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Grenzgänger
Das Leben in Südbaden hat zweifellos seine Vorteile. Das sonnige Wetter lässt die Weintrauben reifen und versüßt das Leben der Einheimischen. Von hinter dem Rhein richtet Frankreich seine warmen Grüße aus. Alexander Zielinski fühlte sich hier jedenfalls wesentlich wohler, als in seiner polnischen Heimat. Auf den Einreisepapieren war die Tinte noch nicht wirklich trocken und er fuhr bereits mit dem Auto durch die Gegend. Neunzehn Jahre alt, selbstsicher, intelligent und an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Seine Mitschüler zerbrachen sich den Kopf darüber, woher Alex das Geld nahm. Doch die Antwort war so banal wie einfach. Sie bestand in der Nähe eines anderen Landes, in dem der Verkauf von Duftsäckchen mit Marihuana damals noch legal war. Die grüne Grenze in der Nähe von Basel wurde nur selten kontrolliert. Manchmal standen zwar Grenzbeamte herum, doch beim Anblick eines hoch gewachsenen, durchtrainierten Radrennfahrers mit Helm, Sonnenbrille und originaler Sportlerbekleidung kam ihnen offensichtlich nie in den Sinn, dass in den dünnen Rädern mehrere Hundert Gramm Gras Platz fanden. So hatte es jedenfalls jahrelang funktioniert und Zielinski hatte keinen Grund, sich über irgend etwas zu beklagen. Er konnte sich alles leisten, was er für ein angenehmes Leben benötigte. Doch es musste mehr sein. Der Übergang von der Deutschen Mark zum Euro hatte seine Ersparnisse de facto halbiert. Aus Aufregung darüber machte er sich ununterbrochen Gedanken, wie er zu noch mehr Geld gelangen konnte. Die Abiturprüfungen standen ganz klar an zweiter Stelle. Lange Zeit kam ihm nichts Sinnvolles in den Kopf. Es gab nur die Möglichkeit, den Stoff in geringeren Mengen selbst zu verkaufen, anstatt seinen Profit mit den Kleindealern teilen zu müssen. Doch das brauchte viel Zeit und war ein sehr risikobahaftetes Unternehmen. Die Gefahr beim Transport erwischt zu werden, war das eine. Hier musste man sich schon sehr dumm anstellen oder enormes Pech haben. Doch wie viele kiffende Trottel reden am Telefon darüber, werden erwischt und geben den Bullen ihre Lieferanten heraus. Sie direkt zu bedienen glich einer tickenden Zeitbombe, die früher oder später zu einem Besuch der Kriminalpolizei geführt hätte. Außerdem würde das ganze viel zu lange dauern und Alexanders Bekanntenkreis um viele Chaoten unnötig erweitern. Der Einfall kam während einer Mathematikklausur. Dieser erschien ihm so genial, dass plötzlich ein lautes "aaaahhh" im stillen Klassenzimmer erklang. Die Mitschüler blickten ihn fragend an. Des Rätsels Lösung hieß Haschischöl. In kleinen Fläschchen abgepackt ließ sicht das Zeug schnell an die Kunden verteilen. Dabei war es in ganz kleinen Dosen schon extrem wirksam. Noch am gleichen Abend hatte Zielinski alles in Erfahrung gebracht, was er für sein Unternehmen brauchte und begann mit der Durchführung des ersten Experimentes. Es klappte! Vier Tage später nahm er mit einer Nadel einen Tropfen aus der gewonnenen Flüssigkeit und strich damit eine Zigarette mit abgerissenem Filter an. Zwei schwarze Streifen auf dem weißen Papier. Durch seine dicken Brillengläser hindurch betrachte er das vollbrachte Werk. Und das Resultat war eine bombastische Wirkung.
Am Montag ging Alexander frühmorgens zum Arzt und klagte über schreckliche Bauchschmerzen. Er wurde für die ganze Woche krank geschrieben. Das Attest warf er in den Briefkasten und machte sich auf dem Weg nach Basel. Er checkte in einem Hotel am Stadtrand ein und besorgte innerhalb von zwei Tagen Cannabis im Wert von fast zwanzig Tausend Euro. Die nächsten Tage verbrachte er damit, das Zeug in Einmachgläsern zuzubereiten. Teilweise im Hotel, teilweise im Auto. Die Gläser wurden zwischendurch immer ordentlich geschüttelt und dann musste wieder gesiebt werden. Der Geruch war fürchterlich stark, besonders im Wagen wo sich der größere Teil befand. Wenn er nichts zu tun hatte, packte Alexander die Bücher aus und lernte für das bevorstehende Abitur. Am Sonntag war schließlich alles fertig und ein großes Glas für eingemachte Gurken stand auf dem Nachttisch neben seinem Bett. Es war bis zum Rand voll. Die Gier funkelte in seinen Augen, als er beim Anblick des vollbrachten Werkes den Profit ausrechnete. Noch am selben Abend würde ein guter Bekannter das Ding über die Grenze nach Weil am Rhein bringen. Alex wollte das auf keinen Fall selbst riskieren.
Die schweizer Grenzwächter passierte er in seinem alten Toyota völlig problemlos. Nicht aber die deutschen. Diese hielten ihn an und ließen ihn zur Seite fahren.. Einer der Beamten wollte Alex gerade nach seinem Ausweis fragen als ihm aus dem geöffneten Fenster ein gut bekannter Geruch in die Nase einschlug. "Kommen Sie mal bitte aus dem Wagen".
In der nächsten Stunde wurde das Fahrzeug komplett durchsucht. Jede Ecke, jede Spalte, jeder Teppich wurde umgedreht. Auch Zielinski musste die Taschen leeren. Nichts, kein Marihuana. Die Bullen wurden stutzig. Wenig später wurde ein Drogenhund geholt. Dieser begann schon vor weitem damit durchzudrehen. Der Geruch des Haschischoels war so stark, dass man gar keinen solchen Hund benötigt hätte. Doch auch dieser fand keine Ware. Es stank überall, nur entdecken könnte niemand etwas. Im Kofferraum lagen einzig zwei volle Flaschen Propylallcohol herum und eine, die zur Hälfte leer war. Die Beamten begannen zu ahnen, das hier etwas faul war. Langsam dämmerte ihnen auch, was sich da in dem Auto hätte abgespielt haben können. Ein blonder, noch ganz junger von ihnen schrie plötzlich laut auf. "Hey, der hat doch einen Hotelschlüssel dabei gehabt." Und auch die anderen blickten plötzlich allesamt in die Richtung, wo Alexander gestanden war.
"Wo ist er eigentlich?"
Alex rannte so schnell, wie er noch nie in seinem Leben gerannt war. Die Bäume, die kleinen Häuser, all das flog in einem Wahnsinnstempo an ihm vorbei. Er lobte den Tag an dem er mit Leichtathletik angefanfen hatte. Den Weg hatte er im Kopf und wusste ganz genau, wohin es ging. Im Hotel angekommen sprintete er die Treppen hinauf in sein Zimmer und öffnete dieses mit dem Schlüssel, den die Bullen versäumt hatten, ihm wegzunehmen. An der Tür hing nach wie vor das kleine Pappschild "Bitte nicht putzen". Er fiel auf den Boden und schnappte hastig nach Luft. Sein Gesicht war rot und der Schweiß lief in Strömen von der Stirn, die slawischen Backenknochen hinunter. Alex hatte schon unterwegs nachgedacht, wohin er das Einmachglas mit dem Öl verstecken sollte. Am besten irgendwo im Wald. Doch dafür brauchte er eine Tüte und er hatte jetzt keine. Und wieviel Zeit habe er überhaupt zur Verfügung. Sein Auto stand noch immer an der Grenze. Dort, wo diese grünen Männlein vom Zoll es gerade in seine Einzelteile zerlegten. Im nächsten Augenblick donnerte die Schläge auf die Eingangstür ein. Jemand klopfte wie wild an.
"Aufmachen, Polizei" erklang es mit einem Schweizer Dialekt. Alex packte das Glas, das er unter dem Bett versteckt hatte und sperrte sich im Bad ein. Mit seinen zitternden Händen grub er das Öl raus und warf es in die Kloschuessel. Innerhalb einer einzigen Minute, während das Hämmern am Eingang nicht aufhörte, hatte Zielinski seine gesamten Ersparnisse in die Kanalisation gespült. Als schließlich die Tür geöffnet worden war, saß er auf der Bettkante. Im Bad stand ein mit Duschgel durchgespültes, absolut leeres Gurkenglas. Dieses roch zwar noch immer extrem nach Haschisch, doch das war dem Staatsanwalt zu wenig, um das Ermittlungsverfahren zur Anklage zu bringen. Die Sache wurde fallengelassen. Sie ist heute nur noch eine Geschichte, die der Ingenieur Alexander Zielinski bei einem Bier seinen Freunden in der Kneipe erzählt.