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Großvater

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22.09.2002
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Großvater

Großväter gab es viele auf der Welt.

In verschiedenen Größen, verschiedenen Altern und insbesondere mit verschiedenartigen Pantoffeln.
Aber ein wirklich wahrhafter und über alle Maße typischer Großvater, hatte zu seiner Zeit mindestens eine Alm, vier glückliche Kühe, einen Stallburschen mit Namen Ziegenpeter und vom Schlafzimmer seines romantisch anmutenden, über Generationen hin weitervererbten Bauernhauses, einen ebenso romantischen, siebentausend Meter hohen, Berg mit Gipfelkreuz und Sonnenuntergang vorzuweisen.
Darüber hinaus musste er über mindestens drei verschiedene Pfeifen und sieben nicht minder verschiedene Tabaksorten verfügen, die er der traditionellen Lebensart wegen, an jeweils einem anderen Wochentag rauchte.
Nicht weniger obligatorisch war auch ein Schaukelstuhl auf der Veranda, auf welchem der Großvater Platz nehmen konnte, um seinen Enkeln, derer er mindestens drei haben musste, lustige, aber manchmal auch traurig-melancholische Geschichten aus seiner eigenen Jugend zu erzählen, die er aber eigentlich nie hätte gehabt haben dürfen, denn Großväter waren zu dieser Zeit Großväter, und niemand wäre in der Lage gewesen sich vorzustellen, dass sie jemals etwas anderes, etwas nicht-großväterliches waren.
Dieser Umstand wurde jedoch weithin ignoriert, denn man war sich einig, dass ansonsten weder Schaukelstuhl noch Veranda, Enkel oder lustige bzw. traurig-melancholische Geschichten eine Existenzberechtigung gehabt hätten.
Und somit hätten auch Großväter die ihre verloren, und eine Welt ohne sie konnte man sich schon gar nicht ausmalen und so nahm man es denn hin, dass es unumgänglich war, ihnen ein gewisses Mindestmaß an Vergangenheit zuzugestehen.
Abgesehen allerdings von all diesen Vorraussetzungen die erfüllt sein mussten, bevor ein Außenstehender Beobachter eindeutig mit seinem Finger auf jemanden zeigen und sagen konnte „Da! Schaut! Dieser Mann auf den mein linker Zeigefinger sich richtet ist wahrlich ein Großvater!“, war es notwendig, dass der sich im Visier des linken Zeigefingers befindliche Mann über ein freundliches Gemüt verfügte, welches sich in seinem von der Zeit gefaltetem Gesicht, eindeutig und unzweifelhaft, widerspiegelte.
Tiefe, aber nicht zu tiefe, Tränensäcke unter den Augen waren dabei ebenso wichtig, wie die darrüberliegenden freundlichen, strahlenden, mit Leben erfüllten blauen Augen, die vieles in einer nur zu einem gewissen Teil existenten Vergangenheit gesehen haben und scheinbar Wiederzugeben in der Lage sein mussten.
Nicht zu vergessen war der weiße, sich selbst Pflegende Bart, der beim linken Ohr seinen Anfang nahm und sich an der freundlichen, nicht durch Alkoholexzesse geröteten, Knubbelnase vorbei, an beiden Wangen entlang zum rechten Ohr zog.
Dort nahm er eine kleine Auszeit und setzte sich selber auf dem runden Kopf fort, jedoch in einer besorgniserregend lichteren Form und Fülle.
Besagter Kopf hatte auf einem ein Meter sechzig großen Körper zu sitzen, welcher sich und sein vermutlich gebrechliches Äußeres, unter einer von den großväterlichen, kräftigen, in der Kunst der Schneiderei ebenso geübten, wie auch in der Milch-direkt-aus-der-Kuh-Gewinnung erfahrenen Händen selbsthergestellten braunen Kordhose verbarg. Oberhalb, jedoch stets vorbildlich in dieser Hose, steckte neben dem Großvater selbst, ein, von den gerade erwähnten Händen entworfenes und hergestelltes, nach Großvater riechendes, kariertes Holzfällerhemd.
All dies zusammen ergab zu seiner Zeit einen Großvater.
Und davon ausgehend konnte man sagen, dass es nicht viele wirkliche Großväter auf der Welt gab. Sicher, einige versuchten es und manche von ihnen waren auch sehr gut darin, doch spätestens bei dem romantischen siebentausend Meter hohen Berg mit Sonnenuntergang, mussten die meisten kapitulieren und sich eingestehen, dass sie nicht die nötigen Vorraussetzungen besaßen, um zu werden was sie sein wollten.
Darum war Heidi auch sehr glücklich, als er seinen eines Tages zu dieser Zeit bekam.

Enkel gab es viele auf der Welt.
Und Heidi war ein wohlerzogener Enkel.
Doch damit endeten die Ähnlichkeiten zu einem wohlerzogenen Enkel auch schon.
Heidi war, als seine Eltern ihn zu seinem Großvater schickten, sechzehn Jahre alt. Das wohlgenährte, runde Gesicht wurde von einem tyrannischen Bart dominiert, der sporadisch über das gesamte Gesicht verteilt an einigen zwielichtigen Stellen wuchs und den darin lebenden kleinen Tierchen Lebensraum und Leben in einer Diktatur zugleich darbot.
Er wog nicht ganz so viel wie eine ausgewachsene Milchkuh, wurde jedoch hin und wieder mit solchen verwechselt und zog kleinere, ihn umgebende und zufällig zu dieser unglücklichen Zeit in seiner Nähe befindlichen Gegenstände, aufgrund seiner Masse an.
Auf die meisten die ihn zum ersten Mal sahen wirkte er wie eine kleinere Version des Mondes mit gelegentlicher Flora und einem zunehmenden Müllentsorgungsproblem.
Diverse Brandnarben an seinen Händen deuteten dezent auf eine pyromanische Neigung hin, die bereits in seiner Kindergartenzeit festgestellt worden war und seine Eltern zwang, mehrmals umzuziehen, während viele andere Familien für ihre Kinder neue Kindergärten suchten.
Ähnlich verlief seine Schulzeit und bereits mit vierzehn Jahren sprach Heidi neun Sprachen und hatte Einreiseverbot in fünfzehn Ländern. Eine Tätowierung auf seinem rechten Arm enthielt detaillierte Informationen darüber, sowie einen allgemeinen Warnhinweis und eine Rezept für ungarische Gulaschsuppe.
Nach einschlägigen Erfahrungen mit dem heißen Element seiner Begierde hatte Heidi es sich schon früh zur Gewohnheit gemacht, auf einen Großteil der Kleidung zu verzichten und beschränkte sich seitdem darauf feuerfeste Winterunterwäsche zu tragen.
Dies alles ergab, zusammen mit einem ständig hin und her pendelnden Blick, das Bild eines zu groß geratenen und recht korpulenten Jungen, dessen Entwicklung der Äußeren Erscheinung im fünften Lebensjahr aufgehört und sich nur noch darauf beschränkt hatte dem Köper ein winter- und eiszeittaugliches Volumen zu verleihen.
Böse Zungen behaupteten hin und wieder, die Evolution sei, als sie im fünften Jahr nach Heidi festzustellen gezwungen war, dass sie wahrscheinlich etwas falsch gemacht hatte, dazu übergegangen, ihren Fehler wieder rückgängig zu machen, indem sie ihn einen Gravitationskollaps erleiden lassen wollte.
Und tatsächlich war dem auch so.
Doch seitdem hatte Heidi seine eigene Gravitation und um seinen Kopf schwirrte ein faustgroßer Feuerstein.
Und darum war Großvater auch sehr unglücklich, als er seinen Enkel das erste Mal zu sehen bekam.

Als es an der hölzernen, kunstvoll verzierten Eingangstür seiner idyllischen Almhütte klopfte, wandte Großvater seinen in kargen Erinnerungen schwelgenden Blick von dem Gipfel des siebentausend Meter hohen Berges hinter dem Fenster seines Schlafzimmers ab und schlurfte großväterlich, vorbei an einem kunstvoll verzierten Doppelbett, einem ebenso kunstvoll verzierten Wandschrank und kurze Zeit später an dem mit besonders viel Liebe, kunstvoll verzierten Küchentisch, in Richtung des dumpfen Geräusches.
Grün-schwarz karierte Pantoffeln schlurften gemeinsam mit ihm den Boden entlang.
Im selben Augenblick als Großvater freundlich die Tür seiner Almhütte öffnete um seine kleine, von den Eltern bereits durch einen Brief angekündigte, Enkelin Heidi in die großväterlichen Arme, welche kräftig und in der Kunst des Baumfällens gut unterrichtet sein mussten, zu schließen, war er auch schon auf dem rechten Auge blind, weil ein Heidi umkreisender Feuerstein eben dorthinein schlug, wo zuvor ein freundliches blaues Auge seinen angestammten Platz gehabt hatte, glücklich strahlend, ob der Erwartung und Vorfreude auf eine glückliche, kleine, blondbezopfte und vor allem harmlose Enkelin mit einem Weidenkörbchen in der rechten Hand und einem Strauß bunter Blumen auf dem Kopf.
Mit einem schmerzerfüllten großväterlichen Schrei ging Großvater, niedergestreckt von Heidis Trabanten, zu Boden und wurde vorsorglich erst mal ohnmächtig.
Sein Gehirn brauchte diese Zeit um sich und ihm klarzumachen, dass er kurz zuvor fast von einem Miniaturmond erschlagen worden wäre.
Als Großvater kurze Zeit später erwachte, saß er in dem, von seinen eigenen Händen hergestellten, Schaukelstuhl auf seiner, von seinen eigenen Händen erbauten, Veranda und fragte sich im selben Moment wie viel wohl Carina, seine Lieblingsmilchkuh, wiegen mochte und ob sie es war, die sich auf ihn gesetzt hatte und dort auch noch immer saß.
Aber sein großväterlicher Geruchssinn verriet ihm schnell, dass Carina eindeutig angenehmer roch, als dass, was sich auf seinem Schoß, der weich und mit Platz für mindestens zwei Enkel ausgestattet sein musste, befand und mit einem freudigen, schiefe Zähne und große Lücken aufweisendem, dümmlichen Lächeln, darum bat, eine Geschichte aus der großväterlichen Jugend erzählt zu bekommen.
Pures, nicht großväterliches Entsetzen zeigte sich in einem zur Freundlichkeit verdammten Gesicht.
Angst, Panik und Schrecken begleiteten es ebenso wie Staunen und Verwunderung, jedoch gemischt mit einem zarten Hauch von Bewunderung für die unglaubliche Vielfalt der Natur und der Unergründlichkeit der Wege des Herrn.
„Was bist Du?“ fragte Großvater, durch Heidis Gewicht mehr stöhnend und röchelnd als wohlartikuliert. Sein inneres Ohr vernahm zu seiner nicht vorhanden Freude das Geräusch langsam aber sicher nachgebender Beinknochen.
„Ich bin dein Enkel Heidi, Großvater! Meine Eltern haben Dir doch einen Brief geschrieben, dass ich heute ankomme!“
„Nein. Nein, das kann und darf nicht sein. Du bist weder meine Enkelin, noch bist Du eine richtige Heidi, denn du hast keine bunten Blumen auf dem Kopf. Und auch wenn Du Dir wahrscheinlich welche dort wachsen lassen kannst bist Du wahrscheinlich noch nicht einmal ein Mensch. Ich habe in meiner kaum existenten Vergangenheit noch keinen Menschen gesehen, der seinen eigenen Trabanten besaß. “
„Aber Großvater, ich bin wirklich dein Enkel Heidi!“ sagte Heidi mit einem Blick voll unerbittlichem Unverständnis und einem Anflug von Trauer.
„NEIN sage ich! Ich erkenne einen Enkel wenn ich einen sehe, und du siehst aus wie eine kleinere Version des Mondes mit gelegentlicher Flora und einem zunehmenden Müllentsorgungsproblem. Du bist nicht meine Enkelin Heidi, also steh endlich von meinem Schoß auf und geh wieder dorthin zurück woher du gekommen bist!“
Heidi war sichtlich gekränkt von seinem Großvater, aber seine Eltern hatten ihn zuvor schon darauf vorbereitet, dass er eventuell etwas senil sein könnte und ihn nicht auf anhieb zu Erkennen im Stande sei.
„Das gehört nun mal zu Großvätern. Ein richtiger Großvater muss ein bisschen senil sein. Und einen siebenstausend Meter hohen Berg mit Sonnenuntergang muss er auch haben“ hatte sein Vater ihm gesagt.
„Ja, mit Sonnenuntergang!“ hatte Heidis Mutter ihm unter bestimmten Kopfnicken beigepflichtet.
„Also stör dich nicht daran, sei einfach du selbst und er wird dich bestimmt lieb haben. Und jetzt geh. Es wird gleich dunkel und vor dem Morgengrauen solltest Du da sein.“
Du selbst sein, hatte Mutter zu ihm gesagt.
Das konnte er. Darin war er sehr geübt. Und darum hatte er, nachdem er auf der Alm angekommen, kurz bevor er Großvater gegenübergetreten war, Carina angezündet.
Seine größten Schwierigkeiten hatte Heidi damit, nach dem Verzehr der ersten Erdnuss nicht auch noch eine zweite Fabrikladung zu essen. Und ähnlich verhielt es sich auch mit seinen pyromanischen Neigungen.
Es war wie bei jeder guten Droge, ein unglaublich stark ausgeprägtes Verlangen war schon kurz nach der Entzündung Carinas, in ihm zu einem noch stärker ausgeprägtem Verlangen geworden und er hatte auch noch Hans-Josef, Karl-Gustav und Berta-Emilie flambiert.
Und noch während diese Milchkühe ihrer durch Heidis Hand beigeführten Autopasteurisierung nachgingen, war Heidi zu den umliegenden Bauernhöfen gelaufen und schon nach kurzer Zeit, brannte die gesamte Flora und Fauna in einem Umkreis von vier Kilometern um Großvaters Alm herum.
Einem zufällig an dieser Szenerie vorbeigekommenen Wanderer, wäre sie sicherlich lange in Erinnerung geblieben, allein schon wegen der frappierenden Ähnlichkeit des siebentausend Meter hohen Berges im Hintergrund der beschaulichen Almhütte, mit dem biblischen Sinai.
Großvater erhob sich, nachdem Heidi seinen Körper von dem großväterlichen Schoß herunterbewegt und den Blick auf das brennende Tal unterhalb der Almhütte frei gegeben hatte und starrte verblüfft auf ein Kaninchen, dass gerade in diesem Moment brennend über die Veranda hoppelte, hob ungläubig seinen halbierten Blick um daraufhin vier lichterloh brennende und ziellos herumlaufende Kühe sowie einen den Kühen hinterherrennenden, ebenfalls brennenden Ziegenpeter zu erblicken und sich gleich wieder zu setzen und laut zu schreien, weil das Gehirn den Moment des Sich-Erhebens für den richtigen Moment hielt dem Großvater zu sagen, dass Heidi im Moment des Aufstehens dessen großväterliche Beine, die kräftig und in der Kunst des Wiesenwanderns begabt zu sein hatten, gebrochen hatte.
Großvater schaukelte wimmernd vor sich hin und versuchte verzweifelt zu sterben, doch in Ermangelung an Erinnerungen an eine kaum existente Vergangenheit, war es ihm nicht möglich sein Leben noch ein letztes Mal vor seinen beiden gesunden geistigen Augen vorbeifließen zu lassen und das Leben weigerte sich hartnäckig von seiner Seite zu weichen und bestand zudem auf den Formal richtigen Licht-am-Ende-des-Tunnels-Weg.
Heidi indes hüpfte fröhlich über eine romantisch brennende Almwiese und hinterließ dort wo sein Körper auf den Boden traf, zukünftige potentielle Felsspalten. In der linken Hand hielt er glücklich eine Fackel und zündete damit einen blau blühenden Enzian an.
Sehr zum Unglück des Hausschweins, dass diesen Enzian als potentielle Nahrungsquelle identifiziert und gegessen hatte.
Großvater besah sich das apokalyptische Flammenspiel auf der seiner Almhütte vorgelagerten Almwiese mit unverhohlenem, nicht großväterlichem Zorn.
Sein noch gesundes, jedoch vom Alter bereits leicht angegriffenes linkes Auge, fixierte einen verschwommenen Heidi und versuchte, allein mithilfe dieses Blickes, ihn zu töten.
Doch es geschah nichts, dass auf einen Erfolg hingewiesen hätte, abgesehen davon, dass Heidi sich umdrehte und auf Großvater zuging.
Großvaters Schweißdrüsen schickten einen weiteren halben Liter Salzsaft auf den hölzernen Verandaboden, indes seine großväterlichen Finger, die lang und etwas dicker als gewöhnliche Finger sein mussten, die liebevoll verzierte Armlehnen des Schaukelstuhls umschlossen. Das zu Freundlichkeit verdammte Gesicht, wies eindrucksvoll und bestimmt darauf hin, dass es Großvater nicht gut ging.
Das unglückliche brennende Kaninchen hoppelte an Großvater vorbei und in die Almhütte hinein.
Heidi schien dem Weg des Kaninchens folgen zu wollen, wirkte jedoch etwas verwirrt als er die Türschwelle erreichte. Er drehte sich um und sah seinen Großvater fragend und auf seiner Unterlippe herumnagend an.
„Großvater! Warum schaust Du denn so traurig drein? Mutter hatte gemeint, Du würdest mich bestimmt mögen, wenn ich Dir zeige wie ich bin und was ich kann. Ich glaube ich enttäusche dich.“
Wenn es jemals einen Augenblick in der Menschheitsgeschichte gegeben hatte, in dem es einem Großvater gelungen war, in der reinsten Form des Staunens, der Kindlichen Naivität, zu glotzen, dann hatte Großvater es in diesem Moment nicht schwer es mit dieser Perfektion aufzunehmen.
Langsam und bedächtig sagte er, sich nahezu zwischen jedem dritten Wort die Lippen beleckend und in einem fast verzweifeltem Tonfall:
„Du glaubst also mich zu enttäuschen, ja? Nun, Heidi, ich gebe zu ich bin ein bisschen, sagen wir, erstaunt.
Du trittst in mein Leben und im selben Moment bin ich auf dem rechten Auge blind. Meine Beine sind gebrochen. All das, was ich bis vor kurzem, lass mich jetzt bitte mal kurz zurückrechnen...ich denke es handelt sich um eine gute halbe Stunde, in einem, kosmologisch gesehen, nicht gefährdetem Zustand wähnte, wie zum Beispiel meine Kühe, meinen Stallbursche, mein Hausschwein, meine Almwiese und die gesamte Umgebung im Umkreis von mindestens vier Kilometern, brennt jetzt lichterloh; angezündet von einer unnatürlichen Heimsuchung in Form eines Planetenenkels mit eigenem Trabanten sowie einer ebenso eigenen wie fremden Flora auf seiner Körperoberfläche.
Aber dessen nicht genug!
Ein unglückliches brennendes Kaninchen rennt in meine Almhütte und ich weiß nicht wo es sich im Moment befindet.
Es könnte überall sein!
Unter dem Sofa oder auch unter dem Almhüttenküchentisch. Und überall da wo es ist, wird es seine Umgebung mit Feuer und Zerstörung heimsuchen, meine Heimatstatt in Flammen tauchen und Tod und Verderben bringen! Ich muss gestehen, dass mich das schon ein bisschen verwundert. Ich würde es nicht direkt als Enttäuscht sein bezeichnen. Nein, wirklich nicht. Ich denke ich bezeichne dich eher als sehr, nun, gravierend.“
Das letzte Wort spuckte Großvater eher zischend aus, als dass er es sprach und kunstvoll verzierten Armlehen zerbrachen unter den großväterlichen Fingern.
Das verblüfft glotzende Auge glotzte nun nicht mehr, sondern versuchte erneut, in der Hoffnung darauf, dass es aus dieser Entfernung besser funktionieren würde, Heidi zu töten.
„Oh, gut. Dann bin ich ja beruhigt. Du, Großvater, wenn du mir schon nicht erlaubst auf deinem Schoß zu sitzen und du mir auch keine deiner Geschichten aus der Jugend erzählen möchtest, wollen wir dann nicht wenigstens gemeinsam auf den romantischen, siebentausend Meter hohen Berg wandern?“
Großvater nickte.
„Heidi...Großvater ist für heute schon sehr erschöpft. Und seine Beine sind gebrochen. Lass uns doch vielleicht morgen wandern gehen, ja?“
Heidi war in diesem Moment des familiären Glücks sehr glücklich.
Jedoch bei weitem nicht so glücklich wie Großvater, der in genau diesem Moment feststellte, dass Ziegenpeter, sein stets hilfsbereiter Stallbursche und Ziegenhirte es geschafft hatte sich zu löschen und jetzt eher unfreiwillig, bei dem Versuch die Flammen auf seinem Körper zu ersticken zu nah an Heidi herangerollt war und sich auf einmal in unmittelbarer Nähe einer undefinierbaren Anziehungskraft wiederfand und unglücklich wie ein Lichtpartikel in einem schwarzen Loch, Heidi mit einer sehr großen, mit der Vorstellung von Idylle untrennbar unverbundenen Mistgabel entgegenstürzte, stolperte und flog.
Der letzte Funken Feuer erlosch glühend auf der nun nicht mehr vorhandenen Almwiese, schickte noch einen letztes, zartes, schwarzes Rauchsäulchen in den Äther.

Und dann geschahen einige seltsame Dinge ausgesprochen gleichzeitig.
Während Ziegenpeter im Begriff war, halb verkohlt auf einer unidyllischen Mistgabel sitzend, dem Planeten Heidi eine unfreiwillige aber unmissverständliche Kriegserklärung zu überbringen, stürzte der Heidi umkreisende Miniaturmond auf dessen Oberfläche und brach ein großes Stück heraus.
Die gesammelten Gerüche der vergangenen sechzehn Jahre entließen sich selber, laut zischend, aus der langsam zerbröckelnden Unterwäsche und ließen Heidi auf der Veranda in Richtung des Großvaters taumeln, der daraufhin wieder davon abließ glücklich zu grinsen.
Grauer, sechzehn Jahre gereifter, verräterischer Nebel legte sich wallend auf die Veranda, floss von dieser herunter auf die Almwiese und raste schließlich, wie eine ordentliche Lawine, zu allen vier Seiten der idyllischen Almhütte hinunter ins Tal.
Zeitgleich mit einem panikerfüllten Ziegenpeter fiel Heidi auf seinen Großvater und begrub den bereits sehr mitgenommenen Mann unter sich.
Großvater verstand in diesem Augenblick was es bedeutete das Universum auf seinen Schultern zu tragen.
Die unidyllische Mistgabel bohrte sich tief in Heidi hinein und brach dadurch noch mehr Stücke seiner Oberfläche heraus. Diese umkreisten nun anstatt des Feuersteins seinen sich auflösenden Körper.
Immer mehr Nebel sammelte sich um die Almhütte herum zu einem tosenden Meer des Gestanks.
Großvater, Heidi, Ziegenpeter und dessen Mistgabel lagen derweil zu dritt auf einem dafür nicht konstruierten Schaukelstuhl, dessen Form nur noch entfernt an einen solchen Gegenstand erinnerte.
Doch auch in dieser kaum noch existenten Erinnerung war er noch sehr kunstvoll verziert.
Großvaters Kopf war von dem Gewicht verschont geblieben und hing zur rechten Seite dieser seltsamen Köperturmkonstruktion heraus, was ihm ermöglichte etwas zu sehen, was den anderen beiden über ihm verborgen blieb.
Er sah etwas brennendes aus der Hütte heraus auf sich zuhoppeln.
Es war das Kaninchen, welches sich eben von der brennenden Wiese in seine Hütte geflüchtet hatte.
Die Zufluchtsstätte schien dem Tier jedoch nicht als solche geeignet zu sein und es hatte beschlossen wieder zurück ins Tal zu hopsen.
Noch nie zuvor hatte das kleine Fackelkaninchen einen solchen Nebel gesehen, dachte es sich, als es kurz anhielt, schnüffelte und dann mitten in die tobende Wut der Exkrementduftwolken hineinsprang um im selben Moment zu einem apokalyptischen Nagetier zu werden.
Die Welt um Großvater herum explodierte in grellem grau-weiß. Hitze durchströmte seinen Körper, durchfloss ihn wie zäher Sirup und hinterließ einen unangenehmen Geruch nach verbrannten Erdnüssen in kaum noch vorhandener Haut.
Dann wurde es dunkel.

Als Großvater seine Augen wieder zu öffnen wagte, lag er nackt am tiefsten Punkt eines nahezu vier Kilometer durchmessenden Kraters und blickte auf einen leicht wolkenbehangenen Himmel aus dem es langsam, aber beständig tropfte.
Um ihn herum war alles so tot wie nur irgend möglich.
Er sah sich um und gluckste und empfand sich selber als eine Oase des Lebens inmitten völliger mortaler Tristes. Er schaute großväterlich liebevoll in den grauen Himmel und dann zu dem romantischen Gipfelkreuz.
Er spürte, dies war der richtige Moment für einen Neuanfang.
Er stand auf, fiel mit einem Schmerzensschrei wieder hin und blickte erneut großväterlich liebevoll in den grauen Himmel.
Vielleicht morgen, dachte er sich. Vielleicht morgen.

 

Hallo ihr beiden!

Ach Schlachtpaulchen, auch wenn es nur ein kurzer Satz ist, so drückt er doch immerhin ein beim lesen der Geschichte in Rüdiger entstandenes Gefühl aus.
Und dieses hat er, wenn auch sehr kurz, so doch prägnant und verständlich ausgedrückt.
Also, Rüdiger, danke schön.

 

Hallo Patrik,

wirklich interessante Geschichte, mußte doch zwischendurch herzhaft lachen. Du scheinst viel Phantasie zu haben. Ich hatte anfangs Schwierigkeiten beim lesen, weil Deine Sätze doch recht lang sind. Später wird es aber besser. Du hast Heidi mal anders beschrieben als Johanna Spirie.

Liebe Grüße

Conny

 

Hallo PatrickD,

bis auf ein paar nette Formulierungen, wie z.B.

In der linken Hand hielt er glücklich eine Fackel und zündete damit einen blau blühenden Enzian an. Sehr zum Unglück des Hausschweins, dass diesen Enzian als potentielle Nahrungsquelle identifiziert und gegessen hatte.
(übrigens: "Hausschweins, das...") fand ich diese Geschichte weder interessant, noch lustig. Um genau zu sein, gefällt sie mir inhaltlich gar nicht. Deine Vorstellung von Humor scheint mit meiner nicht so gut zusammenzupassen.
Dein Stil gefällt mir trotzdem, sowohl die langen Schachtelsätze, als auch die vielen beschreibenden Partizipien und Adjektive. An einigen Stellen übertreibst du ein bisschen, insgesamt passt es aber ganz gut.

Gruß,
Juliane

 

Hallo Juliane!

Well, in Anbetracht der allgemeinen Subjektivität humoristischer Qualitäten kann ich mich damit abfinden.
Interessant finde ich nur, das Du die erste Person bist, die nicht an meinem Schreibstil herumnörgelt.
Schließlich wollte auch niemand Kafka verbrennen.
Und dafür, allein schon dafür, so muss ich nun ehrlich gestehen, habe ich Dich lieb.
Dass musste jetzt einfach mal raus.

Danke für Deine Kritik.
Ich hab auch die ein oder andere Geschichte hier veröffentlicht die weniger am humoristischen Aspekt nagen.
Vielleicht, oder gar hoffentlich, sagen Dir diese eher zu.

Lieber Gruß, Patrick

 

Hallo Conny!

Vielen lieben Dank, Du gibst mir den Glauben daran zurück, dass ich nicht doch einfach nur eine seltsame cerebrale Physis habe.

Liebe Grüße, Patrick

 

HAllo Patrik,

wann kommt eine neue Geschichte von Dir. Bin schon ganz gespannt. Nimmst Du vielleicht Pinoccio mal auf die Schüppe?

Liebe Grüße

Conny

 

Hola Conny!
Im Moment habe ich leider keine Zeit um auch nur im entferntesten daran zu denken, eine weitere, neue Kurzgeschchte zu verfassen. Ich stecke mitten in den Vorbereitungen zu meiner Seminararbeit und obendrein stehen die Klausuren, lauernd wie Weihnachten vor der Tür und harren auf ihren Moment.
Obendrein habe ich auch noch eine angehende Beziehung mit einer besonders Süßen aus Berlin aufgenommen und in Anbetracht der Tatsache, dass ich in Köln wohne nimmt das schon ein bisschen Zeit in Anspruch.
Aber bald, bald schon Conny, habe ich meinen mehr oder minder verdienten Beamtenwinterurlaub und darin hoffentlich genügend Zeit meinen Gedanken einen neuerlichen schriftstellerischen Schubs zu geben.
Patrick

 

Hallo Patrik,

na, denn mal gutes Gelingen. Hast Dir aber ne Menge vorgenommen. Dann wünsche ich Dir , dass alles unter Deinen Hut passt.

Viel Spaß wünscht Dir

Conny

 

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