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Gruppentherapie

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02.05.2002
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11

Gruppentherapie

Eine unerträgliche Stille herrschte im Raum. Die Therapeutin ließ ihre Augen aufmerksam über jedes Gesicht der sieben Patienten schweifen. Einige sahen durch das Fenster dem Treiben der grauen Wolken zu. Andere fixierten einen Punkt an den kahlen Wänden des Raumes oder stierten auf den graublauen Teppich.
Antje wippte mit ihren Beinen auf und nieder.
„Bist du nervös?“ fragte Helga gereizt.
„Ja“, meinte sie schuldbewußt und konzentrierte sich krampfhaft darauf, die Beine stillzuhalten.
Die Therapeutin legte ihren Kopf schief und sah Antje mit ihren großen Augen an: „Vielleicht sollte das eine Aufforderung sein.“
„Aufforderung?“ Antje schluckte. "... Zum Reden?!“
Die Therapeutin lächelte ermutigend. Erwartungsvoll richteten sich alle Augenpaare auf Antje. Sinnend betrachtete sie ihre Füße. ‚Oh Gott! Was soll ich denn sagen? Wo soll ich anfangen? Wie sie mich alle anstarren!‘
„Hat Ihre Nervosität mit den Gedanken um ein Familiengespräch zu tun?“ half die Therapeutin.
„Ja.“ Sie seufzte. „Ich weiß nicht, ob es besser wäre, erst mit meiner Mutter allein zu sprechen oder gleich mit beiden Eltern.“ Sie atmete tief durch, denn schon jetzt standen Tränen startbereit.
‚Wird ja Zeit! Sieben Wochen bist du in der Klinik und wir wissen überhaupt nichts von dir!‘ dachte Helga.
„Ich glaube, mein Vater weiß nicht, was damals vorgefallen ist ...“ Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Mitfühlend sahen alle dem inneren Kampf zu. Jana reichte ihr ein Taschentuch.
„Ich war ungefähr elf ... allein zu Hause. Mein Opa kam zu Besuch. ... Er war betrunken. ... Ich ging in mein Zimmer ... Er kam hinterher. ... Er hat mich ... er hat mich geküßt und ... Also er hat ... er hat mich sexuell mißbraucht.“
Jana sah, wie Antje am ganzen Körper zitterte.
‚Und ich bin traurig, daß mich noch nie ein Mann angefaßt hat – dann lieber gar nicht wie so!‘
Eva knetete unruhig ein Taschentuch in ihren Händen.
Emira wechselte unruhig von einer Sitzposition in die andere. „Ich finde das heftig!“ platzte sie heraus. „Das ist sowas von heftig! Dem Wixer sollte man das Ding abschneiden!“
Antje versuchte ihr Zittern und die Tränen in den Griff zu bekommen. „Das ... das war nicht das Schlimmste. ... Schlimmer war die Reaktion meiner Mutter. ... Ich weiß nicht, was ich ihr sagte. ... Sie erzählte mir, daß mein Opa nicht mein richtiger ... nicht mein leiblicher Opa sei ... Meine Oma wurde vergewaltigt ... meine Mutter ist das Produkt davon. ... Und ich soll aufpassen, was ich anziehe, wenn wir mit den Großeltern zusammen sind ...“ Tränen ersticken ihre Stimme. Unsicher sah sie hoch in das betroffene Schweigen hinein. Viktor, der sonst keine Gefühle an sich heranließ, hatte Tränen in den Augen. Sülo sah man die innere Spannung an, wütend zuckten seine Hände und Augenlider.
„Wie fühlen Sie sich jetzt?“ fragte die Therapeutin.
„Unsicher – es sagt keiner was“, erwiderte Antje.
„Also mich macht das wütend!“ meinte Viktor. „Ich als Vater würde den Opa einen Kopf kürzer machen!“
„Ich habe Angst, wenn mein Vater davon erfährt, ... daß meine Eltern sich streiten und scheiden lassen. Die ganze Familie entzweit sich vielleicht und ich bin dran Schuld!“
„Quatsch!“ entfuhr es Sülo.
„Das ist doch nicht deine Schuld! Schließlich wurde dir das angetan. Dein Opa ist Schuld, nicht du!“ meinte Jana.
„Das wirbelt so viel Staub auf – nach so langer Zeit. Meine Mutter hat es doch nur gut gemeint. Sie ...“
„Deine Mutter hat dich im Stich gelassen!“ rief Helga.
„Er hatte keinerlei Recht, dir soetwas anzutun! dafür gibt es keine Entschuldigung oder Rechtfertigung!“ sagte Sülo.
„Ihre Mutter hat Ihr Erlebnis mit etwas noch Schlimmeren weggewischt.“, erklärte die Therapeutin.
Antje weinte stumm.
Die Therapeutin sah auf die Uhr. „Ich muß das Gespräch hier leider beenden.“
Ganz benommen erhoben sich alle und trotteten in Richtung Raucherraum. Die Therapeutin wandte sich noch einmal zu Antje: „Bitte melden Sie sich bei den Schwestern oder mir, wenn Sie jemanden brauchen.“ Antje nickte und verschwand völlig erschöpft für den Rest des Tages in ihrem Zimmer.

[ 24.05.2002, 10:29: Beitrag editiert von: Sommersprossenelfe ]

 

Hi Sommersprossenelfe

Gute Geschichte. Aber noch nicht zuende, oder? Ich würde gerne wissen, wie's weitergeht!

Deine Dialoge sind sehr lebendig - das hat mir sehr gefallen. Leider kann man bei einem so kurzen Text nicht richtig in die Tiefe gehen (Du hast aber das rausgeholt, was man rausholen kann). Etwas länger darf schon sein. :)

Aber alles in allem ist das eine recht gute Geschichte. Nur ein wenig zu kurz, um wirklich ins Herz zu zünden.

Gruß,
stephy

 

Mir hat die Geschichte auch gut gefallen. Aber Stephy hat Recht, der Schlußteil fehlt, es muss doch irgendwie weitergehen. Da solltest du dir was einfallen lassen.
Ich bezweifle außerdem das die Therapeuthin ausgerechnet in dem Augenblick Schluß machen würde, wo ihre Patientin es gerade geschafft hat sich zu öffnen, was sie ja seit sie da ist nicht getan hat.
Der Schreibstil und die Ausdrucksfähigkeit sind gut.
Ich kann mich meinem Vorgänger in allem nur anschließen. :) :thumbsup:

 

Hallo stephy und hallo Autor!

Danke für eure Rückmeldung!
Das ist weder der Anfang noch das Ende der Geschichte. Im Prinzip ist diese Schilderung einer Gruppentherapiesitzung ein Teil aus der Geschichte über Antje. Sie hat 3 1/2 Monate in einer Psychosomatischen Klinik verbracht und diese Therapiesitzung (eine von vielen während der Zeit in der Klinik) beschreibt einen imensen Schritt nach vorn für Antje.
Eine Sitzung ist zeitlich begrenzt und da Antje einen ziemlich langen Anlauf brauchte, um zu erzählen, ist die Zeit schnell vorbei. Therapeuten unterbrechen durchaus die Sitzung, wenn die Zeit "abgelaufen" ist!

Gruß,
Sommersprossenelfe

 

Hallo,
die Erzählung hat mir gut gefallen. Auch am offenen Ende habe ich gar nichts auszusetzten, denn es läßt den Leser so alleine und desorientiert zurück, wie sich die Hauptperson fühlen muss.
Einige Kritikpunkte habe ich aber:
Warum gibst du der Therapeutin einen Namen? Konzentrier dich auf Antje! Die Therapeutin ist in meinen Augen doch nur Stichwortgeber und ersetzbar.
Das Verhalten der Mutter finde ich unglaubwürdig. Meinst du nicht sie würde ihrem Kind selber erfahrenes Leid aktiver ersparen wollen?
Ansonsten kann ich mich mit allen Personen identifizieren, sah die Szene richtig vor mir. Sehr realistisch, auch wegen Sätzen wie:

Ganz benommen erhoben sich alle und trotteten in Richtung Raucherraum.
Sonstige Anmerkungen:
Die Therapeutin ließ ihre Augen aufmerksam über jedes Gesicht der sieben Patienten schweifen.
M.A. nach besser: ...über jedes der sieben Gesichter...", da flüssiger. Bei der Erwähnung der Therapeutin ist klar, dass es Patienten sind.
soetwas
so etwas

So, dass war´s.
Viele Grüße,
para

 

Hallo Paranova!

Danke für Deine Kritik!
Zur Mutter: sie ist zwar das Produkt einer Vergewaltigung, aber hat selber diese Art Leid nicht erfahren. Allerdings erfuhr sie das Leid anders behandelt zu werden, als z.B. ihr Bruder. Erst im Erwachsenenalter erfuhr sie von ihrer "Herkunft".
Ich denke nicht, dass ihr Verhalten unglaubwürdig ist, aber ich denke, ihre Beweggründe werden in späteren Kapiteln deutlich. Diese müssen jedoch erst noch geschrieben werden - wenn sie in meinem Kopf auch schon existieren ;)

Gruß,
Sommersprossenelfe

 

Ich weiß nicht so recht, was ich von der Story halten soll und komme mir ziemlich mies vor gestehen zu müssen, dass ich sie nicht gut fand.

Der Grund wurde auch bereits angesprochen: Es gibt keine emotionale Tiefe bei den Personen, alles bleibt an der Oberfläche. Die Reaktionen - dem Schwein sollte man den Schwanz abschneiden usw - sind verständlich, mehr auch nicht.
Sicher liegt das auch an der Kürze der Geschichten - ich denke, hier wärst du gefragt, etwas mehr reinzulegen, damit man "in die Menschen" der Geschichten hineinschauen kann, wenn du verstehst.
Da diese Story eine emotionale sein möchte, bedarf es eben der Emotionen, um sich nachfühlen zu können.
Bislang ist es, verzeih!, eine x-beliebige: Eine Frau wurde vergewaltigt und ist jetzt fertig deswegen. Punkt.
Traurig, ja, aber wie kann ich mit dieser Frau etwas anfangen, wenn ich nichts von ihr weiß? Um es ganz hart auszudrücken: Genau so gut könnte es um ein Treffen der Anonymen Alkoholiker gehen.
Ich kann da einen guten Vergleich anstellen: Eine Geschichte, die von einem Monster handelt, das Menschen umbringt, ist deshalb nicht automatisch eine gruselige, spannende Geschichten - man muss den "Opfern" Profil verleihen, ihre Spannungen nachzeichnen, Atmosphäre schaffen.
Umgemünzt auf deinen Text: Das Ansprechen einer erfolgten Vergewaltigung muss den Leser nicht unbedingt in Betroffenheit verfallen lassen - dazu ist umfangreiche Charakterisierung nötig.
In diesem Sinne: Da steckt noch viel mehr drinnen! Weiter ausbauen, Hauptkriterium auf GEFÜHLE legen!!!

Ach ja, was mir auch auffiel:

Sie erzählte mir, daß mein Opa nicht mein richtiger ... nicht mein leiblicher Opa sei ... Meine Oma wurde vergewaltigt ... meine Mutter ist das Produkt davon. ... Und ich soll aufpassen, was ich anziehe, wenn wir mit den Großeltern zusammen sind ...“
Mag ja beabsichtigt sein, aber was soll das ganze eigentlich heißen? :confused: Vor allem der letzte Satz: Dass sie selber schuld ist, weil sie sich "sexy" gekleidet hat?!?

 

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