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GulaSCH

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23.08.2013
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GulaSCH

Gulasch

Marco lehnt sich zurück und schaut der Stewardess auf den Hintern. Nicht so flach wie bei Anja, denkt er, und die hier hat längere Beine. Sein Nachbar schnarcht und er spürt wieder diese Magenschmerzen. Die Schmerztabletten stecken in seinem Mantel. Den haben sie ihm beim Einsteigen abgenommen und jetzt irgendwo in diesem verdammten Flugzeug verstaut.
“Darf es für Sie noch etwas zu trinken sein?”, fragt die Stewardess.
“Danke.”
Der Trolley quietscht weiter. Marco schließt die Augen. Ein paar Mal wiederholt sich dieses Darf es für sie noch etwas zu trinken sein?, dann nickt er ein.

“Ihr habt Verspätung.”, sagt Anja, fällt ihm am Terminal um den Hals und will wissen, wie der Flug war. Er erzählt von dem schnarchenden Dicken und lässt dabei den Motor des Wagens an.
“Ich habe Gulasch für uns gekocht”, sagt sie. “Mit Nudeln.”
Die Ampel springt auf grün, doch der Wagen vor ihm fährt nicht an. Marco hupt.
„Entspann dich“, sagt sie.
Er gibt Gas.
“Robert kommt morgen Abend. Mit Dolly.”
“Prima”, sagt er. Sein Bruder bringt immer Leben in die Bude. Mit seinen Freundinnen. Diesmal also eine Dolly.
Als er seinen Koffer ins Haus trägt, riecht es nach Gulasch mit Nudeln.

“Wann war unser letzter gemeinsamer Heiligabend?”, fragt Robert.
“Vor fünf Jahren,” sagt Marco. „Mit Caro, glaube ich.“
Dolly lacht. Dieses Lachen, denkt Marco, ist eher ein Meckern. Das Meckern einer Ziege. Einer reizenden Ziege.
Anja serviert wieder Gulasch. Mit Rotkohl und Semmelklößen, selbst gemacht.
“Du hast dich in deiner Kochkunst wieder mal selbst übertroffen”, sagt Robert.
“Ach, hör auf!”, sagt Anja und wird ein wenig rot. Marco mag es nicht, wenn sie rot wird. Neben ihm meckert Dolly und rutscht dabei unruhig auf ihrem Stuhl herum.

Dann ist Bescherung. Anja hat für Marco einen Cashmere-Pullover gekauft. Der ist ihm zu eng.
“Tausche ich gleich nach den Feiertagen um”, sagt sie. “XL wird passen. Was meinst du?”
Sie lächelt und greift sich immer wieder an ihre neuen Ohrringe. Marco hat sie ihr zusammen mit einer spanischen Kollegin besorgt. Die wollte erst nicht mitkommen, aber er hat sie mit der Lüge überredet, sie habe die gleichen Ohren wie seine Frau. Jetzt schämt er sich dafür.
Robert freut sich über seine Flasche schottischen Whisky.
„Damit der Abend nicht zu trocken wird“, sagt Marco.
Dolly reißt mit der Ungeduld eines Kindes ihr Geschenk auf. Zum Vorschein kommen rote Dessous.
“Rot! Das soll Männer scharf machen”, meckert sie aufgeregt.
“Zieh an”, sagt Robert.
“Ja, zieh an!”, sagt Marco und lässt sich tief in seinen Sessel fallen.
“Soll ich die Chips holen?”, fragt Anja.
“Meint ihr wirklich?”, meckert Dolly. Und hält sich die Dessous vor ihren wippenden Körper.
“Klar doch!”, sagt Robert, und Marco grunzt.
Dolly verschwindet in Marcos Schlafzimmer.
“Ist sie nicht süß?”, fragt Robert.
Anja steht auf und geht Dolly hinterher.
“Und ob. Wo hast du sie denn her?“, fragt Marco und richtet sich wieder im Sessel auf.
“Ist mir auf dem Weg nach London zugeflogen.”, lacht Robert. “Sie ist Stewardess.”
“Zugeflogen! Das ist gut. Sehr gut.”
Die beiden Frauen kommen zurück aus dem Schlafzimmer. Marco schluckt.
“Was soll das denn?” Er traut seinen Augen nicht. Vor ihm steht Anja in dieser roten Unterwäsche. Und präsentiert sich von allen Seiten. Dolly meckert vor Vergnügen im Hintergrund.
“Ich muss mal raus an die Luft”, sagt Marco.
“Stewardess. Zugeflogen. Das ist gut!”, sagt er, als er die Wohnungstür hinter sich zuzieht. Er spürt wieder diese Magenschmerzen.

 

Bis hierhin fand ich den Text wunderbar, aber den Teil hier hab ich fünf mal gelesen und zurückgelesen, um zu verstehen, was gemeint war:

Dann ist Bescherung. Anja hat für Marco einen Cashmere-Pullover gekauft. Der ist ihm zu eng.
“Tausche ich gleich nach den Feiertagen um”, sagt sie. “XL wird passen. Was meinst du?”
Sie lächelt und greift sich immer wieder an ihre neuen Ohrringe. Marco hat sie ihr zusammen mit einer spanischen Kollegin besorgt. Die wollte erst nicht mitkommen, aber er hat sie mit der Lüge überredet, sie habe die gleichen Ohren wie seine Frau. Jetzt schämt er sich dafür.
Robert freut sich über seine Flasche schottischen Whisky.
"Maro hat sie ihr zusammen mit einer spanischen Kollegin besorgt" - das klingt wie: Ich hab dir Ohrringe mitgebracht und meine spanische Kollegin!
Gemeint ist: Eine spanische Arbeitskollegin hat Marco dabei geholfen, Ohrringe für seine Frau zu kaufen. Boah!
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Der Text ist gut. Ich ahne, wie er funktioniert, aber er funktioniert, auch wenn ich die Regeln kenne, nach denen er funktioniert. Das ist diese "spröde" Erzählweise. Der Text funktioniert, indem alles impliziert und nichts gesagt wird. Und weil nichts gewertet wird, hat auf einmal alles in dem Text eine Bedeutung. Da ist das Gulasch dann wichtig, weil der Blick des Lesers auf nichts fokussiert wird.
Und so ein Text zeigt dann immer mit dem Finger auf einen Riss in der Realitätskonstruktion. Hier ist der Riss bei "Mein Bruder hat wechselnde Freundinnen, die nur fürs Bett gut sind" - "Ich hab eine Lebenspartnerin, die mich umsorgt, aber als Sexobjekt sehe ich die nicht."

Es gibt einen wunderbaren Film "The Summer of Sam" von Spike Lee - da wird das - unter anderem - thematisiert. Sehr zu empfehlen.

Ich find den Text wirklich gut, davon gerne mehr. Nur der eine Teil da mit den Ohrringen - da bin ich aber vielleicht als Leser auch einfach auf eine völlig falsche Spur gekommen. Das ist auch die Gefahr bei Texten, die so konzipiert sind, der Leser glitscht da oft so durch den Text wie auf einer glatten Schrägen und sucht nach was, an dem er sich festhalten kann.

Ich freu mich auf deine weiteren Texte.

 

Lb. Quinn,

vielen Dank für deinen Kommentar auf meinen ersten Beitrag hier.

Du bist genau über den Punkt gestolpert, der auch mir Kopfzerbrechen bereitet hat. Ich habe ihn mehrfach umgeschrieben und war dann drauf und dran, ihn komplett zu streichen. Ich glaube, das werde ich tun. ;)

Danke noch einmal,
Bernd

 

Hallo Bernd

Quinn hat's schon gesagt, vieles wird nur (gekonnt) angerissen, um dem Leser die Freiheit zu lassen, sein eigenes Bild zu machen. Das Aufbrechen von Konventionen, das Offenlegen von schwelenden Konflikten, ohne sie direkt zu benennen, das hat mir schon gut gefallen.
Dieser verhinderte Möchtegernsoseinwieaberdanndochnicht und schon gar nicht mit Heimchen Anja, geht's noch? :D

Und das Konzept Kurzgeschichte geht hier voll auf, der direkte Einstieg, der stringente Ablauf ohne grosses Geplänkel und dazu ein offenes (Konflikt-) Ende mit einer Minipointe. Was will man mehr.

Hast mich gut unterhalten, Bernd.
Gruss dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Berni

ich kann mich dem Lob von Quinn und dotslash nur vorbehaltlos anschließen. Schon nach dem ersten Lesen gestern hatte ich das Gefühl, dass du trotz der Kürze eine Menge Arbeit in dem Text gesteckt hast, so prägnant und perfekt erzählt erschien er mir von der ersten bis zur letzten Zeile. Da ist nicht ein Wort zu viel und nicht eines zu wenig.
Eine Kurzgeschichte im wahrsten und besten Sinn des Wortes. Ein wenig fühlte ich mich erinnert an Wolfgang Bauers Theaterstücke aus den späten 60ern, lakonische, beiläufige Dialogzeilen wie aus dem wirklichen Leben, und hinter allem lässt sich so viel mehr an Geschichte, an Lebensgeschichte der Figuren erahnen.

Marco hat sie ihr zusammen mit einer spanischen Kollegin besorgt.

Über diesen Satz hat’s mich zwar nicht direkt drüber gehaut, aber ähnlich wie Quinn empfand ich ihn dem stilistischen Niveau der restlichen Geschichte nicht ganz angemessen, der ist auch mir einfach ein bisschen zu schlampig formuliert.

Marco hat sie ihr mithilfe einer spanischen Kollegin besorgt, wäre z.B. etwas weniger missverständlich.

Aber ansonsten fand ich überhaupt nichts zu bemäkeln, ja, höchstens vielleicht die Kürze, die Geschichte hätte für meinen Lesegeschmack durchaus noch ein wenig weitergehen dürfen.
Machte einfach Lust auf mehr.


offshore

 

Lb. dot und offshore,

ich danke euch für eure Kommentare. Ich freue mich, dass mein Text doch so gut ankommt. Prosa ist eher nicht mein Metier, meist schreibe ich Lyrik. Allerdings mag ich Prosa sehr und würde mich gern intensiver damit beschäftigen.

Zum Lernen werde ich mich mal weiter hier auf der Seite umschauen. Da ist ja einiges geboten.

LG
Bernd

 

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