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Grenzerfahrung
Der holländische Zöllner gähnt und winkt uns mit müden Armbewegungen weiter.
„Haben Sie was zu verzollen?“, fragt sein deutscher Kollege, während er unsere Personalausweise entgegen nimmt. Nachdem wir diese Frage treuherzig und ehrlich verneint haben, verschwindet er in seinem Kabuff, um die Daten unserer Personlausweise in seinen Computer einzutippen und somit herauszufinden, ob es sich bei den beiden Insassen des verdächtigen Wagens um strafrechtlich relevante Individuen handelt. Währenddessen umrundet ein anderer Zollbeamter meinen roten R 4, bleibt schließlich hinter dem Wagen stehen und betrachtet die dort angebrachten Aufkleber.
Während ich überlege, ob Zöllner nur bestimmte Automarken kontrollieren, fällt mir ein, dass ich vor kurzer Zeit schon einmal an einer Grenze gründlich gefilzt worden bin:
Ich war mit Harald in Luxemburg unterwegs gewesen. An der Grenze von Luxemburg nach Frankreich wurden wir von einem französischen Grenzbeamten aus dem stetig fließenden Strom der Grenzgänger gewinkt. Während ich noch überlegte, warum es Grenzgänger heißt, obwohl doch die meisten mit dem Auto die Grenze passieren und somit eigentlich Grenzfahrer der korrekte Begriff sein müsste, forderte uns der französische Zöllner hektisch auf, das Auto zu verlassen, übrigens eine quietschgelbe Ente, vielleicht gibt es ja doch bestimmte Automarken, die von Schmugglern bevorzugt werden.
Während Harald die Ente leer räumen musste, wurde ich von einem französischen Grenzbeamten gebeten, mit auf die Wachstube zu kommen, wahrscheinlich, um seinem Vorgesetzten zu erklären, woher wir kamen und wohin wir wollten. Dies konnte ich allerdings nur vermuten, da ich außer „Parlez vouz francais“ kein Wort Französisch verstehe, die Sprache noch nicht einmal mag, sie klingt in meinen Ohren arrogant, so dass ich mich immer geweigert habe, sie zu lernen, aber das konnte ich den französischen Grenzbeamten ja nicht erklären, höchstens auf Deutsch, und das hätten sie vermutlich nicht verstanden, da sich Franzosen bekanntermaßen weigern, eine andere als ihre Sprache zu verstehen. Und wenn mich einer der französischen Grenzbeamten doch verstanden hätte - es soll ja auch bei den Franzosen Ausnahmen geben - hätte er mich vermutlich für arrogant gehalten, und das wollte ich wegen der Völkerverständigung denn auch nicht riskieren, immerhin habe ich, wenn ich in Frankreich bin, was nicht oft der Fall ist, weil ich die Franzosen ja für arrogant halte, immer ein schlechtes Gewissen, da mein Großvater geholfen hatte, dieses Land zu besetzen, und ich glaube, dass mir jeder Franzose an der Nasenspitze ansehen kann, dass ich aus einer Familie komme, die an der Besetzung seines Landes maßgeblich beteiligt gewesen war.
So standen wir uns also gegenüber, der Franzose und ich. Er redete auf mich ein, ich zuckte nur mit den Schultern und dachte daran, dass viele Jahre zuvor mein Großvater vielleicht gerade hier auf einen Franzosen eingeredet hatte, der ihn genauso wenig verstanden hatte, wie ich den französischen Grenzbeamten. Schließlich verlor der Mann vor mir die Geduld und zeigte mir gestenreich, dass ich mich meiner Kleidung entledigen solle. Ich dachte, dass ein Spanier dies mit wesentlich mehr Grandezza hätte darstellen können, doch dann fiel mir ein, dass Grandezza aus dem Italienischen kommt.
Ich zog also meine Jeans, mein Hemd, meine Turnschuhe, meine Socken, das T-Shirt und letztlich und auf besondere Aufforderung des französischen Grenzbeamten hin meine Unterhose aus und stand schließlich splitterfasernackt in der gut beheizten Wachstube. Während der französische Grenzbeamte intensiv jedes Kleidungsstück untersuchte, fragte ich mich, warum es splitterfasernackt heißt, denn ich hatte ja weder Splitter noch Fasern am Leib, sonst wäre ich ja auch nicht nackt gewesen. Den Franzosen vor mir konnte ich wegen meiner mangelnden Französischkenntnisse auch nicht fragen, und so beschloss ich, diese Überlegungen auf später zu verschieben. Vielleicht würde Harald mir weiterhelfen können.
Nachdem der französische Grenzbeamte all meine Kleidungsstücke untersucht hatte, ohne Waffen oder Drogen zu finden, sah er mich lange von oben bis unten an; vielleicht fragte er sich, wie ein Volk, das so schmalbrüstige junge Männer hervorbringt, je sein Land hatte besetzen können. Aber selbst wenn ich auf diese unausgesprochene Frage eine Antwort gehabt hätte, ich hätte sie ihm wegen meiner nichtvorhanden Französischkenntnisse nicht geben können.
An all dies muss ich denken, während ein Zollbeamter unsere Pässe kontrolliert und der andere die Aufkleber am Heck meines roten R 4 entziffert. Schließlich beendet letzterer seine Lektüre und kommt an die Fahrertür gedackelt. Er beugt sich hinab und fragt, ob wir Drogen bei uns haben. Ich ahne, warum er diese Frage stellt, schließlich ist einer der unzähligen Aufkleber ein kiffender Snoopy und auf einem anderen Aufkleber fragt Charlie Brown „Wo krieg ich Rauschgift?“, trotzdem hätte ich nie geglaubt, dass mir ein Staatsbediensteter je eine so dämliche Frage stellen würde, oder glaubt er wirklich, wir wären Kleindealer, die mit einigen Gramm Haschisch oder Kokain aus Holland nach Deutschland einreisen und nun wegen des strengen Blicks, mit dem er diese Frage nach Rauschgift stellt, kalte Füße bekämen und ihm mit kummervoller Miene ein Geständnis vorjammern, auf dass seine Beförderung gesichert wäre. Oder fragt er etwa in der Hoffnung, wir hätten Rauschgift an Bord und würden ihm nun zwecks Bestechung einen Joint anbieten?
Während mir diese Überlegungen durch den Kopf schießen, schaue ich auf den neben mir sitzenden Frank, den alle nur Henson nennen, seitdem er seine Nickelbrille gegen eine Hornbrille ausgetauscht hat, die denen der Henson Brothers in seinem Lieblingsfilm „Schlappschuss“ ähnelt. Ich sehe, dass Henson schwer genervt ist, wer wäre das nicht, immerhin hatten wir eine Woche in Holland verbringen, das Nachtleben von Amsterdam auf den Kopf stellen und so viele holländische Meidjes wie möglich flachlegen wollen, aber schon nach der ersten Nacht mussten wir feststellen, dass unsere Reisekasse gemeinsam mit den beiden Mädels aus Rotterdam den Zeltplatz verlassen hatte.
Und noch bevor ich ihn zurückhalten kann, schnauzt Henson den neugierig in unseren Wagen starrenden Zöllner an. „Alles schon gekifft. Kauf dir selbst was.“
„Aussteigen. Langsam. Hände auf das Dach. Keine Bewegung mehr“.
Deutsche Zollbeamte verstehen einfach keinen Spaß, da sind sie wie ihre Kollegen in Frankreich. Auch eine Art der Völkerverständigung.
Verstärkung wird herbeigerufen und ich muss meinen Wagen auf einen Platz hinter der Zollstation fahren, während Henson zur Leibesvisitation mitgenommen wird. Ich weiß, was auf ihn zukommt, habe ich diesen Spaß doch erst mit einem französischen Grenzbeamten gehabt, wobei Henson mit dem deutschen Beamten zumindest keine Sprachschwierigkeiten haben dürfte. Und während ich bei meinem roten R 4 bleibe und auf den Drogenhund warte, fällt mir ein, dass Henson auf dem Gymnasium Französisch Leistung gehabt hat, und dass er somit auch bei französischen Zöllnern keine Sprachschwierigkeiten hätte. Vielleicht wird er ja die Fragen der deutschen Grenzbeamten auf französisch beantworten.