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Großvaters Erbe
„Großvater, darf ich dich was fragen?“
„Natürlich, mein Kind. Was bedrückt dich?“
„Ich habe letzte Woche zufällig Oma und Mama von dir reden hören. Sie sprachen darüber, dass du mal einige Jahre verschwunden warst und niemand weiß wo du damals warst. Stimmt das?“
„Ja, das stimmt mein Junge. Und du möchtest wissen wo ich war?“
„Würdest du es mir erzählen?“
„Natürlich, du weißt doch, dass du mein Lieblingsenkel bist, oder nicht?“
„Ja, das weiß ich.“
„Du musst aber dieses Geheimnis für dich behalten. Versprichst du mir das?“
„Indianerehrenwort!“
„Gut. Lass uns eine Runde durch den Garten gehen.“
„Weißt du wie alt unser Haus ist? “
„Nein Großvater.“
„Es wurde im Jahr 1603 erbaut.“
„Das sind ja mehr als 400 Jahre!“
„Genau. Doch das ist nicht das Außergewöhnliche an diesem Haus.“
„Nein? Was ist so besonders an dem Haus?“
„Früher, da lebte ein Zauberer in diesen alten Gemäuern.“
„Ein Zauberer? Du willst mich wohl veralbern? Ich bin schon neun Jahre alt. Ich glaube nicht mehr an Zauberer und Drachen!“
„He-he, aufgeweckt wie immer, mein Kleiner. Das mit den Drachen ist eine ganz andere Geschichte doch an Zauberei solltest du glauben.“
„Ich weiß nicht...“
„Warte auf das Ende der Geschichte und urteile dann selber. Einverstanden?“
„Ja, gut. Aber wenn du mich reinlegst, dann glaube ich dir nie wieder.“
„Ich verspreche dir, dass alles, was ich erzähle wahr ist.“
„Okay... Und wie hieß der Zauberer?“
„Sein Name war Holin. Holin der Wunderliche wurde er früher genannt. Er war ein großer Denker und ein toller Erfinder. Und ein sehr mächtiger Zauberer.“
„Warum wurde er 'der Wunderliche' genannt?“
„Nun ja, früher, da waren die Menschen allem was neu war mit Argwohn gegenüber gestanden. Vor Dingen, die sie nicht kannten, hatten sie Angst und machten einen großen Bogen um Leute, die sich mit solchen sonderbaren Themen beschäftigten. Die Leute wunderten sich über viele Sachen, die Holins Erfindungsgeist hervorbrachte. Er hatte viele Maschinen gebaut, die den Menschen das Leben leichter machen sollten und er hat viele Bücher geschrieben, die ihrer Zeit sehr weit voraus waren. Er war regelmäßig bei dem Fürsten und präsentierte seine Erfindungen und zeigte auf, welche Erleichterungen die Bewohner des Reiches durch diese Erfindungen hätten. Doch der Fürst war ein dummer und arroganter Mensch. Er tat den Zauberer als Spinner ab und verbot den Burgwachen Holin herein zu lassen. Doch Holin gab nicht auf. Woche für Woche ging er auf den Marktplatz und sprach zu den Bürgern der Stadt. Doch auch diese verstanden ihn nicht und machten sich über Holins Visionen lustig.“
„Bei mir in der Schule ist auch ein Junge. Er weiß ein ganze Menge, wird aber von den anderen gehänselt und alle machen sich über ihn lustig.“
„Genau so war es auch Holin ergangen. In diesem Punkt hat sich in den letzten Jahrhunderten nicht viel geändert.“
„Warum sind manche Menschen so, Großvater?“
„Möglicherweise haben sie Angst vor allen, die schlauer sind als sie. Und um ihre Angst zu verstecken, ärgern sie die Klügeren.“
„Aber das ist nicht fair.“
„Das stimmt, deswegen tue immer das, was du für richtig hältst und überdenke die Meinungen anderer. Mache dir deine eigenen Gedanken und suche deine eigenen Wahrheiten.“
„Wie ging es dann weiter mit Holins?“
„Er versuchte die Menschen aufzuklären. Er setzte sich für die Schwachen ein und wollte das Leben der Armen leichter machen. Doch das gefiel dem Fürsten nicht. Der Fürst wollte, dass die Armen arm bleiben und dass alle nur für seinen Reichtum arbeiteten. Holin war der Meinung dies wäre falsch und wollte das dem einfachen Volk klar machen.
Eines Nachts schickte der hinterhältige Fürst seine Stadtwache aus um Holin in seinem eigenen Haus zu verhaften und für immer in einen dunklen Kerker zu werfen. Doch zum Glück hatte der Zauberer bei den Wachen einige Anhänger und so wurde er frühzeitig gewarnt. Als die Stadtwachen schließlich an Holins Haus ankamen, war Holin verschwunden. Sie durchsuchten das ganze Anwesen, doch nirgendwo war auch nur eine Spur zu finden. Seit dem blieb der Zauberer verschwunden.“
„Das ist eine sehr schöne Geschichte. Aber woher weißt du soviel über Holin?“
„Dies ist leicht zu beantworten, ich traf Holin persönlich.“
„Großvater, du hast mir versprochen nicht zu flunkern. Holin kann doch gar nicht mehr am Leben sein. Es ist schon viel zu lange her!“
„Du vergisst, dass er ein Zauberer war.“
„Können Zauberer wirklich über 400 Jahre alt werden?“
„In dieser Welt nicht, wohl aber woanders.“
„Und wo ist diese andere Welt?“
„Sie ist ganz nah, doch gut versteckt.“
„Warst du dort?“
„Ja, ich besuche Holin ab und zu.“
„Ist er immer noch in dieser Welt.“
„Das ist er. Und er freut sich immer über Gäste.“
„Nimmst du mich das nächste mal mit?“
„Ich werde es tun. Du bist alt genug um Holin kennen zu lernen.“
„Das ist toll, Großvater! Wann gehen wir hin?“
„Deine Mutter und Oma sind vorhin in die Stadt gefahren. Normalerweise bleiben Sie stundenlang weg. Das heißt, wir haben etwas Zeit um dich Holin vor zu stellen. Wenn du also magst, können wir ihn gleich besuchen.“
„Gerne. Lass uns gehen. Ich bin so aufgeregt. Wie kommen wir dahin?“
„Du kennst doch das alten Kellergewölbe unter dem Haus?“
„Ja!“
„Wusstest du, dass sich hinter den Regalen mit dem ganzen alten Zeugs eine Geheimkammer befindet?“
„Nein, natürlich nicht!“
„Dann folge mir in Holins geheime Werkstatt.“
„Lasse uns erst einmal dieses Regal ein Stück nach vorne ziehen... So, zwei Steine von unten und vier von rechts. Lege deine rechte Hand an diese Stelle.“
„Hab ich.“
„Und nun drücke mit der linken Hand auf diese Erhebung.“
„Ist getan... Großvater, der Felsen bebt.“
„Siehst du wie sich der Stein zur Seite bewegt.“
„Ja, ein Durchgang öffnet sich. Aber es ist so dunkel dahinter.“
„Keine Angst, mein Junge, sobald man den Durchgang betritt, gehen magische Lichter an. Soll ich vorgehen.“
„Nein. Ich gehe vor. Ich habe keine Angst vor der Dunkelheit.“
„Ich habe nichts anderes von dir erwartet.“
„Es wird wirklich hell. Diese leuchtenden Kugeln dort an der Wand geben blaues Licht. Es pocht und pulsiert dadrin, so als wäre das Licht lebendig.“
„Das erste mal, als ich hier war, ist mir genau das gleiche aufgefallen. Als ich Holin nach dem Geheimnis der Lampen fragte, erzählte er mir, dass in jedem dieser Kugeln ein Irrlicht wohnt. Sobald sich jemand in dem Raum bewegt, werden die Irrlichter wach und fliegen hin und her. So erzeugen sie dieses Leuchten und erhellen somit den Raum.“
„Brauchen die Irrlichter auch was zu Essen?“
„Nein, die Irrlichter sind magische Wesen. Sie ernähren sich von der magischen Energie um sie herum. So lange es diese Magie gibt, werden sie auch nicht verhungern.“
„Hier im Keller gibt es Magie?“
„Es gibt überall die magische Energie. Sie fließt um uns herum, sie fließt durch uns durch, sie ist allgegenwärtig.“
„Und warum sehen wir diese Energie nicht?“
„Es gehört einiges an Übung um Magie wahrzunehmen. Noch schwierige ist es die Magie zu benutzen.“
„Wir können die Magie benutzen?“
„Naja, nicht jeder von uns. Nur die Begabten. Aber auch die müssen viele Jahre studieren, bis sie die magischen Kräfte bändigen können. Doch das kann dir Holin besser erklären.“
„Der Stufen sind aber sehr steil. Ist der Gang sehr lang?“
„Wir sind gleich da, hinter der nächsten Biegung sind Holins Räume.“
„Das ist aber eine große Tür!“
„Dies nennt man ein Portal. Es ist ein steinernes Tor und öffnet sich nur für Besucher die das geheime Passwort kennen.“
„Kennst du das Passwort?“
„Ja. Du auch. Sage ganz laut deinen Namen.“
„Meinen Namen? Ist er das Passwort für das magische Portal?“
„Genau das ist es. Bist du überrascht?“
„Ja, sehr.“
„Dann warte auf das, was dahinter liegt. Und nun los, sage das Zauberwort.“
„Max!“
„Es passiert nichts.“
„Wie nennt dich Tante Erna immer?“
„Maximilian!“
„Großvater, die Tür verschwindet in der Wand.“
„Bist du bereit?“
„Bin ich!“
„Dann trete ein.“
„Boah, sind das vielen Bücher! Hat Holin sie alle gelesen? Und wofür sind die ganzen kleinen Maschinen dort auf dem Tisch?“
„Das musst du ihn schon selber fragen.“
„Wo ist Holin denn? Hier ist alles total verstaubt, so als ob schon sehr lange Zeit keiner mehr hier unten war. Du hast doch gesagt, dass Holin hier lebt.“
„Schau da drüben auf dem Podest. Fällt dir dort was auf?“
„Meinst du die Schneekugel? Sie ist nicht so verstaubt wie die anderen Dinge hier unten. Als ob jemand sie regelmäßig abstaubt.“
„Du hast ein sehr gute Beobachtungsgabe, mein Junge. Wir haben nicht mehr viel Zeit bevor Oma und die Mama zurückkommen, wir müssen uns beeilen. Du kannst dich hier später umsehen. Folge mir zum Podest.“
„Das ist ja eine kleine Insel in der Schneekugel. Und außenrum überall Wasser.“
„Jetzt lege beide Hände auf die Kugel.“
„Gut, nun entspanne dich, atme ganz ruhig und zähle bis zehn.“
„Eins.“
„Zwei“
„Drei.“
„Vier.“
„Fünf.“
„Sechs.“
„Sieben.“
„Alles beginnt sich zu drehen. Mir wird schwindelig. Ich kann nicht mehr stehen.“
„Ohh. Mein Kopf.“
„Eine grüne Wiese? Der blaue Himmel? Wo sind wir, Großvater?“
„Großvater? Großvater, wo bist du?!“
„Ich bin hier mein Junge.“
„Man weiß nie wo man landet. Und vor allem nie wie man landet. Meine alten armen Knochen.“
„Wo sind wir hier?“
„Das kannst du dir doch sicherlich selber beantworten. Oder?“
„Auf der Insel in der Schneekugel?“
„Genau dort.“
„Und hier wohnt Holin?“
„Ja. Komm, lass uns ihn suchen.“
„Und wir sind wirklich auf dieser kleinen Insel?“
„Holin hat diese kleine Welt einst erbaut um sich zu entspannen. Draußen in unserer Welt ist es oft sehr schwer Ruhe zu finden. Hier hatte er alles was er brauchte und wurde von niemandem gestört. Bei seiner Verfolgung war dies seine letzte Zufluchtsstätte. Seit dem hat er diese Insel nie wieder verlassen.“
“Wenn Holin das alles alleine erschaffen hat, dann muss er ja wirklich ein sehr mächtiger Zauberer sein.“
„Das ist er. Doch nicht nur das... So, wir sind da. Um diese Tageszeit trifft man ihn normalerweise hier am Ufer.“
„Nicklas! Willkommen.“
„Guten Tag Holin, wie beißen die Fische?“
„Einfach traumhaft seit dem ich diese neue Angel habe. Hat mich einige schlaflose Nächte gekostet aber nun funktioniert sie prächtig. Fängt die Fische fast von alleine – wenn du verstehst was ich meine.“
„Sag bloß du hast den 'alten Buckel' erwischt?“
„Nein, den leider noch nicht, aber ich arbeite dran. Neulich, als ich draußen vom Boot aus geangelt hatte, ist er an mir vorbei geschwommen. Hat mich mit seinen Glubschaugen angeglotzt und tauchte unter. Dann kam er urplötzlich wieder hoch und schoss mir einen Wasserstrahl mitten ins Gesicht. Wenn ich nicht wüsste, dass es sich hierbei nur um einen Fisch handelt, hätte ich schwören können, dass er sich dabei krumm gelacht und mit den Flossen geklatscht hatte. Dieser verfluchte Riesenkarpfen... Wer bist denn du?“
„Darf ich vorstellen, das ist Maximilian Dein Urenkel.“
„Ach, verzeihe mir. Das letzte Mal habe ich ein Bild von dir gesehen als du gerade auf die Welt kamst. Wie schnell die Zeit bei euch da oben vergeht, daran gewöhne ich mich nie.“
„Sein Urenkel? Ich?“
„Um genau zu sein bist du mein Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel. Dein Großvater ist mein Ur-Ur-Enkel.“
„Das stimmt wirklich, mein Junge. Holin ist praktisch der Grundstein unserer Familie.“
„Ist es wahr? Wir haben einen Zauberer in der Familie? Das ist einfach super. Zeigst du mir wo du wohnst, da gibt es bestimmt noch mehr von diesen wundersamen Maschinen und magischen Sachen, nicht wahr?“
„Wir finden bestimmt einige interessante Dinge für dich. Lass uns gehen, dann stelle ich dir deine restlichen Urgroßväter vor...“