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Großstadt im Herbst
Wie fing das alles eigentlich an?
Ach ja, wir hatten früher Schluss. Also sind wir noch weg gegangen um einen Kaffee zu trinken. Ich weiß gar nicht mehr, Milchkaffee oder Cappuccino oder so. Jedenfalls war er groß und drückte bald auf die Blase. Genau genommen drückte da noch etwas ganz anderes.
Wie auch immer, ich setze mich also auf die sehr gepflegte, angenehm saubere Toilette und da lag es!
Ein Blatt.
Richtiger müsste es heißen, ein Blättchen, denn es war nicht sonderlich groß. Birke oder so. Und es lag da einfach vor der Toilette.
Jetzt werden sie sicher sagen: „ Na und? Ein Blatt halt, was ist an einem Blatt schon so besonders?“
Ich werd’s ihnen sagen.
Groß geworden bin ich in einer Kleinstadt, dort gab es noch richtige Winter mit Schnee, richtige Frühlinge mit Verlieben, richtige Sommer mit Sonnenbrand und natürlich auch richtige Herbste mit richtig vielen, echten Blättern. Die fielen dann immer in Scharen von den richtigen Bäumen.
Das Problem an der Sache; Wo hat man hier in Köln noch richtige Bäume?
Natürlich stehen da ab und zu mal ein paar Bäume, aber wenn dann der Großstadtherbst kommt, sind die Blätter dieser Großstadtbäume schon dreckig bevor sie auf dem Boden ankommen. Ganz zu schweigen davon, wie sie aussehen, wenn sie dann in unzähligen Schichten nass auf der Strasse liegen und unser-eins, den tapferen Radfahrern, das Leben zur Hölle machen.
Was hatte all dies nun mit dem Blatt vor meinen Füßen zu tun, fragen sie sich?
Also, dieses kleine Blättchen dort, zwischen meinen beiden Fußspitzen, der Toilette und der Tür positioniert, war sauber.
Ein sauberes, zartes, kleines Blättchen, nichts weiter, nur dass es auf der Herrentoilette eines Kölner Großstadtcafés lag.
Es beschlich mich ein ungutes Gefühl.
Wie war es hierher gekommen?
Dieses Blatt hatte noch nie einen Schuh, geschweige denn eine Schuhsohle gesehen.
Der Wind wehte auch nicht sonderlich stark in diesem Café.
Es konnte nur zwei Lösungen für dieses Rätsel geben, entweder hatte ein grausamer Zeitgenosse eigens für mich dieses Blatt hier postiert, was recht unwahrscheinlich war, oder aber meine schlimmsten Vermutungen trafen zu.
In genau dem Moment in dem mir dieser Gedanke durch den Kopf schoss, schien das Blatt leicht zu beben.
Das reichte, ich zog mich wieder an ohne mein Geschäft verrichtet zu haben und schoss hinaus zu meinen Freunden.
„Was ist denn mit dir los? Du siehst ja aus als hättest du ein Gespenst gesehen.“
„Ach nichts, mir ist irgendwie nicht so gut. Ich hau ab, wir sehen uns morgen.“
Mit diesen Worten ließ ich sie da sitzen und machte mich auf den langen Weg nach Hause in meine sichere Wohnung.
Ich wähnte mich schon fast am Ziel, als ich von einer dieser Großstadtgangs überfallen wurde.
Sie lauerten mir hinter einem Stromkasten auf. In dem Moment, in dem ich an ihnen vorbei wollte, stürmten sie auf mich los.
Es waren größtenteils Kastanien- und Ahornblätter, aber unter ihnen war auch das ein oder andere Lindenblatt.
Wahrscheinlich Mitläufer, dachte ich und schlug den Angriff nieder, die Blätter in die Flucht und rannte was das Zeug hielt zu den sicheren Mauern meiner Wohnung.
Mit einem „Klack“ glitt die Tür hinter mir ins Schloss, mit zwei gekonnten „Klick- Klack“s hatte ich sie abgeschlossen.
Vollkommen erschöpft sank ich, den Rücken an der nun sicher verschlossenen Tür, in mich zusammen. Ich wollte weinen, riss mich dann aber doch noch zusammen und beschloss mir einen beruhigenden Tee zu kochen.
„Getrocknete und kleingehackte Blätter,“ sagte ich leise zu mir während ich meine Jacke auszog und sie an den Haken neben der Tür hängte, „was kann da schon passieren?“
Auf einmal merkte ich, dass etwas nicht stimmte, meine Nackenhaare, schon immer ein todsicheres Indiz dafür, stellten sich auf.
Langsam drehte ich mich zur Tür.
„Bloß keine hektischen Bewegungen!“ dachte ich.
Den Wasserkocher hatte ich schon in der Hand, da sah ich sie.
Sie waren zu zweit, ein Ahorn- und ein Kastanienblatt. Sie lagen dort vor der Tür, wo ich vor einem Augenblick selbst noch gesessen hatte. Sie müssen sich in meinen Jackentaschen versteckt haben. Und ich wusste genau, was sie vorhatten.
„Der Scheißtrick mit dem Trojanischen Pferd, hä? Nicht mit mir!“ schrie ich
und tat das erste, was mir in den Sinn kam, nämlich den Inhalt des Wasserkochers samt dazugehörigem Gefäß in ihre Richtung zu schleudern.
Kaum hatte ich das getan, da wusste ich schon, dass es ein Fehler war.
Den Druck des Schwappwassers optimal ausnutzend, machten sich die beiden Eindringlinge auf den Weg Richtung Tür.
„Verdammt, der Kapillareffekt!“ Konnte ich noch brüllen als ich mich mit einem Hechtsprung zur Tür warf, um das bereits kurz unter der Klinke klebende Ahornblatt abzureißen.
In dem Moment war mir klar, dies würde ein Kampf auf Leben und Tod werden. Keiner würde aufgeben und es stand Zwei gegen Einen.
Während ich das Ahornblatt eher schlecht als recht in Schach halten konnte, erwischte ich das Kastanienblatt mit der rechten Hand und konnte ihm in einer fließenden Bewegung zwei Finger abreißen. Von dem hatte ich vorerst nichts mehr zu befürchten.
Den Klang von brechender und reißender organischer Substanz nahm ich gar nicht mehr war. Ich war in einem Chlorophyll-Rausch.
Gerade in dem Moment, in dem ich das Ahornblatt mit einem gekonnten Würgegriff am Boden zu fixieren vermochte, öffnete sich die Wohnungstür und meine Mitbewohnerin trat, mit einem ziemlich verdutzten Gesicht ein.
„Wo kommt denn das Wasser auf dem Flur her? Und warum liegst du auf dem Boden?“
„Stell keine dummen Fragen, du siehst doch, dass es hier ernst ist. Los mach die Tür zu, sonst kommen noch mehr von denen rein.“ konnte ich im Kampf ums nackte Überleben noch herauspressen.
“Kümmer’ dich um die Scheiß Kastanie, der Penner will abhauen! Und mach die Scheiß Tür zu!“
Letzteres schrie ich.
Sie schloss die Tür zu und versprach mir sich um Hilfe zu kümmern. Daraufhin verschwand sie in ihrem Zimmer.
Ich konnte sogar in dieser extremen Situation verstehen, dass sie furchtbare Angst gehabt haben muss.
Schließlich konnte ich auch dem Ahorn das Genick brechen ohne weiter mit der Wimper zu zucken.
Nachdem ich die beiden Eindringlinge mit Hilfe der Küchenschere auf ein praktisches Kompostierungsmaß gestutzt hatte, schickte ich mich an, dem gesamten Übel auf der Straße da draußen ein Ende zu bereiten.
Ich hatte eine Mission.
Ausgerüstet mit Feuerzeugbenzin, Campingkocher, Gummihandschuhen und Schutzbrille wollte ich gerade meiner Bestimmung entgegentreten, als vor der Tür zwei gut gebaute Herren in weißen Uniformen standen.
Sie sagten, sie wollten sich an meinem Kampf gegen die marodierenden Blätterhorden beteiligen, ich müsste sie dafür allerdings in ihre Einsatzzentrale begleiten, da wir die ein oder andere Sache besprechen müssten und eventuell noch andere Mitstreiter bräuchten.
Das leuchtete mir ein.
Mit dem Einsatzwagen ging’s dann in die Zentrale, wobei wir durch die Hölle mussten, alles war voll von diesen abscheulichen Blättern, wo kamen die auf einmal alle her?
Dort angekommen hielten wir einige taktische Besprechungen ab, die hier Anwesenden waren zwar ein etwas lahmer Haufen, aber durchaus von meinen Plänen begeistert.
Sie mussten erst einmal fit gemacht werden, nicht jeder kann ein Blatt mit bloßen Händen töten. Als ich ihnen von meinem Erlebnis zuhause berichtete, sah ich Respekt in ihren Augen aufleuchten.
Um die Truppe zu formieren haben wir beschlossen, erst einmal ein wenig im sicheren Garten zu üben.
Sie haben hier eine Kampfmaschine, die nennen sie Häcksler. Sie sagen, wenn ich mich erst einmal von dem schockierenden Erlebnis in den eigenen vier Wänden erholt habe, könnten wir damit in die Stadt ziehen und dem Elend dort ein Ende bereiten.