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Grenzüberschreitungen...
Obwohl sich meine Trinkfestigkeit in Grenzen hält, ertappe ich mich an manchen Tagen dabei, sie weit über mein Limit auszureizen. Dies war so ein Tag.
Wir waren zu fünft in einem alten Mercedes-Sprinter unterwegs. Kurz vor Überquerung der europäischen Grenze bei Usovo, in Richtung St.Petersburg, wachte ich auf. Der Magen bis auf die Knie durchhängend, machte ich keine Anstalten mich bei meinen Bandkollegen bemerkbar zu machen. Noch etwas Ruhe. Noch etwas Schlaf. Schlafen bis das Karussell anhält.
Ich wurde unsanft aus meinem mehr oder minder verdienten Schlaf gerissen. Eine fahle, ausgemergelte Visage direkt vor meinen Augen blickte mich mit einer Mischung aus Süffisanz und Boshaftigkeit an. Es war Tom, der Gitarrist meiner fünf Mann Kappelle, mit der ich durch die beschissensten Orte cruiste, ohne dabei auch nur´n Cent zu machen. Er muss ziemlich lang an mir gerüttelt haben, denn das erste was über seine Lippen kam war:
„Alter, markier hier nicht den Komatrinker, sondern sieh zu, dass du deinen Reisepass rausholst!“
Getan wie mir geheißen, kramte ich nach meinem Grenzlappen - nur war dieses verdammte Stück Scheiße nirgends zu finden. Wie ein Äffchen auf Speed sprang ich kreuz und quer durch den Van, in der Hoffnung, das Ding aus seinem Versteck zu fingern. Tja, was soll ich sagen, Plan fehlgeschlagen. Der Van bewegte sich im Schritttempo und in Reihe auf die beiden breit gebauten Grenzer zu. Mir begann das Arschwasser zu kochen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass wenn ich bei den Typen ohne Papiere auftauchte, ein ansehnlicher Haufen Scheiße durch die Luft fliegen würde. Ganz bestimmt in meine Richtung.
Es begann bereits jetzt. Zweihundert Meter vor der Haltelinie. Nur waren es jetzt noch meine Freunde die mich mit dummen Fragen und handfesten Flüchen löcherten.
„Kriegst du eigentlich irgendetwas auf die Reihe du Arschloch?!!“
war vom Fahrersitz zu vernehmen.
„Halt die Schnauze und fahr!“ war die einzige Antwort die ich zu diesem Zeitpunkt auf Lager hatte. Nicht die Beste, aber was soll`s. Zum Teufel Ja! Was soll`s!
„Die werden mich schon nicht einknasten oder so`n Fuck, nur weil ich den scheiß Lappen nicht finden kann!“
Die Unruhe stieg ins Unermessliche. Unser Bandvan hatte nun soviel Ähnlichkeit mit einem Mojo-Wagon wie´n Haufen Scheiße in einer Schüssel mit´m Schokopudding hat.
Von aussen beinahe gleich. Im Inneren, total Unterschiedlich.
Während der Großteil der Band Contenance bewahrte, brüllte Tom mich unverhohlen an: „Du bist der dümmste Wixer den ich kenne! Du hast dir ja schon so einiges gegönnt, was beschissene Aktionen angeht, aber die Scheiße...!“
Was sollte ich sagen, er hatte recht. Ich war sicherlich teilweise etwas neben der Spur, aber für gewöhnlich wurde das von Tom durchaus toleriert, ja sogar gewünscht.
Nun sah er mich an als würde er mich jeden Moment von der Kante putzen.
Wie wild brüllte er um sich. Mir war als wäre eine lang verborgene Störung, geistiger Natur, in ihm ausgebrochen.
Zwanzig Meter bis zur Grenze. Ich hatte mich längst damit abgefunden keine Reisepapiere zu besitzen. Nun stellte ich mich auf ein langes Gespräch, in schlechtem Englisch, mit den beiden bewaffneten Kanisterköpfen ein.
„Du bist so ein unfähiges Arschloch!!!“ krächzte Tom.
„Halt endlich deine dumme Fresse!“
Irgendjemand musste diesem Wahnsinn ein Ende bereiten. Warum nicht der Auslöser selbst.
Mit einer Mischung aus Niedergeschlagenheit und Verzweiflung sank Tom, im Sitz neben mir, in sich zusammen. Er konnte nicht glauben dass es möglich war, das einzige Dokument zu vergessen (oder zu verlieren), welches man für eine EU-Grenzüberschreitung benötigte. Ich hatte mich längst mit der Realität abgefunden.
Nun war nur noch ein Wagen vor uns. Ich griff mir n Dosenbier und ließ die Scheiße auf mich zuwalzen.
Wie auf der Haltelinie festgetackert stand unser Kleinbus an der Grenzstation. Josef, unser Fahrer, hatte in einem Anflug von Pflichtbewusstsein das Fenster schon bei Meter dreißig heruntergekurbelt. Kein Ton war aus dem Innenraum des Vans zu hören. Josef reichte einem der Typen (nun waren es drei) die vier Pässe. Vier Pässe für fünf Jungs und´n Arsch voll Equipment. Der Riesenrusse schaute kurz drauf und winkt uns durch. Versteht ihr?! Der winkt uns durch! Fünf versoffene Gestalten mit vier Pässen. Er winkt uns durch. Fünf Punks, abhängig von der Güte (und, oder der mathematischen Unfähigkeit) eines russischen Grenzbullen. Wir fahren durch.
Kein Mucks von niemandem.
Nach einem Kilometer Stille packe ich vor Freude meinen Schwanz aus, öffnete meinen Gurt und trommle Tom damit auf dem Kopf rum.
So wurden an einem Tag mehrere Grenzen überschritten. Die Europäische Grenze.
Die Grenze zwischen zwei Männern.
ENDE