Groundhell Day
„Willkommen in der Hölle.“
Nein, es handelte sich nicht um die profane Äußerung eines pubertierenden Teenagers oder die eines suizidgefährdeten Teilzeitzynikers in einem mehrfach geteilten pathetischen, nullachtfünfzehn Videoblog im Word Wide Web.
Otto wurde lediglich von dem Touristenführer, der sich nur als Kappa H vorstellte, in Sektor 1 des Infernalischen Museums der Neogalaxie 2.0 in Empfang genommen. Kappa H wirkte auf den ersten Moment sehr schleimig.
Das Wort „schleimig“ bezog sich dabei nicht auf die Artikulationsweise des kleinen gelben Wesens, das lediglich aus einem Rumpf, welcher augenscheinlich nicht mehr als eine überdimensional große Iris war, aus zwei Beinen, sowie aus einem zwei Meter langen, schuppigen und phallusartigem Stachel bestand. Viel eher war mit diesem Wort das eitrige, grüne Sekret, welches Kappa H bei jedem seiner Schritte aus seinem Schwanz aussonderte, gemeint. Sein Stachel war länger als der skurrile Touristenführer selbst und so verwunderte es nicht, dass Kappa H seinen Schwanz bei jedem seiner Schritte behäbig hinter sich herzog.
„Und wer sind Sie alle?“, fragte Kappa H, der ungefähr halb so groß war wie Otto.
Otto, der erst in diesem Moment den stark ausgeprägten sächsischen Dialekt des Wesens bemerkte, drehte sich um und zeigte auf die vier jungen Männer und drei jungen Frauen, die hinter ihm standen.
„Wir sind Terraristen. Mein Name lautet Herr Prof. Dr. Otto Krüger und das hier ist der sogenannte Vorbereitungskurs der Jahrgangsstufe 12 für interessierte Studenten im Fach Praktische Philosophie, Modul: Karma und seine Konsequenzen aus Bielefeld. Wir nehmen an dem Schulprogramm Brücken in die Unterwelt 2666 teil, um die Schülerinnen und Schüler des philosophischen Humboldt Gymnasiums auf ihre Zukunft beziehungsweise auf das ihnen bevorstehende Leben in der Hölle vorzubereiten. Vielleicht kann diese Maßnahme bei einigen noch präventiv wirken. Dies ist zwar bei dem Klientel unserer Schule unwahrscheinlich bis gar utopisch. Dennoch hoffen unsere Direktoren und die Universitätsleitung immer noch, dass eventuell ein bis zwei von ihnen zu retten seien. Übrigens, Brücken in die Unterwelt wird gesponsert von Bridge Industries, der irdischen Superbrowser GmbH und Sie können sich sicherlich schon vorstellen wofür das H steht. Bridge Industries ist allwissend und einfach nur höllisch gut.“, sagte der kleine und dürr wirkende Mann mit einem verschwitzten und erwartungsvollen Grinsen.
„Aha. Wie witzig! Leider habe ich bei diesem Monolog irgendwann abgeschaltet.“, sächselte Kappa H emotionslos. „Muss ja die Hölle auf Erden sein, wenn man alles weiß und dennoch niemand interessiert ist. Das ist doch bestimmt Alltag Ihres Berufes? Sie sind ja fast in einer ähnlichen Lage wie ich, nur dass ich weitaus attraktiver bin.“
Otto wirkte gekränkt, entgegnete aber nichts. Nach einem Moment peinlicher Stille fuhr Kappa H fort.
„Ihr seid also die anstrengenden Terraristen, vor denen ich gewarnt wurde. Ich verstehe! Euer Anblick ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber na gut. Niemand hat gesagt, dass der Job als Museumsführer ein paradiesisches Vergnügen sei.“, entgegnete Kappa H mit einem sterilen Lachen, dessen Stimme bis auf den Dialekt an eine Computerstimme erinnerte, die semiprofessionell programmiert worden war.
Einen Mund suchte Otto bei Kappa H, der seine bauchrednerischen Fähigkeiten demonstrierte, vergeblich.
„Als kleine Einstimmung kann ich Ihnen schon einmal eines verraten: Für jeden bedeutet die sogenannte Hölle etwas anderes. Es gibt verschiedene Definitionen, die Sie heute kennenlernen werden.“, sagte Kappa H.
Er betrachtete die Gruppe der Schüler und Schülerinnen etwas intensiver.
„Wenn ich euch so angucke…dann ist das unkomplexe 3- Stufenmodell die einfachste Methode, um Terraristen, von eurer Sorte, eine Vorstellung der Hölle zu vermitteln. Bitte folgen Sie mir Terrarist Krüger.“
Während die Gruppe der Anweisung von Kappa H nachkam, bemühte Otto sich, nicht auf der Schleimspur des knallgelben Wesens auszurutschen. Hinter sich vernahm Otto das Geräusch mehrere kleiner Golfwagen, doch er war aus irgendeinem Grund nicht in der Lage sich umzudrehen und seine Situation wahrzunehmen.
Die Gruppe hielt nach wenigen Metern vor einer verspiegelten Zelle, deren Höhe und Größe klein, aber zur selben Zeit auch unendlich wirkten.
„Bitte zurücktreten.“, sagte Kappa H und positionierte sich drei Schritte vor der Zelle. Anschließend hörte man ein motorähnliches Geräusch ehe ein grelles Licht, das aus Kappas Auge stammte, die Zelle wie bei einer Diashow völlig beleuchtete.
Otto blickte zunächst auf Kappas zum Scheinwerfer umfunktionierte Iris. Als er sich anschließend zur Zelle drehte, erschrak er, als er bemerkte, wie ein Wesen direkt hinter der Scheibe stand und ihn beobachtete.
„Oh mein Gott! Was ist das?“, schrie Otto und sprang einige Schritte zurück.
„Contenance! Das hier ist immer noch ein Museum. Solch ein obszöne Sprache ist hier nicht gestattet!“, sagte Kappa H mit mahnender Stimme.
„Entschuldigung! Ich habe mich nur vor diesem… Ding erschrocken.“
Otto blickte die Kreatur an, welche einen wolfsähnlichen Körper mit grauem Fell besaß. Das längliche Gesicht bestand aus sechs horizontal und sechs vertikalen, gelblichen Augen, deren Anordnung die Form eines Kreuzes ergab. Blauer Speichel tropfte aus dem großen Maul der Kreatur, die ihre Augen die ganze Zeit geöffnet hielt und jeden Atemzug von Otto zu beobachten schien.
„Das hier…das sind sogenannte Carnipathen. Carnipathen sind soziophatische, sadistische Raubtiere und zählen zur Gattung der Cerberischen Alphatierklasse. Neben dem Fleisch ihrer Beutemenschen benötigen sie ebenso die Angst ihrer Opfer, um überleben zu können. Studien haben gezeigt, dass alle Cerberer langsam sterben, wenn ihr Umfeld keine Angst empfinden sollte. Diese begabten und intelligenten Alleskönner werden ungefähr so groß wie zwei ausgewachsene Terraristen.“
Otto schaute sich das Exemplar noch weiter an. Das graue Fell bestand aus blutigen, verklebten Spitzen. Ein beißender, nach Verwesung riechender Geruch durchdrang die Zelle und stieg in Ottos Nase auf. Otto, der einmal kurz aufstieß, lauschte anschließend weiter gebannt den Worten Kappas.
„Anstelle von vier Pfoten, wie die Lebewesen auf dem Planeten Terra, besitzen Carnipathen lediglich vier messerscharfe Klingen, die sie bei der Fortbewegung in den Boden rammen. Diese Klingen haben die Präzision eines Lasers und sind in der gesamten Neogalaxie 2.0 einzigartig. Betonung. Betonung auf ARTIG.“, wieder ertönte das sterile Lachen Kappas, dessen prägnante Computerstimme mehrmals staccatoartig lachte, ehe sie fortfuhr.
„…Carnipathen jagen im Rudel und wenn Sie genauer hinschauen, sehen Sie, dass hinter dem Exemplar an der Scheibe weitere Carnipathen mit einem ihrer Opfer spielen.“
Otto ging ein paar Schritte zur Seite, während der eine Carniphat sich immer noch nicht von der Stelle rührte und Otto mit jedem seiner zwölf Augen fixierte. Nun erkannte Otto einen Monitor über der Zelle, der plötzlich aufgetaucht war. Auf dem Monitor waren Kameraaufnahmen aus dem Gehege zu sehen. Er zeigte vier weitere Exemplare dieser Kreaturen. Langsam zoomte die Kamera näher heran. Man sah einen weiteren Carnipathen, der deutlich kleiner war als der Rest der Gruppe. Er war irgendwie anders und jaulte hämisch. Es schien so als ob er lachen würde, als er in sitzender Position immer wieder in feinster Präzision mit seiner Klinge auf ein Objekt einstach.
Langsam vernahm Otto ein Schreien.
„Ein Baby. Das ist ein Baby!“, flüsterte Otto aufgeregt.
Als die Kamera noch näher heran zoomte sah Otto einen Säugling, der auf einer Klinge der Kreatur lag. Die Klinge bohrte sich immer langsamer in den Körper des Neugeborenen.
„Richtig. Sehen Sie denn auch die Mutter?“, fragte Kappa H.
Otto verstand nicht. Er schüttelte mit dem Kopf. Erst als die Kamera umschwenkte verstand er, was Kappa H meinte. Zwischen den anderen drei Carnipathen erblickte er ein weibliches Gesicht. Mehr war allerdings zunächst nicht zu sehen.
„Da fehlt doch was!“, schrie Otto entsetzt.
„Ruhe hier!“, mahnte Kappa H. „Ich darf doch bitten! Bewahren Sie Ihre Contenance.“
Der Körper der Frau bestand hauptsächlich aus ihrem Rumpf und dem Kopf; sämtliche Gliedmaßen bis auf einen Arm, fehlten. Als das Baby erneut schrie, hörte Otto ein weiteres Brüllen der gleichen Frauenstimme.
„Lasst mein Kind in Ruhe, ihr Monster! Bitte! Hört doch endlich auf!“
In diesem Moment schoss ein Grinsen in das Gesicht jener Kreaturen. Einer von ihnen holte weit mit seiner Klinge aus und trennte in einem Ruck den verbliebenen Arm der Frau ab. Die Frau schrie vor Schmerz. Die anderen zwei Wesen verschlossen mit ihren Klingen und genügend Verbandzeug die Wunde der Frau, die neben ihrem Gesicht nur noch aus ihrem Rumpf bestand. Ihr Rumpf zappelte hin und her.
Anschließend teilten die Carnipathen die Gliedmaßen der Frau in fünf gleichgroße Stücke auf und befeuchteten diese mit ihrem Sabber, während sie dabei minutiös die Frau beobachteten und ihr lüsternd in die Augen schauten. Alle Carnipathen, bis auf derjenige, der Otto weiterhin beobachtete, rochen genüsslich an den Gliedmaßen, ehe sie auf ein gemeinsames Kommando hin, begannen die Fleischstücke zu verspeisen.
„Bah. Was machen die da?“, fragte Otto.
„Sobald die Terraristenfrau auch nur einen… wie sagt man auf Terra, ich glaube es heißt Mux… von sich gibt…, dann schneiden sie ihr ein weiteres Körperteil ab. Um dieses zu provozieren, foltern sie ihr Neugeborenes. Da ist ihr taktisches Vorgehen, typisch für die intelligenten Cerberer. Das klingt doch plausibel oder nicht? Sie ergötzen sich an dem Leid der Frau. Die Frau weiß genau was ihr blüht, sollte sie Gefühle für ihr Kind demonstrieren. Außerdem…“
In diesem Moment schrie das Baby erneut und unterbrach die Ausführungen von Kappa. Die Kamera zoomte auf das Gesicht der Frau. Tränen schossen ihre Wangen herunter. Als die Klinge des Carnipathen in das Auge des Babys stach erschrak Otto und zuckte zusammen.
„Neeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeein!“, brüllte die Mutter.
Otto sah auf die beiden Carnipathen, die seitlich von der Frau standen und ihrem Rudelmitglied in diesem Moment zunickten. Ehe Otto sich versah rollte der abgetrennte Kopf der Mutter vor die Scheibe. Ihre leblosen, weit geöffneten Augen schauten direkt in Ottos Richtung. Das Schreien des Kindes war verstummt. Otto musste sich fast übergeben. Mehrmals würgte er heftig.
„Herr Krüger. Stellen Sie sich doch bitte nicht so an. Das ist doch voll lahm. Das gibt es auf youpuke.com täglich zu sehen. Carnipathen sind doch von vorgestern. Voll yesterday.“, sagte eine Schülerin, deren Gesicht komplett mit chinesischen Schriftzeichen tätowiert war, ohne Otto dabei anzuschauen. Sie blickte nur starr auf ihren Arm.
„Ja echt, ey. Komm mal klar, Alter! Das schockt nicht mal meine Urururoma, die bei uns lebt!“, sagte Sandro Meyer, der in diesem Moment nur auf das Display seines Smartphones schaute und über ein lustiges Katzenvideo lachte.
In diesem Moment ertönte ein schriller Alarmton. Otto wurde hektisch und schaute sich um.
„Was ist passiert? Was ist das?“
„Öhm. Jemand hat wohl die Tür zu dem Carnipathengehege aufgelassen. Sie sind verschwunden, weg.“
Otto schaute auf die Scheibe. Das Wesen, das ihn die ganze Zeit an der Scheibe beobachtet hatte, war nicht mehr zu sehen.
„Hoppala. Ich glaube wir sollten nun weitermachen. Kommen wir nun von Stufe 1, Angst vor Schmerz, Verlust und die absolute Machtlosigkeit, zu Stufe zwei!“, sagte Kappa H unaufgeregt.
Otto schaute sich noch länger nervös nach den Carnipathen um. Seine Schüler hingegen wirkten emotionslos. Die Gruppe folgte Kappa. Nach nur drei Metern, die für Otto endlos wirkten, waren sie an der nächsten Zelle angekommen.
„Die nächste Stufe hat es in sich. Bitte nicht vomieren! Wir haben gerade erst renoviert!“, sagte Kappa, während Otto auf den eitrigen Schleim unterhalb des Schwanzes von ihm schaute und angeekelt aufstieß.
Wieder beleuchtete Kappa mit seinem Auge die Zelle. Diesmal gab es keine Kameras und keinen Monitor. Otto fühlte sich, als sei er direkt in dem Raum, direkt mittendrin. Als Otto sich konzentrierte sah er einen kleinen Jungen, der einsam in seinem Bett seines Kinderzimmers lag.
„Es tut mir leid, Kleiner. Mama kommt heute etwas später. Sie muss noch arbeiten.“
Ein erwachsener Mann stand vor der Türschwelle und trat in das offene Zimmer herein.
„Du weißt was das heißt!“ Der Junge wirkte traurig. Er nickte geschockt mit dem Kopf. Nach kurzer Zeit, fing er ein paar Tränen zu vergießen, gegen die er vergeblich angekämpft hatte.
„Aber, aber, aber… sie hat es dochversprochen.“
„Ja, ich weiß, aber ich, ich bin immer für dich war. Ich bleibe heute Nacht bei dir. Wir kuscheln zusammen.“
Otto stockte der Atem, als er ein kreisrundes Muttermal unter dem linken Augen des Jungen entdeckte.
Der Junge schien sich nicht zu freuen. Er stülpte seine Disney-Allstars-Bettwäsche über seinen Kopf während sein Vater sich zu ihm ins Bett legte. Nach wenigen Minuten zog der Vater seine Hose aus und schmiss sie neben das Bett. Beide Körper verschwanden unter der Bettwäsche.
Der Film lief weiter. Ottos Gedanken wichen jedoch ab. Er schaute nur noch auf die Glasscheibe, die sein Spiegelbild reflektierte. Er hatte nicht bemerkt wie eine Träne aus seinem linken Auge schoss und über sein Muttermal floss.
Mittlerweile war eine weitere Szene zu sehen in der derselbe Junge nervös ein Referat vor einer Schulklasse hielt und sich ein Fleck auf seiner Stoffhose bildete. Alle Schüler lachten und der Junge verließ weinend den Klassenraum. Über die blauen Flecken in seinem Gesicht schwieg man, aber nicht über den Fleck auf seiner Hose.
„Halt! Ich kann nicht mehr! Was soll das? Das ist doch schon ewig her! Aufhören“, schrie Otto. Wütend trat er im Affekt auf den Schwanz von Kappa, der ein bläuliches Sekret absonderte.
„Aua!“, brüllte Kappa und unterbrach die Vorstellung. „Ich wusste, dass dieser Beruf nicht das reinste Zuckerschlecken ist, aber die Bezahlung ist echt ein verdammter Witz, wenn ich mir so etwas bieten lassen muss. Das ist hier ja die reinste Hölle! Contenance!“
Otto schaute Kappa wütend an. Dieser blinzelte mehrmals mit seinem Auge und stotterte leicht erregt.
„Öhm. Na gut. Ich glaube Stufe 2 sollte für den Moment reichen. Die guten alten Familiengeheimnisse, furchtbare Erinnerungen, gesellschaftliche Isolation und endlose Scham. In Kombination mit den Carnipathen wirkt diese Stufe schon wie ein Alptraum und kann schockieren.“, sagte Kappa H mit einem Augenzwinkern.
Otto drehte sich erschöpft um und blickte auf seine Schüler, die weiterhin gelangweilt auf ihre Smartphones starrten und die Vorstellung kaum verfolgt hatten.
„Ähm ja. Es wäre schön zu wissen, wenn immer alle einem zu hören würden. Oder nicht, Herr Terrarist Krüger? Sie kennen das doch. Ein Beruf, der die reinste Hölle ist, in Kombination mit fehlender Beachtung…“ Kappa H pausierte kurz. „Na gut. Kommen wir nun zur letzen Stufe. Die Schlimmste von allen.“
Kappas Worte trafen Otto. Dieser hatte Mühe Kappa H zu folgen. Jeder Schritt wirkte erneut endlos und kräftezehrend. Der Boden vor ihm schien zu verschwimmen, sich aufzuteilen und sich dann wieder zusammenzufügen. Nach wenigen Zentimetern hatte die Gruppe die nächste Glaszelle erreicht.
„Na wie gefällt Ihnen das Raum-Zeit-Gefüge hier?!“, fragte Kappa H
Während Otto nach einer treffenden Antwort suchte, fuhr Kappa H sofort fort.
„Sind alle da?“
Otto schaute sich um. Seine Klasse war komplett. Das dachte er zumindest. Genau wusste er es nicht mehr. Er japste und nickte erschöpft.
„Also gut. Wie immer gilt: Bitte nicht vomieren. Bewahren Sie die Contenance. Es wird heftig. Film ab.“, sagte Kappa H.
Otto schaute auf einen Monitor. Es dauerte einige Sekunden bis der Film los ging. Die ersten Bilder waren verschwommen. Er erkannte langsam mehrere Personen. Otto sah eine Gruppe von übergewichtigen jungen Menschen, die so fettleibig waren, dass sie sich nur in kleinen Golfwagen fortbewegten, die ihr Gewicht kaum transportieren konnten. Die Motoren qualmten. An ihren ganzen Körpern schwitzten die jungen Menschen und sie keuchten bei jedem ihrer Worte. Einige der jungen Leute kommunizierten nicht untereinander. Sie schauten nur apathisch auf ihre Arme, in deren Innenflächen Smartphonedisplays eingebaut waren, auf diese sie fokussiert starrten. Der Rest von ihnen trug eine 4D- Brille, die direkt mit ihren Gehirnen verbunden war.
In ihren Golfwagen waren kleine Minikühlschränke eingebaut. Erst jetzt sah Otto die große Anzahl von Kabeln und Schläuchen, die den Kühlschrank mit den Körpern der jungen Menschen verbanden.
„War das alles eben schon da?“, fragte sich Otto.
Eine dickflüssige Substanz Körper floss in diesem Moment in ihre Körper. Auf den roten Kühlschränken thronte ein großes gelbes M.
Otto blickte sich weiter um. Überall in dem Raum waren Werbetafeln installiert, die dutzende Meldungen ausstrahlten. Berichte über neue Kriege in Ostayern und Terroranschläge in Nordberlin. Die Jugendlichen schauten jedoch nur auf ihre Displays, wo sie unterhaltsame youpuke-Videos schauten. Ihre Umwelt nahmen sie nicht mehr war. Ihre Clips wurden lediglich von kleinen Werbeblöcken unterbrochen.
„Aspirin- Geht in den Kopf“, rief eine halbnackte Frau aus der Werbung.
„Bridge Industries- Wir bringen euch überall hin!“, sagte eine seriöse Männerstimme.
Ein kleiner dürrer Mann rannte plötzlich in der Zelle aufgeregt umher und versuchte die Aufmerksamkeit der Jugendlichen auf sich zu lenken, doch keiner nahm ihn war. Er zeigte wild gestikulierend mit seinen Fingern auf die Nachrichten auf den Fernsehern und schrie herum.
„Guckt doch. Schaut doch her. Ich habe euch was zu erzählen! Seht ihr das nicht?“
„Jaja. Ich habs gehört. Krieg? Glauben Sie nicht, dass so etwas bei uns erscheinen würde, wenn das tatsächlich stimmen würde? Hier steht doch nichts! Wir sind mit der ganzen Welt verbunden und wissen was wirklich abgeht. Das ist bestimmt nur fake.“
„Herr Otto ey, TV ist doch altmodisch und überholt, so wie diese alten Tablets aus Papier ohne Internetzugang, die in ihrer Wohnung stehen. Sie sind so offline, Sie Opfer.“
In diesem Moment schaute Otto sich um. Er nahm seine Brille ab und fühlte über die Druckstellen an seinem Augen. Mit seinen Daumen massierte er sich seine Schläfen. Es half nichts. Seine Anspannung wuchs stattdessen. Wütend rannte er zu einem seiner Schüler und riss ihm die Schläuche aus den Venen. Die dickflüssige Suppe sammelte sich in dem Golfwagen, doch der Schüler, lachte nur über eine Katze, die Wollknäuele jonglierte und simultan Einrad fuhr und anschließend mit einem grünen Hausschwein kuschelte, das ein rosa Tutu trug.
„Was geht hier vor sich?“, schrie Otto. „Nein. Nein. Nein!“ rief er entsetzt. Er rannte weiter und stolperte über einen Grabstein, der plötzlich aus dem Boden sprießte. Seine Brille fiel herunter. Als er die Brille mit dem verbogenen Bügel wieder aufhob und aufsetzte las er durch das brüchige Glas eine Aufschrift.
R.I.P
Dr. Lit. Era Ture
Otto versuchte weiter zu rennen. Seine Fluchtbemühungen wurden abrupt unterbrochen als er mit dem Kopf gegen eine Glasscheibe rannte und zu Boden stürzte.
Erst jetzt wusste er es genau.
„Das auf dem Monitor sind… wir… Hilfe! Hilfe! Lasst mich hier raus. Hilfe! Sofort!“
„Contenance. Das hier ist immer noch ein Museum! Contenance. Bitte bewahren Sie die Contenance. “, schrie Kappa H wütend. „Aber ich kann Sie verstehen, Herr Terrarist. Stufe 3 ist die schlimmste von allen. Gleichgültigkeit und Sinnlosigkeit. Wenn man eigentlich schon lange tot ist und es nicht mal mehr merkt. Wenn man alles hat und dennoch vollkommen abgestumpft und leer ist. Wenn man gar nichts hat, um das man fürchten kann und jeden Tag aufs Neue in einem sinnlosen Beruf stirbt. Schüler, die einen nicht wahrnehmen. Geplatzte Träume, die man ignoriert und dennoch von der Umwelt irgendwie am Leben gehalten wird. Das ist für viele die einzig wahre Hölle!“, sagte Kappa H.
Zwei Smartphones, die die Form eines Horns hatten, schossen plötzlich seitlich aus Kappas Kopf. Anschließend fing Kappa mit tiefer Stimme an, diabolisch zu lachen, während sein Schwanz sich langsam erigierte. Kappa fuhr fort.
„Wenn man dem Teufel tagtäglich begegnet, fast schon über seinen Schwanz stolpert und man nicht merkt, dass man sich schon längst verloren hat. Dieser Wahnsinn ist typisch für euch Terraristen. Blinder Masochismus; die tägliche Vergiftung des eigenen Körpers. Und zur selben Zeit denkt ihr, ihr wäret gebildet und allwissend.“
Kappa H lachte immer weiter. Otto schaute sich nervös um. Er erschrak. Der geflohene Carniphat tauchte plötzlich vor ihn auf. Er fixierte mit seinen Augen Ottos Gesicht. Dann blinzelte er und stürzte sich ohne Vorwarnung auf Sandro Meyer und knabberte nun an dessen Bein. Sandro, begann erst nervös zu schreien, als die Kreatur, seinen Arm abschnitt und dadurch die Internetverbindung kappte.
Otto wollte fliehen, doch er blieb wie verwurzelt stehen. Kappas Lachen wurde immer intensiver und so laut, dass die Köpfe von Ottos restlichen reaktionslosen Schülern der Reihe nach platzten und deren Blut auf Ottos verbogene Brille spritzte. Er selber merkte wie sein eigener Kopf immer lauter hämmerte und seine Schläfe zu explodieren drohte. Sein Schädel wurde immer größer und schien abzuheben.
Schweißgebadet wachte Otto auf. Die ersten Sonnenstrahlen drangen in sein Zimmer. Sein Puls raste immer noch. Panisch blickte der zierlich wirkende Mann unter seine Bettdecke.
„Keine Carnipathen zu sehen…“. Er atmete nervös und beruhigte sich erst nach mehreren Minuten. „Nie mehr Chili con Carne und einen The Walking Dead- Marathon am selben Abend. Nie nie mehr! Alles was ich hasse, in einem Traum. Das Schlimmste, das mir passieren konnte. Was für eine Nacht!” blubberte Otto vor sich her. Er blickte auf seinen Wecker.
„6.00.“
Vorsichtig stand er auf und trottete zu seinem Tablet, das auf seinem Schreibtisch stand. Überall in seinem Zimmer standen Bücher und alte Sammelbände.
„Mal sehen was heute ansteht.“, sagte er.
Zuerst fand er eine noch nicht geschlossene Excel- Tabelle auf seinem Tablet vor. Die Überschrift der Datei lautete: „Meine Löffelliste: 101 Dinge, die ich getan haben sollte, bevor ich sterbe“
Otto inspizierte kurz die Liste. Hinter jedem Punkte war das Wort FAIL geschrieben.
1. Ein Buch schreiben FAIL
2. Dafür sorgen, dass Mimi sich in mich verliebt FAIL
3. Alle Länder der Welt bereisen FAIL
4. Papa werden FAIL
5. Tauchen gehen FAIL
6. Aufmerksamkeit und Respekt erlangen FAIL
7. Glücklich sein FAIL
8. Alle Bücher in meinem Zimmer lesen FAIL
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Traurig schloss er nach den ersten Punkten die Datei und suchte nach dem Programm für den anstehenden Tag. Mit seinem Finger scannte er auf dem digitalen Kalender seines Bridge Industries- Tablets nach dem aktuellen Tag, während im Hintergrund das Lied „I got you Babe“ von Sonny und Cher auf seiner Playlist ertönte.
„Ach hier ist es. Ausflug ins Museum mit Klasse 12/ Brücken in die Unterwelt.“
Otto wirkte zunächst geknickt, als er den Tag auf dem Kalender gefunden hatte.
„Melden soll ich mich bei K. H.“ Er seufzte kurz, ehe er wieder etwas vor sich her brabbelte. „ Naja. Was solls?! Lust habe ich auf die Schwachmaten eigentlich keine, aber ich muss los, bevor ich zu spät komme. Ich bin nun einmal das geworden, was ich nun bin!“