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Grundwerte in heutiger Literatur

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07.02.2005
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Grundwerte in heutiger Literatur

Hallo

Ich wollte mal eine Diskussion anfangen über das Geschreibsel der letzten Zeit. Auffällig ist doch, dass die Grundaussagen und Intentionen nun völlig anders sind als noch vor zwanzig Jahren.

Die Hauptfiguren in den modernen Comics sind nicht mehr glatte Superhelden, sondern kaputte Typen, die mit ihrem Leben nicht klarkommen und Spielball anderer Mächte sind. Ein gute Beispiel dafür ist Spawn oder auch viele Mangas und Animes.
Comics hab ich jetzt nur als Beispiel angeführt, da sie den Puls der Zeit recht gut abbilden.

Aber auch in der reinen Schreibform ist diese Entwicklung recht deutlich. Die Neunziger waren die Jahre des Cyperpunks, geprägt von ohnmächtigen Protagonisten, die in einer vom Kapitalismus zerfressenen Welt leben.

Genau das gleiche sind Dogma Geschichten. Man braucht keine Vampire mehr, denn Alltag ist viel mehr Horror. Die Menschen geisteskrank und degeneriert.

Meine Meinung dazu: Klasse! Solche Geschichten sind für mich viel interessanter.

Aber was haltet ihr davon? Und woher kommt das? Es geht uns ja nicht schlechter als früher. Oder geht es uns etwa zu gut, so dass wir quasi die Romantikbewegung invertiert durchmachen?

Bis dann
Leviathan

 

Ist doch alles dasselbe: Wirtschaft, Arbeitsmarkt-Sparten, weiblicher Menstruationszyklus, Themen in der Literatur/Kunst...

Das Heute ist so wie es ist, weil das Gestern so war wie es war, und gebiert das Morgen, worüber wir sicher dasselbe sagen. So ist das Leben.

Tschui, dass ich jetzt mal eben deinen Thread vereitle, aber könntest du das Thema vielleicht etwas konkretisieren. Ich sehe nämlich schon das hässliche Demokles( :hmm: )-Schwert der "Geschmacksfrage" auf uns zurasen. ;)


FLoH.

 

Ist es nicht so, dass Kultur immer auf die jeweilige Zeit aber auch auf die Vorepoche reagiert?
Anders als du, sehe ich schon seit einigen Jahren eine Renaissance der Romantik. Das könnte die Sehnsucht nach einer heilen Welt ausdrücken, in der wir nicht leben. Dem gegenüber stehen die realen Horrorstories aus dem Alltag als Gegenentwurf. Sie scheinen realistischer, sehen die Welt aber durch eine geschwärzte Brille. Übertreibung findet hier nicht als satirischer Akt, sondern als dramatischer Akt statt. Beides sind Reaktionen auf die gleiche Zeit, Strömungen, ihr mit unterschiedlicher Denkweise zu begegnen.

Die Sehnsucht kann man feststellen, wenn man betrachtet, dass gleichzeitig die Anzahl der unfreiwilligen Singles steigt, die Ideale an die wahre Liebe aber fast in die Adenauerepoche zurückveredelt werden. Da kann der Held ein Looser sein, Hauptsache er ist loyal und treu.

Ich sehe das nicht als Grundwerte in der Kunst (ich erweitere hier mal), sondern als Epochen. Grundwerte wären schon begrifflich die, die über diese Trends hinaus Bestand hätten.

 

Ich weiß gar nicht, ob ich das Schreiben von heute generell so anders empfinde als das, was in älteren Büchern in meinem Regal steht. Es gibt immer Leute, die was Neues ausprobieren, und umgekehrt werden immer wieder ältere Formen und auch Inhalte und Werte aufgegriffen.
Dein Beispiel mit den Comics? Vielleicht ist es kein zulässiges Argument, aber mir fielen da sofort gewisse Disney-Figuren ein. Mickey und Donald sind ja schon ein bisschen älter. Mickey verkörpert für mich ein bisschen diesen Heldentypus. Er ist nett und schlau und kann immer alles. Donald dagegen war schon immer ein miesepetriger Pechvogel. Er kommt mit seinem Leben nicht klar und ist Spielball anderer Mächte, ganz eindeutig. Und ich mochte ihn immer lieber als Mickey. Ich schätze, es ist ganz natürlich, dass man sich als Leser (oder auch als Filmzuschauer) mit der Imperfektion weit mehr identifizieren kann. Ich würde aber behaupten, dass solche Typen auch in der Literatur schon viel früher aufgetaucht sind. In deinem Posting kommt es ein bisschen so rüber, als sei der unvollkommene Held eine Erfindung der letzten zehn Jahre: das ist er sicher nicht. Ich kann mich im Moment ehrlich gesagt auch nicht an Geschichten über Cyberpunks erinnern ...
Unterm Strich würde ich sagen, dass die Grundaussagen heute nicht unbedingt sehr viel anders sind als früher. Da schließe ich mich sim an. Vieles in der Kultur reagiert auf die jeweiligen Umstände und das auf verschiedene Weise, und die konkreten Intentionen ändern sich vielleicht mal ein bisschen, je nachdem, auf welche aktuelle Entwicklung sie sich beziehen. Insgesamt aber würde ich sagen, dass es bestimmte Grundaussagen gibt, die beständig sind und in der ein oder anderen Form immer wiederkehren. Wo nicht, da muss man vielleicht in größeren Zeitspannen als den von dir erwähnten zwanzig Jahren rechnen. Vielleicht wird mich eine mittelalterliche Erzählung nicht so sehr begeistern wie die Menschen im zwölften oder dreizehnten Jahrhundert, weil die in ihr formulierten Ideale mittlerweile einen völlig anderen Stellenwert für mich haben. Andererseits ziehen einen Relikte aus längst vergangenen Epochen vielleicht doch gerade deshalb in ihren Bann, weil sie einige zeitlose Grundaussagen enthalten. Ansonsten würde heute wohl kaum jemand die Odyssee, die Parzival-Legende oder Shakespeares Dramen lesen.

 

"Grundwerte" versuche ich nur, in den Aussagen meiner Geschichten zu vertreten, also meine eigenen Grundwerte.
Zu meinen Grundwerten gehört auch, daß jeder sich frei entwickeln soll, und dazu paßt ganz bestimmt kein Schubladendenken. Jedes Einordnen des Schreibens in Dogma oder Romantikbewegung oder irgendwas sonst sehe ich als behinderndes Schubladendenken.
Aber vielleicht ist das ja auch schon ein Zeitgeist, der mir ins Hirn scheißt.

 

Hallo

Ich hatte diesen Tread aufgemacht, weil mir diese Entwicklung aufgefallen war. Eventuell hab ich ein wenig übertrieben, aber ich denke nicht, dass jemand in unserer heutigen Zeit einen Superman oder auch nur einen Old Shatterhand (ist zwar offiziell Mensch, kann aber alles, überlebt alles und hat dazu noch die Moral gepachtet) erfinden würde.

Oder diese ganzen Vampir-Gruselgeschichten. Die wirken alle so heimelig.
Selbst die Nachahmungen dieser Geschichten wie Blade oder Underworld sind kalt und irgendwie kaputt.

Natürlich stimmt das nicht vollständig. Rosamunde Pilcher schreibt weiterhin ihren ****** und es gibt wirklich genug heile Welt Literatur.

Wenn jetzt alle zu dem Ergebniss kommen, dass ich unrecht habe, ist das auch in Ordnung. Ich lasse mich gerne überzeugen.
Ich wollte doch nur wissen, ob ihr das genau so seht.

 

@Leviathan:
Die negative Entwicklung, die du beschreibst, ist ein sicheres Zeichen für den baldigen Untergang unserer Kultur!

Nein, im Ernst: So ein Trend ist schwer auszumachen, dazu müsste man wohl eine wissenschaftliche Untersuchung durchführen! ;) Allerdings haben wir so ziemlich jede Krise, die man sich vorstellen kann: Renten-, Umwelt-, Bildungs-, Wirtschaftskrise, mehr Rechtsradikale, Brutalität in unserer Gesellschaft. Habe ich was vergessen?
Ich lese das, was mir gefällt und dazu gehören auch einige Autoren, die schon lange tot sind. Wenn ich mir die Bestsellerlisten anschaue, sind da meist Krimis neben Liebesgeschichten. Die von dir erwähnten Comics etc. kenne ich kaum und so düstere Geschichten mag ich persönlich nicht. Aber ich meine eine Entwicklung zu mehr Brutalität und düsterem Klima in Filmen zu entdecken. Es werden immer noch James Bond Filme gedreht, aber auch die haben immer waghalsigere und inzwischen unglaubwürdigere Actionszenen. Übrigens habe ich letztens im Radio gehört, dass ein Soziologiestudent seine Diplomarbeit über die Enwicklung der Frauen in diesen Filmen geschrieben hat: Die dumme Blondine ist nicht mehr gefragt, die Frauen übertrumpfen 007 heute schon!

 

@lostrecords: Mein Held, meine Meinung :thumbsup: Ich glaube, zu den Orten, die ich niemals gern beehren würde, gehören auch "noble Literatencafés".

Ich stelle mir immer wieder die Fragen: Wer soll das lesen? Warum soll das wer lesen?
Das frage ich mich auch. Eine einfache und gute Antwort darauf scheint mir dies zu sein: "Jeder, der mit meinem Stil zurecht kommt und auch inhaltlich das von meinen Geschichten erwartet, was ich sie gerne erzählen lasse. (Das Warum stelle ich mir gar nicht)" Ich meine beileibe nicht, dass mein Stil so schwer wäre, dass nur eine gewisse <hüstel>Elite</hüstel> damit etwas anzufangen wüsste, sondern einfach persönliche Vorlieben. Jeder Mensch ist halt individuell, den einen kann ich leiden, den anderen weniger, der eine kann mich mehr leiden, der andere weniger ... warum sollte es in Geschichte-Leser-Verhältnissen anders sein?

Und was ich zu erzählen habe, gründet stets auf persönliche Probleme jedweder Art. Das ist aber auch überhaupt nichts Besonderes, das macht richtigerweise fast jeder so, und das ist für mich auch der ursprüngliche Sinn der Kunst: Die Wirklichkeit durch das eigene Selbst zu fleischwolfen. Es gibt natürlich auch Autoren, die über etwas schreiben, wozu sie nicht die geringste persönliche Beziehung haben, das merkt man dann auch recht schnell.

Aus der individuellen Eigenschaft des Autors ergibt sich natürlich die Tatsache, dass sich die Farben der Literatur nunmal unaufhörlich ändern. Und das gutheiße ich vollkommen. Wer nicht, der stelle sich von mir aus gern eine Bibliothek zusammen, die auf seine Lieblinge beschränkt ist, und schließe sich darin ein, auf dass er nie mit andersfarbiger Literatur in Berührung komme.


FLoH.

 

floh schrieb:
... und auch inhaltlich das von meinen Geschichten erwartet, was ich sie gerne erzählen lasse.
Oh, das ist missverständlich. Ich meine die Art des Inhalts, z.B. in puncto Tiefeniveau, nicht den Inhalt selbst à la bestimmte Themen oder Motive. Letzteres wäre ja langweilig.

FLoH.

 

Hallo zusammen!

Ich will mal eine These wagen:

  • Egal was und wie geschrieben wird - es dient immer, den Bedürfnissen der Zeit gemäß, als Lebenshilfe.
  • Die grundlegenden Bedürfnisse des Menschen sind in allen Zeiten kulturellen Menschseins dieselben, daraus ergeben sich die (Grund-)Werte, um, bzw. für die wir kämpfen.

Für Literatur (bzw. Kunst im Allgemeinen) ergibt sich hieraus: Form und Inhalt mögen sich wandeln, in variablen prozentualen Anteilen werden immer die gleichen Werte angesprochen.
(Wobei ich anstelle von „Grundwerten“ eher zu `befriedigende gesellschaftliche oder persönliche Bedürfnisse´ setzen würde).

Tschüß... Woltochinon

 

Da Schiller nun in aller Munde ist, möchte ich an den Verbrecher aus verlorener Ehre erinnern.
Die Gegenwartsbezüge, die seinerzeit galten, sind sie heute nicht ebenso aktuell?
Geht es nicht um die Gesellschaft, um Außenseiter, um soziale Fragen?
Die Sprache hat sich gewandelt, aber die Intention?
Geht es nicht auch um Erziehungsprozesse, die die Protagonisten durchlaufen haben?
Sind die Reflektionen nicht dieselben?
Woltochinons These kann ich nur beipflichten.
LG
Goldene Dame

 

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