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Gulaschkanonen und imaginäre Bademäntel

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09.12.2015
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Gulaschkanonen und imaginäre Bademäntel

Es gibt Bilder, die einem nie aus dem Kopf gehen, auch wenn man es noch so sehr versucht sie zu verdrängen. Und in meinem hohen Alter von achtundachtzig Jahren sind es nur ausgewählte, die bleiben. Die Behindertenheime. Die Wohngruppen. Darüber will ich sprechen, aus gegebenem Anlass, weil mein Enkel und ich auf dem Weg zu meinem Urenkel Olli ins Behindertenwohnheim sind. Ich bin ein bisschen aufgeregt, natürlich weil wir Olli in seinem neuen Zuhause besuchen, aber auch weil ich seit über zwanzig Jahren in keinem Behindertenwohnheim mehr war.
Mein Enkel Ulrich, der seit Jahrzehnten seinen Führerschein hat, fährt nun als wolle er mich umbringen, brettert mit Siebzig durch den Ort. Ich frage ihn, ob er will, dass ich einen Herzinfarkt bekomme, da bremst er ab und fährt dreißig. Die Schnecken überholen uns und winken, aber in meinem Alter sollte man sich nicht mehr so viel aufregen, also lasse ich es gut sein.
Jahrzehntelang war ich als ungelernte Kraft selbst in diesen Heimen tätig. Mein Enkel ist Heilerziehungspfleger und im selben Bereich tätig, im Grunde wie auch Olli, der sich nur dort als Bewohner herumtreibt. Irgendwie scheint meine Familie es mit den Behinderten zu haben. Bereits als kleiner Bub hatte ich mit diesen Menschen zu tun, in der Nachbarschaft hatten wir einen Rollstuhlfahrer, einen mutistisch veranlagten Jungen, der nur mit ausgewählten Personen sprach und sonst stets schwieg. Er und ich hatten einen Draht zueinander, mit mir sprach er natürlich. Also wenn da nicht jemand von oben seinen eigenen Plan mit mir und meiner Familie geschmiedet hat, dann weiß ich auch nicht.
Ulrichs Sohn Olli wird erst seit kurzem in jenem Wohnheim beherbergt, zu dem wir jetzt auf dem Weg sind. Bis dahin hat er zuhause bei seinen Eltern gelebt. Mein Enkel Ulrich und seine Frau konnten den Aufwand mit dem Kleinen einfach nicht mehr bewerkstelligen. Ja, Olli kann schon ganz schön anstrengend sein, und vor allem arbeitsaufwendig. Das ist ein Sechzehnstundenjob (acht Stunden des Tages im Schnitt schläft er), mit Waschen, Anziehen helfen, Essen zubereiten, Spazieren gehen und so weiter. Und diesen musste Ulrichs abgespannte, übermüdete Frau hauptsächlich ganz alleine ausfüllen, da er selbst werktags behinderte Menschen in einem Wohnheim betreut. Jetzt ist die arme Frau ausgebrannt, Stichwort Burnout, dieses neumodische Wort für eine Depression. Olli ist übrigens zehn und Olli ist Autist, nicht Artist, Autist. Mit Vorliebe sammelt er Stöcker, dicke, dünne, gerade, unförmige, alle, um sie dann, nach der Länge geordnet, in seinem Zimmer auf dem Schreibtisch auszubreiten.
Ich erzähle jetzt meinem Enkel Ulrich von den Bildern von früher, als ich selbst in den Heimen tätig war, mein ganzes Leben.
Zu den Bildern. Auf einem: Mittagszeit. Die Schwester, mit der Gulaschkanone, wie sie auf dem Wagen umherblickt, sie hat reichlich überzählige Kilos und ein grimmiges Gesicht. Sie dreht auf dem riesigen Gelände ihre Runden und die Bewohner stehen drum herum, jeder einen Teller in der Hand. Sie schießt riesige Mengen Gulasch in die Atmosphäre, welche anschließend ihren Weg in die Mägen der Bewohner finden. Keiner fragt, ob das Gulasch gut schmeckt, weder die Bewohner und erst recht nicht die Köche der Einrichtung und die Helfer in den Wohngruppen. Hauptsache es gibt etwas zu essen. Noch nicht allzulange her.
Dann, noch ein ausgewähltes Bild. Männer stehen in einer Reihe im Badezimmer vor dem Mitarbeiter, alle nackt, bereit zum Duschen. Eine Dusche für alle Bewohner. Keiner von ihnen schert sich um einen Bademantel, keiner hat je etwas davon gehört. Die Bademäntel sind, wenn überhaupt, nur imaginär. Niemanden interessiert es, dass alle zusammenstehen, einander nackt sehen und unmittelbar nacheinander duschen. Sie sind es nicht anders gewohnt. Der Mitarbeiter verrichtet seine Arbeit, duscht einen nach dem anderen, rasch, ohne Emotionen.
»Konntet ihr denn da gar nichts machen?«, bricht mein Enkel jetzt sein Schweigen.
»Wir haben gemacht, was von uns verlangt wurde«, antworte ich.
»Irgendwo habe ich diesen Satz schon gehört. Ihr müsst euch doch Gedanken gemacht haben.«
»Manchmal«, sage ich und zucke jene Achsel, in der ich noch Gefühl habe.
Ein drittes Bild. Nur vorhanden in Erinnerungen, nirgends als wahrhaftiges Foto. Sehr lange her. Die dunkle Nazizeit. Die Nazis kommen in unsere Großeinrichtung, bewohnt von rund tausend geistig, seelisch und körperlich Behinderten. Sie wollen alle mitnehmen. Wollen vor keinem Erbarmen zeigen. Wollen alles für sie unwerte Leben auslöschen, um die arische Rasse weiter zu etablieren. Vor diesen Bildern schaudert es mir. Sogar mir, der ich nach all den Lebensjahren so abgestumpft bin. Wir waren nicht untätig, wussten wann sie kamen. Einige nahmen wir mit nach Hause. Anderen gaben wir Kleidung von uns, gute Kleidung, in der Hoffnung, dass sie als Mitarbeiter durchgingen. Das konnten wir nicht mit allen machen, das wäre auffällig gewesen. Ein paar konnten wir so retten, viele gingen aber einfach nicht als Mitarbeiter durch, als sie schließlich da waren. Sie machten allzu auffällige Schaukelbewegungen in alle Richtungen oder lautierten ständig oder bissen sich in die Hand oder, oder, oder. Einigen sah man es am Gesicht an, den Mongoloiden zum Beispiel.
»Das ist abwertend, Opa«, unterbricht mich Ulrich.
»Hm?«
»Das heißt jetzt Down-Syndrom. Nein, warte. Das ist auch schon veraltet. Es heißt jetzt, glaube ich, Trisomie 21. Und außerdem, man sagt nicht mehr Behinderte oder gar Schwachsinnige, man sagt Menschen mit Behinderung.«
»Und welchen Unterschied macht das?«, frage ich meinen altklugen Enkel.
»Die neuen Begriffe klingen wertschätzender.«
»Achso«, antworte ich, bereit auch in meinem hohen Alter noch das ein oder andere zu lernen.
Abschließend, mein Kommentar: Sie nahmen viele mit, die mit den harten Antlitzen und den Uniformen, viel zu viele. Keinen hätten sie mitnehmen dürfen, keinen. Und dabei rutscht mir eine Träne vom Auge die Nase hinunter. Und mein Ulrich, eigentlich der beste Enkel den man sich nur vorstellen kann, wenn ich´s genau bedenke, schnappt nach der Träne und wischt sie mir von der Nase. »Ach Opa.«
»Konzentrier dich auf den Verkehr«, winsele ich, wie alte Männer das manchmal so tun. Ich will ihm noch von den überfüllten Schlafsälen, den häufig unnötigen Fixierungsmaßnahmen erzählen, beschließe dann aber, dass es fürs Erste reicht.
Ich versuche das Thema zu wechseln. »Oh, eine hübsche Frau, die da den Zebrastreifen überqueren will. Für die musst du anhalten.«
»Nach deiner Zeit.«
Ich schaue ihn an, er erwidert meinen Blick, während er für die junge Dame abbremst, und ich beginne aus vollem Herzen zu lachen. Dann muss ich husten, lange, und das Grinsen meines Enkels wechselt zu einem besorgten Gesichtsausdruck. Ich fange mich wieder, für ihn.
»Na los, steig aus und frag sie nach ihrer Nummer.«
»Du spinnst doch, Opa, ich bin verheiratet.«
Ich atme schwer aus, schließe für einen Moment die Augen und wünsche mir noch einmal so jung zu sein wie mein Enkel, obgleich er auch schon ein paar Falten im Gesicht hat. Ich öffne sie wieder und schaue hinab auf meine Hand. Immer noch verrunzelt, steif.
Keine Minute später halten wir auf einem winzigen Parkplatz inmitten einer Wohnsiedlung. Wir befinden uns in einem Dorf, dessen Namen ich nicht kenne, wo ich den Standort nur vermuten kann. Das Wohnheim vor uns könnte auch ein Mehrfamilienhaus sein, in jedem Falle gefällt es mir von außen schon mal.
Ulrich und ich tauschen im Auto einen langen Blick.
»Vergiss nicht, Opa«, sagt Ulrich. »In einem Behindertenheim ist das nicht schön, da herrschen raue Verhältnisse, du könntest dich da gleich schrecklich unwohl fühlen.«
»Weichei«, entgegne ich und öffne die Beifahrertür.
Plötzlich, als wir uns zum Gebäude begeben, verliere ich die Orientierung. Von einer liebreizenden jungen Mitarbeiterin werden wir durch einen langen, nur gelegentlich von kitschigen Couches und Rollatoren in allen Farben bevölkerten Handlauf geführt, einen nicht enden wollenden. Ich halte dennoch durch und laufe weiter neben meinem Enkel diesem jungen, hübschen Geschöpf hinterher. Mir kommt der Gedanke, ob ich unabsichtlich das Bewusstsein meines geistig behinderten Urenkels angenommen habe. Ich komme mir plötzlich wirklich sehr weltfremd vor.
Eine Tür folgt der nächsten, zieht an mir vorbei, links rechts, links rechts, bin ich in einer Endloshandlaufschleife gefangen? Beide, Ulrich und die Frau, wirken jetzt wie diese Außerirdischen aus den Filmen auf mich. Ich verstehe diese Welt nicht mehr, die Beweggründe warum jemand das und das tut, sehne mich nach mehr Struktur und Klarheit.
»Opa, ist alles in Ordnung?«, flüstert mein Enkel mir beim Gehen zu. Auch er scheint die Veränderung in mir bemerkt zu haben.
»Klaro«, sage ich, im Versuch den Sprachstil eines dieser sogenannten Jugendlichen nachzuahmen.
Plötzlich kommt eine dicke Frau in den mittleren Jahren aus einer Tür unmittelbar vor uns stolziert. Sie hat immense Wassereinlagerungen in Armen und Beinen. Das scheint das Wohnzimmer zu sein, wo jetzt einer nach dem anderen aus Neugier herauskommt. Da ist ein junger Mann, der ständig unheilverkündend das Wort »Hundekacke« flüstert. Eine junge Frau, ein echter Hungerhaken, kommt auf mich zugestürmt und umarmt mich. Sie kneift mir in die Wangen, knetet sie und sagt: »Süß siehst du aus, alter Mann!«
»Ronja!«, sagt die junge Betreuerin in einem bestimmten Ton, den ich nicht von ihr erwartet hatte.
Ronja lässt von mir ab und schaut die Mitarbeiterin leicht erstaunt an.
»Die beiden Herren wollen den Olli besuchen«, teilt die Mitarbeiterin nun den Bewohnern auf freundliche Art und Weise mit.
»Ah, Olli!« erwidert die Frau mit den Wassereinlagerungen interessiert.
Die Mitarbeiterin geht vor in Richtung Wohnzimmer und Ulrich und ich folgen, lächeln den drei Bewohnern dabei zu.
Wir erblicken Olli, als wir die Stube betreten, der auf dem Sofa sitzt und an einem Tisch mit Holzklötzchen einen Turm baut.
»Hallo, mein Sohn.« sagt Ulrich voller Rührung mit zittriger Stimme. Er steht unentschlossen vor ihm, doch beugt sich schließlich hinab und umarmt ihn eine Sekunde lang – Olli mag keine Berührungen.
Olli schaut seinen Vater an, schenkt dann mir einen Augenblick voller Neugier und widmet sich dann wieder seinen Bausteinen. Das war bereits viel für Olli, was das zwischenmenschliche Miteinander betrifft.
»Und wie geht es Olli so? Wie macht er sich?«, fragt Ulrich die junge Frau.
»Wunderbar, wirklich wunderbar. Er hat sich gut in die Gruppe integriert. Manchmal wird es ihm alles zu viel, wenn zu viele Leute auf einem Haufen um ihn rum sind, manchmal in der Essenssituation, aber dann sorgen wir dafür, dass er sich zurückziehen kann.«
»Das klingt doch gut«, meint Ulrich hoffnungsvoll.
Ulrich und ich schauen abwechselnd zu Olli und zur Mitarbeiterin, ich komme mir gerade irgendwie verloren vor, gar unnütz.
»Und wie geht es ihrer Frau?«, fragt sie teilnahmsvoll.
»Es wird, es wird. Sie braucht noch ein bisschen Ruhe. Aber ich glaube wir kriegen das hin. Wir sind ihnen jedenfalls unendlich dankbar, dass sie Olli hier aufgenommen haben.«
»Ach, das ist doch unser Beruf. Dafür werden wir schließlich bezahlt. Das ist nicht der Rede wert.«
»Doch, doch. Das ist es. Ohne mich jetzt selbst loben zu wollen, da ich ja auch Heilerziehungspfleger bin.«
»Ich auch. Also nicht wirklich. Aber ich komme aus dem Bereich, wissen Sie?«, werfe ich rasch ein, warum weiß ich auch nicht.
Plötzlich steht wieder das junge Mädchen namens Ronja neben mir. Scheinbar habe ich es ihr angetan.
Eine halbe Stunde später verabschieden wir uns von Olli. Zum Schluss wirkt er müde. Vielleicht hat ihn unser Besuch ja angestrengt, überlege ich.
»Immer wieder« sagt Ulrich, nachdem wir wieder ins Auto eingestiegen sind, wobei er es noch nicht gestartet hat.
»Immer wieder was?«
»Immer wieder frage ich mich, ob Olli meine Anwesenheit irgendwie registriert. Ob sie ihm etwas bedeutet.«
Ich schluchze auf. Mit so einem Satz hätte ich nicht gerechnet. »Ja. Sicher bedeutet ihm das was«, erwidere ich und glaube mir selbst, da ich daran glauben möchte und es von reinstem Herzen hoffe.

In der Nacht träume ich vom Wohnheim meines Enkels. Ich bin dort eingezogen, um ihm beizustehen. Es ist alles nicht annähernd so schön, wie ich es mir vorgestellt habe. Olli ist der einzige Lichtblick hier. Wenn wir gemeinsam in seinem Zimmer sitzen und er mir fröhlich seine Sammlung an Stöckern zeigt, erinnere ich mich daran, warum ich das alles auf mich genommen habe. Allerdings habe ich das Zimmer ganz auf der anderen Seite des langen Flurs bekommen, sodass ich nicht so häufig die Möglichkeit habe ihn zu sehen, wie ich gerne hätte. Olli mag mich wirklich gerne, aber ich frage mich ob ich ihm überhaupt eine Hilfe bin und ob er mich überhaupt so dringend braucht. Insgesamt scheint er sich mittlerweile recht wohl an diesem Ort zu fühlen. Zudem muss ich mich hier ständig verstellen, auf behindert tun, damit ich den Heimplatz nicht wieder verliere – das ist sehr anstrengend.
Mit den anderen Bewohnern des Heims verstehe ich mich insgesamt gut, ich weiß ja wie man mit ihnen umzugehen hat, obwohl zwei der Rabauken mir mein Taschengeld für die Cafeteria abgeluchst haben. Die Sitten sind teilweise wirklich rau in diesem Wohnheim, und wenn der Bewohner im Zimmer neben mir nicht endlich aufhört mit dem Kopf gegen die Wand zu hämmern und in ständig gleichem Ton zu lautieren, drehe ich bald völlig durch. Und gerade höre ich wie es im Wohnzimmer rumst, die eine hatte wohl wieder einen ihrer regelmäßigen epileptischen Anfälle, die trägt zum Schutz wegen ihrer Stürze so einen blauen Helm auf dem Kopf, fällt einfach um, wenn sie ein Gewitter im Hirn überkommt. Die sollten die endlich einmal medikamentös richtig einstellen.
Die haben mir auch ein paar Medikamente verschrieben, wie sich nicht umgehen ließ, weil hier jeder irgendeinen Dämpfer oder Stimmungsaufheller oder was auch immer bekommt. Man, die Medikamente hauen ganz schön rein, ich bin ständig müde und schlafe die meiste Zeit vom Tag.
Zu den Mitarbeitern kann ich sagen, dass ich die meisten von ihnen nicht leiden kann; die sind so abgestumpft wie ich damals. Nur den Hartmut kann ich leiden, der behandelt jeden Bewohner so, wie man jeden anderen Menschen außerhalb dieser Baracke auch behandeln würde. Ja, der Hartmut ist wirklich freundlich und korrekt und immer zu einem Späßchen aufgelegt. Aber die anderen … du meine Güte! Wenn mich nicht bald die Demenz erwischt und ich so werde wie die anderen hier, fange ich eines Tages einfach an zu sprechen und jage diesem … Arschloch von Jürgen, dem schlimmsten aller Mitarbeiter, einen Riesenschrecken ein. »Du, pfleg mich besser«, werde ich dann zu ihm sagen. »Oder wäschst du dich selbst zuhause auch so schlecht? Und ich will mir nicht ständig Fußball mit dir im Wohnzimmer anschauen, nur weil du ´ne Bayernsau bist. Ich mag eher so Ballett.«
Von all den hochtrabenden Begriffen des Wohnbereichsleiters, die ich immer mitlausche, ganz zu schweigen; wie Inklusion, Teilhabe und Empow … Em … ich kann dieses neumodische, englische Wort nicht aussprechen. Davon merke ich jedenfalls nichts. In gewisser Weise geht es den Bewohnern zwar besser als damals, aber ob viel besser, wie ich voll Trauer bemerke, da habe ich so meine Zweifel. Zwar habe ich mein Leben lang als Mitarbeiter in den Heimen verbracht und das alles, teils gezwungenermaßen, ins Herz geschlossen, aber hier leben, auf der anderen Seite stehen, das ist dann doch etwas ganz anderes. Man, denke ich, ich will zurück in die Freiheit.

 
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Hallo Chico, dein Beitrag macht mich traurig und ich frage mich, ob du tatsächlich ein Heim für behinderte Menschen besucht hast.

Ich habe einen nahen Verwandten, der in einer Einrichtung untergebracht ist. Es ist ein Dorf mit kleinen runden Häusern, mit Pferden, mit Schafen und Kühen. Die Menschen leben in Wohngruppen, immer zwei in einem Zimmer. Und für je drei Zimmer gibt es ein Badezimmer. Mit Bademänteln, für jeden einen eigenen. Die Werkstätten sind freundlich, mit tiefen Fenstern und Blick in die Natur. Während der Pausen wird gesungen. Die Mitarbeiter sind freundlich und nett. Wenn Geburtstag ist, fährt die Gruppe zum Pizza essen in ein Restaurant ins Dorf. Es gibt keine Zäune. Gekocht wird in jedem Haus für 24 Leute. Gegessen wird in der Gruppe. Auf den Tischen stehen Blumen.
Es ist ein anthroposophisches Dorf in Kandern, im Süd Schwarzwald. Der Weg zu den Häusern ist offen, jeder darf sich selbst ein Bild machen.

Deine Geschichte macht betroffen, sie ist menschenverachtend und ich musste ihr widersprechen.
Dabei will ich nicht ausschließen, dass es Einrichtungen gibt, die nicht so vorbildlich sind wie die, von der ich berichte. Doch Eltern sollten ganz genau hinsehen, wo sie ihre behinderten Kinder leben lassen.

Und die Sache mit den Medikamenten, wäre unmöglich. Kein Arzt verschreibt einem gesunden Menschen Medikamente. Und wie ist es mit der Bezahlung? Wer übernimmt die Kosten, wenn man so einfach in eine Einrichtung hineinschneit?

Liebe Grüße!
Amelie

 

Hallo Amelie,

ich bin Heilerziehungspfleger und arbeite in einem Wohnheim für behinderte Menschen. Die Geschichte ist nicht menschenverachtend gemeint. Jetzt muss ich zur Arbeit. Heute Nachmittag mehr.

Liebe Grüße

 
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Hallo Chico1989,
deine Geschichte hab ich mit Interesse gelesen. Als kleines Dankeschön für deinen Kommentar bei mir will ich dir auch einen kleinen Komm da lassen.
Deine Geschichte strotzt zwar vor Unlogik, das muss ich leider auch sagen, aber eines ist sie sicherlich nicht, nämlich menschenverachtend. Aus meiner Sicht hast du die Idee gehabt, die modernen Zustände in einem Heim zu beschreiben und mit den Erfahrungen deines Icherzählers zu vergleichen.
Er, der alte, abgeklärte Mann ist traurig bzw beschreibt und erlebt, dass sich so viel denn doch nicht verändert hat. Das steckt meiner Ansicht nach hinter deiner Idee. Aber du solltest die entsprechend mehr ausbauen und dich darauf beschränken. Die ganze Sache mit der Selbsteinweisung und dem Arztbesuch, die drängen sich dazwischen. Und zu der ursprünglichen Idee: So allgemein, wie du das machst, ist das sehr schwer. Es bleibt dann eher auf einer berichtenden Ebene. Und was natürlich gar nicht passt, das ist die haarsträubende story mit der "Selbsteinweisung". So einen depperten Arzt, der alles tut, was irgendein Mann von ihm verlangt, gibts echt nicht. Auch dass der Opa dann genau dahin käme, wo der Enkel ist, na ich weiß nicht, so schnell jedenfalls geht das bestimmt nicht. Auch der ganze Antrieb des Großvaters, seinen Enkel sehen zu wollen, und sich deswegen einweisen zu lassen, aus dem folgt dann ja gar nichts. Da wird kein Verhältnis beschrieben zu seinem Enkel, keine Entwicklung aus dem Verhältnis zu ihm, kein daraus rührender Spannungspunkt. Das macht dann den Eindruck, dass das Opa-Motiv nur die Möglichkeit für den Autor war, den Opa in das Heim zu bringen. Aber ich glaube, du musst dir das gar nicht so schwer machen. Der Opa könnte doch ehrenamtlicher Helfer in dem heim sein, dann fehlt zwar in deiner Geschichte der Arztbesuch, aber der liest sich eh komisch. Viel spannender und interessanter fand ich ohnehin die Stellen, als der Opa sich an seine Zeit als Heilerziehungspfleger erinnert. Und welche Wut er auf den neuen Pfleger schiebt. Ich würde daran weiter arbeiten und weiter denken. Da sind schon jetzt ein paar Bilder, die ausgebaut gehören, weil sie im Ansatz gut sind.
Fazit: Eine gute, sympathische und interessante Absicht hinter der Geschichte. Ein paar Bauelemente der Geschichte, die dir leider gehörig verrutscht sind. Und noch etwas: Feilen am Stil. Aber das ist ein anderes Kapitel.
Ja, eine ganze Menge zu tun, wirklich eine große Menge, aber ich mag die Idee, die hinter der verrutschten Geschichte steckt, sehr gerne. Und ich glaube auch, dass du da noch eine Menge draus machen kannst.
Falls du Fragen hast, ich was nicht genügend erklären konnte oder so, meld dich ruhig,
Viele Grüße von Novak

 
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Hallo Chico 1989,

als ich zu lesen anfing, dachte ich, wow, schon wieder so ein taffer Hundertjähriger, der aus dem Fenster steigt. Der Anfang gefiel mir sehr gut, das Motiv des Opas ehrenwert und aus seiner Lebensgeschichte gut ableitbar. Während der Szene beim Arzt dachte ich, mannomann, wie will er bei dem Klamauk ein glaubwürdiges Finale hinkriegen. Und genau da liegt die Crux deiner Geschichte. Wenn es um die Kritik an den Zuständen in Pflegeheimen gehen sollte, da wäre so eine abenteuerliche Einweisung in ein Pflegeheim wohl kaum nötig. Da hat ja die ganze Familie genügend Praxiserfahrung. Wenn es aber um das Verstehen der "anderen Seite", nämlich der Kranken gehen soll, dann macht der Opa keine so gute Figur. Das geht über seine Kräfte. Und am Schluss ist das ganze Unternehmen nur ein Schuss in Ofen. Da kann er nur noch aus dem Fenster steigen.

Lieber Chico, menschenverachtend finde ich die Geschichte nicht, nur nicht zuende gedacht. Ich kann mir sogar vorstellen, dass du in deinem Beruf öfters mit absurden und komischen, im Sinne von Komik, Sitationen zu tun hast. Ich denke, das ist eine besondere Welt, die ausgeprägte Fähigkeiten zur Empathie verlangt.

Du kannst gut schreiben. Am besten gefiel mir die herzliche Verbundenheit zwischen Enkel und Großvater. Das erleben zum Glück heute immer mehr Oldies.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

Mittagszeit. Die Schwester, mit der Gulaschkanone, wie sie auf dem Wagen umherblickt, sie hat reichlich überzählige Kilos und ein grimmiges Gesicht. Sie dreht auf dem riesigen Gelände ihre Runden und die Bewohner stehen drum herum, jeder einen Teller in der Hand. Sie schießt riesige Mengen Gulasch in die Atmosphäre, welche anschließend ihren Weg in die Mägen der Bewohner finden. Keiner fragt, ob das Gulasch gut schmeckt, weder die Bewohner und erst recht nicht die Köche der Einrichtung und die Helfer in den Wohngruppen. Hauptsache es gibt etwas zu essen. Noch nicht allzulange her.
Dann, noch ein ausgewähltes Bild. Männer stehen in einer Reihe im Badezimmer vor dem Mitarbeiter, alle nackt, bereit zum Duschen. Eine Dusche für alle Bewohner. Keiner von ihnen schert sich um einen Bademantel, keiner hat je etwas davon gehört. Die Bademäntel sind, wenn überhaupt, nur imaginär. Niemanden interessiert es, dass alle zusammenstehen, einander nackt sehen und unmittelbar nacheinander duschen. Sie sind es nicht anders gewohnt. Der Mitarbeiter verrichtet seine Arbeit, duscht einen nach dem anderen, rasch, ohne Emotionen.

ich bin Heilerziehungspfleger und arbeite in einem Wohnheim für behinderte Menschen. Die Geschichte ist nicht menschenverachtend gemeint. Jetzt muss ich zur Arbeit. Heute Nachmittag mehr.

Hallo Chico, danke für deine Antwort!

Menschenverachtend bezog sich auf den Text, den ich kopiert habe. Das ist wirklich krass und die Frage muss erlaubt sein, ob sich das alles so zugetragen hat. Beschämend für alle, die dafür verantwortlich sind oder waren.
Mich macht dein Text betroffen. Auch die Betreuer kommen in deiner Geschichte nicht gut weg. Dabei sind das Menschen, die ich sehr bewundere. Ich kenne viele liebenswerte Betreuer, und sie laufen nicht griesgrämig herum, sondern sie lachen und geben Zuspruch und Liebe.

Liebe Grüße!
Amelie

 

Hallo,

erstmal Danke Amelie, Wieselmaus und Novak,

ich freue mich gerade sehr über eure Antworten.

Was ich noch dir, Amelie, schreiben wollte ... das mit den Gulaschkanonen, den Duschenden in einer Reihe ohne Bademäntel, den Morden zur Nazizeit, den großen Schlafsälen, den unnötigen Fixierungsmaßnahmen ... das bezieht sich alles auf die Vergangenheit, auf mehrere Jahrzehnte zuvor, und ja, leider ist es wahr. Ich bin zwar erst Mitte Zwanzig aber von älteren Kollegen habe ich das alles gehört. Früher wurden behindete Menschen als nicht lebenswert erachtet und eher verwahrt als gefördert. Heute ist das alles zum Glück besser. Es gibt tolle Leitbegriffe wie Inklusion, Teilhabe, Selbstständigkeit und Ressourcenorientierung statt Schwächenorientierung (natürlich gibt es heute auch schönere und nicht so schöne Wohngruppen, die z.B. einmal Krankenhäuser waren und s

Und jetzt noch zu Novak und Wieselmaus: ihr habt Recht, das mit dem Arztbesuch und der Einweisung ist sehr unrealistisch. Ich wollte humoristisch schreiben, den Opa mit einem Antrieb ausstatten (eingeweisen zu werden). Das danach, wo der Opa beschreibt wie blöd er da alles findet, ist auch scherzhaft gemeint, denn, Amelie, da hast du recht, es gibt wirklich viele tolle, ambitionierte Mitarbeiter in diesem Bereich. Das mit der Medikation, die jeder erhält, und dass man überhaupt nicht merken würde einen nicht behinderten Opi vor sich zu haben ... Ich muss mir da nochmal viele Gedanken machen. Eure Vorschläge dazu sind sehr hilfreich. Danke dafür. Ach, ich wollte einfach mal meinen Job und meine Leidenschaft des Schreibens miteinander kombinieren, wollte einen lustigtraurigen Text über das Leben in Behinderteneinrichtung schreiben und mein Wissen dazu anwenden. Versuch misslungen. Und was ist jetzt mit meiner Art zu schreiben? Und ja, Wiesel, es ist bei der Arbeit im Wohnheim wirklich absurd und komisch und verrückt und tieftraurig, und mich kann man auch bald einweisen :D

Abschließend zum Stil: Wiesel sagt ich kann gut schreiben und Novak meint daran müsse ich noch feilen. Das verwirrt mich :)

Lg chico

 

Hej chico1989,

deine Geschichte ist ziemlich rasant und beinhaltet sehr viele Themen, die jeweils eigene Geschichten füllen könnten. So reißt du alles an und lässt mich unbefriedigt zurück. Für meinen Geschmack wäre auch der Klamauk beim Arzt nicht notwendig gewesen.

Sie nahmen viele mit, die mit den harten Antlitzen und den Uniformen, viel zu viele. Keinen hätten sie mitnehmen dürfen, keinen. Und dabei rutscht mir eine Träne vom Auge die Nase hinunter. Und mein Ulrich, eigentlich der beste Enkel den man sich nur vorstellen kann, wenn ich´s genau bedenke, schnappt nach der Träne und wischt sie mir von der Nase. »Ach Opa.«

Das ist meine Lieblingsszene. Mir wäre es lieber gewesen, hättest du die Themen nicht miteinander verquickt, sondern dir mehr Zeit gelassen, einige wenige zu verweben.
Ich hoffe, ich konnte mich verständlich machen.

Auf jeden Fall sind deine Erfahrungen eine Geschichten wert und ich habe sie gerne gelesen.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo Chico,

dass du gleich nach deiner Arbeit ins Forum eilst, finde ich sehr bemerkenswert und sympathisch. Es zeigt auch dein echtes Interesse am Schreiben. Ja, ich bin der Meinung, du kannst gut schreiben. Du beherrschst die Grundregeln von Grammatik und Rechtschreibung, und das ist keineswegs selbstverständlich hier im Forum. Novak ist aber Expertin für professionelles Schreiben, ich bin bloß Amateurin, als pensionierte Deutschlehrerin auch nicht mehr so wahnsinnig motiviert, alle die "Flusen" und Feinheiten unter die Lupe zu nehmen. (Außer bei meinen eigenen Texten:D). Meistens gehe ich in meinen Kommentaren nur auf die Thematik ein. Also vertraue Novak, die kann dich weiterbringen. Und davon gibt es einige Leute hier.

Bin gespannt, was dir noch für eigenwillige Geschichten einfallen.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 
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Novak ist ´ne Frau? Oh Mann :D

Aber Danke Wiesel für den Tipp, naja ein paar eigenwillige Geschichten habe ich noch auf meinem Laptop. Ich warte immer ´ne Weile, weil ich gelesen habe, man soll nicht zu viele Geschichten posten und jeder soll ja auch ´ne Chance haben Rückmeldung zum Geschrieben zu erhalten. In der letzten Zeit habe ich wenig geschrieben (der verfluchte Schreibblockade, aber laut Stephen King gibt es die gar nicht und man ist dann nur zu anpruchsvoll was das Geschriebene angeht).

viele Liebe Grüße an die pensionierte Deutschlehrerin,

Chico

 

Novak ist ´ne Frau? Oh Mann
Und was für eine!


Aber eine Expertin bin ich ebensowenig oder so viel wie du, liebe Wieselmaus. Vielleicht haben wir beide nur einen unterschiedlichen Geschmack oder ich leg auf andere Punkte wert als du.
Ich meld mich nochmal zur Geschichte irgendwann, Chico, Weißt du, weil dich der Unterschied zwischen Wieselmaus! Eindruck und meinem wohl etwas verunsichert hat. Mit ein bisschen Butter bei die Fische wird dir das schon klarer werden, was ich meine. Nur lass mir etwas Zeit, bin auch dolle im Rückstand mit meinen Antworten.
LG Novak

 

Alle Zeit der Welt, Frau Novak.

habe die Gulaschkanonen nun überarbeitet und den Arzt gekillt. Hoffe es ist besser so.

Lg

 

Hallo Chico, da hast du dir aber wirklich Mühe gegeben und die ganze Geschichte umgeschrieben. Das gefällt mir nun viel besser, weil glaubwürdiger. Dein Schreibstil gefällt mir auch. Du schreibst locker und unterhaltsam.
Ich bin mir nicht sicher, ob du den Traum für die Geschichte brauchst. Eher nicht.
Und die Erinnerung an die Zeit, als Hitler unwertes Leben vernichten ließ, kennt der Opa sicher auch nur aus Erzählungen. Der Mann ist achtundachtzig, zu dieser Zeit wäre er zwischen zwölf und sechzehn gewesen. Mit Sicherheit noch nicht im Berufsleben.

Chico,ich möchte dir noch versichern, dass ich großen Respekt vor dem Beruf habe, den du gewählt hast. Und ich wünsche dir Sonne im Herzen!

Liebe Grüße!
Amelie

 

Hallo Amelie,

Ja, habe mich gestern dran gesetzt. Danke für dein Lob.
Zu der Tatsache mit der Hitlerzeit: Kann ich den Opi nicht einfach noch ein bissel älter machen und es als Geschehnis ganz zu Anfang seiner Arbeit in den Heimen beschreiben? Dann müsste ich die KG nicht kürzen. Das mit dem Traum stimmt. Ich habe mich auch schon gefragt, ob er sein muss. Da bin ich noch am Schwanken es herauszunehmen oder nicht.
Respekt vor meinem Beruf. Hm. Das lässt mich grübeln. Andere Berufe sind ja auch gut und wichtig. Aber Danke. Ich wünsche dir auch Sonne im Herzen – ganz viel!

Liebe Grüße

Chico

 

Hallo Kanji,

sorry, über deinen Beitrag war ich irgendwie hinweggekommen. Danke für diesen. Habe die Geschichte nun überarbeitet. Hoffe sie ist jetzt besser, wo der Klamauk mit dem Arzt nicht mehr da ist. (Frauen die in Löcher fallen habe ich auch gerne gelesen. Mir fiel nichts ein was noch nicht erwähnt wurde, weshalb ich nicht kommentiert habe. Aber habe diese Story gerne gelesen.)

LG,

chico

 

Hej chico,

Schon ok, ist mir auch schon passiert.:shy: (in meinem Fall mit einem "alten Hasen" :Pfeif:) Ist ja auch nicht zwingend nötig. Auch nicht sich gegenseitig zu kommentieren. Aber danke, dass du meine Geschichte gelesen hast.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

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