Gunnar S.
Es war ein trüber Morgen im April. Um genau zu sein, es schüttete wie aus Eimern, was im April ja häufiger vor kam. Doch auch ein solch mieses Wetter
konnte einen treu sorgenden Familienvater nicht davon abhalten, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen und zur Arbeit zu gehen, um Geld für die lieben Verwandten heranzuschaffen.
Gunnar S. war auch so ein treu sorgender Familienvater. Demzufolge befand er sich gerade auf dem Weg zum Bus, auf den er aus Führerscheinmangel angewiesen war.
Gunnar S. wohnte in einer Dreizimmer-Wohnung im zweiten Stock eines Mietshauses, hatte eine Frau und zwei Kinder. Insofern war er der Inbegriff eines typischen treu sorgenden Familienvaters.
Oder auch nicht.
Es geschah heute Morgen beim Frühstück. Gunnar S. saß gerade mit einer Tasse Kaffee in der Hand vor einer Schüssel Müsli und beobachtete seine Frau, die sich gerade eine Scheibe Toast schmierte, wobei ihr die Asche ihrer Zigarette die Marmelade verfeinerte, als es plötzlich knack machte.
Gunnar S. stand auf, ging zum Küchenschrank, nahm das elektrische Tranchiermesser, setzte in aller Seelenruhe die Klingen ein, steckte den Stecker in die Steckdose und als seine Frau ihn fragte, was zum Teufel er da machte, sägte er ihr kurzerhand den Kopf ab.
Gott sei dank schliefen die Kinder zu diesem Zeitpunkt noch, nicht auszudenken, was für ein Gezeter das gegeben hätte, wenn die Kleinen ihre Mami auf dem Fußboden und im Spülbecken entdeckt hätten.
Um etwaigen Schwierigkeiten vorzubeugen, schnappte sich Gunnar S. einen der schweren Blumenkübel von der Fensterbank, ging ins Kinderzimmer und ließ ihn auf den Kopf seiner siebenjährigen Tochter fallen. Von dem Poltern geweckt, begann sein - im Nachbarbett schlafender - Sohn irgend etwas zu nuscheln. Doch Gunnar S. erfuhr nie, um was es sich handelte, da er den Jungen gleich darauf mit seinem Kissen erstickte.
Nun ging der gute Mann wieder in die Küche, öffnete eine Schublade, um sich noch ein paar Messer einzustecken, nahm seine Aktentasche und machte sich auf den Weg zur Arbeit.
Die Tatsache, dass es draußen regnete, trug nicht gerade dazu bei, seine ohnehin schon etwas düstere Stimmung zu heben, und als der Bus statt seiner üblichen zwei nun auch noch vier Minuten Verspätung hatte, begann Gunnar S. allmählich an eine Verschwörung zu glauben.
Während der ersten fünf Minuten der Fahrt ging alles gut und Gunnar S. freute sich gerade, dass der Fahrer wenigstens die Heizung eingeschaltet hatte, als das Fahrzeug von etwa zwanzig kleinen Kindern gestürmt wurde, welche sich offensichtlich ausgerechnet diesen Tag ausgesucht hatten, um einen Schulausflug zu machen. Gunnar S. ergab sich seinem Schicksal und ertrug die nächste Viertelstunde lang Lärm und Geschrei in freudiger Erwartung der Endstation.
Am Bahnhof wartete er bis alle ausgestiegen waren, ging dann zum Busfahrer und bedankte sich für die aufregende Fahrt indem er ihm mit einem Brotmesser die Kehle durchschnitt.
Auf diese Weise fürs Erste befriedigt, betrat Gunnar S. den Bahnhof und ging die Treppe zum Bahnsteig hinunter, allerdings nicht ohne vorher noch die Notbremse der Rolltreppe zu betätigen, was einige laute Schulkinder zum Kullern brachte.
Mit dem Anflug eines Lächelns stieg Gunnar S. in die U-Bahn ein und bekam sogar einen der besonders begehrten - warum sonst sollten sich so viele Leute hier drängen - Stehplätze an der Tür.
Natürlich stand neben ihm ein walkmanbestückter Teenager, der offenbar eine Schwäche für zu laute Rapmusik hatte und vor ihm ein echter Knoblauchfan, aber damit hatte Gunnar S. schon gerechnet und es erschütterte ihn überhaupt nicht.
Erfreulicherweise dauerte die Fahrt für ihn nur zehn Minuten und als er ausstieg hinterließ er zum Abschied im Türgedränge das bereits erwähnte Brotmesser in der Brust des jugendlichen Musikliebhabers.
Im Büro angekommen, noch immer über den Pförtner schmunzelnd, welcher jetzt mit einer Gabel im Auge die Tür bewachte, wurde der gute Gunnar S. sogleich von seinem Vorgesetzten persönlich begrüßt, der wie immer der Ansicht war, dass Herr S. für seine Tätigkeit völlig unqualifiziert wäre.
Wahrscheinlich hatte wieder irgendein mit sich selbst und dem Rest der Welt unzufriedener Kunde, der zu allem Überfluss auch noch im selben Kegelverein war wie eines der Aufsichtsratsmitglieder, etwas zu meckern gehabt, weshalb der Abteilungsleiter jetzt Gunnar S. anschnauzte.
Solches Verhalten konnte ihn heute freilich nicht bestürzen und so legte er dem Chef seine Meinung dar und die Krawatte sehr eng um den Hals.
Nun konnte man natürlich nicht erwarten, dass ein solches Vergehen in einem Großraumbüro unbeobachtet bliebe. Eine sehr verstört wirkende Sekretärin rief denn auch sofort die Polizei, die, da momentan im Erdgeschoß mit einem merkwürdig ruhigen Pförtner beschäftigt, auch sofort antrabte, um den gemeingefährlichen Psychopathen einzufangen.
Unser treu sorgender Ex-Familienvater Gunnar S., der sich im Übrigen gar nicht für einen gemeingefährlichen Psychopathen hielt, befand sich derweil schon auf dem Weg zum Dach.
Dort angekommen, wanderte Gunnar S., die wundervolle Aussicht bewundernd, an der Dachkante entlang, um einen geeigneten Ort zum Absprung zu finden. Schließlich wollte er, wenn er sich schon das Leben nahm, wenigstens Aufmerksamkeit erregen und nicht bloß einfach den Löffel abgeben.
Nach kurzem Suchen entschied er sich dann für eine Stelle direkt über dem Haupteingang, da sich dort bereits eine ansehnliche Menschenmenge versammelt hatte, um dem Portier das letzte Geleit zu geben. Vielleicht gelang es ihm ja, den einen oder den anderen Passanten zu erwischen.
Als die Tür zum Dach aufflog und die Polizisten herausstürmten, rief Gunnar S. dem ersten von ihnen zu, dass er springen würde, falls dieser noch einen Schritt machen sollte, drehte sich um und hüpfte mehr oder weniger elegant über die Kante.
Daran sollte der noch etwas zu knabbern haben!