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Grenzerfahrungen
Man könnte sagen, ich bin komplett eingesogen, in Besitz genommen.
Stadtplanerisch bedingte Verwirrung ist gang und gebe, Orientierung aber leicht und das macht es so außergewöhnlich. Am Ende des Tages enden Kopfsteinpflaster sowie verwobene Gänge in einem der zahlreichen glasüberdachten Innenhöfe, Lager und Geschäfte der alten Tuchhändler, doch obwohl der Geist der Vergangenheit in zerbrochenen Teilen überall gegenwärtig zu sein scheint, wartet der Gegenpol mit moderner Beleuchtung auf, die in weißen Kugeln von der Decke hängt. Übergänge werden fließend, Gegenwart und Vergangenheit mal Hand in Hand, mal unvereinbar getrennt.
Dieser Abend hätte in jeder Stadt so zustande kommen können, doch er tat es erst hier. Viele Menschen, viele Emotionen, viele Geschichten und viel Alkohol. Dieses Orchester spielt seine süße Symphonie direkt in unsere Ohren und erschafft eine Blase, ein Ich-Du. Ein Fluchtversuch käme Blasphemie gleich, aber wer möchte den Himmel schon freiwillig verlassen? Zeit verbrennt wie eine Zigarette nach der anderen, je mehr des Einen desto weniger des Anderen. Aber wer möchte sich damit schon beschäftigen?
Jetzt geht es nur um uns, um mich, um dich, um euch, um uns und um die Glässer, die sich Runde für Runde, um die Worte, die sich Stunde um Stunde auf dem Tisch stapeln, meistens träge, manchmal scharf, selten süß aber immer persönlich und darauf kommt es an. Ein erstes Ergebnis. Idealismus, Phänomenologie, Logik, Dialektik?
Vielleicht. Lieber nochmal überprüfen.
Möchte man sich testen, wechselt man in eine andere Subgruppe und tätigt unqualifizierte Aussagen über Weltpolitik. Hitler war scheiße, da finden alle einen Konzens. Nicht das es wichtig gewesen wäre, heute betreiben wir Formalismus und das ist gut so.
Der Abend zieht, wir ziehen und alles wird benebelt. Dazwischen Gerede über Ästhetik und Hempel und manchmal über Fußball oder Mexiko oder Russland oder Australien, Hauptsache nicht aufstehen müssen. Der Osten ist problematisch, der Westen auch und die EU sowieso, deswegen darf man sich wohl beschweren, aber nur wenn man danach auch erleichtert ist. Wenn dann alles im Bernstein ersäuft, spielt es keine Rolle mehr, zumindest für den Moment. Kommunikation ist schwer, aber machbar. Solange es Möglichkeiten gibt, spielt dass, was tatsächlich ist, eine untergeordnete Rolle. Wenn es ins rollen kommt, dann natürlich wieder nicht. Wieder drückt man aus sich raus, was raus zudrücken möglich ist. Ein hin und her, ein auf und ab, für den Einzelnen mehr ab als auf, aber dadurch paradoxerweise mehr auf als ab, für jeden von uns. Wird die Perspektive zum Tunnel, kommen die anderen zur Rettung, wird sie zu groß lassen wir uns zusammen retten und alles ist wieder gut.
Das Ende herauszögern, so lautet unsere gemeinsame, niemals kommunizierte, aber stets verstandene Devise.
„You know, I had a lot of psychological problems back in the days but it helped me to understand myself. What do you think about that. Maybe im just dumb?"
Mit östlichem Akzent.
"I don't know. Maybe."
Mit westlichem Akzent.
Dann Gelächter.
Vielleicht aus Peinlichkeit, aber Lachen ist Lachen und da lacht man mit.
Also doppeltes Gelächter.
Irgendwann muss man schlafen. Unumgänglich wie der Tod schleicht sich die Müdigkeit an und selbst wenn man glaubt, man könne dagegen ankämpfen, man könne es herauszögern, am Ende überwältigt die Pflicht. Manchmal kann es schwer fallen, weil man weiß, man könnte etwas verpassen. Egal was. Und dann liegt man alleine, aber man möchte nicht alleine liegen sondern gemeinsam liegen
Wieder hell, viel zu hell, um liegen zu bleiben. Wie eine eingerostete Maschine kratzt jede Bewegung. So sollte es nicht sein, aber man muss eben Opfer bringen. Körperliches Unwohl gegen geistiges Wohl, vielleicht ein fairer Tausch, aber wieso muss es überhaupt ein Tausch sein? Egal, nicht nachdenken, zumindest nicht jetzt. Automatismus greift über.
"Danke, lieber Automatismus."
"Kein Problem, mein Kind. Ich halte dir den Rücken frei."
Stunden vergehen, entweder in stickig-brennenden oder luftig-frierenden Räumen. Nur Extreme, keine Mitte, auch nicht mit Bitte, meine persönliche Bestrafung. Abschalten, durchhalten und weiter geht die fahrt.
Diesmal ist es ein Wiederkommen, Räume die mich fühlen lassen, oder eher mich fühlen lassen sollten, doch Moment ist da nichts. Trotzdem sollte ich so tun und baue ein Theaterstück wie jeder andere. Alle spielen sie die Hauptperson des Intellektuellen, in der Realität bin ich Statist.
Diesmal war es nicht so abstoßend, wenn ich rauskomme, dass weiß ich schon, wird mein Körper rauchen und schreiben. Sprint zur Tür, jeder Frage nach Ehrlichkeit oder "Authentizität" ausweichen, so gut es geht.
"Möchten sie etwas Authentizität kaufen?"
"Nein danke, ich habe bereits Kopfschmerzen."
"Kann ich sie in diesem Fall für etwas Integrität begeistern?"
"Da kann ich nicht Nein sagen."
Jetzt kann mir keiner mehr vorwerfen, ich sei ein Skeptiker. Meinung ist Meinung und Wahrheit ist Wahrheit und in der Mitte stehen alle wie eingezäunt auf einem Fleck und prügeln sich zur Bewusstlosigkeit. Für mich ist das Schwachsinn.
Je mehr Schritte ich zwischen mir und dem riesigen Glaskasten bringe, desto leichter wird mir. Endlich zurück in den Rausch, endlich zurück in den Rauch, endlich dorthin zurück, wo Zeit klebt, wie unser Tisch um vier Uhr morgens. Sonnenbrille auf und rein ins Getümmel, nicht um sich zu verstecken (als hätten wir es nötig!), sondern um sich zu finden.
Plötzlich ein Blick in die Zukunft, Ich im Zug, Lärm und jede menge Langeweile.
Ein Verlangen aufzustehen und umher zu schlendern, ohne Grund und ohne Ziel aber dafür mit einer durch ein ordentliches Fahrtempo bedingte Ungenauigkeit.
"Am besten nicht aufhören, immer weiter vorwärts kämpfen."
Aber ich liebe das aufhören so sehr, wie das anfangen. Könnte schwierig werden.
Endlich bei dem imaginären Ziel angekommen, gönnt man sich erstmal eine Verschnaufpause.
"Wie viel für einen Kaffee?"
"Normaler Kaffee? Drei Euro. Möchten sie einen?"
"Sind sie bescheuert? Sehe ich aus, als würde ich Geld scheißen?"
So wurde die Konversation geplant, praktisch würde es (wie so oft) komplett anders ablaufen.
Saftiges Grün und gleißendes Blau wurden durch ein unehrliches Tunnelschwarz vor mir versteckt. Plötzlich Lichter. Neonblau. Neonrot. Neongelb. Und dann Musik.
Anscheinend hatten wir uns in einem Club niedergelassen. Blumenförmige Tische füllten sich bei bunt-blinkender Beleuchtung mit unnötig hohen Schnapsgläsern.
Später dann der Bruch. Warum forderst du mich zum tanzen auf, wenn ich doch überhaupt nicht tanzen kann? Dein falscher Mut und mein falsches Selbstbewusstsein, eine gefährliche Mischung, hochexplosiv. Am nächsten Morgen scheint für mich die Sonne, doch was ist mit dir?
Zeit für Sorge ist oft verlorene Zeit und du hast sie leider verloren.
Es tut mir leid.
Kein Abschied, nur Komik, aber keine von der guten Sorte.
Es tut mir leid.
"Habe ich das schon gesagt?"
"Tausend mal."
Für dich die Frau ein Mythos, so wie Sisyphos oder Max Klingers Beethoven, der Mann ein physikalisches Phänomen, berechenbar wie Luftdruck oder Zentrifugalkraft.
Deswegen unvereinbar.
Meine Meinung?
Ich habe keine.
Mehr so: Leben ist ein Mythos und wir alle fordern von Zeit zu Zeit die Götter herraus, gleichzeitig berechenbar und kalt. Unvereinbar pluralistisch veranlagt aber am Ende kommt alles trotzdem zusammen, das Ergebnis ist Verwirrung. Dann Vorwürfe, dass ich zynisch sei.
Kein Kommentar.
Masse wächst, Masse lebt, Masse klebt und manchmal kocht sie auch. Wo soll man also hin, wenn man es gerne kalt hat? Das Optimum ist ein unerreichbarer Ort mit tausend Straßen, unbefahrbar, trotzdem bleibt es Urlaubsziel Nummer eins. Trotzdem fahren manche bis zu einer der eingestürzten Brücken, steigen aus, Mann und Frau oder Mann und Mann oder Frau und Frau, aber immer mit Kindern im Gepäck, nur um erneut zu zeigen, wo sie einmal fast angelangt wären. Ist das zynisch?
Vielleicht. Aber auch nicht das eigentliche Thema.
"Do you love me?"
Keine Antwort.
Die Komik: ich sage nicht, was ich will, sondern was die Sprache will. Ich bin das Opfer meines kleinen Wortschatzes.
Missverständnis, dann Streit, bei dem kein böses Wort geäußert wird. Ob ich keine Peinlichkeit fühle?
Da waren Du und Ich. Du und Ich und die Anderen. Du und Ich und die Anderen und die Stadt. Warum sollten schöne Zeiten peinlich sein? Hand gehalten, nun verloren.
In deinen Augen bin ich ein Unmensch, weil in meinen Augen all das dazu gehört; es ist nunmal so. In deinen nicht, nur Empörung. Vielleicht doch kein Zyniker, eher so homo faber.
Dann Vorwürfe, mein eigenes Wort wird gegen mich verwendet.
Pragmatismus ist die Philosophie der Faulen.
Aber jeder verändert sich und entweder habe Ich intensiver nachgedacht, oder Ich bin fauler geworden. Das Ergebnis ist gleich.
Dann wieder im Zug, genau wie vorhergesagt, doch irgendwie trotzdem anders. Wieder am Bahnhof, wieder auf der Rolltreppe. Jeder nur für sich, morgens pünktlich beim Bus.
Wenn man dann, angelehnt an das vibrierende Glasfenster, die vorbeiziehend Stadt vor Augen, zurück denkt, ist eh alles anders.