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Grenzschutz-Patrouille
Kamen die Bomber der Engländer und Amerikaner in die Schweiz geflogen, war das meistens, weil sie über Deutschland beschädigt den Rückflug nach England nicht mehr schafften. Statt dass die Besatzungen im Feindesland absprangen, versuchten sie neutrales Gebiet zu erreichen. Meistens zerschellten ihre Maschinen nach der Grenze an einem Berg oder auf einem Feld. Manchmal kamen die Besatzungen um und manchmal hatten sie Glück. Dass der Absprung aus einem beschädigten Bomber in den Alpen gelang, erforderte tatsächlich viel, sehr viel Glück. Außerdem war das Wetter in der Nacht vom Zwölften auf den 13. Juli 1944 über den Ostalpen kein Fliegerwetter.
Schneeböen waren über die Gebirgskämme hinweggefegt und hatten die Sicht auf nahezu Null vermindert. Einwohner eines Dorfes hatten ein Flugzeug und eine Explosion gehört. Sie alarmierten die Polizei und die Polizei alarmierte das Militär. Am frühen Morgen des 13. Juli klarte der Himmel auf. Eine Patrouille der Grenzschutz-Kompanie II/259 wurde ausgesandt. Ihr Befehl: Die Lage aufklären und allenfalls Überlebende zur Internierung festnehmen.
„Das ist aber seltsam“, sagte Füsilier Guler. Er stand bei einem Schneefeld und zeigte auf eine Spur, die das Feld querte. Deutlich war der Abdruck eines Stiefels zu erkennen.
„Teufel auch, das ist ja mindestens Größe …“ Niggli setzte seinen eigenen Fuß neben die Spur und kratzte sich an der Stirn. „Was ist das, Schuhgröße 48, oder so?, und was ist mit dem anderen Fuß? Der ist normalgroß. Herr Leutnant, sehen Sie?“
Der Leutnant stand einige Schritte entfernt und schaute durch einen Feldstecher. Weiter hinten im Tal lag ein Karr, ein kleiner Talkessel. Er suchte das Kar ab, wo der Weg über ein Joch ins Österreichische ging. „Das da ist die Spur eines einzelnen“, sagte er, indessen er noch immer durch das Fernglas schaute. „Eigentlich müssten es zehn sein.“
„Vielleicht wurden die anderen getötet“, wandte Guler ein.
„Ja, kann sein“, murmelte der Leutnant, „oder sonstwas.“ Er verstaute den Spiegel in dessen Halfter und kehrte sich seinen fünf Füsilieren zu. „Halt auf!“, befahl er. „Den einen kriegen wir.“
Die Flugmotorenfabrik Allach GmbH war eine Gründung der BMW AG und der BMW Flugmotorenbau GmbH. Der Betrieb wurde von der NS-Regierung unterstützt. Schattenwerk wurde er genannt, weil er bereits vor dem Krieg geheim gehalten werden musste. So, weil er dem Aufbau der Luftwaffe diente und somit gegen internationale Verträge verstieß. In den Kriegsjahren waren ungefähr 15-tausend der 17-tausend Arbeiter Zwangsarbeiter.
„Guler und Niggli kommen mit mir. Die anderen sichern ab und geben, falls nötig, Feuerschutz. Alles klar?“
„Jawohl, Herr Leutnant.“
Der Leutnant schaute seinen Füsilieren in die Augen. Er schaute jedem in die Augen, bis er nickte. Guler und Niggli nickten rasch. Steiger und Battaglia nickten auch. Nur Thöny zögerte einen Augenblick. Er senkte den Blick, schaute zur Seite und in den Himmel. Doch dann nickte auch er.
Mitten im Kar stand eine Hütte. Die Soldaten kannten sie. Schon oft hatten sie darin übernachtet, wenn sie auf Patrouille waren. Hundert Schritte davon entfernt floss ein Bach. Das Bachbett lag vertieft. Seine Böschung war geeignet, wenn man sich verdeckt der Hütte nähern wollte. Thöny, Steiger und Battaglia hielten sich hinter der Böschung bereit. Doch Guler, Niggli und der Leutnant verließen deren Schutz und näherten sich mit entsicherten und ausgerichteten Waffen der Hütte.
Durch das amerikanische 809. Ingenieur Bataillon erbaut, war das Flugfeld von Glatton in England die Basis der 457. Bombergruppe. Die Bombenfracht einer B-17G-20-BO bestand aus Spreng-, Brand- oder Splitterbomben. Das Gewicht der MG-Munition war dagegen eher gering, sprich eine Tonne. Das Fluggewicht bestimmte, wie weit die Bomber fliegen konnten. Bis zu 2900 Kilometer weit konnten sie fliegen. Allach bei München lag somit in Reichweite.
Füsilier Thöny zielte auf die Hütte. Er legte den Finger auf den Abzug. Bis an den Druckpunkt zog er ihn zurück. Er zwang sich, tief und ruhig zu atmen. Doch kaum, dass er den Druckpunkt erspürt hatte, begann sein Hand zu zittern. So heftig überkam es ihn, dass er erschrocken den Abzug wieder losließ. Verunsichert schaute er zu Steiger hinüber. Steiger lag keine zwei Meter entfernt. Den Karabiner im Anschlag spähte er über Kimme und Korn hinweg.
„Ich kann nicht“, sagte Thöny. „Wenn es Deutsche wären, ja. Aber das sind keine.“
„Was, du kannst nicht? – Reiß dich zusammen.“
„Aber das sind Amerikaner. Das ist Wahnsinn.“
„Amerikaner, Deutsche, Russen – was macht das schon für einen Unterschied. Wenn die schießen, dann schießen wir zurück“, zischte Steiger.
Thöny wandte den Blick erneut nach der Hütte. Vorsichtig legte er den Finger wieder auf den Abzug. Doch seine Hand zitterte noch immer.
Zur 457. Bombergruppe der 8. US-Air Force gehörten 36 Bomber. Insgesamt starteten am Zwölften Juli 1944 1124 Bomber und 717 Jäger. 2708 Tonnen Bomben wurden abgeworfen. Ein Bomber der 457. wurde vor dem Abwurf durch Flakfeuer beschädigt und musste abdrehen. Zwei Jäger begleiteten ihn bis an die Grenze der Schweiz. Während des ganzen Fluges verlor die Maschine an Höhe und konnte kaum gerade fliegen, da nur noch die linken Motoren arbeiteten.
Füsilier Guler zielte auf die Hüttentür. Niggli näherte sich der Tür von der Seite. Der Leutnant hob eine Hand. Alle drei hielten kurz inne und horchten. Jemand befand sich in der Hütte. Deutlich konnte man Geräusche hören, als würde etwas geschabt. Der Leutnant legte den Zeigfinger auf die Lippen und wies Niggli mit einer Handgeste an, die Tür aufzureißen. Niggli wollte gerade nach der Klinke greifen, als die Geräusche in der Hütte aussetzten.
552 war die Nummer des Bombers, der vor München Allach getroffen wurde. Er gehörte der 748th Squadron, der 457th Bomb Group, der 8th Air Force an. Auf seinem Seitenleitwerk war ein großes, weißes „H“ aufgemalt. Obschon es Juli war, geriet er über den östlichen Alpen in Schneeböen und verlor so sehr an Höhe, dass der Pilot zwischen Berggipfeln durchzirkeln musste. Als von vieren auch noch der dritte Motor ausfiel, machten sich die Schützen zum Absprung bereit.
„Don´t shoot, don´t shoot!“ Als der Amerikaner plötzlich in der Tür stand, visierte Steiger hastig dessen Brust an. Fünf Sekunden braucht einer für einen Fangschuss, wenn er dazu die Deckung verlassen muss, vier oder drei Sekunden, wenn er schon bereit liegt und den ungefähren Standort des Ziels voraussehen kann. Thöny ließ das Gewehr los und riss die Augen auf. Der Leutnant brüllte: „Hände hoch!“, und fuchtelte mit der Pistole himmelwärts, als wollte er anzeigen, was mit hoch gemeint war. Niggli und Guler standen nahe genug für einen Schuss aus der Hüfte. Doch sie erkannten gleich, dass der Gegner sich ergeben wollte. Allein Steiger war zu weit entfernt, um sicher sehen zu können, ob der Mann bewaffnet war, derweilen der Bach rauschend dessen „Don´t shoot, don´t shoot!" übertönte.
Da endlich riss der junge Kerl seine Hände hoch und hob sie über den Kopf.
Mit ihm waren der Pilot Gerald L. Kerr geflogen, der Copilot Arthur H. Lindskoog, der Navigator Edward A. Schilling, der Bombenschütze Melvin L. Levine, der Funker Ernest J. Hegedus, sowie die Schützen Donald B. Boyle, Harold E. Ahlfors und Samuel P. Younger. Finneran war der einzige, der wirklich Glück hatte. Die vor ihm abgesprungen waren, landeten um wenige Kilometer vor der Grenze und gerieten in deutsche Gefangenschaft, der Fallschirm des Co-Piloten, der mit Finneran absprang, öffnet sich zu spät und die nach ihm noch abspringen wollten, flogen kurz darauf gegen einen Berg.
Noch ein Detail zum Schluss: Bei seiner Festnahme trug Finneran einen einzelnen Überschuh. Getragen wurden diese besonders dicken und warmen Überschuhe, weil es in großen Höhen sehr kalt ist. Den zweiten hatte er beim Absprung verloren.