleisch, weil er aus genau diesem bestand. Er faulte. Meine Eingeweide zogen sich schmerzhaft zusammen.
„Wir warten Stevie, wir warten.“ Einer seiner Zähne fiel aus seinem Mund und landete mit einem leisen Plopp auf der Ladentheke. Er bemerkte es gar nicht oder es war ihm egal.
„Was ist hier los?“, fragte Kate, noch immer beherrscht, aber mit dem leisen Unterton von aufkommender Panik in der Stimme.
„Meine Frau Kate und mein Sohn Shawn.“, sagte ich mit bebenden Lippen. „Und Mr. Frank Ellway.“
Kate lies die Cola und die Chipstüten fallen. Shawns Augen wurden groß.
Rennen, dachte ich. Einfach wegrennen. In das Auto steigen und losfahren. Und nie wieder an diesen Ort denken. Aber es würde nichts nutzen. Ich wusste es. Ich konnte mir nicht sicher sein, konnte es verdammt noch mal nicht, aber in genau diesem Augenblick wusste ich es einfach. Rennen würde alles nur noch schlimmer machen.
Und vielleicht war es ja ein Traum. Nur ein Traum.
„Doch nicht der....“, sagte Kate.
Ellway kicherte. „Verdammt.“, murmelte er, als etwas in seinem Mund knirschte und gleich darauf spuckte er einen weiteren Zahn aus. „Die Dinger machen mich noch wahnsinnig. Um auf die Frage der Lady zurückzukommen – doch, genau der Frank Ellway. Gute Menschen sterben nie, stimmt´s Steve-O? Der Frank Ellway auf dem Kreuz. Der Frank Ellway, der vollgesoffen und völlig bekifft den verdammten Baum gerammt hat. Der Frank Ellway, der tollen weissen Schnee aus Boston in die Heimat bringen wollte und selbst nicht wiederstehen konnte. Ayhu, Stevie, aber da weisst du ja auch ganz genau Bescheid.“
Irgendjemand wird gleich hereinkommen. Und dann wird sich dieser Spuk auflösen. Jemand wird kommen und Ellway wird verschwinden, weil Geister nur ganz bestimmten Leuten erscheinen können. Nicht allen.
„Ach und bevor ich es vergesse: Es ist beschissen diesen Namen zu tragen, Stevie. Total beschissen.“
Shawn hatte sich in die Hose gemacht. Aus seinen Augen kullerten Tränen. Er bewegte sich überhaupt nicht mehr. Kate zitterte am ganzen Körper.
„Was wollen sie?“, brachte ich schließlich hervor.
„Endlich kommen wir auf den Punkt. Allzeit bereit, Stevie, hab ich recht? Wir werden ein Spiel spielen. Jemand wird heute sterben. Aber - und das ist der Heidenspaß an diesem Spiel - wir wissen noch nicht wieviele. Ayhu, das können wir auch gar noch nicht wissen. Wir müssen es nämlich erst noch auswürfeln.
Ellway steckte die rechte Hand in seine Hosentasche und als er sie wieder hervorzog fehlte der Ringfinger. An seiner Stelle war nur noch ein abfaulender kleiner Stumpf. „Jetzt ist er in der Tasche, falls ich ihn noch mal brauche.“ Er lachte schallend und ich sah, dass sich winzige
gelbe Würmer in seine Zunge fraßen. In Ellways Handfläche lag ein roter Würfel.
Ich kannte diese Sorte Würfel. Ich hatte früher Rollenspiele gespielt, Dungeons and Dragons und so einen Kram. Was Ellway dort hatte war ein ganz normaler Würfel, bis auf die Tatsache, dass die Zahlen eins, zwei und drei jeweils doppelt darauf waren. Wir nannten so ein Ding seinerzeit W3.
Ich hatte begriffen.
Rennen. Scheiss drauf ob es zu etwas nutze ist oder nicht. Rennen oder wir sterben. Ich spannte die Muskeln an. Ich würde Shawn und Kate mit mir reissen und zum Auto rennen. Meine Finger schlossen sich in der Tasche meiner Jeansjacke um den Wagenschlüssel.
Bang!
Ein Gitter fiel vor den Türrahmen. Es war eines jener Gitter, mit dem man die Türen von Banken oder Juwelieren in Beverly Hills sichert, aber ganz bestimmt keins, dass man in einem Lebensmittelladen in einer Kleinstadt in Maine benutzen würde.
„Ach komm schon, Steve-O. Jetzt schau nicht so betrübt. Hast du etwa geglaubt, ich würde es euch so einfach machen.“ Ellway warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ich kann gut verstehen, dass du wegrennen willst, aber schau mal, ich würde ne Menge Ärger bekommen, wenn ich das zuließe. Einen ganzen Arsch voll Ärger.“ Er schüttelte den Kopf.
„Daddy.“, sagte Shawn leise. „Mach das er weggeht. Er soll weggehen. Ich will nach Hause.“ Er weinte jetzt stärker, hemmungslos. Kate starrte ihn nur an.
Es sind diese Worte, die ich heute noch höre.
Daddy, mach das er weggeht.
Die Angst in seiner Stimme. Die großen blauen Augen, die sagten, dass Daddy alles wieder gut machen würde, dass Daddy den bösen Mann vertreiben würde so wie er die Monster aus dem Wandschrank vertrieben hatte. Die Verzweiflung, das Unverständnis. Warum tat Daddy nichts?
Weil Daddy verflucht noch mal nichts tun konnte. Scheisse, das waren keine Hirngespinste eines fantasievollen Siebenjährigen. Das war, Freunde und Nachbarn, die verfluchte Realität.
Friss Vogel oder stirb. So einfach ist das.
Ich schaute zu Ellway und plötzlich war da ein seltsames Leuchten über seinem Kopf
(das Glühwürmchen!)
Nur ein schwaches Glimmen, dass tänzelnd sein Gesicht umspielte. Aberwitzige Gedanken schossen mir durch den Kopf: Er kann es nicht sehen! Es hat uns hierher geführt und er weiss nicht, dass es da ist.
„Wer möchte Würfeln.“, fragte Ellway und beugte sich über den Tresen. „Eins, zwei oder drei, es ist auch kein Trick dabei.“ Er kicherte leise. Der Gestank nach faulem Fleisch war mittlerweile fast unerträglich geworden.
„So halten wir es in Croatoan. Keine Tricks. Wir spielen mit offenen Karten.“
Rocatano. Croatoan. Was machte es für einen Unterschied? Ein bisschen Betrug bei der Ausschilderung. Keine große Sache. Eine Werbeagentur arbeitet mit subtileren Kniffen.
„Kein Betrug.“, kreischte Ellway. „Big Dan hat das Schild gemacht. Kann nix für, is eben besoffen verreckt.“ Er zwinkerte mir zu. „Okay, vielleicht ein kleiner Trick, aber sonst wärt ihr bestimmt nicht gekommen, oder?“ Er machte eine Mine, als würde er sich schämen. „Croatoan. Eine Geisterstadt sind wir. Heute hier, Morgen da. Das ist unser Motto, ayhu.“
Meine Knie begannen zu zittern. Kate schluchzte. Das Leuchten über Ellways Kopf wurde stärker.
(sammelt es Energie?)
„Zurück zum Geschäftlichen. Ihr würfelt und so viele werden mitkommen wie ihr Augen gewürfelt habt. Würfelt ihr eins, wird einer mit mir kommen. Würfelt ihr zwei, dann nehme ich zwei mit. Und bei einer drei....ayhu, bei drei habt ihr den Jackpot gezogen. Dann dürft ihr alle mitkommen. Wer will würfeln?“ Er streckte die Hand aus. Der Würfel ruhte darauf, unser eigenes Damoklesschwert.
„Warum machen sie das?“, fragte Kate. Sie hatte damit begonnen sich die Haare vom Kopf zu reissen. Auf dem Linoleum um ihre Füße lagen blutige Büschel.
„Weil wir müssen. Das ist unser Job. Wir kommen und wir gehen, aber wir nehmen jemanden mit. Wenn wir ohne zurückkommen...ayhu, dann reißt Er uns aber ganz gewaltig den Arsch
auf.“
„Wer?“, fragte ich. Zeit gewinnen. Einen Ausweg suchen.
Ellway begann ein wenig zu zittern. „Er, der hinter dem Schleier wandelt. Er ist der Anfang und das Ende. Ein richtiger alter Hurenbock!“
„Gott?“ Kate. Die Gläubige von uns beiden.
„Nennt ihn wie ihr möchtet. Ich nenne ihn einen alten Hurenbock und soweit ich weiss, ist ihm das scheissegal. Wer würfelt?“ Ellway schaute hinunter zu Shawn. Der Junge hatte sich auf dem Boden zusammengerollt wie ein Embryo. Er lutschte an seinem Daumen.
„Damit fällt ein Kandidat weg.“, sagte Ellway. „Also, Steve-O? Du oder die Nutte?“
Ich schaute zu Kate. Sie hatte das Gesicht zu einer Grimasse aus Schmerz, Wut und völliger Verzweiflung verzogen. Ich nickte ihr zu. Ich wollte nicht würfeln. Konnte nicht. Ich begann zu weinen.
Kate griff nach dem Würfel. Ellways Hand schloss sich um ihre. Sie stiess einen schrillen Schrei aus, der nichts Menschliches mehr an sich hatte. Er klang wie das Heulen eines gequälten Tieres.
„Viel Glück, Nutte.“, sagte Ellway.
Kate riss ihre Hand zurück. Es gab ein schmatzendes Geräusch und Ellways Handgelenk löste sich von seinem Unterarm. Er prustete vor Lachen. Von seiner Zunge war nichts mehr übrig. Die Würmer fraßen sich nun direkt in seinen Kiefer hinein.
Zeit gewinnen! Er verfault direkt vor unseren Augen. Wenn wir ihn hinhalten können, verfault er vielleicht völlig.
Kate versuchte kreischend Ellways Finger von ihrer Hand zu lösen. Schließlich gelang es ihr und sie warf die abgetrennte Hand von sich. Das zuckende Ding landete krachend zwischen den Reissorten.
Sie blickte auf den Würfel.
„Ich liebe dich.“, sagte ich leise. Ellway gab seine Rührung kund, aber ich achtete nicht auf ihn. Meine Augen ruhten auf dem Würfel. Eine eins, dachte ich. Eins und ich würde gehen. Gott im Himmel, lass es eine eins werden.
Kate schloss ihre Hand um den Würfel, presste die Fingernägel in das Fleisch.
Sie würfelte.
Sekunden vergingen, die wie Jahre waren.
Zahlen erschienen und verschwanden.
Schließlich ruhte der Würfel.
Ein Schleier aus Tränen vernebelte meine Augen.
Ellway kreischte vergnügt. „Eins!“
Ich wischte die Tränen aus den Augen. Es war tatsächlich eine Eins.
„Eine Eins!“ rief Ellway. „Die Nutte hat eine Eins gewürfelt.“
Warum freute er sich so? Warum freute sich der verfluchte Bastard?
Kate brach zusammen. Sie hockte schluchzend auf dem Boden, die Hände vor die Augen geschlagen.
„Ich werde mit ihnen gehen.“, sagte ich. Ich versuchte entschlossen zu klingen, aber es gelang mir nicht. Ich hatte Angst. Ein Teil von mir wollte, das ich mit dem Finger auf Kate zeigte und rief: Nimm Sie! Nimm diesen heulenden Haufen Dreck! Nimm sie aber nicht mich!
„Ohhh.“, machte Ellway. „Nicht so schnell. Wer hat gesagt, dass ihr wählen dürft?“
Das war also. Der Hurensohn wollte selbst aussuchen.
„Ich werde wählen. Euch die Entscheidung abnehmen, ahyu. Es euch leichter machen.“
Er kam hinter dem Ladentresen hervor. Mein Blick fiel auf seine Beine, die bislang durch die Ladentheke verborgen waren. Seine Jeans war völlig zerrissen und das Fleisch seiner Waden und Oberschenkel bereits schwarz. An manchen Stellen schimmerte der bleiche Knochen hervor.
„Ich nehme den Jungen.“, verkündete er.
„Nein!“, kreischte Kate und sprang auf. Ellway stiess sie mit der verbliebenen Hand beiseite. Sie flog zurück, als wäre sie von einem LKW gerammt worden; gute zwei Meter oder mehr und krachte gegen einen Stapel Seven-Up Kisten. Sie blieb regungslos liegen.
Ellway beugte sich zu Shawn, streckte seine Hand aus und zog den Kragen von seinem Sweatshirt herunter, entblößte den Hals. Öffnete den Mund.
Das Leuchten um Ellways Kopf wurde stärker und plötzlich konnte ich etwas sehen
(Glühwürmchen)
etwas, dass sich aus der hellen Aura löste und anmutig auf den Stapel Gideon-Bibeln schwebte. Es verharrte den Bruchteil einer Sekunde und dann bewegte es sich wieder, sprang auf und nieder. Schien mir zu winken. Ich begriff. Meine Hand streckte sich beinahe von alleine aus. Ich hörte etwas
(Lachen?)
, dass ich nicht identifizieren konnte und hielt die oberste Bibel wie ein Schwert über meinem Kopf. Das Leuchten um Ellways Kopf pulsierte nun gleissend hell und plötzlich drehte er den Kopf und sah zu mir hoch. Seine Augen veränderten sich. Weiteten sich in Verblüffung. Sein Mund verzog sich zu einer Fratze. Er starrte mich an – den Kragen von Shawns Sweatshirt noch immer in der Hand – und bis zum heutigen Tag frage ich mich, wie er mich damals gesehen hatte. War ich überhaupt noch Steven Roberts?
Ich schlug zu. Es gab keinen Widerstand; das Buch glitt durch die weiche, faulende Masse seines Hinterkopfes wie ein heisses Messer durch Butter.
Und dann geschah etwas. Ich hörte ein leises Summen aus Tausenden von Kehlen und etwas packte mich, riss mich auf, drang in mich ein, wühlte sich durch meine Gedanken, nahm von mir Besitz. Der Schmerz war unglaublich, öffnete neue Horizonte und für einen Augenblick hatte ich das Gefühl völlig entblößt zu sein, so nackt wie noch nie ein Mensch war, ausser vielleicht Adam als er von Gott geschaffen wurde.
Die Bibel in meinen Händen hüllte den Raum in ein blendendes Licht.
Ellway kreischte, als habe man ihn mit kochendem Wasser überschüttet.
Und ich sagte mit einer Stimme, die nicht meine eigene war:
„Hinfort, Dämon! Verflucht seiest du und deinesgleichen, verstoßen seit ihr von diesem Ort für heute und für immerdar.“
Ellway jaulte, heulte, riss sich mit der verbliebenen Hand das Fleisch aus dem Gesicht.
Würmer fielen von oben herab auf ihn. Sie ähnelten nicht den kleinen gelben, die ich in seinem Mund gesehen hatte sondern waren groß und fett und von dunkelbrauner Farbe.
Hunderte, Tausende von ihnen. Und sie fraßen sich in ihn hinein, schmatzend, zischend.
Ellway konnte nicht mehr kreischen. Einer der Würmer fraß sich in seine Kehle, zerfetzte seine Stimmbänder. Ein anderer bohrte sich in seinen Unterleib, in seine Genitalien.
Die Kraft die mich gepackt hatte lies mich los und ich hörte eine Stimme in meinem Kopf:
„Das hast du gut gemacht, mein Sohn. Und nun verschwinde von hier. Dies ist nicht länger für deine Augen bestimmt.“
Ich nahm Shawn auf den Arm, während Ellway weiter zerfressen wurde und ich nahm Kate. Sie blutete aus unzähligen kleinen Wunden, an denen sie das Glas zerschnitten hatte und ihr linker Arm stand in einem völlig abnormalen Winkel zum Rest ihres Körpers, aber sie atmete.
Ich schleppte die beiden hinaus.
Die Strasse war voll mit Menschen. Toten Menschen. Kreaturen wie Ellway. Sie wankten auf den Laden zu, die Augen geschlossen. Als würden sie von einer Macht gerufen, die größer war, als ihre und größer als die, von der sie beseelt waren. Manche von ihnen sahen völlig normal aus, andere waren beinahe bis zur Unkenntlichkeit verwest.
Ich packte Shawn und Kate in den Buick. Ich setzte mich hinter das Steuer.
Die Toten gingen in den Laden. Hunderte von ihnen. Sie hätten nicht mehr hineinpassen dürfen, so viele waren es. Ich dachte an die Würmer.
Ich lies den Wagen an. Der Motor stotterte kurz, aber dann ging es. Ich drückte aufs Gas als wäre der Leibhaftige hinter mir her.
Wir erreichten die Stadtgrenze. Ich hörte eine gewaltige Explosion.
Ich drehte mich nicht um. Ich wusste auch so, was geschehen war.
Rocatano, Maine hatte aufgehört zu existieren.

Das alles ist nun drei Jahre her.
Shawn hat seitdem nie mehr ein Wort gesprochen. Er befindet sich in therapeutischer Behandlung. Glenn, der Psychologe des Central Medical meint, er könne ihn wieder zum Sprechen bewegen, aber das würde seine Zeit dauern. Ich glaube nicht daran, aber wer weiss?
Glenn dürfte ziemlich große Augen machen, wenn er es schafft.
Kate hat vier Selbstmordversuche hinter sich. Den Letzten vor zwei Wochen. Damals habe ich sie in der Badewanne gefunden. Sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Ich habe lange in der Tür gestanden und überlegt, was ich machen sollte. Ich habe schließlich den Notarzt gerufen. Ich weiss nicht, wie ich beim nächsten mal reagieren werde. Vielleicht lasse ich sie einfach liegen, ihren Tod finden.
Wurden wir benutzt?
Wurden wir gerettet?
Ich frage nicht mehr.
Ich lebe.
Und das ist letztlich das einzige, was mir Sorgen bereitet.


Nachwort: Leider funktioniert die Kursiv-Funktion bei mir aus unerfindlichen Gründen nicht. Einige Teile dieser Geschichte sollten eigentlich kursiv erscheinen - ich hoffe, sie ist auch in dieser Form verständlich. Die Anspielungen auf Stephen King-Elemente (z.B. Castle Rock) sind durchaus beabsichtigt und gewollt. Eine letzte Anmerkung zu "Croatoan" (damit kann unter Umständen nicht jeder Leser etwas anfangen): Das Wort bezieht sich auf das rätselhafte Verschwinden der Siedler von Roanoke Island - der einzige Hinweis auf ihren Verbleib war dieses Wort, eingeritzt in die Rinde eines Baumes. Bis heute ist nicht geklärt, wie mehrere hundert Menschen einfach verschwinden konnten - zumal sie sämtliche Besitztümer zurückliessen.

[Beitrag editiert von: Wendigo am 04.01.2002 um 15:09]

 

Hm, die Kursiv-Funktion ist doch ganz einfach:

[ i ] (ohne die Leerzeichen) vor den Text, und [ / i ] (ohne Leerzeichen) hinter den Text.

Es muss gehen.

Es sei denn, rechts neben dem Textfenster stünde "UBB-Code ist deaktiviert", was sehr rätselhaft wäre.

 

Tja Ben,

geht aber leider nicht - was wirklich sehr seltsam ist, da es vor ein paar Tagen noch blendend gefunzt hat. Danke trotzdem für die kurze Erklärung.

Was mich aber brennend interessieren würde: Wieso lese ich keinen Kommentar zu der Story? Oder hast Du etwa das Nachwort vor der Geschichte gelesen? Wenn dem so ist: Schäm Dich! Wer wird denn das Ende zuerst lesen? Tststs...

Mit entrüsteten Grüßen ;)

 

Hey Kris,

vielen Dank für die lobenden Worte!

Hatte schon befürchtet, dass kein Mensch diese Story liest - ist ja auch recht lang.

So und nun werde ich mal nach Deinen Geschichten schauen (be afraid, be very afraid) ...

 

Hallo Kristin,

danke für die Hinweise. Will mal kurz darauf eingehen:

- Ich bin mir sicher, ob "sei" hier grammatikalisch unabdingbar ist. Mein - wie hat Star Scratcher das doch gleich so hübsch ausgedrückt - "subjektives Sprachgefühl" sagt mir, dass "ist" auch funktioniert. Aber ich bin für jeden Input dankbar - wenn ich falsch liege, wird's geändert.

- Das "Freunde und Nachbarn" dient mir in diesem Zusammenhang lediglich als Auflockerung des Satzgefüges. Wenn es wirklich ein Stolperstein ist, fliegt's raus.

- Ja, das/die liebe/n Glühwürmchen. Ehrlich gesagt, keine Ahnung, wie man sich die bildlich vorstellen muss. Der Protagonist weiss es ja selbst nicht. Er sieht eine seltsame Lichterscheinung und assoziert die mit einem Glühwürmchen. Zu Beginn geschieht das noch recht unbewusst (daher die Klammern). Mir ist durchaus klar, dass die Dinger (ich tendiere ja mehr zu einem einzigen, aber das ist nicht wichtig) ein verkappter Deus Ex Machina sind - ist übrigens auch eine Deus Ex Machina-Story. Aber haben Sie wirklich eine Retter-Funktion? Oder haben Sie die Familie vielleicht nur dorthin geführt (oder gelockt?), weil irgendwer oder irgendwas dort draussen wollte, dass man den Wesen in Croatoan das Handwerk legt? Und war es dieser wie auch immer gearteten Macht vielleicht völlig egal, was mit ihren lebenden Werkzeugen geschieht?

 

Hi Wendigo!

Ich muß zugeben, Deine Geschichte hat bei mir wirklich ganze Arbeit geleistet. Sie war so spannend, daß ich sie in einem Zug gelesen habe, und das Ende war ein der Geschichte sehr würdiges. Auch Dein Schreibstil hat mir gefallen, vor allem weil ich mir das Geschehen schön (? :) ) bildlich vorstellen konnte.

Besonders gefallen hat mir am Inhalt:

--- Die Darstellung des Sohnes des Protagonisten. Beim Darstellen von Kindern kann so einiges schiefgehen, aber Shawn ist glaubhaft und sogar liebenswert beschrieben.

--- Ellway. Vor allem seine Charakterisierung durch die Dialoge funktioniert sehr gut.

--- Die Reaktionen von Frau und Sohn auf Ellway. Sie sorgen gekonnt für Gänsehaut. Vor allem als Kate sich die Haare ausreißt ? buah! :eek:

--- Daß die Bibeln schon vor dem Ende erwähnt wurden, erspart einem einen faden Deus Machina Effekt.

--- Das Nachwort. Schön düster, gelungene Stimmungserzeugung.

So, und jetzt zu etwas ganz anderem... :D

Nach dem Zuckerbrot (ein wenig) Peitsche:

--- Die Glühwürmchen in Klammer sind irgendwie befremdend. Beim zweiten Lesen machen sie schon mehr Sinn, trotzdem wirken sie noch leicht fehl am Platz. Immerhin schreibt die Figur ja ihre Erinnerung nieder, und das in vollständigen Sätzen, bis auf die Wahrnehmung des Glühwürmchens. Warum macht er dafür eine Ausnahme?

--- Warum versucht Steve nicht, den verfaulenden Ellway mit bloßen Händen "auseinanderzunehmen"? Er sieht ihm zu, wie er verfault, da läge der Gedanke doch nahe, ihm, schlicht gesagt, die Rübe abzuhauen. Den Gegenbeweis bekommt Steve erst, als Ellway seine Frau zur Seite schlägt, und das passiert schon sehr spät in der Geschichte.

--- Ellway meint, die Geisterstadt wäre mal hier, mal da. Was ist dann mit Ellways Kreuz, das die Familie schon eine ganze Strecke vor der Stadt findet? Wandert das mit? Oder war der Ort gerade "zufällig" in der Nähe der Stelle, an der Ellway verunglückte?

Nun noch zu einigen Kleinigkeiten, die mir am Stil aufgefallen sind:

"Scheisse" würde ich immer, auch wenn es im Satz als Fluch vorkommt, mit einem Großbuchstaben beginnen. Oder liege ich da falsch?

Ich schrie nicht - zumindest schon einige Zeit nicht mehr (...)

Ich finde, daß "zumindest" hier nicht paßt. Das Wort scheint das "nicht Schreien" zu relativieren (z.B. "Ich schrie nicht, zumindest nicht gleich...). Steve schreit aber in dieser Nacht wirklich nicht mehr, ohne wenn und aber. Ich würde "zumindest" ganz streichen.

Die Träume würden weitergehen und ebenso meine Schuldgefühle und die Gedanken, dass der Tod vielleicht letzten Endes doch eine Erlösung ist.

Kristin hat recht. "(...) eine Erlösung sei" klingt, denke ich, besser. Das "vielleicht" schreit in diesem Nebensatz geradezu nach dem Konjunktiv. Noch dazu ist der Satz left right and center von anderen Konjunktiven umgeben.

Wahrscheinlich kannte sie diese Art von kurzentschlossener Anwandlung, (...)

Eine Anwandlung kann nicht kurzentschlossen sein. Das Adjektiv paßt sinngemäß nicht zum Substantiv. Die Anwandlung selbst kann sich zu gar nichts entschließen, egal wie schnell. Die Tat Steves, ab und zu kurzentschlossen zu handeln, ist seine Anwandlung.

Besser z.B.:

"Wahrscheinlich kannte sie meine Anwandlungen, kurzentschlossen zu handeln, (...)"

Dabei fällt mir auf, daß "wahrscheinlich" auch etwas wage ist. Nach acht Jahren Ehe sollte sich Steve ziemlich sicher sein, daß Kate ihn gut genug kennt. Oder arbeitet er so viel und kommt nur zum Schlafen Heim? ;)

Die Radiosender spielten zumeist diesen neumodischen Müll, von dem nur Teenager oder Zugekiffte denken können, dass es Musik sei (...)

So, und hier sagt mir jetzt mein subjektives Sprachgefühl, daß ich hier "ist" statt "sei" nehmen würde. Rationellen Grund gibt's keinen.

?Ach komm schon, Steve-O. Jetzt schau nicht so betrübt. Hast du etwa geglaubt, ich würde es euch so einfach machen.?

Ab mit einem Fragezeichen ans Ende des letzten Satzes. Nicht weiter tragisch.

Ich lies den Wagen an. Der Motor stotterte kurz, aber dann ging es.

Wenn er den Wagen angelassen hat, sollte der Motor schon laufen.

Wieso nicht:
"Ich versuchte den Wagen anzulassen. Der Motor stotterte kurz, dann ging es."

Alles in allem eine intelligente und atmosphärisch sehr gute Geschichte, die einen packt und nicht enttäuscht! Bravo!

Liebe Grüße,
Quasi

[Beitrag editiert von: Quirliger Quasar am 11.01.2002 um 14:17]

 

Hallo Quasi,

Kompliment, eine solche Kritik kann sich jeder Autor nur wünschen.

Mich freut natürlich, dass Dir die Story gefallen hat und ich bin Dir für die Kritik wirklich dankbar - das meiste hat Hand und Fuss und ich werde es dementsprechend ändern.

Ein paar Anmerkungen habe ich noch:

- Die Glühwürmchen: Ich mag sie (toller Grund, nicht wahr?) und sie sind für die Story unbedingt nötig (Deus Ex Machina). Wenn ich sie nicht als unterbewusste Erscheinungen darstelle, die Steve erst sehr spät vollständig wahrnimmt, drängt sich die Frage auf, warum er nicht vorher aussteigt und mal schaut, was da so rumleuchtet. Ich sehe Deinen Hinweis durchaus ein, erkenne aber keine andere Möglichkeit. Wenn Du eine siehst - immer her damit!

- Die Tatsache, dass Steve Ellway nicht "per Hand" angreift, ist atmosphärisch wichtig. Ich wollte Gewalt ganz bewusst bis zum Schluss vermeiden. Die Frage stellt sich natürlich, aber ich finde es nicht wirklich unglaubwürdig, dass ein normaler Durchschnittstyp nicht handgreiflich wird, wenn er einem Zombie begegnet. Eher das Gegenteil.

- Thema Kreuz: Vielleicht - und ich weiss es wirklich nicht - vielleicht nimmt die Stadt die Toten der Region mit, in der sie gerade auftaucht. Zieht sie an. Ehrlich gesagt habe ich darüber noch gar nicht nachgedacht. Ist aber ein guter Hinweis. Mal sehen, wenn wir da noch ein guter Spin einfällt, baue ich ihn ein.

Bin leider noch nicht dazu gekommen, Deine Horror-Story zu lesen. Werde mir am Wochenende aber mal eine Weile Zeit nehmen und mich mit einer Kritik revanchieren.

Nochmal vielen Dank und ein schönes Wochenende.

 

Sehr gute, kompakte Geschichte! Das lob ich mir: Dichte Atmosphäre, gelungene Beschreibungen, lebendige Charaktäre.
Die Vor-Kritiker haben bereits die kleineren Holprigkeiten erwähnt, deshalb nur ein winzig kleiner Kritikpunkt:
Die King-Anspielungen haben in mir den Verdacht aufgedrängt, dass du TATSÄCHLICH eine King-Story schreiben wolltest. Stellenweise liest es sich, nun ja, nicht unähnlich seinem Stil!

Bangor, Steve-O, etc.
Und: "Er, der hinter dem Schleier wandelt." Du spielst damit auf "Kinder des Zorns an", mit "Ihm, der hinter den Reihen wandelt", richtig?
Muss ich erwähnen, dass ich einige Jahre lang King-Fan war? :D

Alles in allem eine der besten Horror-Storys, die ich hier je gelesen habe. Es ist schön, unter so vielem Schrott und Durschnitt auch Perlen zu entdecken. :)

 

Hallo Rainer,

danke für die sehr positive Kritik!

Die Geschichte enthält wirklich viele Anspielungen auf Stephen King - die sind aber, ob man's glauben will oder nicht, allesamt nachträglich hinzu gefügt worden. Mir fiel beim ersten Lesen der Story auf, dass ich unabsichtlich in ein typisches King-Szenario geraten war und dachte mir, wenn's schon so ist, dann kann ich auch gleich eine kleine Hommage herausarbeiten.

Ich denke, die Geschichte würde auch in Texas und mit einem Protagonisten namens Dieter funktionieren und hoffe, die Anspielungen stören nicht. Wenn doch, sag mir bitte Bescheid - so sehr hängt mein Herz nicht daran ...

Danke nochmal an alle, die sich die Mühe gemacht und diese lange Story gelesen haben.

Ach ja: Wann kommt den endlich wieder eine Horror-Story von Dir, Rainer?

 

Nun, es sind nicht nur die "King-Anspielungen" - auch der Stil, das ungezwungene Drauflos schreiben gemahnten mich beim Lesen stark an den King der Prä-Bestsellerära.
Als "Hommage" funktioniert die Geschichte denn auch, da kannst du unbesorgt sein!

Momentan komme ich nicht so recht zum Schreiben. Ich bin auch etwas unsicher darin, ob meine Geschichten "funktionieren", oder doch nur zähe Langeweile verbreiten.

 

Sorry, aber ich muss ganz kurz vom Thema abweichen - das interessiert mich jetzt einfach brennend:

... das ungezwungene Drauflos schreiben gemahnten mich beim Lesen stark an den King der Prä-Bestsellerära.

Wann soll denn das gewesen sein?

Wendigo,
der keinen King kennt, der nicht Bestseller war.

 

King war bis "Carrie" nur einer von vielen! Wenn du "unverdorbene" Stories aus jener Zeit lesen willst: Alle Geschichten aus "Nachtschicht" sowie fast alle aus "Blut" entstanden in den 60er/ganz frühen 70ern. Außerdem wären da noch die vier ersten Bachmann-Bücher zu nennen. :)

Seine ersten beiden Romane sind leider nie veröffentlicht geworden. Wäre interessant, wie die so waren...

 

Das ist mir durchaus bewusst (ich kenne auch die in Cavalier und weiss der Teufel wo sonst noch publizierten Short-Stories) - Tatsache ist aber doch, dass jeder Roman, der veröffentlicht wurde, ein Bestseller war; von den Bachman-Büchern mal abgesehen (da trifft aber auch nur "Todesmarsch" meinen Geschmack).

Wie's scheint, haben wir einfach aneinander vorbei geredet (eine King'sche Pre-Bestseller-Ära konnte ich eben nicht erkennen, aber das ist Definitionssache) und mit dem Hinweis, dass ich die beiden unveröffentlichten Geschichten lieber nicht lesen würde (wenn der Kerl heute einen Mist wie "Regulators" veröffentlichen lässt, wie grottig müssen die dann gewesen sein?), können wir dann zum Thema zurückkehren, bevor Ponch uns öffentlich auspeitschen lässt.

 

Jo. Coole Story, Wendigo. Hier noch ein paar Sachen:

Gang, der aussah, als könne man dort auf vertrocknete Chips oder harte Schokoriegel stoßen.

Vertrocknete Chips? Ist doch auch normal.

Ayhu, das können wir auch gar noch nicht wissen

Besser hört sich an: "Ayuh, das können wir auch noch gar nicht wissen."

ich das Gefühl völlig entblößt zu sein, so nackt wie noch nie ein Mensch war, ausser vielleicht Adam als er von Gott geschaffen wurde.

Der Satz hat was. :D

Die Geschichte ist ganz nach meinem Geschmack. Die Glühwürmchen haben mich, zugegeben, Anfangs auch irritiert. Aber wie du schon sagtest, sind sie am Ende notwendig. (Und wegen Deus ex Machina, ich weiß ;) )
Nun gut.

[Beitrag editiert von: Uffmucker am 17.01.2002 um 16:50]

 

hallo Wendigo!

Ich gratuliere dir zu Deiner Geschichte!
Mir hat sie gut gefallen, wenn ich aber nicht so in Lobeshymnen einsteigen kann wie meine Vorschreiber.
Dein Schreibstil ist gut, wenn er auch teilweise fast wie ein Plagiat von King wirkt, was ja kein Nachteil sein muss.
Das Thema ist gut gewählt und das Ende mehr als überraschend.

Aber der Anfang!
Mir kam der beginn etwas zu abgedroschen vor. das liest sich jetzt bestimmt schlimmer als es ist, aber meiner Meinung nach wird zu sehr zu dem beginn gegriffen in dem der protagonist das Erlebte niederschreibt um es psychisch zu verarbeiten.
Ausserdem schleppen sich die ersten Seiten zu sehr hin. Du weist circa fünf Mal darauf hin, dass der Protagonist die interstate herabgefahren ist, obwohl er es gar nicht wollte.
Ich als Leser wollte schon fast aufhören, weil mir der Weg zum eigentlichen Inhalt zu lang war.
Doch wenn man diesen Weg erst mal geschafft hat, dann rentiert sich die Geschichte wirklich!

Luja sog i!

 

Hallo Wendigo,

als absoluter Nicht-King-Fan (ich kenne gerade mal die Verfilmungen) habe ich wohl eine andere Perspektive als die (meisten) anderen, die deine Geschichte bisher kommentiert haben und vielleicht verhilft dir meine Kritik zu ausgefeilteren Stories in der Zukunft.

Ich fand "Gute Menschen..." recht unterhaltsam, nicht zu lang (aber darüber lässt sich streiten), einige Charakterzeichnungen fand ich sehr anschaulich (das trotzige Kind, die konservative, spießige Ehefrau). Der Höhepunkt der Spannung war bei mir bei dem Punkt erreicht, als sich der Ladenbesitzer mit "Frank Ellway" vorstellte. Danach fiel bei mir die Spannungskurve doch recht drastisch, weil ich den Verlauf der folgenden Beschreibungen leider immer weniger nachvollziehen konnte. :(

Besonders in Sachen Logik hapert es meiner Meinung nach in deiner Story einfach noch zu sehr (was sich ja evtl. ausgleichen lässt), als dass man es übergehen könnte. Man muss ja nicht zu akribisch werden, aber die Stelle, an der im Laden plötzlich das Gitter vor dem Ausgang nach unten fällt und die Akteure anscheinend vor der Flucht hindert (was diese aber trotz ihrer Todesangst nicht eine Sekunde lang überprüfen!!!) passt leider nicht mit dem Ausgang der Story überein, in welchem dieses offensichtlich völlig unüberwindliche Hindernis (BTW: Was ist mit einem Hinterausgang?) so einfach sang- und klanglos verschwunden zu sein scheint ist. So etwas sollte nicht passieren und hat mich beim Lesen auch wirklich geärgert, weil mir ein wesentlicher Fakt unterschlagen wurde, nämlich, wie zur Hölle die Akteure plötzlich wieder so mir nichts dir nichts aus dem Laden herauskommen. :confused:

An den Stellen mit der "Glühwürmchen"-Einfügung, hatte ich den Eindruck, dass der Autor hier eigentlich noch etwas einfügen wollte, ihm aber nichts dazu eingefallen ist. Außerdem halte ich folgende Situation für unglaubwürdig und zu künstlich konstruiert: Jemand sitzt an seinem Schreibtisch, setzt unter der Erinnerung an eine schreckliche Begebenheit einen Brief an seine Freunde und Nachbarn auf (was geht die das alles an? Und warum so unpersönlich?), und schreibt teilweise mitten im Satz einfach dieses Fragment "(Glühwürmchen)" usw. hin. Ohne jegliche Erläuterung. Es sollten wenigstens ganze Sätze sein. Außerdem erinnert der Mann sich doch anscheinend daran, sonst könnte er es eben nicht niederschreiben. Das widerspricht aber seinem Eindruck, dass er damals keinen objektiven Grund hatte, in die Ausfahrt Harlow abzubiegen...

Ich verstehe das Vorwort nicht: Nach geschlagenen drei Jahren seit der Begebenheit und angeblich zur belanglosen Üblichkeit verkommenen Albträume (dann sind sie doch eben gerade keine mehr!) halte ich einen solch dramatisch aufgemachten Prolog im Verhältnis zum profanen Niederschreiben der Erinnerung an damals für überzogen. Ich rechnete damit, dass er nach dem Niederschreiben noch etwas ganz grauenhaftes anstellen würde Aber da war nichts mehr. Im folgenden berichtet er dann im wesentlichen nur. Keine Selbstzweifel, Schuldzuweisungen, Demut usw. Überhaupt ist der Ich-Erzähler nicht so beschrieben, dass man mit ihm leiden könnte. Eher noch mit der Frau oder dem Kind. Aber gerade er schreibt dummerweise die damalige Begebenheit nieder. Um wieviel interessanter wäre es gewesen, wenn Kate das stattdessen getan hätte? Die hätte mit ihrer psychischen Labilität das Verarbeiten durch Niederschreiben der Geschehnisse wohl auch viel nötiger gehabt!

Der Titel irritiert mich. Ich kann nach deiner Beschreibung nichts gutes an diesem Frank Ellway finden. Es ist nicht nachvollziehbar. Danach ist auch die Beschriftung auf dem Kreuz nicht gerade gut gewählt. (Unabhängig davon finde ich den Titel für sich allein stehend aber recht gut)

Das irritierende "Freunde und Nachbarn" würde ich in jedem Fall wieder rausnehmen. Es unterbricht den Lesefluss.

Mir fehlt das Motiv von Ellway, wenigstens einen der anderen drei Akteure offensichtlich ermorden zu wollen (vor allem, wo er doch ein "guter Mensch" geheißen wird!). Anscheinend handelt er im Auftrag eines anonymen Wesens. Dasselbe Wesen (offensichtlich Gott) beabsichtigt dann aber durch den Körper Roberts Ellway zu vernichten. Was macht das für einen Sinn? (der Frage von Kate, ob es sich um Gott handelt, und nicht etwa um den Teufel, wird nicht widersprochen).

Ein grundsätzliches Problem habe ich außerdem noch: Der Horror in deiner Geschichte ist einfach zu vordergründig und greifbar. Die stärksten Ängste sind in uns selbst, nicht da draußen. Deshalb hat etwa Hitchcock immer mehr verborgen als gezeigt. Natürlich wird das dann aber auch schwieriger zu erzählen.

So, jetzt lass ichs mal gut sein. Im übrigen schließe ich mich der Kritik der anderen zu 90% an. (Ob es in erwähnten Sätzen nämlich "ist" oder "sei" heißen sollte, ist, mit Verlaub, Haarspalterei und lenkt von viel wesentlicheren Dingen nur unnötig ab. Wichtig ist der Gehalt der Erzählung selbst, nicht irgendwelche grammatikalischen oder stilistischen Fragen).

 

Hi Wendigo!

Vorab: ich hab nicht alle Kritiken gelesen, deshalb hoffe ich, dass ich nicht alles wiederhole, was schon vorher gesagt wurde. Falls doch tut es mir leid.

Also ersteinmal hat mir die Geschichte wirklich sehr gut gefallen. Lese sonst nie Storys aus der Horror-Rubrik, aber die war es echt wert. Besonders dein lockerer Schreibstil gefällt mir. Du versuchst nicht, alles endlos zu umschreiben, sondern kommst sofort auf den Punkt. Das macht sowohl die Dialoge als auch die Charaktere glaubwürdig.

So`n paar Parallelen zu King sind auch mir aufgefallen, z.B. die Stadt Castle Rock oder der Satz "der hinter dem Schleier wandert" (kommt ja beides in mehreren Geschichten vor).

Hab aber leider auch noch was zu meckern:

- Ich finde irgendwie, dass man den ersten Absatz hätte weglassen können. ich fand ihn irgendwie langweilig und unwichtig für die Story. Wollte schon aufhören zu lesen, aber der zweite Absatz beginnt zum Glück mit einem satz, der den Leser direkt neugierig macht. So sollte es von Anfang an sein, sonst kann es leicht passieren, dass ungeduldige Leser (wie ich...*g) das Interesse verlieren, bevor es richtig los geht.

- Der Name der Geschichte ist doch "gute Menschen werden nie vergessen"...allerdings kommt der satz "gute Menschen sterben nie" zweimal im Laufe der Geschichte vor...klänge es nicht besser, wenn die Story auch so hieße?

Aber naja, echt gelungene Geschichte. werd gleich mal schauen, ob ich noch mehr von dir finde.

Bis dann mal, Jessica

 

Hallo Ratte,

hoffe Du hast nichts dagegen, dass ich Dich in dieser Form anspreche - wenn doch, solltest Du vielleicht über einen kürzeren Nick nachdenken ...

als absoluter Nicht-King-Fan (ich kenne gerade mal die Verfilmungen) habe ich wohl eine andere Perspektive als die (meisten) anderen, die deine Geschichte bisher kommentiert haben und vielleicht verhilft dir meine Kritik zu ausgefeilteren Stories in der Zukunft.

Das tut sie. Wie Du gleich sehen wirst.

So etwas sollte nicht passieren und hat mich beim Lesen auch wirklich geärgert, weil mir ein wesentlicher Fakt unterschlagen wurde, nämlich, wie zur Hölle die Akteure plötzlich wieder so mir nichts dir nichts aus dem Laden herauskommen

Gute Frage! Ganz im Ernst: Das ist mir bislang überhaupt nicht aufgefallen. Gott wie peinlich. Danke für den Hinweis. Nein, ist das peinlich ...

Außerdem erinnert der Mann sich doch anscheinend daran, sonst könnte er es eben nicht niederschreiben. Das widerspricht aber seinem Eindruck, dass er damals keinen objektiven Grund hatte, in die Ausfahrt Harlow abzubiegen...

Stimmt. Und jetzt werde ich etwas tun, das mich ganz furchtbar aufregen würde, wenn ich der Kritiker und nicht der Autor wäre - ich werde Dir voll und ganz zustimmen und es trotzdem so lassen. Die Alternativen (noch unlogischer oder Deus Ex Machina - siehe oben) finde ich nämlich schlimmer.

Keine Selbstzweifel, Schuldzuweisungen, Demut usw. Überhaupt ist der Ich-Erzähler nicht so beschrieben, dass man mit ihm leiden könnte. Eher noch mit der Frau oder dem Kind. Aber gerade er schreibt dummerweise die damalige Begebenheit nieder. Um wieviel interessanter wäre es gewesen, wenn Kate das stattdessen getan hätte? Die hätte mit ihrer psychischen Labilität das Verarbeiten durch Niederschreiben der Geschehnisse wohl auch viel nötiger gehabt!

Ist so nicht ganz korrekt. Selbstzweifel und Schuldzuweisungen gibt's mehrfach ("Versuchen Sie mal diese verfluchten Schuldgefühle loszuwerden"). Und wenn Du Steven nicht leiden kannst - prima, ich konnte den Kerl auch nicht ausstehen. Ich will, dass Du mit den beiden anderen mitfieberst. Vergiss Steven. Er ist - um es so zu formulieren - nur der Bote.

Der Titel irritiert mich. Ich kann nach deiner Beschreibung nichts gutes an diesem Frank Ellway finden. Es ist nicht nachvollziehbar. Danach ist auch die Beschriftung auf dem Kreuz nicht gerade gut gewählt. (Unabhängig davon finde ich den Titel für sich allein stehend aber recht gut)

Peinlichkeit Nummer zwei. Auf dem Kreuz stand in der ersten Fassung der Story-Titel, die Beschriftung habe ich beim Überarbeiten geändert und den Titel völlig vergessen. Ist mir bis eben auch nicht aufgefallen. Danke! Übrigens sollst Du auch gar nichts Gutes an Ellway finden - aber nur weil er als Untoter böse ist, muss er das doch nicht - auch wenn er Drogendealer war - als Lebender auch gewesen sein.

Mir fehlt das Motiv von Ellway, wenigstens einen der anderen drei Akteure offensichtlich ermorden zu wollen (vor allem, wo er doch ein "guter Mensch" geheißen wird!). Anscheinend handelt er im Auftrag eines anonymen Wesens. Dasselbe Wesen (offensichtlich Gott) beabsichtigt dann aber durch den Körper Roberts Ellway zu vernichten. Was macht das für einen Sinn? (der Frage von Kate, ob es sich um Gott handelt, und nicht etwa um den Teufel, wird nicht widersprochen).

Wieso offensichtlich Gott? Der Kern der Sache ist, dass keiner der Beteiligten - nicht einmal Ellway - weiss, wer die beiden Mächte sind, die sie als Spielball benutzen. Kennst Du die biblische Hiob-Geschichte? Gott nimmt dem armen Kerl alles ab, tötet seine Familie und straft ihn mit einem üblen Ausschlag. Wegen einer bescheuerten Wette mit dem Teufel. Und welche Antwort bekommt Hiob, als er fragt, warum Gott das macht? Keine. Das ist die Grundessenz der immer wiederkehrenden Frage "Warum wiederfahren guten Menschen schlechte Dinge?". Es gibt keine Antwort. Vielleicht gefällt irgendwem da draussen nur die Nase nicht ...

Ein grundsätzliches Problem habe ich außerdem noch: Der Horror in deiner Geschichte ist einfach zu vordergründig und greifbar. Die stärksten Ängste sind in uns selbst, nicht da draußen. Deshalb hat etwa Hitchcock immer mehr verborgen als gezeigt. Natürlich wird das dann aber auch schwieriger zu erzählen.

Das ist natürlich Geschmackssache. Ist eigentlich recht einfach: Mit einer fiesen Spinnen-Story kannst Du mich um den Schlaf bringen - eine Menge andere Leute kriegen da nur das große Gähnen. Wenn nur ein einziger Leser wegen meiner Story ein mulmiges Gefühl bekommt, wenn er das nächste Mal in einer fremden Kleinstadt einem unsympathischen Tankwart begegnet, dann habe ich mein Ziel erreicht.

Hallo Jessica,

auch Dir vielen Dank für die Kritik. Den Titel habe ich ja schon oben erwähnt, die Sache mit dem ersten Absatz muss ich eventuell doch noch mal überdenken, so viel Kritik wie dazu bislang eintraf.

Wenn ich Kritiken wie diese hier lese, dann weiss ich wieder, warum ich meine Geschichten online stelle. Danke Leute und macht ruhig weiter ...

 

@Wendigo:

ich werde Dir voll und ganz zustimmen und es trotzdem so lassen. Die Alternativen (noch unlogischer oder Deus Ex Machina - siehe oben) finde ich nämlich schlimmer.
Tja, schade! Aber kann ich nachvollziehen.
Das ist die Grundessenz der immer wiederkehrenden Frage "Warum wiederfahren guten Menschen schlechte Dinge?". Es gibt keine Antwort. Vielleicht gefällt irgendwem da draussen nur die Nase nicht ...
Nun ja, jetzt mach mal halblang! Das hört sich jetzt so an, als bräuchtest du in deiner Geschichte eigentlich auch noch eine zweite Deus Ex Machina (nämlich die für die Frage nach dem Motiv!). Ich finde, du machst es dir zu einfach. Klar kenn ich die Geschichte von Hiob und sein Schicksal; aber der Vergleich hinkt: Der Witz bei Hiob war ja, dass er weit und breit der frommste aller Gläubigen war und gerade deshalb dran glauben musste. Die Auswahl zu seinen "Gunsten" von Gott bzw. dem Teufel ist also nicht zufällig sondern schon fast nur eine Frage der Zeit. Hiob sollte als Exempel in Sachen unbedingtes Vertrauen in Gott dienen und anderen in dieser Hinsicht ein Vorbild sein. Hintergründe dieser Art fehlen aber in deiner Geschichte und enden daher in (für mich) unbefriedigender Willkür.
Das ist natürlich Geschmackssache. Ist eigentlich recht einfach:
Hier gebe ich dir wieder recht. Ich vergesse manchmal, dass man den Rahmen der Qualität eines Kunstwerks nicht zu eng stecken sollte. Sonst wird es doch zu subjektiv.
Übrigens: Anrede geht in Ordnung! Keine Sorge.

 

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