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Großstadtromantik

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18.05.2012
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Großstadtromantik

Es war viel zu mild für einen Sonntag im Januar. Vor ihnen lagen verlassene Straßen, noch immer verklebt von den Resten einer ausschweifenden Silvesternacht. Gesättigt mit Wasser, das nach wochenlangem Regen in schmutzigen Pfützen verblieb, wie die Tränen in den Augen unzähliger Passanten, die hetzend ihren Hoffnungen in das neue Jahr folgten, sie doch nie zu fassen bekommen würden.

John und Maud durchquerten in stiller Zweisamkeit die Betonschluchten der verkaterten Stadt, passierten vergilbte Fassaden, Straßenecken, beladen mit Ungewolltem, Gesichter einzelner, vergessener Gestalten, mit strähnigen Haaren und offenen Händen. Armut kennt keine Feiertage. Die blühenden Arbeiterviertel der fünfziger Jahre hatten ihren Glanz lang verloren. Auf Wohlstand folgte Verfall, auf Verfall folgte Vergessen. Eine Rückführung in bessere Tage, gar ein Wiederaufbau, war der Traum vieler. Eine Erfüllung dieses Wunsches ließ jedoch vergeblich auf sich warten.

Begleitet vom hellen Klingeln eines kleinen Glöckchens öffnete sich die Tür des billigen französischen Restaurants. Sanfte Wärme schob sich ihnen entgegen. Mit ihren dicken Mänteln streiften sie auch die feuchten Unannehmlichkeiten der Stadt von sich ab. Zu den pulsierenden Klängen lauter Salsa-Musik nahmen sie Platz. Ein nervöser junger Mann mit orientalischen Zügen begrüßte sie in gebrochenem Französisch und verteilte Menükarten mit italienischen Gerichten. Ein Blick aus dem Fenster enthüllte die rostigen Stahlpfeiler des Bahnhofsvordaches. Gedankenverloren starrten sie in das Gewirr aus Kabeln, Stahlträgern und Gleissträngen. Im Minutentakt ratterten jahrzehntealte Züge vorbei. John legte seinen Kopf an ihre Schulter. „Willst du mich immer noch heiraten?“, fragte er sie abwesend. „Ja“, erwiderte sie leise. Er nahm ihre kalte Hand und drückte sie sanft. Sie sah ihn nicht an.

Mit zitternden Händen stellte der junge Kellner das Essen vor ihnen ab. „Bong Appettit“, murmelte er und verschwand. Zügig verschlangen sie das lauwarme, grätige Fischfilet, schwimmend in roter Fertigsoße. Nach kurzer Zeit öffnete sich die Tür erneut und ein Windhauch fuhr durch den kleinen Raum. Maud fröstelte. Ein gut gekleideter Mann und seine Frau betraten das Restaurant. Während sie ihre Mäntel an der Garderobe ablegten, sahen sie sich um. Am Tisch, an dem John und Maud saßen, blieb ihr Blick hängen. Wie gelähmt starrten sie das junge Paar an. Als Maud den Blick der beiden bemerkte, schaute sie verschämt zu Boden. John jedoch saß aufrecht und sah ihnen entgegen. Die Geschäftsleute wechselten leise ein paar Worte mit dem Kellner und nahmen schließlich, die Gesichter von John und Maud abgewandt, an einem Tisch am anderen Ende des Raumes Platz.

Unsicher kam der junge Mann auf John zu und sagte mit gedämpfter Stimme: „Sir, ich muss Sie bitten unser Lokal nun zu verlassen.“ „Wir würden gern noch etwas bleiben“, entgegnete John, „außerdem haben wir noch nicht gezahlt.“ Nervös blickte der junge Araber zum Tisch der Geschäftsleute hinüber. Wieder an John gerichtet sagte er: „Bitte Sir, ich muss darauf bestehen! Sie kennen unsere Vereinbarung! Ihre Bestellung geht heute aufs Haus.“ John sah ihn mit eiserner Miene an. „Fein“, erwiderte er schließlich, „wir werden gehen.“

Er erhob sich, zog Mauds Stuhl zurück und half ihr in den noch immer feuchten Mantel. Unter den neugierigen Blicken der beiden anderen Gäste verließen sie ohne ein weiteres Wort das Restaurant. Verloren standen sie wieder im nassen Grau der Häuserfassaden. Maud lief eine einzelne Träne über die Wange. Sie hauchte sich in die schmutzigen Hände und rieb sie aneinander. John legte seinen Arm um ihre Schultern und sah noch einmal verbittert durch das Fenster des Lokals. Langsam gingen sie davon.

Es begann bereits zu dämmern. „Komm Liebling, wir haben noch einen langen Weg vor uns“, flüsterte er in ihr Ohr. Sie wanderten durch die einst so belebten doch nun vereinsamten Winkel der Stadt. Vorbei an den von Müllbergen verschütteten Mietskasernen am Rande der Stadt und den warm beheizten und hell erleuchteten Wohnhäusern in den gemütlichen Vororten. Nach etwa einer Stunde erreichten sie die Autobahnbrücke, die von einem Hügel hoch über der Stadt in einer breiten Kurve bis ins Zentrum hinab führte. Am Fuße eines der gewaltigen Stützpfeiler hatte John aus alten Holzlatten, etwas Wellblech und allem Nützlichen, das er hatte finden können einen kleinen Verschlag zusammengezimmert. Ein Palast im Vergleich zu den Pappkartons oder Zeitungshaufen in denen viele Obdachlose der Stadt lebten. Nie hatten sie so sein wollen, hatten sich ihre Würde bewahren wollen.

In der Dunkelheit glichen die unzähligen beleuchteten Fenster am Fuße des Hügels einem Meer aus Lichtern. Die Stadt erstreckte sich soweit das Auge reichte, bis zum Horizont und darüber hinaus, so schien es. Sie war noch um ein Vielfaches größer gewesen, als Wirtschaft und Industrie boomten. Es war die Stadt, in der sie vor langer Zeit beschlossen hatten ihr Glück zu suchen. Einige wunderbare Jahre hatten sie hier verlebt. John hatte für einen großen und einst sehr erfolgreichen Automobilkonzern gearbeitet. An Geld hatte es ihnen nie gemangelt und so beschlossen sie, eine Familie zu gründen. Er hatte Maud im schönsten und teuersten Restaurant der Stadt einen Heiratsantrag gemacht. Überglücklich und zu Tränen gerührt hatte sie „Ja“ gesagt. Die Hochzeit sollte noch vor der Geburt ihres Kindes stattfinden. Doch das Schicksal schien ihnen ihr Glück nicht zu vergönnen und so häuften sich die Katastrophen.

In der siebten Woche ihrer Schwangerschaft verlor Maud das Baby und geriet in schwere Depressionen. Ein örtlicher Psychiater empfahl ihr, sich auf unbestimmte Zeit in eine Nervenheileinrichtung zu begeben. Doch der Konzern für den John arbeitete schrieb schon seit einigen Monaten nur noch rote Zahlen und er war einer der ersten, der seinen Job verlor. Unfähig für Mauds Behandlung und schließlich sogar für die Lebenshaltungskosten aufzukommen, begann ihr unweigerlicher Abstieg. Wut kochte noch immer in ihm auf, wenn er daran dachte, wie kalt und emotionslos sie ihn rausgeschmissen hatten. Der Betrieb war mittlerweile gänzlich pleite gegangen, genau wie der Rest dieser verfluchten Stadt.

Das alles war nun etwa vier Jahre her. Vier Jahre lebten sie schon dieses Leben auf der Straße. Dieses oft so sinn- und aussichtslos erscheinende Leben. Er hatte hart gearbeitet und gerungen, sie aus diesem Unglück wieder herauszuholen, doch alle Versuche waren gescheitert. Maud war das Einzige, das ihm noch geblieben war. Bei dem Gedanken musste er trotz allem lächeln. Er sah sie an. Schmutzig und leicht gebückt stand sie am Rande des Hügels und starrte in die Nacht. Für ihn war sie noch immer die schönste Frau auf der Welt. Nie würde er sie gehen lassen.

Doch Maud hatte den Verlust des Kindes nie ganz verwinden können und auch der soziale Abstieg erfüllte sie mit tiefer Scham. Oft lag sie stundenlang in der kleinen Hütte und weinte. John trat von hinten an sie heran und nahm sie in den Arm. Er küsste sanft ihren Hals und führte sie in ihren Palast. In zwei alte Wolldecken gewickelt saßen sie auf dem kalten Boden. John holte eine angebrochene Weinflasche aus der Tasche seines schmutzigen Mantels. Er nahm einen großen Schluck, wischte sich mit dem Handrücken über den Bart und reichte sie Maud. Mit einer kurzen Geste lehnte sie ab und legte sich auf die Seite. Nun hüllte auch John seinen geschundenen Körper in die verfilzte Decke und legte sich neben sie. Eng umschlungen schliefen sie ein.

Am Morgen erwachte John allein. Verwirrt sah er sich um nach einer Spur von Maud. Auf ihrer Decke fand er ein kleines Stück Karton. In ihrer feinen weiblichen Handschrift waren darauf nur fünf kleine Worte geschrieben: Ich werde dich immer lieben.

John stürmte aus der Hütte und blickte panisch in jede Richtung. Als er den Kopf nach oben drehte und zur Brücke sah, sackte er auf die Knie. Heiße Tränen schossen aus seinen Augen und er schrie auf vor Verzweiflung. Hoch oben, etwa zwei Meter unterhalb des Brückengeländers schwang Mauds lebloser Körper im eisigen Wind. Um ihren Hals, den er am Abend zuvor noch geküsst hatte, lag ein dünnes Seil. Ihre Augen waren weit geöffnet und starrten auf das, was sie beide ins Unglück gestürzt hatte: die sterbende Stadt am Fuße des Hügels.

 

Hallo JohnnyOBrier

und herzlich Willkommen bei KGde.


Leider wurde ich mit deinem Einstand nicht so richtig warm. Obwohl sauber geschrieben, so erzählt der Text in einem monotonen Rhythmus das Leiden von John und Maud, die als gescheiterte Existenzen auf der Strasse leben, mMn ohne Gefühl, mit einer solchen stoischen Anhäufung von Beschreibungen, dass ich versucht war, nur drüber zu lesen, zwang mich aber, es zu unterlassen.

Schon die Einleitung verliert sich in Schwülstigkeit.

Es war viel zu mild für einen Sonntag im Januar. Vor ihnen lagen verlassene Straßen, noch immer verklebt von den Resten einer ausschweifenden Silvesternacht. Gesättigt mit Wasser, das nach wochenlangem Regen in schmutzigen Pfützen verblieb, wie die Tränen in den Augen unzähliger Passanten, die hetzend ihren Hoffnungen in das neue Jahr folgten, sie doch nie zu fassen bekommen würden.
Das musste ich zweimal lesen, und bin immer noch nicht sicher, ob und was ich mir darunter vorstellen soll.
Leider geht es dann ziemlich beschreibend weiter. Da ist keine Action, da ist kein Funken erlebbares Gefühl, das ist tot.
Gut möglich, dass andere diesem Erzählstil etwas abgewinnen können, mir fehlt hier leider die Spannung, ein richtiger Konflikt mit zündenden Dialogen.

Auch konnte ich der Restaurantszene nicht ganz folgen. Warum sie in diesem französischen Lokal mit italienischen Speisen überhaupt eingelassen, dann aber doch aufgefordert wurden, zu gehen ohne zahlen zu müssen, da es anscheinend eine Vereinbahrung gab. (Welche Vereinbahrung und zwischen wem?)

Tut mir leid, die Geschichte hat mich leider nicht überzeugt.
Gruss dot

 

Hallo Dot,

erstmal sorry für die verspätete Antwort und vielen Dank für deinen Willkommensgruß! Schade, dass dir mein Einstand so gar nicht zugesagt hat. :(
Da diese Geschichte von allen meinen Geschichten in meinem Bekanntenkreis immer den meisten Anklang fand, bin ich zugegebenermaßen etwas verblüfft, wenn nicht sogar ein klein wenig enttäuscht. Aber anscheinend hat mir gerade deine Kritik gefehlt, um bei dieser Story mal die Augen geöffnet zu bekommen. Wie geht der alte Spruch: "Cut and rewrite, then cut again and rewrite again!" ;) Genau das werde ich jetzt einfach mal machen. :)

Vielen Dank für deine ehrlichen Worte und viele Grüße!
Johnny

 

Hey Johnny,


also, "cut and rewrite" hast du wohl nicht gemacht?

Ich möchte mich dotslash in allen Punkten anschließen, ich kann mit deiner Geschichte nichts anfangen.
Im Grunde passiert hier nichts, es wird viel zu viel erzählt, aber viel zu wenig getan. Die einzige Szene ist die Restaurantszene, die auch ein wenig unlogisch ist (s. dot).

Es ist auch verdammt schwer, sich Leben vorzustellen von Menschen, in die man sich schwer hineinversetzen kann - also Obdachlose. Klar ist der soziale Abstieg mit Scham verbunden, aber nach einigen Jahren sind ihre Sorgen andere? Wie zum Beispiel wie bekomme ich die nächste Mahlzeit, wo penne ich heute. (Und das ganze hast du auch noch in eine andere Zeit gesetzt?, nämlich in den 50igern. Wenn man so etwas macht, dann muss man sich nicht nur damit gut auskennen und Hintergrundwissen haben, dann muss der Leser eben auch spüren, dass sich das jetzt in den 50igern abspielt. Im Grunde könnte das zu jeder Zeit passiert sein. edit: beim nochmaligen Lesen: Bezieht sich das mit den fünfzigern nur auf die Arbeiterviertel und ihren Verfall? Bin mir jetzt unsicher)

Wie dem auch sei, mehr Szenen hätten der Geschichte gut getan und so etwas wie eine Charakterisierung, im Grunde sind die Figuren austauschbar.

Stilistisch ist mir noch der inflationäre Gebrauch der Adjektive aufgefallen:

Es war viel zu mild für einen Sonntag im Januar. Vor ihnen lagen verlassene Straßen, noch immer verklebt von den Resten einer ausschweifenden Silvesternacht. Gesättigt mit Wasser, das nach wochenlangem Regen in schmutzigen Pfützen verblieb, wie die Tränen in den Augen unzähliger Passanten, die hetzend ihren Hoffnungen in das neue Jahr folgten, sie doch nie zu fassen bekommen würden.

John und Maud durchquerten in stiller Zweisamkeit die Betonschluchten der verkaterten Stadt, passierten vergilbte Fassaden, Straßenecken, beladen mit Ungewolltem, Gesichter einzelner, vergessener Gestalten, mit strähnigen Haaren und offenen Händen. Armut kennt keine Feiertage. Die blühenden Arbeiterviertel der fünfziger Jahre hatten ihren Glanz lang verloren. Auf Wohlstand folgte Verfall, auf Verfall folgte Vergessen. Eine Rückführung in bessere Tage, gar ein Wiederaufbau, war der Traum vieler. Eine Erfüllung dieses Wunsches ließ jedoch vergeblich auf sich warten.


Krass oder?

Also, du kannst schreiben, das auf jeden Fall, aber man muss auch darauf achten, was man rüberbringen will, an Atmosphäre. Denn diese erzeugst du durch deinen Stil, und wenn dieser so beladen ist, dann nutzt sich das bisschen ab. Geh ein bisschen sparsamer damit um, deine Sätze wirken dann auch ganz anders.

JoBlack

 

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