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Green Eyes
Sie saß im Unterricht und starrte auf seinen leeren Platz. Es war jetzt fast drei Wochen her, dass er zum letzten Mal auf diesem Stuhl saß. Mit den Augen schweifte sie über den unbesetzten Tisch. Nachdem sie ihren Blick abgewandt hatte, schaute sie zum Fenster. Etwas in ihr fehlte. Als ob er ein Stück ihres Herzens mitgenommen hatte, als er gegangen war. In ihren Gedanken spiegelten sich gerade seine wunderschönen grünen Augen in der Fensterscheibe. Sie schloss ihre Lider und dachte an ihn in voller Pracht: Umwerfende grüne Augen, schokoladenbraunes Haar, wundervolle, gut proportionierte Figur... Sein Duft zog ihr durch die Nase. Wie sehr sie diesen Geruch doch liebte... Es war, als würde er unmittelbar neben ihr sitzen, aber das tat er nicht. „Nein!“ Sie musste sich es ausreden, damit sie nicht zu enttäuscht sein würde, wenn sie aus ihrem Tagtraum erwachte. Unter ihren geschlossenen Lidern stauten sich Tränen. Nun begann sich in ihrem Kopf ein Film ab zu spielen: Sie erinnerte sich an einzelne Sätze, Gesichtsausdrücke und Bewegungen, die er gemacht hatte. Ein Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab, als sie sich entsann, wie er jeden Morgen außerhalb des Klassenzimmers seine Jacke an den Hacken gehängt hatte und dann mit einer unbeschreiblichen, nichtvorhandenen Motivation an seinen Tisch gegangen war. Es war kaum weg zu denken, wie er im Unterricht gesessen hatte und immer mit der Hand über sein Gesicht gefahren war. Wie sehr sie ihn doch vermisste... Eines war klar: sie würde immer wieder zum Fenster, an den Platz, den er früher mit seinem wundervollen Körper zierte sehen, in der Hoffnung einen Blick in seine glitzernde Augen zu erhaschen. Sie verzog das Gesicht, als ob sie gerade in eine Zitrone gebissen hätte. Es war der Stich, den sie in ihrem Herzen spürte, der Stich, der sie immer dann ereilte, wenn ihr bewusst wurde, das dort nie wieder dieses grüne Schimmern zu sehen sein würde. Plötzlich meinte sie in ihren Ohren der Klang seiner Stimme zu hören. Früher hatten diese Töne eine beruhigende Wirkung auf sie gehabt, jetzt brachte sie diese Fata Morgana dazu, dass sie die Tränen nichtmehr halten konnte. In sich hoffte sie inständig, von niemandem gesehen zu werden Warum tat es so weh? Konnte dieser Schmerz nicht vergehen? Alles wäre besser als die Trauer und die Leere, die er in ihr zurückgelassen hatte. Sie wünschte sich nur, dass er noch einmal auf sie zukam, die Sonne im Rücken, sodass sein braunes Haar einen strähnigen Schimmer erhielt, und ein bloßes „Hei“ herauspresste, während sich sein selbstsicheres, schelmisches Grinsen in ein unsicheres Lächeln verwandelte. Manchmal dachte sie, dass er seine Mauer, die ihn mit einer arroganten, ja unerreichbaren Art, vor Verletzung und Kränkung zu Schützen vermochte, fallen ließ. Wieso bloß, war er so unnahbar? Was war ihm widerfahren, dass er so ein Geheimnis um seine Gefühle und um seine Identität machte? Es war, als ob er vor allem und jedem Angst hätte, der mehr in ihm sah, als er preisgeben wollte. Hatte er eigentlich je bemerkt, was ihr durch den Kopf gegangen war, wenn sie ihn musterte? Wäre es ihm Recht gewesen, wenn sie sich Gedanken um ihn gemacht hatte? Wie oft hatte er darüber nachgedacht, was sie wohl entdeckte, wenn sie in seine wunderschönen Augen sah? War jemals eine Art der Verwunderung in ihm aufgestiegen, als sie Tränen in den Augen seine Zuneigung und seinen Trost suchte? Ob er nur erahnt hatte, was er für sie bedeutete? Jetzt war sie es, die ihr Gesicht hinter ihren Händen verbarg, damit niemand in ihre Gefühlswelt eindringen konnte. Früher, hatte sie stets den Wunsch gehegt seine Lippen auf den ihren und seine Zunge in ihrem Mund zu spüren. Nun wünschte sie sich nur, noch einmal in seine grünen Augen zu sehen und nur noch ein einziges Mal in seinen Armen zu liegen. Sie sehnte sich nach seinen beruhigenden Worten, nach seiner ganzen Art. Er war für sie nicht nur der geliebte, angehimmelte Junge, sondern auch ein guter Freund. Zwischen ihnen hatte niemals das Verhältnis geherrscht, dass er zu den anderen Mädchen hatte. Er der Womanizer, zu dem immer alle gerannt waren und ihn umarmt oder auf irgendeine Art und weiße berührt hatten, während sie auf ihrem Platz gesessen und das ganze betrachtet hatte. Ein Teil in ihr war froh gewesen, nicht eines dieser Mädchen zu sein, das ihn den ganzen Tag umringte. Der andere Teil hatte es immer gehasst, die einzige zu sein, die abseits von ihm stand. Einmal hatte sie ihn in ihren Armen gehalten, wenn auch nur für wenige Sekunden. War es wirklich so kurz gewesen oder kam es ihr nur so vor? Ihr Herz hatte damals so laut und schnell geschlagen, dass sie Angst gehabt hatte, er könne es hören. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie seine Hände auf ihrem Rücken, seinen Atem an ihren Schultern gespürt hatte. In Gedanken hatte sie mehr mit ihm getan, als nur da zu stehen, seinen Kopf auf ihren Schultern.
Er klammerte sich noch fester an sie und sie drückte ihren Kopf noch enger an sein Haar. Sie streichelte seinen Nacken. Es war als wären beide in einander verschmolzen, dabei war es nur eine Umarmung. Auf einmal löste er sich von ihr und stellte sich wieder gerade vor sie hin. Verständnislos sah sie nach oben und suchte seinen Blick. Als sie in die grünen Augen sah durchfuhr sie ein Stich. Er blickte sie so liebevoll an. Dann nahm er mit einer Hand die ihrige und mit der anderen strich er ihr das Haar aus dem Gesicht und ließ sie dann auf ihrer Wange liegen. Ohne zu überlegen fuhr sie ihm vom Hals hinauf in sein Haar und griff sich dort fest. Ihre Blicke waren wie gebannt, bis er sie ganz nahe an sich zog und seine Nase an ihre Stirn presste. Beide hatten ihre Augen geschlossen. Sein Atem war warm und wohltuend auf ihrem Gesicht. Diese Position hätte sie ewig beibehalten können. All die unzähligen Male, in denen sie sich gewünscht hatte ihm nahe zu sein, wurden in einem Moment erfüllt. Die Arme um seinen Hals gelegt, lächelte sie. Dann suchten seine Lippen ihren Mund. Der Kuss war nichts Besonderes. Ganz schlicht, ohne Zunge oder sonstige Feinheiten, aber trotzdem wundervoll Nochmals berührten seine Lippen ihre. Alleine die Berührung entfachte ein Feuerwerk in ihr. Plötzlich fuhr seine Zunge über ihren Mund. Sofort öffnete sie ihre Lippen und berührte seine Zunge mit der ihren. Einige Zeit massierten sich die beiden gegenseitig.
Auf einmal wurde sie geschüttelt. Sie riss ihre Augen auf und sah, wie ihre Banknachbarin an ihrem Arm rüttelte. Alles war nur ein Traum gewesen. Genau dieses Gefühl, das jetzt in ihr Aufstieg, die Trauer, das Unwohlbefinden, waren das, was sie nicht wollte. Sie verdammte die unzähligen Tagträume, die ihr zwar anfangs ein Lächeln ins Gesicht zauberten, aber wenn sie vorbei waren, war die Welt nur noch grau, farblos und triste. Was hatte das Leben noch für einen Sinn, wenn sie nicht bei ihm sein konnte? Er fehlte an allen Ecken und Enden. In ihr brodelte es. So wie es jetzt war, hatte sie keine Lust mehr weiter zu machen. Jeden Tag fraß sie allen Kummer in sich hinein. Eigentlich wollte sie, dass die Welt sah, wie viel er ihr bedeutete, wie gerne sie ihn einfach nur ansah oder ihm zuhörte, sie wollte in den Himmel schreien, was sie für ihn empfand. Wieder sah sie auf seinen leeren Platz, doch in ihrer Fantasie war er nicht leer, in ihren Gedanken saß er auf diesem Stuhl und sah sie an. Nun begriff sie, er konnte so weit weg oder so nahe sein wie er wollte, im Grunde waren ihre Herzen immer bei einander. Sie schloss die Augen und genoss in vollen Zügen den Traum seines Duftes, der durch ihre Nase wehte. Dann erhob sie sich, nahm den schwarzen Edding, den er so oft zum Verzieren seines Hausaufgabenhefts gebraucht hatte, kniete sich vor seinen Tisch und schrieb: „Danke für alles! Ich werde dich nie vergessen, dein Name wird immer in meinem herzen stehen. ICH LIEBE DICH!!!“