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Großstadtgrab

jbk

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17.06.2003
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Großstadtgrab

Grßstadtgrab

Orte der Großstadt.
Haus der Anonymität. Nachbarn sind fremde Menschen, ein Fremder bin ich in diesem Haus. Meine Tür ist geschlossen, trennt die Wohnhöhle vom Korridor, der nackt im Neonlicht nach Putzmitteln riecht. Meine Schritte hallen von den Wänden wider, die nikotingelb angehaucht sind.
Der Aufzug ist außer Betrieb, das Treppenhaus gähnt vor Leere und fröstelt zwischen kahlen Mauern. Jeder Schritt verliert sogleich die Bedeutung auf abgelaufenen Stufen, als hätte er keine Existenzberechtigung in dieser kalten Welt.
Die Tür knarrt. Öl ist teuer- keinen Hausmeister hat dieser Bau gesehen seit etlichen Jahren, kein Finger die rostigen Klingelknöpfe mehr gedrückt. Leere Briefkästen sind stumme Zeugen der Tristesse.
Regen glänzt auf der asphaltierten Straße wassernass. Diesig das Zwielicht einer entfernten Straßenlaterne, wie eine Taschenlampe im Nebel. Der Wind heult heut besonders lustig, in Stößen, wie Schluchzer, durch die Gassen. Auf vereinzeltes Hundegebell höre ich schon lange nicht mehr. Katzenschreie verschluckt die Nacht als Vorspeise. Kaum hörbar rosten Autos.
Jede Ecke eine Heimat für Messer in den ausgehungerten Händen, vielleicht wohne auch ich bald blutend auf der Straße. Meine abgelaufenen Schuhe sind Paläste für schwarze Füße, die Stofffetzen Segel für ein Schiff auf dem Meer der Kälte. Vielleicht werden meine Haare bald eine Perücke sein, wenn sie gewaschen wurden.
Mein Kopf geneigt vom schluchzenden Wind, meine Haut durchweicht von Tränen. Das Schild wärmt mich von innen. Ein Grab ohne Blumen, nackte Erde, kalter Stein: es ist präsent, das Bild der Erlösung.
Schäbige Kirche als Ort der Zuflucht streunender Gestalten in Wirren der Zeit. Dunkle Fenster, unbemalt. Geschlossen die modernde Eichentür. Schon lange hörte ich die Abendglocken nicht mehr läuten. Vielleicht verschluckte sie der Ton des Dunkeln.
Zu sehen ist kein Mensch. Die Ecken heute unbewohnt. Ob anderswo noch Christbäume stehen, Zeichen der Tage von Harmonie, Tropfen im Gewitter der Zeit?
Eine Reklame flackert. Scheint zu kämpfen um das Leben, hoffend, dass der Strom nicht versiegt. Wetterleuchtend huschen Bilder längst vergangener Zeit am Horizont entlang, mehr Spott denn Licht, mehr Schmerz als Freude, gepeitscht vom Wind ins Meer des Vergessens.
Schaufenster lachen lichterloh zur Straße, grinsen mit der Pracht aus Elektronik wie ein Versprechen: Nimm mich und vergesse! Fernseher als Lagerfeuer unserer Zeit, Playstations sind Gesprächspartner. Handys ersetzen Höhlenmalerei. Der Konsument geht auf die Jagd!
Mammuts auf Burgern mit dem goldenem M. Stoßzähne tanzen im Loch meines Magens. Mit der Nase löffle ich Luft. Speie der Kälte Brocken entgegen, widerkäuend. Ich brauche doch auch sie zum Leben.
Verspiegelte Fassaden zeigen Tod. Masken tragen nun auch schon die Häuser, regungslos im Wind. Vergangenes in dunklen Ecken blutend auf der Nässe liegt. Klamm greift eine Hand und wedelt mit Gedärmen. Moderne Fahnen.
Volkes Kinder jubeln in der Nacht, die Nasen weiß. Die steinerne Treppe führt in Richtung Nirgendwo. Schnelle Tänze in den Augen, Partner sind blanker Stahl.
Ihre Rufe verschluckt die Nacht, gespiegelt in Pfützen triefende Leftzen.
Die Schuhe durchweicht die Träne, Socken stinken nach Einsamkeit. Wohlbekannter Geruch.
Uhr über der Straße will mich täuschen. Wer glaubt schon, dass alles vorwärts geht, in geregeltem Rhythmus?
Nur Stillstand wäre eine Wahrheit.
Meine Schritte versinken.
Es schlurft das U- Boot entlang der Riffe.
Vertraut glänzt sie noch wassernass.
Treppen hallen wie Sonar.
Die Luft ist rein, stickig und dick.
Die Tür knarrt.
Ich lasse sie geöffnet, damit der Tod nicht klingeln muss.

 

Hallo jbk,

eine Geschichte, die vor allem von den eindrucksvollen (und bildhaften) Beschreibungen der Kulisse lebt. Sprachlich sehr gut in Worte gekleidet, man kann sich als Leser das verlassene Haus sehr gut vor Augen führen. Dass in dem Text kaum Handlung vorhanden ist, fällt dabei kaum auf. :thumbsup:

Hab den Text gerne gelesen.

Grßstadtgrab
Schreib einfach eine PM an Paranova oder Batch Bota, die berichtigen dann den Titel (den ich übrigens sehr passend zur Geschichte finde).

Meine Schritte hallen von den Wänden wieder
wider

Viele Grüße,

Michael :)

 

Hallo jbk,

ich kann mich da nur anschließen - eine wunderschöne Geschichte. Insbesondere die Sinneseindrücke beschreibst Du sehr eindrucksvoll mit Deiner bildhaften Sprache, so dass die Großstadt-Tristesse gut rüberkommt.

mehr Spott den Licht
ich glaube, hier fehlt ein n bei "den"?
Der Schluss hat mir gut gefallen, er ist die logische Konsequenz aus der Geschichte.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hi,

dankend nehme ich eure positiven Kritiken an. Experiementiere gerade ein wenig in Sachen Stil, da sind die Feedbacks super- wichtig. :)
Freut mich, dass es euch gefällt.

@Michael:
Muss denn immer Handlung sein? ;)

@Juschi:
Mehr Spott den Licht klänge auch ziemlich VERDREHT... :)

 

Hallo jbk,
wenn der Text ein Stilexperiment war, dann ist es m. M. nach sehr gut gelungen. Mit den Beschreibungen ziehst du den Leser sehr schön runter.

Der Wind heult heut besonders lustig, in Stößen, wie Schluchzer...
Hier habe ich nicht verstanden, wieso der Wind ausgerechnet lustig ist.
Gruß
knagorny

 

Hi knagorny,

ziehe ich den Leser runter? Mmh, ist mir gar nicht aufgefallen...

Das "lustig" ist eine Empfindung des Prot., die wegen ihres Euphemismus und ihrer Paradoxität verstärkend und zugleich auch traurig wirken soll.
Klar ist dieser Wind nicht lustig, aber es stimmt doch um vieles mehr nachdenklich, wenn er als solcher beschrieben wird, oder nicht?

 

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen, vorallem die sich langsam steigernde Depression. Vor allem der Abschluss ist dir gelungen...RESPEKT!
PS: Ich fühlte mich auch runtergezogen!

 

Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschliessen, aber zur Zeit bin ich zu gut gelaunt, um mich runterziehen zu lassen... oder doch nicht? *heul*
Also, schoene Geschichte. Sehr schoene Geschichte.

 

Nabend,

scheint schön- schaurige Stimmungen zu schüren.
Überrascht mich ein wenig. War jedenfalls nicht meine Intention.
Aber wenn ich sie selbst noch mal lese.
Irgendwie schon...

Nachdenklich zurückgelassen grüßt
Jan

 

Ich erwarte jederzeit(!) einen Nutzen daraus, während Ausnutzen mir zu gewaltigtätig scheint: Wer hat wann die Türe eigentlich wieder geöffnet?
Was meinst du damit???

Ansonsten: ich hoffe, deine Träume gehen in Erfüllung ;)

Lg
Jan

 

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