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Grundlegende Veränderungen im Hotel Aphrodite
Grundlegende Veränderungen im Hotel Aphrodite
1. Erdbeermarmelade und Eierspeis (I)
„Pfui, ist die Erdbeermarmelade süß!“, erklärte Max’ Freundin, als sie gemeinsam am Frühstückstisch des Hotels Aphrodite saßen, um die erste Malzeit des Tages zu genießen. „Irgendwie ist das das Scheußlichste, das ich je gegessen habe“, sagte sie übertrieben betont und ließ das Brot, auf dem die erwähnte Scheußlichkeit aufgestrichen war, ebenso übertrieben auf den Teller zurückfallen.
Max sah sie streng an. Er wusste nicht, ob man eine 19jährige noch erziehen konnte, hoffte aber, mit gewissen pädagogischen Erziehungsmaßnahmen eine Verhaltensänderung bei Christine zu bewirken. „Meine Eierspeis ist vortrefflich“, log er. Sein gelb-weißes Essen schmeckte weder vortrefflich, noch nach Eierspeis. Zu wenig gewürzt, zu uneiig. Trotzdem, er hatte das andauernde Gequengel seiner Freundin satt und hoffte, dass sie sich ein Beispiel an ihm nehmen würde.
„Tja, MEIN Essen ist grau-en-haft“, schwor sie und deutete dann auf den Tisch gegenüber. „Den Jungs dort scheint es auch nicht zu schmecken.
Max drehte sich langsam um und erblickte vier junge Männern, die etwa in seinem Alter waren. Lautstark unterhielten sie sich über Beach-Volleyball (einer von ihnen meinte gerade, dass er lieber Bitch-Volleyball, also Schlampen-Volleyball spielen würde). Die vier lachten und klangen als wollten sie mit ihrem Gebrüll ihr Revier markieren. Studenten, dachte Max und verdrehte sein inneres Auge. Dabei fiel ihm auf, dass einer, der mit den langen verfilzten Haaren und einer beachtlichen Ansammlung wohl sortierter Muskelpakete ständig in seine Richtung blickte. Max wollte schon eine entschuldigende Geste machen, um jede Stänkerei zu vermeiden, als er bemerkte, dass das Filzhaarmuskelpaket gar kein Interesse an ihm hatte. Er fand Christine wohl viel interessanter.
„Fredl“, rief einer und stieß dem abwesenden Kumpanen an die Schulter. „Wo schaust du denn immer hi...“ Plötzlich versiegte sein Redeschwall und mit offenem Mund starrte er gebannt in Richtung der gläsernen Eingangstür des Speisesaales, gerade so, als wäre Gott selbst von seinem hochmütigen Thron herabgestiegen, um den Menschen ein Stelldichein zu gewähren.
Er sieht jetzt irgendwie tot aus, dachte Max und während der Gedanke an das plötzliche Ableben aller vier Studenten in seinem Kopf immer größere und freudigere Ausmaße annahm, folgte er dem starren Blick.
Da machte sein Herz einen abrupten Sprung und sein Atem stockte, als hätte sich ohne jede Vorwarnung ein Klumpen in seiner Kehle gebildet. Schweiß drängte aus seinen Handflächen und ihm wurde schwindelig.
Unfähig auch nur den winzigsten Teil seines Körpers bewusst zu steuern, beobachtete er die dunkelhaarige Frau, die plötzlich die Kontrolle über die Männer des Speisesaales übernommen zu haben schien. Sie ging, nein, schwebte über den Boden der Männerträume, sog saure Luft ein und atmete warme, samtig zarte Atmosphäre wieder aus. Die weibliche Erscheinung schritt wie in Zeitlupe durch den Saal, blickte von links nach recht (wo immer diese Richtungen auch waren), wobei ihr dunkelbraunes, lockiges Haar auf und ab hüpfte. Ihre dunklen Augen observierten den Raum und synchron lächelten ihre roten, vollen Lippen jedem Gast des Raumes zu.
Sie kam immer näher und Max wollte seine Hände ausstrecken, um der verlockenden Weiblichkeit ein tastendes Geständnis zu erbieten, doch er war unfähig, sich zu bewegen. Die Gestalt, die alle Männer im Speisesaal des Hotels Aphrodite (welch treffender Name, dachte Max) in einen nur für Männer verständlichen, tranceähnlichen Zustand geführt hatte, leckte sich mit der Zunge verstohlen über die Lippen. Ihr weißes, mit roten Blümchen besticktes Kleid wallte im Zuge ihrer Bewegung und presste sich eng an ihren Körper. Max wünschte sich, nie geboren, sondern aus der Hand eines Schneiders gemacht worden zu sein, nicht gezeugt, sondern genäht. Nicht hier, sondern dort. Denn dann könnte er sich gegen den Busen der Schönheit drücken, ihre Hüften umarmen und samtig weich über ihren Körper gleiten...
„Typisch Männer!“, sagte jemand und dieses zischende Geräusch riss ihn aus der wirklichen Welt hinaus, zurück in die Fantasie eines zynischen Autors.
„Wie bitte...“, stammelte Max, als ihm das Bewusstsein wiedergegeben wurde.
„Typisch Männer, habe ich gesagt. Ihr seid so leicht zu beeindrucken.“ Christine war der Fuhrmann zwischen der schönen Welt und der seinigen gewesen. „Es braucht lediglich ein Sommerkleid und zwei falsche Brüste und das Blut schießt euch aus dem Kopf, um in einer tieferen Region eine Hauptversammlung einzuberufen.“
Es brauchte lange Zeit bis die Worte in Max Kopf Sinn ergaben und schließlich wusste er, was sie zu bedeuten hatten. Er wollte etwas zu seiner Verteidigung sagen, als Christine mit allen Mitteln der Institution einer festen Beziehung seine Loyalität manifestieren wollte. Mit einem falschen Lächeln befahl sie ihm: „Gib mir einen Kuss!“
Kapitulierend beugte er sich über den Tisch, spitzte seine Lippen und schloss seine Augen, um die magere Gestalt, die ihm gegenüber saß, nicht sehen zu müssen.
Christine hatte in den zweieinhalb Jahren der gemeinsamen Partnerschaft mit der Eigenart begonnen, immer weniger zu essen. Gesund leben um gesund zu bleiben, sagte sie immer, womit sie grundsätzlich ja recht hatte, doch schien sie das Essen irgendwie krank zu machen. Anders konnte es sich Max nicht erklären, warum sie sich so oft nach den Malzeiten übergeben musste. Und dieses krankmachende Essen führte dazu, dass Christine zuerst immer schlanker und dann immer dünner und dürrer wurde. Ihre Haut wurde weiß und ihre blonden Haare strohig. Ihre Figur entweibisiert und ihre Küsse quälend.
Max’ Lippen hatten ihr Ziel schon beinahe erreicht, als eine helle Stimme fragte: „Hat das Esse gesmeckt?“ Es war Aphrodite selbst, die an ihren Tisch getreten war.
„Danke, das Essen war sehr gut“, erwiderte Christine in übertrieben betonten Hochdeutsch. Ein Krieg brach heran.
„Das freut mich“, hauchte die Hotelmanagerin mit einem wunderbaren griechischen Akzent und sah Max tief in die Augen. Ihr Blick bannte ihn. „Die Eierspeis ist unser Problemkind“, hörte Max die Stimme der Schönheit und obwohl ihm irgendetwas seltsam vorkam, antwortete er ohne zu überlegen: „Das liegt wohl an den Eiern!“
Die vier Jungs am Nebentisch prusteten plötzlich, als gebe es kein Morgen. Sie bekamen sich gar nicht mehr ein vor Lachen. Immer lauter schaukelten sie sich auf, wurden beinahe hysterisch. Es klang, als würde ein verrückter Flohmarktbesitzer Lachsäcke foltern.
Max sah sich entgeistert um und erblickte seine Freundin Christine, die ihm mit hochrotem Kopf, wütend gegenüber saß. Dann sah er hoch zu der Frau, die ihn so sehr verwirrte. Sie lachte nicht und war auch nicht wütend. Wissend blickte sie auf ihn hinab und nickte langsam. So als hätte sie gerade einen Verbündeten einer geheimen Verschwörung gefunden.
„Dann wünse ich noch eine söne Tag.“ Wieder der griechische Akzent und nun ahnte Max, was ihm vorhin so seltsam vorgekommen war. Die junge Frau, die die Managerin des Hotel zu sein schien, entfernte sich und verließ schließlich den Saal.
Kaum war sie außer Blickweite, sprang Christine auf und sah Max wie in Rage an. Ihr Kopf hatte mittlerweile die Farbe der Erdbeermarmelade angenommen.
„Was fällt dir eigentlich ein, so ein Theater zu machen!“, schrie sie und: „Du plamierst mich hier in aller Öffentlichkeit wegen dieser Frau. Du benimmst dich wie ein notgeiles Arschloch.“
„Das liegt wohl an den Eiern“, sagte einer der Burschen vom Nebentisch und wieder ergoss sich ihr hysterisches Lachen in die freie Welt Griechenlands.
Christine zischte und verließ den Speisesaal. Max blieb verwirrt zurück, unbeeindruckt von dem Wutausbruch seiner Freundin. War es Einbildung gewesen, oder hatte die Frau vorhin in perfekten Deutsch zu ihm gesprochen? War wohl möglich, vielleicht kamen in dem Satz keine, für Griechen komplizierten Laute vor.
Das Lachen der vier Jungs hinter ihm war zu einem erschöpften Kichern mutiert.
War wohl möglich, meldete sich eine Stimme in Max, aber wie erklärst du dann, dass sie ihre Lippen nicht bewegt hatte?
Aberglaube, Hitze, Hormone. Dafür gab es genügend Begründungen. Jedoch keine, die ihn befriedigte.
Das Kichern verebbte zu einem ausgelaugtem Grunzen.
Max stand auf und verließ den Speisesaal.
2. Beach-Volleyball und zwei Monster
Der erste Urlaubstag von Max und Christine, der mit einem Streit und einer anschließenden Versöhnung angefangen hatte, verlief sonst ziemlich ruhig. Sie machten es sich am Strand gemütlich und Christines Verstand tauchte in einem seichten Stephen King Roman, bei dem es Max Wissens nach um ein bösartiges Auto ging, das Männer quälte und tötete (irgendwie verwunderte es Max nicht, dass dieses Auto Christine hieß). Er aber las lieber Satire und beobachtete Leute. Dabei setzte er vorsorglich seine Sonnenbrille auf, damit die Protagonisten nichts von ihrer Rolle in Max Leben mitbekommen konnten und lehnte sich auf die Strandliege zurück.
Vorgebend zu schlafen sah er das übliche Bild eines europäischen Strandes: Mütter und Väter, die ihren gelangweilten Kindern erlaubten, zum Meer spielen zu gehen (ihnen aber noch pflichtbewusst versicherten, sollten sie weiter als bis zu den Knien ins Wasser gehen, eine ordentliche Tracht Prügel zu erhalten). Er sah dicke, alte Frauen, die ohne Bikinioberteil der Sonne ihren Körper Preis gaben, was nach Max’ Meinung ziemlich unfair war, hatte die Sonne hier in Griechenland nicht einmal Wolken, hinter denen sie sich verstecken konnte.
Und dann sah er sie, die Managerin des Hotels, die gerade den Strand betrat. Sie trug einen Bikini und um die Hüften hatte sie ein hellrosa Strandtuch gewickelt. Eine Sonnenbrille verhüllte ihre Augen. Wieder schlich das betäubende Gefühl in Max hoch. Er konnte sich weder bewegen, noch klar denken. Sein Herz schien einem fremden Takt zu folgen. „Hallo Max“, begrüßte ihn die Stimme der Managerin, doch obwohl sie noch etwa 100 Meter entfernt war, klang es so sanft und verständlich, als hätte sie ihm diese Worte ans Ohr geflüstert. „Schön dich wieder zu sehen. Ich bin Zoi.“
„Mein Name ist Max“, dachte er, so laut er konnte. Er wusste nicht, ob es idiotisch war, aber irgendwie schien er mit dieser Zoi eine mentale Verbindung herstellen zu können.
„Es ist nicht idiotisch“, antwortete die Stimme in seinem Kopf. „Aber pass auf die Frau neben dir auf. Vielleicht kannst du sie noch brauchen.“ Die wunderschöne Zoi blickte beim Vorbeigehen über den Rand der Sonnenbrille in Richtung Christine. „Bis später.“
Sie ging immer den Strand endlang. Viele Männerblicke folgten ihr. Langsam ließ der Bann los.
Dann drang ein Kichern an sein Ohr, es wurde immer deutlicher und irgendwann begann es zu schmerzen. Es kam von Christine. Fredl, der Muskeltarzan kniete neben ihr und sagte etwas bestimmt Belangloses.
„Und, was ist? Kommst du nun mit?“, fragte er auffordernd, sichtlich bemüht, Max zu ignorieren. Wie konnte man nur so dreist sein und ein Mädchen am helllichten Tag, vor den Augen des eigenen Anhangs ausspannen?
„Ich weiß nicht“, kicherte Christine und bekam rote Backen. „Es wäre mein erstes Mal.“
„Ich kann es dir beibringen. Wir würden es immer, und immer wieder probieren und irgendwann, würde es dir Spaß machen.“ Max hörte diese Worte des Langhaar-Mannes und traute seinen Ohren nicht. Und das war nicht nur so dahin gesagt, er traute seiner Wahrnehmung im Moment wirklich nicht über den Weg. „Beim ersten Mal würde es vielleicht weh tun, aber du gewöhnst dich sicherlich schnell daran. Wir würden es mit Martin und Gustl tun. Wie wär´s? Ohne dich fehlt uns eine Spielgefährtin.“
Max wurde schwindelig. Er beobachtete die Szene, die keine zwei Meter neben ihm statt fand und wurde so wütend wie noch nie in seinem Leben zuvor. Am liebsten würde er diesen Fredl töten, ihn aufhängen und vor allen Menschen dieser Welt als Ausspanner brandmarken. Seine Gedanken flogen dahin. Ihm wurde übel. Die Welt wurde stumm und zähflüssig wie Honig (oder Erdbeermarmelade).
Christine sagte irgendetwas mit „Volleyball“ und er nickte, bejahte was immer seine Freundin auch gesagt haben mochte. Sie stand auf und folgte Fredl.
Auch Max stand auf. Doch ging er in ihr Zimmer, um sich hin zu legen.
Als er die Augen wieder öffnete, dauerte es einige Minuten, bis auch sein Verstand wach wurde. So lange blickte er im Zimmer herum, betrachtete die neue, fremdartige Umgebung, die nicht sein zu Hause war und schließlich ging sein Verstand auf, langsam wie die Sonne am Morgen. Hotel, dachte er. Griechenland, Strand, Zoi...
Und da wurde die Tür aufgerissen und Max dachte für kurze Zeit, diese Frau (Ich heiße Zoi) würde ins Zimmer stürmen. Ihr Mund war zu einer Fratze verzerrt, aus der spitze Zähne gierig empor ragten. Ihre Fingernägel waren zu roten Klauen mutiert, doch kein Nagellack, sondern Blut röteten sie. Ihre Brust war zu einem harten, silberbraunem Panzer geworden, auf dem zwei Silikonbeutel montiert waren.
„Oh, du schläfst noch“, sagte das Zoi-Monster, doch da schwand die Gestalt und die Wirklichkeit verdichtete sich wieder zu einer undurchsichtigen Masse. Es war nicht Zoi, es war das andere Monster. „Du pennst bereits seit fünf Stunden.“
Christine warf den Zimmerschlüssel auf die Ablage und trat ein.
„Und, wie war das Spielen?“, fragte Max.
„Ganz okay“, antwortete Christine, doch das Lächeln um ihren Mund verriet, dass es mehr als okay gewesen sein musste. „Beim ersten Mal hat es eben noch weh getan, aber das vergeht.“ Sie zeigte ihre Handgelenke, auf denen sich bereits jetzt hellblaue Flecken bemerkbar machten. Christine, die nie etwas Gefährlicheres als ein Buttermesser berühren wollte, hatte sich absichtlich und mit Spaß verletzt.
Oh mein Gott, dachte er schockiert. Sie war verliebt! Verliebt in diesen Fredl. Doch noch schockierender fand er, dass ihn das im Grunde gar nicht schockierte. Es war ihm sogar ziemlich egal.
„Ich geh duschen“, verkündete sie vergnügt und verschwand pfeifend im Bad. Allein die Dreistigkeit, mit der dieses Verliebtsein vor sich ging, machte ihn wütend. Dann erinnerte er sich an den Joker, seine Geheimwaffe, das Atout: die Feste Beziehung mit all den Verpflichtungen.
Und so zog er sich aus und folgte der dürren Gestalt ins Badezimmer. Sie stand bereits in der Dusche, als er den Duschvorhang beiseite schob und das nasse Mädchen falsch lächelnd ansah. So gut wie möglich verdrängte er seine Wut.
„Ich liebe dich“, würgte Max hoch.
Christine sah ihn erschrocken an, so als müsste sie feststellen, dass ihr schlimmster Alptraum plötzlich wahr geworden war.
„Ich liebe dich auch“, spie sie zurück. Sie zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln.
„Oh, ist das süß“, sagte er. Nun kostete er seine Macht aus. So wie er heute beim Frühstück machtlos gegen den Kuss war, würde auch sie nun nichts gegen seine Forderung unternehmen können.
„Ich würde so gern mit dir schlafen“, flüsterte Max und kroch zu ihr unter die Dusche.
3. Der Anfang des Traums und das Ende von Fredl
In der Nacht hatte Max einen seltsamen Traum.
Er fing damit an, dass Max in der Finsternis im Garten des Hotels spazieren ging, doch nach genauerem hineinfühlen in seine Person, realisierte er, dass er gar nicht ging. Er kniete in einem Gebüsch. Er sah sich um und erblickte das Fenster seines Hotelzimmers über sich. Er konnte seine Badehose sehen, die er am Tag zuvor zum Trocknen über das Fensterbrett gehangen hatte.
Max fühlte sich irgendwie eigenartig in seiner Haut. Im Unterleib machte sich ein seltsames Zwicken und Ziehen bemerkbar, das er nie zuvor verspürt hatte. Sein Gemüt war fröhlich und frisch. Einfühlsamkeit erfüllte sein Denken. Am liebsten wäre er auf der Stelle einkaufen gegangen. Sein Schritt fühlte sich frei an, so als ob Frischluft hindurchströmen würde.
Und da hatte Max eine unheilvolle Vorahnung. Es würde einer dieser Träume sein, in denen er nackt spazieren ging und ihm seine Eltern begegnen würden. In besonders schlimmen Fällen hatte er in dieser Situation auch noch eine Erektion.
Er sah an sich hinunter und stellte mit Erleichterung fest, dass er nicht nackt war, doch das Entsetzen stieg wieder in ihm hoch, als er bemerkte, dass ein Rock seine intimen Zonen bedeckte. „Oh nein“, dachte er, „warum trage ich einen Rock. Bin ich etwa eine Tunte?“ Doch als ihm seine Brüste auffielen, stellte er beruhigt fest, dass er nicht schwul war. Er war eine Frau. Mit echten Brüsten... obwohl, so echt waren die beiden wohl auch nicht, groß und rund standen sie von seinem Brustkorb weg. Seine Brustwarzen waren erhoben und ragten durch sein enges Top.
Max gefiel sich sehr und griff unter sein T-Shirt, um seine Brüste genauer zu inspizieren. Sie fühlten sich gut an. Weich, aber trotzdem griffig. Nicht unnatürlich groß, aber erregend genug, als dass er bestimmt einen Ständer bekommen hätte, würde ihm nicht ein bestimmtes Utensil dazu fehlen.
Dann überlegte er. Wenn er schon Brüste hatte, was würde sich wohl unter seinem Rock befinden...? Er strich mit den Händen an seinem schlanken Körper entlang. Er hatte Gefallen an seinem Traum gefunden, als ihm eine Stimme barsch ins Ohr flüsterte: „Denk noch nicht einmal daran!“
Seine Hände wurden taub und mit ihnen sein ganzer Körper. Er konnte sich nicht mehr rühren, trotzdem bewegte er sich. Es schien, als wäre er zu Gast in einem fremden Körper, der ihn durch seine Augen durchsehen ließ, mehr aber schon nicht. Wie Fernsehen, dachte Max, lehnte sich innerlich zurück und genoss die Show.
Da betrat ein weiterer Schauspieler die Bühne und Wut stieg in Max hoch. Es war Fredl, der, der sich Volleyball spielend an seine Freundin heran gemacht hatte. Dieser Anabolikajunkie, dachte er verärgert und beobachtete, wie er vor seinem Fenster stand und kleine Steinchen hinauf warf.
„Der will also mit mir sprechen, was?“, dachte Max, doch irgendwie täuschte ihn sein Scharfsinn. Christine erschien, lehnte sich aus dem Fenster und flüsterte so laut sie konnte: „Hi!“
„Kommst du jetzt runter?“
„Ich weiß nicht so recht“, sagte sie zögernd und blickte zurück ins Zimmer.
„Komm schon!“; überredete sie das Proteingebirge. „Du hast es am Nachmittag versprochen.“ Und nach einer kurzen Pause. „Ich kann dir noch mehr Sachen zeigen als Volleyball.“ Dabei machte er anstößige Bewegungen mit seiner Hüfte. Max wollte auf ihn losstürmen und ihn verprügeln, doch immer noch war er in seinem weiblichen Körper nur Gast.
„Okay“, kicherte seine Christine. „Ich komme in fünf Minuten.“ Mit diesen Worten schloss sich das Fenster und Fredl schlenderte wartend hin und her.
Jetzt war es Zeit für Max Körper, sich in Bewegung zu setzen.
„Gute Abend Fredl“, hauchte er mit einer Stimme, die nicht ihm gehörte. „Was machst du denn noch so spät am Abend?“
Fredl starrte ihn an. Wäre sein Mund noch weiter aufgegangen, dann hätte er beim Gehen über sein Kinn stolpern können.
„Ja, genau“, stammelte er zusammenhangslos.
Max lächelte, sodass kleine Grübchen auf seiner Wange entstanden. Er schritt um den verwirrten Urlauber, wie ein Raubtier. „Es ist aber son so spät am Abend“, sagte er und ließ ihn nicht aus den Augen. „Das muss doch eine triftige Grund haben, umsonst sleicht man nicht mitten in die Nacht um fremdes Fenster.“ Max hatte seine Runde beendet, stand wieder vor ihm und sah ihn fest in die Augen. Sein Gegenüber konnte seinen Blick nicht erwidern.
Dann nahm er Fredls Hände und führte sie unter sein Top, geradewegs zu seinen Brüsten.
„Ich glaube, du willst das da, nicht wahr?“
Fredl konnte sich nicht mehr rühren. Angesichts Max’ Schönheit und anhand seiner Brüste mutierte der Junge zu einem riesigen Schwellkörper.
„Ich kann dir geben, was du brauchst.“ Noch immer die Hände unter seinem Top haltend , zog ihn Max ins Gebüsch. Dann vollzog er eine Veränderung, die er noch nie gespürt hatte. Nicht einmal im Traum.
Fredl stöhnte aus wollüstig auf und Max dachte, dass er mit diesem Mann gerade Christine betrog. Dann sah er Blut.
Dann war der Traum zu Ende.
4. Köstliche Scheußlichkeiten
„Ich dachte dir schmeckt die Erdbeermarmelade nicht“, sagte Max streitsüchtig, als er mit Christine am Frühstückstisch saß und sie sich eine große Portion der roten Masse, eine noch größere als am Vortag, vom Buffet an den Tisch mitgenommen hatte.
„Sie ist auch viel zu süß“, antwortete sie und biss von der Erdbeermarmeladesemmel ab. Max sah sie verwundert an, doch ihr schien nichts Ungewöhnliches daran zu sein. „Das ist die scheußlichste Marmelade, die ich je gegessen habe.“
Da traten die Vier Jungs vom Nebentisch ein, doch waren sie nur noch zu dritt. Einer fehlte. Fredl.
Vergnügt und scherzend setzten sie sich an den Tisch und brüllten vor lachen. Alle sahen sie nach der Reihe Christine an und lachten dann noch mehr.
„Die muss ja heiß sein“, sagte Martin, und Max wusste, dass das nicht für seine Ohren bestimmt war.
Ihm fiel der Traum von dieser Nacht ein. Ihm wurde unbehaglich zumute. Und auch Christine blickte unruhig hin und her. Nervös biss sie von ihrer Erdbeermarmeladesemmel ab.
Aber das konnte doch nicht sein, dachte Max. Er konnte doch nicht wirklich einen Mord begannen haben. Schon gar nicht als Frau.
Es gab nur eine Möglichkeit es herauszufinden.
„Wo warst du eigentlich heute Nacht?“, fragte er seine Freundin so beiläufig und unbedeutend wie möglich.
Christine zuckte zusammen. „Was meinst du?“
„Ich wollte wissen, wo du heute Nacht warst. Ich hab dich weggehen gehört.“
Sie überlegte einen Moment. „Frische Luft schnappen. Mir war irgendwie nicht gut.“ Damit war das Thema beendet.
Doch nicht für Max. Es konnte natürlich nicht sein, dass er Fredl umgebracht hatte. Aber vielleicht war sein nächtlicher Traum ja etwas wie ein Zeichen, oder eine viel zu späte Vorahnung, die gleichzeitig mit dem Ereignis selbst passiert. Er beobachtete Christine, die sich bereits eine zweite Erdbeermarmeladensemmel aufstrich. Sie leckte sich die Finger und verschlang dann das rot bestrichene Gebäck. Max hatte noch nie gesehen, dass ihr etwas so Scheußliches so gut schmeckte. Eigentlich hatte er noch nie gesehen, dass ihr etwas schmeckte. Aber vielleicht kannte er sie ja doch nicht so gut, wie er immer dachte.
„Sie war ungezogen“, dachte er, „aber sie kann noch sehr von Nutzen sein.“ Max runzelte die Stirn über die Seltsame Ausdrucksweise seiner inneren Stimme. „Fredl allerdings konnte ich unbesorgt töten.“
Max sprang erschrocken auf. Seine Augen waren weit aufgerissen. Zu fremd schienen seine Gedanken. „Wer ist da?“, schrie er und im Saal wurde es einen Moment lang still. Wer hatte da in seinem Kopf gesprochen?, überlegte er, doch er wusste die Antwort ohnehin.
„Gibt es ein Problem?“ fragte jemand hinter Max und legte eine Hand auf seine Schulter.
„Nein, nein, kein Problem“, antwortete Christine, während sie sich eine weitere Semmel strich. „Aber die Marmelade ist scheußlich. Kann man sie hier irgendwo erwerben? Ich meine, für zu Hause zum Mitnehmen.“ Es schien, als hätte sie nichts von dem Aufschrei ihres Freundes mitbekommen.
Die Managerin trat hervor und nahm ihre Hand von Max Schulter.
Max sah sie erschrocken an. „Das kann nicht sein!“, sagte er mit schwacher Stimme.
„Doch, Max, manchmal kann man hauseigene Produkte in Hotels kaufen und sie mit nach Hause nehmen. Aber, was weißt du schon?!“, seine Freundin blickte ihn abwertend an und widmete sich dann der Managerin des Aphrodite.
„Im Mini-Market um die Ecke können sie diese Köstlichkeit hausgemachte erstehen. Noch einen sönen Tag.“ Mit diesen Worten ging Zoi weiter, verfolgt von unzähligen Männerblicken und wandte sich anderen Gästen zu.
5. Unser Held öffnet seine Augen
In dieser Nacht schrak Max plötzlich auf. Er hatte nichts geträumt (der letzte Traum reichte ihm auch für die nächsten Jahrzehnte), trotzdem war er auf einmal hellwach. Hatte er einen Schrei gehört?
Licht fiel durch die Vorhänge in das Zimmer und so konnte er sich einen guten Überblick verschaffen. Er sah die leeren Koffer, deren Inhalte in diverse Kästen geräumt worden waren, er sah die Badesachen, die er und Christine über Nacht zum Trocknen aufs Fensterbrett gehängt hatten. Und er sah all die unnötigen Kleinigkeiten, die das Mädchen, das neben ihm lag und ruhig atmete, nach Anraten von Zoi im Mini-Market gekauft hatte. Darunter waren Bücher von Stephen King, Peter Straub, Dean Koontz und anderen, die Max nicht kannte. Sie hatte etwa einen Jahresvorrat an Sonnencreme gekauft, zwei Taucherbrillen und verschiedenste Zeitschriften, davon die meisten in Sprachen, die sie nicht einmal verstand. Und natürlich Erdbeermarmelade. Haufenweise standen die Gläser, in denen das rote Zeug eingepackt war im Zimmer herum.
In Max Kopf fügte sich kein Bild zusammen, keine Verbindungen zwischen den Ereignissen, keine plötzliche Erkenntnis. Er wusste nur, dass ihm speiübel war und dass er hinaus musste. „Frische Luft schnappen“, so wie Christine eine Nacht zuvor, nur ohne die Anführungszeichen.
Im Garten des Hotels angekommen übergab er sich und Erbrochenes ergoss sich über beinahe die gleiche Stelle, die er die Nacht zuvor im Traum besucht hatte.
„Söne Nacht, nicht wahr?“, sagte eine Stimme, die Max so gut kannte, als wäre es seine eigene. Zoi stand plötzlich vor ihm und wog beim Sprechen ihre Brüste, die er ebenfalls so gut kannte, als wären es seine eigenen. Ihre Nippel standen aufrecht, als begrüßten sie ihn. Max winkte ihnen zu, als sei es in seiner Heimat so üblich, Nippel anderer Frauen zuzuwinken. Jemand klopfte auf seine Finger.
„Die Seherin hat mir nicht gesagt, wie swierig du sein würdest“, sagte Zoi und sah ihm streng ins Gesicht. Max begriff schließlich, was er getan hatte und winkte nun dem ganzen Körper zu.
„Guten Tag“, sagte er, „Tut mir leid, aber ich weiß wirklich nicht wovon Sie sprechen, ich...“, doch irgendwie wusste er, dass die Ich-habe-Sie-noch-nie-zuvor-gesehen-Taktik hier nichts bringen würde.
„Ach, Papperlappe“, sagte Zoi abwertend und machte einen Schritt auf Max zu. Ihre Brüste drückten sich gegen seine, der süße Duft ihres Haares stieg ihm in die Nase und ihre warmen Hände umfassten seinen Hinterkopf. „Du bist der Auserwählte, Max. Daran besteht kein Zweifel.“
Max weigerte sich vehement das alles zu glauben und umfasste abweisend ihre Hüfte und presste sein Becken abwehrend gegen ihres. „Was meinst du mit ,Auserwählt’?“
„Ach dummer, auserwählter Max. Die Zeit wird kommen, da wirst du alles verstehen. Dann werden wir um die ganze Welt herrsen, die Marmelade wird die Seelen der Mensen fangen und unsere Kinder werden mit ihnen spielen. Du wirst der König sein und ich deine gefällige, dir anbetende Königin.“
Max wollte etwas erwidern, vergaß diesen bestimmt dummen Gedanken aber ganz schnell, als Zois Körper seinen hinab glitt, ihre Brüste über seinen Bauch und dann über seinen Schritt strichen und magische Hände ihn verzauberten.
„Und du bist sicher, dass er zuletzt hier war?“, sagte jemand und der Sieg über das Schrecken. Nur noch eine Wirklichkeit, die zu grausam war, um wirklich wirklich zu sein, erfüllte sein Sein.
Max sah einen der Vier und kurz darauf seine Freundin...äh... ach ja, Christine. Sie wirkte blass, was ja eigentlich nichts Ungewöhnliches war, aber diese Blässe unterstrich den Eindruck von Abwesenheit in ihren Augen.
„Ja ja, da war er“, sagte sie tonlos und zeigte auf die Stelle unter ihrem Fenster.
„Das sieht ihn aber gar nicht ähnlich, einfach so zu verschwinden. Und du bist sicher, dass ihr nicht die Nacht miteinander verbracht habt?“
„Wie bitte?“ sagte Christine aufgebracht, verflogen war die drückende Abwesenheit. „Ich hab doch einen Freund!!!“ Ja, so kannte Max seine Freundin: falsch, verlogen und chronisch wütend. Er lächelte. Warum sollte es diesem Studenten auch besser ergehen als ihm.
Da richtete sich Zoi wieder auf und blickte ihm ins Gesicht. Ihre Augen waren tief und weit, wie ein Universum aus Universen. Sie küsste seine Lippen und er spürte ihre Zunge die seine liebkosen. Wieder war seine Freundin meilenweit entfernt, auf irgendeinem Planeten, auf dem sie mit dem Frieden der Menschen das machen konnte, was ein Kind mit einem Ameisenhaufen tun würde, das das erste Mal die Wirkung von gebündelten Licht und trockenen Ästen entdeckte. Mühevoll wie zwei Pole eines Magneten trennten sich ihre Lippen und Zoi sagte noch irgendetwas, das er aber nicht verstand. Er berührte sorgenvoll die Stellen an seinem Körper, die zuvor Zois Gebiet gewesen waren.
Dann hörte er ein Stöhnen und ein Schmatzen, dachte zuerst seine Fantasie hätte Gestalt angenommen, doch dem war nichts so. Seine Augen meldeten nun endlich wieder Signale an sein Gehirn weiter. Doch diese Signale waren alles andere als erfreulich.
Zoi stand keuchend an dem Platz, an dem zuvor Christine und Martin gestanden hatten. Doch von Martin fehlte jede Spur, nur rote Erdbeermarmelade verzierte den Boden. Er wusste, dass es keine Marmelade war, aber sein geschundener Verstand bestand darauf und so ließ er es dabei. Das rote Zeugt tropfte von der Hotelmauer, war etwa zehn Meter hoch gespritzt. Es klebte sogar an Zoi, die es sorgfältig von ihren Klauen leckte. Dabei schlossen sich ihre Lippen um ihre Finger, langsam und zart, so als ob...
„Was denk ich denn da?!?“, herrschte Max seinen Verstand an. „Konzentrier dich endlich, sonst erzähl ich dir das Geheimnis um die Erdbeermarmelade!“ Dann sah er Christine, die reglos an der Mauer lehnte.
„Sie ist tot“, dachte Max und echte, pure Trauer breitete sich wie Rauch in seiner Seele aus und erstickte die Leidenschaft. Er dachte an all die Abende, an denen sie wortlos nebeneinander vor dem Fernseher gesessen waren, dachte an die unzähligen Mahlzeiten, die sie sich Minuten nach dem Essen noch einmal durch den Kopf hatte gehen lassen und an die tausend lieblosen Beweise ihrer gegenseitigen Liebe. Nun war alles aus und vorbei.
Zoi packte Christine an einem Fuß, als sich eine Falltür öffnete und die beiden Frauen, eine gehend, eine mitgeschliffen, darin verschwanden. Kurz bevor sie versanken öffnete die Mitgeschliffene ihre Augen und sah Max an.
„Sie ist gar nicht tot, sie war nur bewusstlos!“ dachte er und dann, mit einer etwas tieferen, etwas heldenhafteren inneren Stimme: „Nun wird es Zeit zu handeln!“
Er musste ihnen folgen, seiner entführten Freundin und dem griechischen, weiblichen und wohl sehr freizügigen Monster, das bestimmt so einige gute Techniken... Max schüttelte den Kopf, um die Gedanken so schwindlig zu machen, das sie von ihm abließen. Er musste ihnen folgen, doch zuvor holte er etwas, ohne das der Kampf gegen die Bestie wohl unvermeidlich scheitern würde: seine Geheimwaffe!
6. Von falschen und von richtigen Entscheidungen
„Erdbeermarmelade?!?“, dachte er vorwurfsvoll, als er den unterirdischen Gang betreten hatte und zum ersten Mal so richtig realisierte, was seine Geheimwaffe wirklich war. „Verdammte männliche Intuition! Und für das habe ich zehn Minuten vergeudet.“
Doch ein Hilfeschrei riss ihm aus seinen Gedanken. Es war Christine die wohl noch immer von dem Monster hinter sich her gezerrt wurde.
Vor ihm breitete sich ein gewundener Gang aus. Die Wände waren rot und es schien, als pulsierten sie. Er kam sich vor, als wäre er eine Samenzelle in einem Scheideneingang, in dem er schwänzelnd ein Ei suchen musste. Doch zum Unterschied dazu hatte er keine Millionen von Freunde. Einer musste reichen.
Max blieb stehen, was ihm leicht viel, schließlich war er noch keinen Schritt in den Gang hineingegangen. Wozu machte er es denn wirklich? Er dachte kurz darüber nach, einfach umzukehren, zum Flughafen zu fahren und einfach ohne Christine wieder nach Hause zu fliegen. Weg mit Beleidigungen und falscher, durch den Alltag grotesk mutierter Scheinliebe. Einfach nur weggehen, das Leben allein bestehen und aus der blinden Abhängigkeit rücksichtsloser Instinkte ausbrechen. Christine schrie am Ende des Ganges, leiser als zuvor. Nun musste er eine Entscheidung fällen, vielleicht die wichtigste seines Lebens. Umkehren oder weitergehen? Tot oder lebendig? Max oder jemand Fremder, den er nicht kannte?
Wieder drang ein wütender, hasserfüllter Klagelaut an sein Ohr. Sein inneres Auge sah Christine, die sich wand und wälzte, um Zois Griff zu entkommen. Max betrachtete das Glas mit Erdbeermarmelade, das er von seinem Hotelzimmer mitgebracht hatte und verstand nun. Endlich war ihm ein Licht aufgegangen, endlich waren seine ewigen Selbstzweifel und endlosen Überlegungen wie aufgelöst und das Vorspiel der Geschichte bäumte sich in ganzer Pracht auf und entpuppte ihre stolzen Kenntnisse eines fantastischen Höhepunkt. Ein Schrei.
„Das schaffst du alleine nicht!“, sagte Max laut und ging zielgerade den Gang entlang. Die Entscheidung war gefallen.
7. Das Blatt wendet sich
Nach etwa zehn Metern war der Gang endlich zu Ende. Den ganzen Weg endlang wunderte er sich über das rote Glimmen, das die Wand selbst auszuscheiden schien, und über die Wirkung, die diese Gegend auf ihn hatte. Er war nicht ängstlich oder gar besorgt über die Geschehnisse, die nun auf ihn einzubrechen drohten. Im Gegenteil, er war sich zum ersten Mal in seinem Leben sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Obwohl er nur ein Mann und seine kräftigste Waffe ein Glas mit Marmelade war, schien es seiner Situation völlig zu genügen. Er war Max, das wusste er nun.
Doch trotz der Selbstsicherheit beeindruckte ihn das, was er am Ende des Ganges sah. Ein riesiger Raum öffnete sich ihm. Das rote Licht schien hier seinen Ursprung zu haben und er fühlte sich erregt, beinahe schon ekstatisch. Er sah einen riesigen Haufen Knochen vor sich. Etwa zehn Meter ragte er empor. Dahinter schrie Christine irgendwo.
Und so bestieg er den Berg. Hätte Max seherische Fähigkeiten gehabt, dann hätte er nun gewusst, dass das die Knochen jener Männer waren, die Zoi zum Opfer gefallen waren. Jener, die ihrem Charme und ihrem Aussehen erlagen und deren Überreste in einem wahnwitzig großen Raum versteckt wurden. Max hatte keine seherischen Fähigkeiten, aber er ahnte, dass es so war. Frauenknochen waren hier nicht zu finden, auch das dachte er sich.
Als er den Berg aus Knochen bestiegen hatte, sah er, was mit den Frauen der Männer geschah. War der Knochenberg schon von beachtlicher Größe, so war der Topf, der sich dahinter befand, kaum vorzustellen. Die Ausmaße waren gigantisch. Ein riesiger Stab, der, so nahm Max an, als Kochlöffel diente und von Zahnrädern angetrieben wurde, hielt das kochende, rote Meer darin in Bewegung. Auf einer Seite des Topfrandes war ein Steg, auf dem einige Frauen reglos hintereinander standen. Wie hypnotisiert starrten sie in die roten Fluten und nach und nach sprang eine nach der anderen in das tödliche Gebräu. Max starrte auf das Glas Erdbeermarmelade, das er noch immer in der Hand hielt.
„Max! Hilf mir!“ schrie Christine und er sah, wie sie über eine Hängebrücke, die als Verbindung zwischen dem Knochenberge und dem Topf diente, gezerrt wurde. Zois Kleid war während ihrem Weg durch den Gang zerrissen worden und eine Brust ragte nackt hervor.
„Endlich bist du gekommen, Max“, flüsterte Zois Stimme in seinem Kopf. „Endlich bist du da, mein König.“
Da gelang es Christine irgendwie sich loszureißen. Wie eine Furie stürmte sie auf Zoi, packte sie am Hals und trieb sie in Richtung des brodelnden Gebräus. Zu überrascht um etwas zu unternehmen, stolperte Zoi rückwärts und wäre das Geländer um den Topfrand nicht gewesen, so wären beide Frauen in den Tod gestürzt.
„Und nun sagst du mir, warum du das tust!“, befahl Christine geifernd und lockerte den Griff um Zois Hals.
„Erdbeermarmelade ist der Slüssel“, sagte sie atemlos und flüsterte gleichzeitig in Max’ Kopf: „So darf es nicht enden, liebster Max.“
Wieder zu Christine sagte sie: „Sie verdirbt den schon verdorbenen Seele der Mensen und macht sie willig. Aber irgendetwas stimmt nicht, Männer reagieren nicht darauf.“
„Dafür reagieren sie auf deine Titten und deinen Arsch umso mehr, nicht wahr?“
Max sah, wie Christine ihre Finger fester um Zois Hals drückte und nun klang auch die Stimme in seinem Kopf so, als würde sie ersticken: „Max, ich liebte dich!“
„Was wolltest du mit mir machen, sag es mir, bevor ich dich töte!“ Christine schien plötzlich sehr mächtig. Das rote Licht spiegelte sich wie Flammen in ihrem strohblondem Haar. Speichel rann ihr übers Kinn. Sie schien erregt zu sein. Das hatte Max schon lange nicht mehr gesehen.
„Ich wollte dich zu Erdbeermarmelade verarbeiten, so wie die anderen auch.“ Zois Stimme brach ab. Ihr Köper schien zu flackern und an fruchtbarer Weiblichkeit zu verlieren. Ihre Augen quollen hervor und ihr Gesicht färbte sich blutrot.
Adern traten an Christines Arm hervor, als sie den Griff um Zois Hals schloss. „Das Spiel ist nun vorbei!“
So schnell kann sich das Blatt wenden.
In Max’ Kopf herrschte plötzlich seltsame Stille. Irgendetwas hatte aufgehört Geräusche zu machen. Irgendetwas, das vorher schon immer da gewesen war und man es deshalb nicht bemerkt hatte, erstarb.
Er umgriff das Glas mit Erdbeermarmelade. Jetzt wurde es aber höchste Zeit dem Spuk ein Ende zu bereiten und zu seiner Entscheidung zu stehen. Er holte aus und warf seine Geheimwaffe in einem hohen Bogen über die beiden Frauen hinweg und hörte ein Blubbern, als es in der roten Brühe versank.
Dann wich der Zauber und die Welt nahm wieder von der Realität Gebrauch.
„Ja, schmeiß das Teufelszeug weg!“, schrie Christine triumphierend. „Vernichte diese Scheußlichkeit.“ Sie machte eine kurze Pause. „Möge es auch noch so gut schmecken und munden. Zerstöre die rote Köstlichkeit die ganz zart auf der Zunge zergeht und im Körper eine wohltuende Wärme verursacht.“ Christine ließ von Zoi ab und legte den Kopf schief, als wäre sie in Trance.
Max spurtete los und lief auf Zoi zu. „Geht es dir gut?“ fragte er und bekam ein Husten als Antwort.
Derweil führte Christine ihren abstrusen Monolog fort. „Weg mit dir, du wunderbarer Gaumenschmaus, der mir die Freunden des Lebens erst so richtig vor Augen führte. Hinfort, du Gabe Gottes.“ Sie bestieg mit hoch erhobenen Armen das Geländer. „Stirb, du ewig währende Freude. Hinab, du emporsteigende Asche, die zum Paradies meiner Libido wurde. Eliminiere dich selbst, du...“ Dann fiel sie. Zumindest ihr Wunsch nach Wärme ging irgendwie in Erfüllung.
Als die Schreie unserer sterbenden Heldin verdunsteten, kniete Max neben Zoi, bedeckte ihre bloße Brust und sagte: „Ich wusste, du schaffst es nicht allein.“
„Oh Max, ich liebe dich.“ Der König und die Königin vereinten sich in der Hitze des roten Glimmern und als Max seine ihm angetraute Königin über den Knochenberg trug, wusste er bereits, was er an dieser Stelle installieren würde.
8. Erdbeermarmelade und Eierspeis (II)
Massige Fettberge wälzten sich über die Erde und versuchten alles zu verschlingen, was sich ihnen in den Weg stellte. Langsam, aber mit tektonischer Sicherheit vernichteten sie all jenes, das das Pech hatte, ein organischen Stoff zu sein und in der Umgebung der Masse aus Schmalz und Öl zu existieren. Bald würde dieses Cholesterin verseuchte Schwarze Loch eine eigene Gravitation besitzen, sodass selbst die Sonne darum kreisen würde. Als Mittelpunkt des Weltalls würde es immer mehr verschlucken um vielleicht in einem zweiten Urknall endgültig alles zu zerstören.
So oder so ähnlich hätte Daniela Walter beschrieben, zumindest wenn sie gewusste hätte, was „tektonisch“ oder „Gravitation“ bedeutete und ihr die grundlegenden Theorien des Weltall von Begriff gewesen wären. Da dies aber nicht der Fall war, drückte sie ihr Missfallen über die Leibesfülle ihres Freundes lediglich in einem Rümpfen der Nase aus.
„Schmeckt dir deine Erdbeermarmelade nicht?“ fragte Walter sie, als die beiden gemeinsam am Frühstückstisch im Hotel Aphrodite saßen und so ihren Urlaub einleiteten. Daniela sah hinab auf ihre Semmel mit dem roten Aufstrich, von der noch kein Stück fehlte und sagte: „Du hast Eierspeis am Kinn.“
Walter grunzte eine verworrene Version von „Dankeschön, Schatz“ und widmete sich weiterhin dem gelb-weißen Fraß. Im Urlaub scheint ihm das Essen also besonders gut zu schmecken, dachte Daniela bei sich und biss in ihre Semmel. Zumindest schmeckte ihr die.
Sie schmeckte ihr sogar sehr. Wenn nicht das Beste in ihrem Leben, dann war sie zumindest das Beste, was ihr seit Jahren passiert war. Hitze stieg in ihr empor und breitete sich wohltuend im ganzen Körper aus. Ihre Handflächen begannen zu schwitzen und ihre Brustwarzen richteten sich auf. Das muss wohl am Klima und der wohlverdienten Entspannung liegen. Walter verschwand. Die Sonne riss sich aus der tödlichen Anziehungskraft.
Daniela sah sich um. Sie erblickte einige schöne Männer im Speisesaal, bei deren Anblick die Hitze in ihrem Körper pulsierend entflammte. Hübsche, braune Gesichter strahlten sie an und sie versuchte zurückhaltend aber doch bestimmt zu wirken.
Dann ging die Tür auf und Gott selbst trat ein. Er hatte die Form eines jungen Mannes angenommen, dessen schlanker Körper und stramme Brust Stärke und Geborgenheit ausstrahlten. Er setzte einen Fuß vor den anderen (welch geniale Art sich fortzubewegen, dachte Daniela) und grüßte während seines Weges durch den Speisesaal einige Gäste.
Daniela presste ihre Oberschenkel zusammen um der Hitze Herr zu werden, doch so ließ sie sich nicht bändigen. Sie atmete tief ein und stieß heißen Atem hervor. Mein Held, dachte sie und wusste im Grunde nicht, wie unrecht sie damit hatte.
Held oder nicht, die Erscheinung kam auf Daniela zu, lächelte sie an und bändigte den Fettberg mit einem einzigen Handgriff.
„Schmeckt Ihnen Ihr Essen?“ fragte Gott und strahlte sie lächelnd an.
Sie wollte etwas erwidern, aber aus den tiefsten Schluchten grölte es: „Danke, die Eierspeis ist vortrefflich!“
Die Realität wandte sich wieder ab und Walter erschien vor ihr. Mit vor Fett triefenden Kinn blickte er zu dem Mann, der der Hotelmanager zu sein schien, empor.
„Das muss wohl an den Eiern liegen“, sagte dieser und zwinkerte Daniela zu. Mit diesen Worten erklomm die Hitze wieder ihrem Schoß. Sie lächelte noch als der Manager schon gegangen war.
„Der gefällt dir wohl“, geiferte Walter vorwurfsvoll.
„So ein Blödsinn“, sagte Daniela hasserfüllt zu dem Fettmassiv, schob ihren Rock zurecht und machte den letzten Biss von ihrer Erdbeermarmeladesemmel.
„Dir sollten deine Eier abgeschnitten werden und selbst zu Eierspeis verarbeitet werden“, wünschte sie sich insgeheim und wusste im Grunde gar nicht, wie recht sie damit hatte.